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MEINUNG/071: Ungleichheit durch Privatisierung (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2018

Nachhaltig und sozial?
Umwelt- und Entwicklungspolitik in Zeiten wachsender Ungleichheit

Ungleichheit durch Privatisierung ... ... und was dagegen unternommen werden kann

von Carl Waßmuth


Seit 50 Jahren werden weltweit und auch in Deutschland Einrichtungen der Daseinsvorsorge und öffentliche Dienste privatisiert. Wasserversorgung, Energieversorgung, Verkehrsnetze, Kommunikationsnetze, kommunale Wohnungen, Leistungen des Gesundheitswesens, selbst Verschmutzungsrechte wie beim CO2 wurden und werden erst ins Privatrecht übertragen, handelbar gemacht und zuletzt verkauft. Diese Privatisierungen vergrößern weltweit und auch in Deutschland die Ungleichheit. Das öffentliche Vermögen schrumpfte infolge der Privatisierungen, Gebühren stiegen oder wurden überhaupt erst eingeführt. Sind solche Entwicklungen zwangsläufig - oder kann man sie aufhalten?

Über 100 internationale ForscherInnen, darunter Star-Ökonom Thomas Piketty, haben dieses Jahr einen spannenden Bericht zur weltweiten Ungleichheit herausgegeben. Für die Entwicklung von öffentlichem Vermögen ist der Bericht so etwas wie eine Reihe von Satellitenaufnahmen: Ähnlich der Austrocknung des Aralsees sieht man auf einen Blick, wie das Vermögen der öffentlichen Hand weltweit schrumpfte. Das öffentliche Kapital - also alle Vermögen und Schulden der öffentlichen Hand zusammengerechnet - wurde nach diesem Bericht in vielen Ländern der Welt in den letzten 40 bis 50 Jahren halbiert. Auch in Deutschland fiel der Wert des öffentlichen Nettovermögens im Verhältnis zum jährlichen Nationaleinkommen von 1970 bis 2016 von 28 auf 12 Prozent. Die Autoren der Piketty-Studie sehen Privatisierungen als eine Hauptursache dieser umverteilenden Entwicklung. (1)


Privatisierungen in Deutschland

In Deutschland begann die Privatisierung öffentlicher Infrastrukturen etwa 1960 und erfolgte in (bisher) 6 großen Wellen. Die erste Welle dauerte ca. 30 Jahre an, dabei wurde der staatliche Industrie- und Finanzsektor nahezu vollständig privatisiert. Es folgte ab den 1980er Jahren eine 20 Jahre anhaltende Welle von Privatisierungen, ausgehend von Rundfunk und Fernsehen über die Energieversorgung, Post und Telekommunikation, Bahnverkehr, Flughäfen bis hin zur Wasserversorgung. Ab der dritten Welle Anfang der 1990er Jahre betrug die Privatisierungsdauer pro Welle jeweils nur noch 10 Jahre, die Wellen folgen nun jedoch dicht aufeinander: Praktisch in jeder Legislaturperiode wurde eine neue Privatisierungswelle ausgelöst. Jede Welle umfasste dabei ein weitgehend abgeschlossenes Bündel von Sektoren, die dann meist vollständig oder überwiegend privatisiert wurden.

Die jeweiligen Begründungen für diese Privatisierungen unterlagen einem Wandel. Anfangs wurde dem Privatsektor gegenüber staatlichem Handeln eine generell höhere Effizienz zugesprochen. Dieses Argument rückte nach und nach in den Hintergrund, auch angesichts der praktischen Erfahrungen der Menschen mit - im Sinne des Gemeinwohls - deutlich ineffizienten Leistungen der privatisierten Daseinsvorsorge. In den Vordergrund trat immer stärker das Argument der Verschuldung: Die öffentliche Hand wäre demnach vielfach zu Verkauf und Auslagerung schlicht gezwungen, gleichgültig, ob Privatisierungen an sich nun für gut oder für schädlich gehalten werden. Mit der Schuldenbremse und dem europäischen Fiskalpakt ist diese Argumentation inzwischen flächendeckend zur beherrschenden Begründung aufgestiegen, sie bildet aktuell ein neues "TINA-Prinzip". (2)

Begleitend hatte jede Welle auch noch eigene, sektor- oder wellenspezifische Begründungsmuster. Beim Ausverkauf der Firmen und Vermögen der vormaligen DDR über die Treuhand im geschätzten Wert von 600 Milliarden D-Mark (307 Milliarden Euro) wurden zum Beispiel zu Beginn Hoffnungen geweckt, jedeR einzelne BürgerIn bekäme später einen Anteil an den Erlösen. Der Umverteilungscharakter wurde offenbar, als man die Treuhand nach Abschluss des Verkaufs überraschend mit einem gigantischen Schuldenberg von 256 Milliarden D-Mark (130 Milliarden Euro) schloss, die in den Bundeshaushalt übernommen werden mussten.


Umverteilung von unten nach oben

Menschen mit geringem Einkommen müssen nach Privatisierungen für Leistungen wie sauberes Trinkwasser oder Mobilität einen immer weiterwachsenden Anteil ihres Verdienstes aufbringen. Privatisierungen wirken sich aber auch auf das steuerfinanzierte öffentliche Vermögen aus: Wie bei einem Ventil gehen die wertvollen Infrastrukturen der Daseinsvorsorge hinaus, aber kommen nie wieder hinein. Schutz erfährt nach den Verfassungen in Deutschland und den benachbarten Ländern in Europa nur privates Eigentum. Öffentliches Eigentum hingegen darf straffrei verschleudert werden. So wurden zahlreiche öffentliche Infrastrukturen verkauft, wobei viel weniger Geld eingenommen wurde, als diese Anlagen wert waren. Einrichtungen der Daseinsvorsorge wurden per Konzession oder über Öffentlichen-Privaten Partnerschaften (ÖPPs) an Private abgegeben. Diese Firmen haben zwar Steuergeld dafür genommen und oft auch lange Jahre Gebühren einkassiert. Gleichzeitig haben sie aber die ihnen anvertrauten Versorgungsnetze verfallen lassen, so dass die Allgemeinheit unterm Strich viel weniger zurückbekommen hat, als bezahlt wurde.

