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KONFERENZ/169: Eindrücke von der Bonner Nexus-Konferenz (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2011
Global Governance - Eine Chimäre?

Solutions for the Green Economy?
Eindrücke von der Bonner Nexus-Konferenz

Von Jürgen Maier


"The Water, Energy and Food Security Nexus - Solutions for the Green Economy" - unter diesem Titel fand vom 16.-18. November im alten Bonner Bundestag der offizielle Hauptbeitrag der Bundesregierung zum bevorstehenden Rio+20-Gipfel statt. Eine internationale Konferenz mit 500 Teilnehmern mit einem Programm, das der oberflächliche Beobachter leicht mit dem Reflex abtun konnte, "alles schon mal gehört, alles schon mal dagewesen, und fehlender inhaltlicher Tiefgang wurde mit pompösen Riverboat Dinners und dergleichen wettgemacht". Aber eine solche Kurzzusammenfassung würde dieser Konferenz nicht gerecht. Im Gegenteil: Diese Konferenz war ausgesprochen aufschlussreich.


Bei näherem Hinsehen bot diese Konferenz nämlich Einblicke in sich abzeichnende politische Entwicklungen, die gerade den NGOs sehr zu denken geben müssen. Die Konferenz hatte mehr als ein Jahr inhaltlichen Vorlauf. Vieles davon war auch für die Mitglieder der internationalen und nationalen Begleitkreise (darunter auch der Verfasser) nicht immer wirklich transparent und ließ nicht direkt erkennen, welche Inszenierung hier geplant war.


By invitation only

Grundlegender Unterschied zu vielen anderen Konferenzen zu ähnlichen Themen war schon mal, dass der Teilnehmerkreis nicht zufällig zustande kam, sondern "by invitation only". Der Begründung, nur so könne sichergestellt werden, dass die drei "communities" Wasser, Energie und Ernährungssicherheit gut durchmischt würden, ist kaum zu widersprechen - wir merken im Forum Umwelt & Entwicklung immer wieder, wie schwer es ist, solche "communities" zusammenzubringen. Der Nebeneffekt ist natürlich, dass man damit die Zusammensetzung der Teilnehmer auch unter anderen Gesichtspunkten gut steuern konnte. Unmittelbare Konsequenz war die augenfällige schwache Präsenz der NGOs, zahlenmässig weitaus geringer als gewohnt. Längst nicht alle, die gerne eine Einladung bekommen wollten, bekamen eine - jedes Begleitkreismitglied durfte exakt fünf Personen vorschlagen. Umso präsenter waren internationale Institutionen, die Wirtschaft und die Wissenschaft. Sogenannte "Strategische Partner" der Konferenz waren das World Economic Forum, das International Food Policy Research Institute (IFPRI) und der WWF.

Damit einher ging eine subtile Verschiebung der Gewichte in der Diskussion. Als NGO-Teilnehmer neigt man zum reflexartigen Beifallklatschen, wenn wortreich das Versagen der Regierungen bei der Umsetzung der Rio-Agenda beklagt wird. Natürlich, wer will schon widersprechen, wenn die Analyse kommt "politicians are always behind the realities, they are merely following the scientific and economic developments". Oder das Loblied auf die berühmten "Stakeholder", die man unbedingt einbeziehen müsse. Der NGO-Vertreter fühlt sich sofort instinktiv angesprochen - und die "public participation", klar, die fordern wir auch immer. Der Vertreter des World Economic Forums fordert, man müsse erstens "everybody together" und zweitens "everybody on board" bringen. Sogar "putting people at the center" fehlt nicht, ganz in der Sprache progressiver Entwicklungshilfekritik. Die Krönung war das von David Nabarro, UN-Sonderbotschafter für Ernährung, verkündete Scheitern der public-private partnerships. Haben nicht wir NGOs jahrzehntelang PPPs scharf kritisiert? Nabarro verkündete anschließend, jetzt beginne das Zeitalter der "people-public-private-partnerships", der PPPPs. Was daran nun anders sein soll, blieb offen - und es hinderte die BMZ-Staatssekretärin Kopp in keiner Weise daran, in ihrem Schlusswort das hohe Lied auf die alten PPPs zu singen: "One actor alone cannot meet the challenge", gemeint war natürlich der Staat.

Irgendwann fällt einem dann auf, was in diesem Chor der schönen Worte fehlt. "Interessen", das sagte keiner, oder "Regulierung" zum Beispiel. Oder schlicht und ergreifend: "Politik". Dieses Wort fehlte derart auffallend, dass sogar ein KfW-Vertreter aus dem Publikum treffend darauf hinweisen musste "we talk a lot about finance and technology here, but not about policy. What if we have the finance and the technology but the policy is wrong?" Und wenn es keine "Interessenvertreter" mehr gibt, sondern nur noch "Stakeholder", dann braucht man sich über das Fehlen von Interessen auch nicht mehr zu wundern.


