Was wird aus der "strategischen Allianz" Suzuki-Volkswagen?
Wird FIAT von einem Scheitern profitieren?
von Gerhard Feldbauer, 17. Oktober 2011
Am 12. September 2011 hat der japanische Auto- und Motorradhersteller Suzuki seine 2009 mit Volkswagen beschlossene Zusammenarbeit aufgekündigt. Der führende deutsche Autokonzern übernahm damals einem Anteil von 19,9 Prozent bei dem viertgrößten japanischen Hersteller, während dieser 1,5 Prozent vom Partner erwarb. Am 9. Dezember 2009 hatten die Vorstandschefs von Suzuki und VW, Osama Suzuki und Martin Winterkorn, den Kooperationsvertrag unterschrieben. Suzuki forderte jetzt von VW seinen Anteil an Suzuki zurück. Der Japaner wollte durch das "strategische Allianz" genannte Abkommen seine Position in Indien stärken, wo seine Tochter Maruti Marktführer ist. Vor allem aber wollte Suzuki Einblick in die technische Entwicklung bei Europas größtem Autohersteller erhalten. Konkret galt das Interesse des Japaners den modernen, spritsparenden Motoren und zukunftsträchtigen Hybrid- und Elektromotoren. VW wollte die neuen Technologien des Japaners, besonders im Segment der Kleinstwagen unterhalb von 9000 Euro kennenlernen. Beide Partner planten, Einsteigerautos für Entwicklungs- und Schwellenländer sowie umweltfreundliche Wagen für Kunden in den Industriestaaten zu bauen. Dass VW erwog, eine Sonderversion seines neuen Kleinwagen Up für Indien zu entwickeln, stieß auf wenig Gegenliebe des Partners.
Fusionen, Kooperationen auf der Basis gegenseitiger Kapitalbeteiligungen und dergleichen Allianzen bilden seit langem einen tragenden Faktor in der Konzentration der Autoindustrie. Oft endet der Schwächere, für den das eine Überlebenschance ist, als Tochtergesellschaft des Stärkeren. Es gibt Unternehmen, die sich gut damit zurechtfinden, vor allem dann, wenn ihnen der Mutterkonzern auf der Grundlage der Eigenständigkeit Kreativität, nationales Image und damit auch guten Absatz garantiert. VW gilt als ein Unternehmen, das auf diesem Gebiet als führend eingeschätzt wird. Als Beispiele stehen die Töchter Audi, Skoda oder SEAT. Aber auch Daimler macht gut davon Gebrauch und Klagen der Familiemitglieder sind eigentlich nicht bekannt.
Für gewöhnlich dauert es einige Jahre bis die Partner einer Kooperation sich eingearbeitet haben, und dass dabei Probleme auftauchen, ist so selten nicht. Bei VW-Suzuki aber kam es schon nach zwei Jahren zum Eklat. Es gilt als erwiesen, dass Suzuki von FIAT Dieselmotoren bezogen hat, was der Vertrag untersage. Der Wolfsburger setzte den Japanern "eine mehrwöchige Frist", um "diesen Sachverhalt zu korrigieren". Suzuki, so hieß es, befürchte, VW wolle zu großen Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben. Außerdem konterte der Japaner die Vorwürfe aus Wolfsburg, er habe nicht den vereinbarten Einblick in die neueste Technologie von VW erhalten. Dann reagierte Osama Suzuki, der Chef des Familienunternehmens, hart und kündigte am 12. September in Tokio seine Zusammenarbeit mit Volkswagen auf. Der Wolfsburger beharrte darauf, dass die Japaner - entgegen den Vertragsbestimmungen - Antriebstechnik bei "fremden Herstellern" bezogen hätten. "Daran hat sich aus unserer Sicht nichts geändert", hieß es. Näheres wurde aus dem Schreiben aus Niedersachsen nicht bekannt, außer, dass der Japaner es als "nicht kommentierungswürdig" bezeichnete. Für den jetzigen Streit, so berichtete das Handelsblatt, sehe der geheime Kooperationsvertrag vor, ein privates Schiedsgericht anzurufen, dessen Spruch im allgemeinen als bindend gelte. Suzuki kündigte an, davon Gebrauch machen zu wollen. Demonstrativ wurde auch ein Teil der Mitarbeiter aus Wolfsburg nach Tokio zurückgerufen. VW ließ zunächst verlauten, es wolle weiterhin an seinem knapp 20-prozentigen Anteil an der Suzuki Motor Corp, der sich auf 1,7 Milliarden Euro beläuft, festhalten. Es sei "derzeit nicht geplant, die Beteiligungsverhältnisse zu ändern".
Was will Suzuki?