Privatisierungen haben Deutschland seit 1960 netto auch viele Arbeitsplätze gekostet und auf diesem Wege eine massive Umverteilung bewirkt. So verloren zwischen 1990 und 1994 allein in den neuen Bundesländern insgesamt 2,6 Millionen Menschen ihre Arbeit. (3) Dieser massive Arbeitsplatzabbau war eng mit den Privatisierungstätigkeiten der Treuhand verbunden. Deutschland verlor auch in den anderen Privatisierungswellen in großem Umfang reguläre Beschäftigungsverhältnisse. Allein die 1994 formell privatisierte Bahn baute als Aktiengesellschaft bis 2012 im inländischen Bahnverkehr 130.000 Arbeitsplätze ab. Die Telekom reduzierte ihre Belegschaft deutschlandweit zwischen 1994 und 2007 um rund 77.000 Stellen, während ihre WettbewerberInnen im selben Zeitraum nur 14.000 neue Stellen schufen.

Einen Umverteilungsmechanismus bilden auch Pensionslasten: So übernahm der Bund vor den Verkäufen von Post und Telekom bis zum Jahr 2076 rund 550 Milliarden Euro an Zahlungsverpflichtungen allein für Witwen-, Waisen- und sonstige Renten für die ehemaligen BeamtInnen der Deutschen Bundespost. Auch im Fall der Bahn bezahlte der Bund nach der Privatisierung 1994 rund 100 Milliarden Euro für Renten und Ausgleichszahlungen.


Privatisierungen sind keine unaufhaltsame Entwicklung

Privatisierungen haben bei den Menschen in Deutschland keinen guten Eindruck hinterlassen. Nach einer repräsentativen Umfrage, die der Deutsche Beamtenbund 2007 bis 2015 durchführen ließ, wollten zuletzt nur noch 17 Prozent der Bevölkerung weitere Privatisierungen, mehr als die Hälfte (55 Prozent) lehnt dies ab, 23 Prozent fordern sogar die Rückabwicklung bestehender Privatisierungen. (4) BürgerInnen wehren sich vielerorts gegen Privatisierungen mittels BürgerInnen- und Volksbegehren. Zahlreiche solcher Begehren wurden in den vergangenen 20 Jahren gestartet, einige konnten zum Erfolg geführt werden, wie im Falle der Berliner Wasserbetriebe. Auch Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) sind aufgrund von enormen Kostensteigerungen, Insolvenzen und der Inflexibilität im Betrieb extrem unbeliebt. Im Falle des Museums der Moderne in Berlin und bei einem 500-Millionen-Euro-ÖPP-Projekt zur Sanierung der Brücken in Frankfurt konnten die Privatisierungen noch verhindert werden. Um den Verlust an öffentlichem Vermögen zu stoppen, wäre jedoch vor allem eine Regelung auf Bundesebene nötig. Seit über 10 Jahren zeigen nicht nur Rechnungshofberichte: Die von ÖPP verursachten Schäden und Kostenexplosionen sind zahlreich und erheblich. Darauf muss reagiert werden: durch einen gesetzlichen Stopp von ÖPP. Zudem hat sich gezeigt, dass die sogenannte Schuldenbremse ein Privatisierungstreiber ist. Bund, Länder und Kommunen werden vor die Alternative gestellt, Investitionen entweder zu unterlassen oder auf dem Weg über Privatisierungen teure Schattenhaushalte zu errichten. Dieses vom Gesetzgeber selbst geschaffene Dilemma muss aufgelöst werden, das Neuverschuldungsverbot bedarf dringend einer Reform. Dabei müssten mindestens kreditfinanzierte Investitionen in die Daseinsvorsorge wieder ermöglicht werden - wie sie 150 Jahre lang vorher auch möglich waren.


Anmerkungen:

(1) Facundo Alvaredo/Lucas Chancel/Thomas Piketty/Emmanuel Saez/Gabriel Zucman (2017): Bericht zur weltweiten Ungleichheit. Deutsche Kurzfassung:
wir2018.wid.world/files/download/wir2018-summary-german.pdf.

(2) Als Akronym von "There Is No Alternative", einer Losung der britischen Premierministerin Margaret Thatcher. Thatcher ließ ab 1979 in Großbritannien brachial Auto-, Schiffbau-, Kohle-, Stahl- und Wasserunternehmen privatisieren und überwand dabei auch heftigen gewerkschaftlichen Widerstand.

(3) Bundeszentrale für politische Bildung (2015): Das Vermögen der DDR und die Privatisierung durch die Treuhand.
http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/zahlen-und-fakten-zur-deutschen-einheit/211280/das-vermoegen-der-ddr-und-die-privatisierung-durch-die-treuhand.

(4) dbb beamtenbund/tarifunion/forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen mbH (2015): Bürgerbefragung öffentlicher Dienst, S. 30. http://www.dbb.de/fileadmin/pdfs/2015/forsa_2015.pdf.

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Quelle:
Rundbrief 2/2018, Seite 4-5
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2018

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