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MARKT/1546: Fair produzierte Textilien in den Mainstream! (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2016

Kampf um Land
Lebensgrundlage, Ökosystem, Kapitalanlage

Fair produzierte Textilien in den Mainstream! Wie wird Fair Wear das neue Bio?

von Kerstin Haarmann


Wer heute in Deutschland nachhaltig leben und arbeiten will, kann seine Wohnung mit Erneuerbaren Energien heizen, das Duschwasser mit Solarthermie erwärmen, den Strom für Handy, Waschmaschine und Computer aus Windstrom beziehen, mit dem Fahrrad oder elektromobil zur Arbeit fahren und bio und regional einkaufen und kochen. Das alles ist heute für viele selbstverständlich, fast überall schnell erhältlich und sogar chic. Aber wehe wir brauchen etwas Neues zum Anziehen oder ein paar Kissenbezüge, Handtücher, Bettwäsche etc. für die Wohnung. Wo kaufen oder bestellen wir das und welche Textilien sind wirklich ökologisch und vor allem fair hergestellt?


Wer auch im Bereich Textilien nur nachhaltig und fair hergestellte Produkte verwenden möchte, muss einen erheblichen Aufwand betreiben, um das Gewünschte zu finden. Beim Einkaufsbummel durch eine durchschnittliche deutsche Fußgängerzone findet man bestimmt nicht "einfach so" die gewünschte Jeans. Die Bewohnerinnen mittelgroßer deutscher Städte schätzen sich glücklich, wenn es ein kleines Geschäft mit ökologisch und fair produzierten Textilien gibt. Die Männer gehen häufig leer aus und müssen alles Gewünschte beim Online-Handel bestellen, wo es mittlerweile wenigstens einige Anbieter gibt. In Bezug auf ökologisch und fair hergestellte Sportbekleidung gilt das in der Regel für Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen, so dass insoweit wieder gleich - schlechte - Bedingungen für alle hergestellt sind.

Die meisten ZeitungsleserInnen und diejenigen FernsehzuschauerInnen, die mehr als Unterhaltungsshows im Privatfernsehen ansehen, wissen, dass viele Textilien unter unmenschlichen Bedingungen hergestellt werden. Über den schrecklichen Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch, bei dem fast 1200 Näherinnen starben, haben fast alle Medien berichtet. Die Einsicht, dass man nur noch ökologisch und fair hergestellte Textilien kaufen sollte, die den Näherinnen - vorwiegend in Südostasien - einen existenzsichernden Lohn gewähren, ist bei vielen Menschen vorhanden. Aber nur wenige handeln danach.

Wie kann man also diejenigen unterstützen, die gerne ökologisch und fair produzierte Textilien kaufen möchten, aber die oben genannten, teilweise mühseligen Umstände beim Einkauf nicht in Kauf nehmen möchten? Mit anderen Worten:


Wie wird die bundesdeutsche Fußgängerzone zur "Fair Wear-Zone"?

Der Textileinkauf vor Ort im Geschäft, mit der Möglichkeit verschiedene Größen, Farben oder Stilrichtungen eines Kleidungsstücks anprobieren zu können oder spontan ein ansprechendes Modell aus dem Schaufenster auszuwählen, ist immer noch für einen großen Teil der Bevölkerung der Normalfall. Außerdem ist so ein Shopping-Trip für viele nach wie vor eine angenehme Freizeitbeschäftigung bzw. Belohnung.

Wo sollte es also einfacher sein als bei einem von vielen Menschen als angenehm empfundenen Einkaufbummel, diese von den positiven Auswirkungen ökologisch und fair hergestellter Textilien zu überzeugen? Man kann sich erstens selbst belohnen bzw. das eigene Wohlbefinden steigern durch den Kauf eines neuen Kleidungsstückes und zweitens durch den Kauf von Waren mit Textilsiegel dafür sorgen, dass TextilarbeiterInnen ihren fairen, existenzsichernden Lohn erhalten. Drittens kann man seinem Umfeld hiervon berichten und Anerkennung dafür bekommen.

Wie schafft man es, die Textilproduzenten und den Textilhandel dazu zu bewegen, auch ökologisch und fair produzierte Textilien in ihr Sortiment aufzunehmen? - Es muss zum Normalfall werden, dass KundInnen im Geschäft auf ein T-Shirt oder eine Jeans zeigen und fragen: "Gibt es das auch "fair gehandelt" bzw. mit einem "Fair Wear"-Textilsiegel?" und im Falle eines "Neins" das Geschäft verlassen und anderswo einkaufen. So wie man heute im Supermarkt bei Lebensmitteln fragt: "Gibt es das auch in Bio?"

Freiwillig werden die TextilhändlerInnen ihr bislang so exzellent funktionierendes Geschäftsmodell nicht aufgeben, mit "outgesourcter" Lieferkette in Länder mit den weltweit niedrigsten Löhnen und geringsten Umwelt-, Arbeitsrechts- und Sicherheitsstandards. Es ist zur Zeit auch nicht sehr wahrscheinlich, dass es gesetzliche Haftungsregeln für die Verantwortung in der gesamten Lieferkette geben wird. Ob das vom Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gerd Müller initiierte Textilbündnis in absehbarer Zeit verbindliche Standards für die Textilproduktion setzen wird, darf ebenfalls stark bezweifelt werden.


