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REDE/436: Schäuble - Abbau der Neuverschuldung durch sozial gerechte Belastung, 09.06.10 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, in der Aktuellen Stunde zum Abbau der Neuverschuldung durch sozial gerechte Belastung auch der starken Schultern statt massiver Kürzungen bei Arbeitslosen und jungen Eltern vor dem Deutschen Bundestag am 9. Juni 2010 in Berlin:


Frau Präsidentin!
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen!

Herr Trittin hat ja gemeint, wir sollten eine seriöse Debatte führen. Ich bin wirklich dafür, wir tun es. Deswegen will ich der Versuchung widerstehen, auf alles einzugehen, was hier unsachlich gesagt worden ist.

Machen Sie sich keine Illusionen: Die große Mehrzahl unserer Bürgerinnen und Bürger ist von einer wachsenden Besorgnis erfüllt, ob wir, die politische Klasse, in der Lage sind, die wachsenden Defizite der öffentlichen Haushalte noch zu beherrschen und zurückzuführen und auch vor dem Hintergrund unserer demografischen Entwicklung eine Perspektive aufzuzeigen, dass wir diese hohe Verschuldung irgendwann wieder zurückführen.

Man muss hinzufügen - das wird vergessen -: Nach der mittelfristigen Finanzplanung vor der Finanz- und Bankenkrise hätten wir 2011 im Bundeshaushalt eine Nullverschuldung ausgewiesen. Wir haben das einfach gemeinsam gemacht, aber die Krise ist über uns gekommen. Es war auch eine richtige Entscheidung, in dieser dramatischen Krise nicht prozyklisch zu reagieren, sondern die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen. Ich habe das bei der Präsentation des Entwurfs für den Haushalt 2010 gesagt.

Damit ist aber unausweichlich die Notwendigkeit verbunden, die Defizite zurückzuführen, sobald wir das Gröbste hinter uns haben und bevor die nächste Krise kommt. Es gibt darüber auch eine internationale Debatte, die sehr kompliziert ist. Ich habe meinem amerikanischen Kollegen gesagt: Es mag sein, dass ihr glaubt, ihr könntet eure Defizite, die ja viel höher als unsere sind, in den kommenden Jahren über Wachstum reduzieren. Bei der Dynamik der Vereinigten Staaten von Amerika und der ganz anderen demografischen Entwicklung mag das so sein. Wir in Kontinentaleuropa und wir in Deutschland können es nicht.

Deswegen müssen wir realistisch sein. Wir haben ein längerfristiges Potenzialwachstum von anderthalb Prozent, aber nicht mehr, und das weiß die Bevölkerung. Deswegen müssen wir diesen Weg gehen. Das besorgt die Menschen, aber es führt kein Weg daran vorbei.

Nun sage ich Ihnen: Angesichts der prekären wirtschaftlichen Lage ist es bei solchen Defiziten klar - wir stehen international eher in der Kritik, dass wir zu viel und zu schnell als zu wenig sparen, was ich für falsch halte; ich habe gerade versucht, das anzudeuten -, dass ein ganz wesentlicher Teil unserer Operationen auf der Ausgabenseite des Bundeshaushaltes, der seine ganz eigene Struktur hat, erfolgen muss. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns darauf konzentrieren, die Dinge zu stärken, die bei diesen begrenzenden Rahmenbedingungen dazu beitragen, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und unsere Perspektiven zu verbessern, auch in Zukunft zu wachsen.

Aus diesem Grund haben wir die Ausgaben für Bildung und Forschung überhaupt nicht angefasst, sondern wir haben gesagt: Nein, diese Priorität bleibt. Wir haben gesagt - das sage ich wieder und wieder -: Aufgrund unserer demografischen Entwicklung müssen wir alle Menschen so gut wie möglich ausbilden und für den Arbeitsmarkt gewinnen. Die Partizipationsrate muss gesteigert werden. Darauf konzentrieren sich die Maßnahmen.

Wenn Sie etwas genauer hinschauen, Herr Kollege Heil, dann werden Sie sehen, dass an den Maßnahmen im Bereich des Ministeriums für Arbeit und Soziales bei der relativen Bedeutung dieses Einzeletats gemessen am Gesamthaushalt kein Weg vorbeiführt. Frau von der Leyen hat selbst darauf hingewiesen, dass ihr Etat mehr als die Hälfte des Bundeshaushalts ausmacht, aber nur zu knapp einem Drittel an den Maßnahmen beteiligt ist. Das heißt, dieser Bereich ist wesentlich weniger stark betroffen.

Wir haben die Maßnahmen in diesem Bereich sehr genau überprüft und erarbeitet. Die Debatten gehen im Übrigen weiter. Die Bundesregierung hat die Rahmenbedingungen beschlossen. Sie wird in diesem Rahmen den Haushaltsentwurf erarbeiten, und dann wird das Parlament ausführlich beraten und entscheiden.

