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INTERNATIONAL/249: Argentinien - China rückt zu zweitwichtigstem Kooperationspartner auf (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Februar 2015

Argentinien: China rückt zu zweitwichtigstem Kooperationspartner nach Brasilien auf

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Eingangstor zum Chinesischen Viertel von Buenos Aires
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Buenos Aires, 24. Februar (IPS) - In dem Bemühen, sich am globalen Markt zu behaupten, setzt Argentinien zunehmend auf China. Doch die neue strategische Annäherung wird in dem südamerikanischen Land kontrovers diskutiert. Während die Befürworter auf das Investitionspotenzial abheben, warnen die Kritiker vor negativen Folgen, die aus der Ungleichheit der Partner erwachsen könnten.

Bei ihrem jüngsten Besuch in Peking Anfang Februar hatten Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández und ihr chinesischer Amtskollege Xi Jinping 22 Kooperationsabkommen in den Bereichen Raumfahrt, Bergbau, Energie, Finanzen, Viehzucht und Kultur unterzeichnet. Im Rahmen der "integralen strategischen Allianz" ist unter anderem der Bau von zwei Atomkraft- und zwei Wasserkraftwerken vorgesehen, die Argentinien in Sachen Strom zum Selbstversorger machen sollen.

Wie der China-Experte und Leiter des in Buenos Aires ansässigen Strategischen Planungsinstituts, Jorge Castro, betont, lässt sich die Bandbreite der Möglichkeiten, die sich aus der bilateralen Zusammenarbeit ergeben, noch nicht abschätzen. Fest stehe jedoch, dass Argentinien mit China ein Bündnispartner zur Seite stehe, der dem Land und der gesamten Region dabei helfen könne, die internationalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bewältigen.

Die Volksrepublik sei bereits zum wichtigsten Handelspartner Südamerikas avanciert. Die Tatsache, dass China die Ernährungssicherheit der eigenen Bevölkerung in die Hände südamerikanischer Staaten gelegt habe, lasse sich als Zugeständnis der gegenseitigen Abhängigkeit interpretieren, meint Castro. Im Fall Argentinien gehe die Intensivierung der Beziehungen zu China zu Lasten historischer Partner wie den USA und Europa. So hat China die USA als Handelspartner auf den dritten Platz verwiesen. Den ersten Platz belegt Brasilien.


Handelsrekorde

Im vergangenen Jahr hatte der Wert der argentinischen Exporte nach China die Marke von fünf Milliarden US-Dollar überschritten. Umgekehrt importierte Argentinien aus der Volksrepublik Waren zu einem Rekordwert von 10,8 Milliarden Dollar.

Schon vor dem Besuch der argentinischen Staatschefin in China hatten beide Lände Kooperationsabkommen geschlossen. Dazu zählt der Vertrag, der die beiden staatlichen Erdölunternehmen 'Spinopec' (China) und YPF (Argentinien) zu Partnern bei der Ausbeutung nicht konventionellen Erdöls der Mega-Lagerstätte Vaca Muerta im Süden Argentiniens gemacht hat.

Darüber hinaus hat China Investitionen in Höhe von 2,5 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau der Eisenbahnstrecke von 'Belgrano Cargas y Logística' zugesagt, die den Transport argentinischer und brasilianischer Agrargüter zu chilenischen Pazifikhäfen ermöglichen soll.

"Die Investitionsabkommen mit China sind deshalb so wichtig, weil sie für das devisenklamme Argentinien die Voraussetzungen für die Entwicklung der lokalen Infrastrukturen schaffen", betont die Ökonomin Fernanda Vallejos.

Im Juli 2014 hatte Argentinien ein Abkommen mit China über einen Währungsswap im Wert von elf Milliarden Dollar ausgehandelt. Die auf drei Jahre befristete Vereinbarung ermöglicht es den Zentralbanken beider Länder, sich gegenseitig Geld in Yuan und Peso zu leihen. Laut Vallejos, die einer Beratergruppe des argentinischen Ministeriums für Wirtschaft und öffentliche Finanzen angehört, ist der Swap ein mächtiges Instrument, um die argentinischen Devisenreserven zu stärken.