Nexus thinking - Silo thinking

Leitmotiv der Konferenz war die Gegenüberstellung von "nexus thinking" und "silo thinking". Zahlreiche Redner erklärten das "silo thinking" geradezu zur Hauptursache aller Umsetzungsprobleme. Auch hier befällt einen das Gefühl, dass diese Analyse zwar nicht direkt falsch ist, und mangelnde Kohärenz verschiedener Politikbereiche auch bei den "Stakeholdern" und selbst bei den NGOs immer wieder ein echtes Problem ist. Aber dass diese mangelnde Kohärenz - pardon, das "silo thinking" - eventuell nicht nur an den Scheuklappen der Akteure liegt, sondern vielleicht auch an ökonomischen Interessen - das wagte kaum jemand auszusprechen.

Wenn es tatsächlich zutrifft, dass die durch industrialisierte Landwirtschaft verursachten Schäden an den Böden durch Erosion immer bedrohlichere Ausmaße annehmen, und wenn es ebenfalls zutrifft, dass große landwirtschaftliche Produktivitätssteigerungen eben nicht durch eine weitere Intensivierung der industrialisierten Landwirtschaft mit noch mehr Input an knapper Energie und knappem Wasser erzielt werden können, sondern durch gezielte Förderung der kleinbäuerlichen Produktionsweise mit weniger energieintensivem Input - dann heißt das im Klartext, dass das Geschäftsmodell der großen Agrarkonzerne die Herausforderung Ernährungssicherung für neun Milliarden eben nicht lösen kann. Da ist dann, unausweichlich, die Politik gefragt.

Nicht angesagt war aber eine stärkere Rolle des Staates, ebenso wenig Verpflichtungen aller Art für die Wirtschaft. Die Frage einer NGO-Vertreterin, was denn aus den noch in Johannesburg beim Rio+10-Gipfel beschlossenen bindenden Corporate Responsibility-Verpflichtungen geworden sei, wurde vom Moderator des World Economic Forum souverän abgebügelt. "Vielen Dank für Ihre Frage, der Nächste bitte". Nicht anders ging es einem philippinischen Wissenschaftler mit seiner Anmerkung "The pursuit of economic growth is a sacred cow at this conference but it needs to be questioned. Human well-being is not the same as economic growth." Aus der Rolle fiel in dieser Hinsicht lediglich IRENA-Generaldirektor Adnan Amin. Er plädierte ganz klar für einen "rights-based approach", Rechte auf Zugang zu Ressourcen müssten politisch gerecht verteilt werden und das müsse man einfordern. "We need a balance between private sector accountability and enabling frameworks for investment. Bemerkenswert war der Beitrag von Alexander Müller, stellvertretender FAO-Direktor. Es sei eine große Versuchung zu sagen, wir brauchen langfristige Lösungen, um dann kurzfristig mit business as usual weiter zu machen. Dieses kurzfristige business as usual blockiere aber genau die langfristigen Lösungen, weil die eben nicht vom Himmel fallen, sondern eingeleitet werden müssen. Vieles von dem was hier vorgeschlagen werde, würde den Ressourcenverbrauch bei Wasser, Energie, Land noch erhöhen, aber dieses ständige Mehr an Ressourcen werde es nicht geben.


Wer definiert Green Economy?

Genau diese Frage wurde bei nahezu allen Beiträgen aus dem "private sector" völlig ausgeklammert. So schilderte Siemens-Vorstandsmitglied Barbara Kux durchaus beeindruckend die Wandlung dieses Konzerns, und verwies darauf, dass Umwelttechnologien, Windräder und Effizienztechnologien heute das Zentrum der strategischen Ausrichtung des Konzerns bestimmen und damit der Hauptteil des Gewinns gemacht werde. Das war für sie "Green Economy". Zugegeben, ein bisschen politische Regulierung war schon nötig für den Aufbau dieser Geschäftssparten, aber eigentlich läuft das jetzt ganz von alleine - das war ihre Botschaft. Der Unterschied zwischen "business as usual" und "Green Economy" wirkt nach solchen Beiträgen ziemlich unscharf, auch wenn man zugeben muss: business as usual im Jahre 2011 ist nicht mehr das business as usual von 1992.

Es gab übrigens noch ein Wort, das in Bonn kaum vorkam: Klima. Ein Thema am Rande, irgendwie aus der Mode gekommen. Einer der wenigen, die darauf eingingen, war Nestlé-Chef Peter Brabeck-Letmathe. Auch er attackierte das fehlende vernetzte Denken, die Silo-Mentalität. "One of the worst silos is the CO2 silo. You cannot look at everything from a CO2 perspective. We must put people in the center of our thinking, not CO2", um anschließend die enorme Geldverschwendung und Ressourcen-Fehlsteuerung durch Biokraftstoffe und andere erneuerbare Energien zu beklagen. "Putting people at the center", sagen wir das nicht auch immer?

Mittlerweile stehen auf der Konferenzwebsite die Ergebnisse und Empfehlungen der Konferenzu online:
http://www.water-energy-food.org/en/conference/policy_recommendations.html.

Im Mittelpunkt steht die Empfehlung, die drei Felder Wasser, Energie und Ernährungssicherheit als gemeinsamen, miteinander verbundenen Nexus zu sehen. In den Kapitel "way to Rio" wird dazu aufgerufen diesen Nexus fest in der Rio-Agenda zu verankern.