Was bringt Menschen dazu, Textilien aus ökologischer und fairer Produktion zu verlangen?

Anders formuliert: Wie wird "Fair Wear" das neue "Bio", das mittlerweile verbreitet und begehrt ist, in viele Sortimente konventioneller Lebensmittelhändler aufgenommen wurde und eigenständige, große Biomarktketten geschaffen hat? Hierauf gibt es mehrere mögliche Antworten:

  • Es braucht Zeit, sogar viel Zeit, bis sich die Ansprüche an die ökologische Unbedenklichkeit und faire Herstellung von Bekleidung auf KundInnenseite durchgesetzt haben. Skandale, die Missstände offenbaren, können helfen, eine Bewusstseinsänderung zu unterstützen
  • Durch die Angst vor giftigen Chemikalien in Textilien
  • Durch die Existenz weniger, einfacher und transparenter Textilsiegel für faire Textilien
  • Durch ein gutes Angebot an ökologisch und fair produzierten Textilien
  • Mithilfe eines Zeitgeistes, der nachhaltige Textilien "hip" und modern macht
  • Durch die Globalisierung, die weltweite Ereignisse und Zustände in Produktionsländern umgehend in Deutschland/Europa bekannt macht
  • Mithilfe von Bildung und Aufklärung
  • Durch öffentlichkeitswirksame Aktionen, die auf die Missstände in der konventionellen Textilproduktion aufmerksam machen und den Textilhandel hier vor Ort massiv in die Verantwortung zwingen

Einige der vorgenannten Punkte sind bereits eingetreten, wie z. B. Nr. 2 (Fabrikeinstürze wie Rana Plaza, Tazreen und Ali Enterprise mit über tausend Toten und Verletzten, die zum großen Teil bis heute nicht angemessen entschädigt wurden), Nr. 3, Nr. 5 und Nr. 7. Die Punkte Nr. 4 und Nr. 6 sind erst teilweise vorhanden. Es gibt beispielsweise noch zu viele unübersichtliche Textilsiegel. Hier muss die Branche weiter ihre Hausaufgaben machen. Wenn man nicht noch mehrere Jahrzehnte abwarten will, bis sich neue Anforderungen der Menschen an ihre Bekleidung durchsetzen - die Durchsetzung von "Bio"-Lebensmitteln dauerte ca. 30 Jahre von 1980 bis 2010 - muss man auf die Punkte Nr. 8 und 9 setzen.


Aktionspreis gegen die Modeindustrie

Um die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit von vielen engagierten Bildungsträgern, NGOs und Agendagruppen etc. zu würdigen und vor allem um zusätzliche öffentlichkeitswirksame Aktionen gegen die unmenschlichen Produktionsbedingungen in der Textilindustrie anzuregen (Punkt 9), hat die gemeinnützige cum ratione gGmbH aus Paderborn den mit 10.000 EUR dotierten Aktionspreis "SPITZE NADEL - gegen die Masche der Modeindustrie" gestiftet, der gemeinsam mit dem Kooperationspartner INKOTA-Netzwerk, Berlin, erstmalig am 23.04.2016 - zum Gedenken an den 3. Jahrestag des Einsturzes der Rana Plaza-Textilfabrik in Bangladesch - vergeben wird.

Der Preis soll insbesondere durch die Medienberichterstattung über Aktionen den Handlungsdruck auf Unternehmen und Politik steigern und das gegenwärtige Geschäftsmodell der "Textilmafia", das bis nach Deutschland reicht, enttarnen. Kaum etwas fürchten Unternehmen mehr, als einen um sich greifenden Imageverlust. KeinE TextilhändlerIn mag Demonstrationen oder Aufklärungskampagnen vor oder in ihrem/seinem Geschäft oder Aufrufe zu Aktionen im Netz. Die Eingänge der Textilgeschäfte sind weit offen, alle Aktiven könnten z. B. dort hineingehen und medienwirksam Aufklärung oder Stellungnahmen fordern. Die Kundenbeziehungen sind relativ einfach zu irritieren. Der Fantasie für wirksame Aktionen sind keine Grenzen gesetzt.

Der Textilhandel ist sehr verwundbar. Neben der wichtigen Arbeit in den Produktionsländern ist die Veränderung der Nachfrage in den Konsumländern wichtig. Denn eine Verbesserung der Produktion in einzelnen Ländern lässt die "Heuschrecken" in das nächste Produktionsland wandern. So werden heute bereits Teile der Textil- und Schuhproduktion nach Afrika verlagert, weil es dort noch billiger ist. Dieses Ausweichverhalten gelingt nicht mehr, wenn die Nachfrage eine andere Herstellung der Produkte verlangt.

Bei der Bewertung der Aktionen für den Aktionspreis "SPITZE NADEL" steht im Vordergrund, dass diese eine breite Öffentlichkeit über die Missstände in der Textil- und Modeindustrie informieren und zum Handeln inspirieren. Möglichst viele Personen und Gruppen sollen dazu mobilisiert werden, sich für die Menschenrechte bei der Produktion der Textilien einzusetzen. Außerdem sollen die Aktionen eine möglichst hohe Medienwirksamkeit erzielen.


Die Autorin ist geschäftsführende Gesellschafterin bei cum ratione gGmbH.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 1/2016, Seite 47-48
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2016

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