Unser Leitmaßstab dabei war, alles außen vor zu lassen, was Menschen betrifft, die nicht mehr für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen können. Bei den Hinzuverdienstregelungen gehört es aber zur Ehrlichkeit dazu, zu sagen, dass manche konkrete Einzelheit unserer Programme im Bereich des Bundesministeriums für Finanzen wie auch beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales dazu führt, dass das Lohnabstandsgebot nicht eingehalten wird und die Anreize für die Aufnahme einer regulären Tätigkeit schwach sind.

Wir haben nicht nur Konsolidierungsbedarf, sondern auch die Aufgabe, die Voraussetzungen so zu gestalten, dass wir auch in der Zukunft wettbewerbsfähig sind und eine maßvoll wachsende Wirtschaft haben. Dazu müssen wir diesen Weg gehen.

Ich möchte noch zwei Bemerkungen zu Punkten machen, die erwähnt worden sind, weil es dazu vielleicht noch Informationsbedarf gibt. Wir bleiben bei der Bankenabgabe.

Damit das völlig klar ist, Herr Kollege Schneider: Was wir vorgesehen haben, ist nicht alternativ geplant, sondern zusätzlich. - Darüber werden wir morgen früh im Bundestag diskutieren, wenn die Bundesregierung ihren Gesetzesentwurf einbringt.

Zunächst einmal will ich dem Kollegen Schneider sagen, dass das, was wir vorhaben, nicht alternativ, sondern zusätzlich ist. Wir müssen ein insolvenzähnliches Verfahren für Banken schaffen. Dafür brauchen wir einen Restrukturierungsfonds und eine Abgabe, die ihn allmählich und maßvoll speist.

Die Chancen, dass wir global zu einer Finanztransaktionsteuer kommen, sind sehr gering. Das habe ich an dieser Stelle schon ein paar Mal gesagt. Ich habe in Pusan beim Treffen der Finanzminister zumindest darüber Klarheit gefordert, dass sie auf absehbare Zeit nicht eingeführt wird. Dann werde ich mit aller Kraft dafür eintreten, dass wir zu einer europäischen Lösung kommen. Das ist in der Koalition verabredet.

Ich nenne auch gleich den nächsten Schritt. Er wird noch schwieriger, und es wird vor allem schwierig, europaweit einen Konsens hinzukriegen. Selbstverständlich wäre es besser, wenn alle Europäer mitmachen, auch Großbritannien und die Schweiz. Für den Fall aber, dass nicht alle in Europa mitmachen sollten, würde ich auch dafür werben, dass wir das zur Not im europäischen Währungsverbund machen. Deswegen war ich bereit, die zwei Milliarden Euro einzusetzen. Wenn es mehr werden, Herr Poß: à la bonne heure!

Bisher würde ich eher sagen: Ich wäre froh, wenn wir sie schon hätten. Denn ich brauche auch dafür einen Beschluss innerhalb der Euro-Zone. Alleine, auf nationaler Ebene, können wir das nicht machen.

Wir haben auch geprüft, ob wir die Börsenumsatzsteuer wieder einführen sollen. Aber das würden sicherlich auch Sie nicht empfehlen; denn Sie wissen, dass die Voraussetzung für die Börsenumsatzsteuer seinerzeit war, dass wir eine eigene Währung hatten. Da wir inzwischen Teil einer Währungsgemeinschaft sind, wären die Ausweicheffekte so groß, dass wir allenfalls eine Lachnummer bieten würden. Deswegen haben wir uns für diesen Weg entschieden. Er ist ehrgeizig.

Frau Kollegin Künast, zu Ihrem Zwischenruf: Was das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger angeht, besteht ein Unterschied zu den Hausfrauen darin, dass Hartz-IV-Empfängern ihr Existenzminimum garantiert wird. Sie haben einen Rechtsanspruch darauf; das ist unser Sozialstaat. Die Hausfrau bekommt nichts. Deswegen ist die Gleichsetzung von Hausfrauen und Hartz-IV-Empfängern völlig falsch. Das genaue Gegenteil ist richtig. Das muss man sehen. Das Prinzip von Hartz IV ist die Existenzsicherung. Das wirkt sich vor allen Dingen bei Wohngeld und Kosten der Unterkunft in einem dramatischen Maße aus; das alles muss man im Auge haben.

Unsere Entscheidungen sind maßvoll. Sie sind sozial verantwortbar. Sie stärken unsere Chancen auf künftiges Wachstum. Wir sparen nicht kaputt. Aber wir führen die Defizite zurück. Damit legen wir die Grundlagen dafür, dass das Vertrauen unserer Bevölkerung in die Nachhaltigkeit unseres demokratischen, wirtschaftlichen und sozialen Systems auch in Zukunft erhalten und weiter gestärkt werden kann.


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Quelle:
Bulletin Nr. 65-1 vom 09.06.2010
Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble,
in der Aktuellen Stunde zum Abbau der Neuverschuldung durch
sozial gerechte Belastung auch der starken Schultern statt
massiver Kürzungen bei Arbeitslosen und jungen Eltern vor
dem Deutschen Bundestag am 9. Juni 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2010