Zudem wurden fünf so genannte "Bonn opportunities for action" präsentiert. Daneben werden konkrete Maßnahmen aufgezählt, die die Stakeholder ergreifen können, um die "opportunities for action" umzusetzen.

Man kann davon ausgehen, dass die mit hohem Aufwand organisierte und gekonnt inszenierte Nexus-Konferenz in ihrer Grundlinie die strategischen Überlegungen von BMU und BMZ zur Debatte um die "Green Economy" wiedergibt. Unabhängig davon, ob die Rio+20-Gipfelkonferenz nun wichtig ist oder nicht - die Diskussion um Green Economy, ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft, die "Große Transformation" (oder welcher Begriff auch immer für diese Herausforderung verwendet wird) wird auch ohne Rio+20 eine zentrale Herausforderung für die Umwelt- und Entwicklungs-Organisationen in den nächsten Jahren sein. Die Agenda für diesen Diskurs hat sich spürbar geändert, und zwar sehr subtil: eine technokratische, entpolitisierte Agenda des "wir sitzen alle in einem Boot". Auch die alten Feindbilder aus der Wirtschaft bröckeln: wenn alle von "grünem Wachstum" reden, Konzerne wie Siemens die Grüne Wirtschaft zum strategischen Ziel erklären - reicht es da aus, als NGO einfach nur zu sagen, die meinen es sowieso nicht ernst?


Uwe Hoering, Autor der Rio+10-Bilanzpublikation des Forums Umwelt & Entwicklung 2002, hat in einem breit kursierenden Essay (http://www.globe-spotting.de/boykott-rio20. html) bereits die Devise ausgegeben: "Boykottiert Rio+20". Das Leitthema der "Grünen Ökonomie" sei längst Mainstream, es gehe darum den Kapitalismus zu begrünen, um einen neuen Wachstumsschub herbeizuführen. Rio sei nur noch eine PR-Veranstaltung globalen Zuschnitts. "Occupy Rio+20" ist die Devise, die Achim Brunnengräber ausgegeben hat. Vermutlich wird die Rio-Konferenz selber in der Tat nur ein müder Abklatsch ihres historischen Vorbilds. Aber das ist nicht entscheidend - es geht darum, wer im gesellschaftlichen Diskurs definiert was eine Green Economy ist. Und dabei kann es nicht um Boykott, sondern um nur um Occupy gehen. Der Begriff verweist allerdings schon auf ein zentrales Problem: wogegen die Occupy-Bewegung ist, ist ziemlich eindeutig, wofür sie steht schon weniger.


NGOs als Impulsgeber abgelöst

Wir sollten uns nichts vormachen: es sieht im Augenblick so aus, als würden die Agenda für die Green Economy andere setzen. Die NGOs waren die politischen Innovationstreiber des RioProzesses der 1990er Jahre, bis weit in die 2000er-Jahre. Aber wir sind in Gefahr, diese Rolle zu verlieren und uns zudem inhaltlich auseinanderzuentwickeln. Ein Teil der NGOs steht dem ganzen Diskurs zunehmend kritisch gegenüber, bis hin zum Boykottaufruf von Rio, und betont vor allem die Greenwashing-Komponente dieses Diskurses, während andere Partnerschaften mit der Wirtschaft eingehen. Pointiert gesagt, während die einen die Rio-Agenda neu definieren, haben die anderen sie schon aufgegeben. Viele andere haben sie zwar nicht aufgegeben, brauchen aber dringend ein inhaltliches Update ihrer Argumentation, die zumindest bei der Nexus-Konferenz über weite Strecken etwas, sagen wir mal, zeitlos wirkte. Wenn die NGOs wieder aktiv Impulse in die Debatte um die mit "Green Economy" beschriebene Zukunftsherausforderung geben wollen, brauchen sie mehr inhaltliche Klarheit und auch neue konkrete Ideen jenseits von Boykott und kritiklosem Mitmachen in einem grüngefärbt runderneuerten business as usual. Das Boot zu einer tatsächlich nachhaltigen Green Economy wird nur ankommen, wenn bestimmte Akteure, bestimmte Geschäftsmodelle eben nicht mit an Bord genommen werden, sondern delegitimiert werden.

Wir haben viele sektorale Detailkonzepte, die zwar nicht immer zusammenpassen, aber zusammengenommen viel Baumaterial für eine wirkliche "Green Economy" ergeben. Einen inspirierenden Bauplan zwischen den Polen einer strategischen Partnerschaft mit der Wirtschaft einerseits und Fundamentalopposition andererseits haben wir daraus noch nicht gemacht. Wenn wir das nicht schaffen, kann es aber auch sein, dass das Boot der gesellschaftlichen Diskussion stattdessen ohne viele von uns ablegt und nur so tut als würde es zur Green Economy fahren. Oder mit den Worten der US-Botschafterin bei der FAO: "if we always do what we do, we will always get what we got". Banal aber wahr, und es gilt in der Tat nicht nur für die Regierungen, sondern auch für die "Stakeholder".


Jürgen Maier ist Geschäftsführer des Forums Umwelt und Entwicklung.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2011, Seite 21-23
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2012