Zu den Kritikern der neuen Allianz mit China gehören argentinische Unternehmervereinigungen wie der Argentinische Industrieverband und die Exportkammer der Republik Argentinien. Beide verweisen auf die bestehenden Handelsasymmetrien. Neben der rasant auseinander klaffenden Handelsbilanz ist die Tatsache, dass die Volksrepublik hauptsächlich Rohstoffe und Agrarerzeugnisse - zu 75 Prozent Soja und seine Derivate - einführt, ein weiterer kritischer Punkt. Argentinien wiederum bezieht vom mächtigen Handelspartner vor allem Elektrogeräte, Ersatzteile, Computer, Telefone, Chemikalien und Motorräder.

Die UIA-Kritik richtet sich auch auf das im Juli vergangenen Jahres zwischen beiden Ländern vereinbarte Rahmenabkommen zur Zusammenarbeit in Wirtschafts- und Investitionsfragen, das noch vom Parlament ratifiziert werden muss. Es beinhalte einige für die argentinische Entwicklung risikoreiche Klausen.

"Im letzten Jahrzehnt ging es China mit seiner Strategie vor allem um zwei Ziele: um die Konsolidierung seiner transnationalen Unternehmen in der globalen Wertschöpfungskette und um Rohstoffe und Inputs mit geringem Mehrwert zugunsten der [chinesischen] Produktion und Beschäftigung", heißt es in einer UIA-Mitteilung.


Hoffen auf Investitionen

Doch Castro wendet ein, dass es in den Freihandelsabkommen im derzeitigen Globalisierungszeitalter vor allem um Investitionen geht. Es gelte die argentinisch-chinesischen Beziehungen deshalb in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Der Experte erinnerte daran, dass Chinas ausländische Direktinvestitionen in den kommenden zehn Jahren auf etwa 1,1 Billionen Dollar ansteigen werden. "Für uns stellt sich die Frage, wie wir in den kommenden zehn bis 20 Jahren einen Teil dieser Investitionen anziehen können."

Neben wirtschaftlichen Bedenken gibt es auch politische Einwände gegen die neue Allianz Argentiniens mit China. So fürchten einige, dass im 21. Jahrhundert die Volksrepublik für die lateinamerikanischen Länder das werden könnte, was Großbritannien im 20. Jahrhundert für die Region war: eine dominante wirtschaftliche und territoriale Hegemonialmacht.

Kritik mehrt sich zudem am Bau eines chinesischen Raumfahrtzentrums in der südargentinischen Provinz Neuquén, die nach Aussagen der Regierung Kontrollaufgaben übernehmen und Daten für das chinesische Programm zur Erforschung des Weltraums sammeln soll.

Der oppositionelle Provinzabgeordnete Raúl Dobrusin gibt zu bedenken, dass das von Sozialverbänden und Linksgruppen heftig attackierte Abkommen, das China über einen Zeitraum von 50 Jahren ein 200 Hektar großes Stück Land überlässt, am Parlament von Neuquén vorbei beschlossen worden.


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von DesarrolloyDefensa

Die Arbeiten am chinesischen Raumfahrtzentrum in der Provinz Neuquén in Argentinien schreiten voran
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von DesarrolloyDefensa

Dem Politiker zufolge birgt das Raumfahrtzentrum gewisse geopolitische Risiken. "Sollte es zu einer Konfrontation zwischen Großmächten kommen, könnten wir von den Feinden Chinas ins Visier genommen werden. Kurz gesagt: Wir manövrieren uns in eine Situation, die unsere Souveränität in der Entscheidung bedroht, ob wir in uns in einen Konflikt hineinziehen lassen oder nicht."


Süd-Süd-Dimension

Doch der Ökonomin Vallejos zufolge geht es bei der Allianz in erster Linie um wirtschaftliche Fragen. Darüber hinaus biete sie für Argentinien die Chance, befreit vom Joch des Neoliberalismus, eigene politische und wirtschaftliche Ziele zu erreichen. China lasse sich von den westlichen Mächten nicht vereinnahmen und sei "Teil einer künftigen neuen Weltordnung, in der die Schwellenländer sich nicht länger in die Rolle der kolonialisierten Mächte pressen lassen, sondern ihr eigenes Schicksal in die eigenen Hände nehmen".

Die Expertin räumt zwar ein, dass hauptsächlich China von der Zusammenarbeit mit Argentinien profitiert. "Doch ist es möglich, dass sich für alle Beteiligten eine Win-Win-Situation ergibt." (Ende/IPS/kb/2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/02/argentina-avanza-en-su-matrimonio-de-conveniencia-con-china/
http://www.ipsnews.net/2015/02/argentina-moves-towards-marriage-of-convenience-with-china/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 24. Februar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2015

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