Wie ist das Verhalten von Suzuki zu sehen. Bei den Anteilsverhältnissen von 19,5:1,5 war eigentlich schon etwas zum Kräfteverhältnis in der "strategischen Allianz" gesagt. Zu sehen sind auch die unterschiedlichen Größenverhältnisse. VW hat zuletzt 7,2 Millionen Autos pro Jahr verkauft, Suzuki 2,6 Millionen. Wollte der Japaner mit seinem vertragswidrigen Kauf von Dieselmotoren bei "fremden Herstellern" ausloten, wie weit sein Spielraum geht, oder wollte er damit den Partner zur Aufkündigung der Allianz provozieren? Ins Spiel kamen nationale Empfindlichkeiten, die in Japan wie auch in Asien generell schwer wiegen. Geht es dort doch immer darum, das "Gesicht zu wahren". Jedenfalls sah Suzuki die Verlautbarungen aus Wolfsburg als "rufschädigend" und forderte, dass VW die "verunglimpfenden" Vorhaltungen öffentlich widerruft. Der europäische Marktführer konterte: Volkswagen könne nicht nachvollziehen, dass die Einforderung vertraglich festgelegter Rechte "rufschädigend" sein solle. Suzuki habe eindeutig gegen die eingegangenen Verpflichtungen verstoßen.
Bei VW denke man laut "Spiegel", der sich auf einen ranghohen Manager des Unternehmens berief, auch an eine Mehrheitsübernahme bei Suzuki, gewöhnlich auch "feindliche Übernahme" genannt. Insider halten einen derart aggressiven Akt allerdings für ausgeschlossen, da er nicht der politischen Kultur von VW entspräche. Bleibt Suzuki bei der Kündigung der "strategischen Allianz" würde ein Passus ungültig, nach dem VW seinen Anteil an Suzuki nur mit dessen Zustimmung erhöhen dürfte. Damit wäre es VW möglich, eine Mehrheit an Suzuki zu übernehmen. Ein solcher Schritt sei auch schon vor Beginn der Zusammenarbeit im Gespräch gewesen. Danach sollte der Japaner für den deutschen Konzern, der plane, die Auto-Entwicklung auf weltweit vier Zentren aufzuteilen, eine zentrale Rolle übernehmen. Das entspräche durchaus der Konzernstrategie des Wolfsburgers, der die Absicht hat, bis 2018 an die Spitze des Weltmarktes zu treten. Ein solches Ziel erfordert, sich mit leistungsstarken Partnern zusammenzutun, zu denen Suzuki sicher zählt. Das um so mehr, als auf dem fernöstlichen Markt VW mit Hyundai ein starker Konkurrent entgegentritt, den VW-Chef Martin Winterkorn zusammen mit dessen Tochter KIA als "gefährlichsten Wettbewerber" und "härtesten Rivalen" ausmachte.
Kommt es zur Mehrheitsübernahme durch VW?
Zu einer Erhöhung der Anteile über die derzeit 19,9 Prozent hinaus wollte man sich in Wolfsburg nicht äußern. "Solche Vermutungen beziehen sich auf Inhalte unseres Kooperationsvertrags mit Suzuki - und die sind vertraulich", hieß es aus der Konzern-Zentrale. Aufschlussreich war dann, dass der Leiter für internationale Zusammenarbeit von VW, Hans Demant, laut der "Automobilwoche" vom 16. Oktober in der Haltung zu Suzuki etwas zurückruderte und hervorhob, dass beide Hersteller eigenständige Unternehmen mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen seien. Die Zusammenarbeit müsse "daher mit Bedacht entwickelt werden". Dies dauere "leider etwas länger als ursprünglich erwartet". Dann meldete sich noch kein Geringerer als der Aufsichtsratschef von VW, Porscheenkel Ferdinand Piëch zu Wort und erklärte, man beschäftige sich "nicht mit irgendwelchen Alternativszenarien", sondern "gehe davon aus, dass man sich einigen werde". Den schwarzen Peter wird man also VW kaum unterschieben können.
Suzuki hat sich, soweit bekannt, bisher nicht zum versöhnlichen Kurs von VW geäußert. Feststehen dürfte, dass der Japaner eine Trennung von VW allein kaum überstehen könnte. VW ist mit 80 Grundmodellen vom Kleinstwagen bis zum Bus Europas größter Autobauer und, wie eine Studie des Center of Automotive Management (CAM) einschätzte, auch der "weltweit mit Abstand leistungsstärkste Automobilhersteller. Es liegt aber durchaus im Bereich des Möglichen, dass Suzuki beim Scheitern der Allianz mit dem Wolfsburger auf FIAT setzt. Neben Mazda und Nissan ist der Turiner Autokonzern bereits seit langem ein enger Partner des Japaners. "Wenn nötig, werden wir andere Allianzen bilden, so wie wir das mit FIAT getan haben", erklärte der für die Beziehungen zu VW zuständige Suzuki-Manager Yasuhito Harayama.
Mit dem Italiener, einem alten Konkurrenten von VW, kooperiert Suzuki bereits bei der Herstellung der Plattform für Sedici und SX4. Ein hochrangiger Suzuki-Manager soll laut dem schon erwähnten Bericht der "Automobilwoche" von einer Vertiefung der seit Jahren bestehenden Zusammenarbeit mit FIAT gesprochen haben, die zu "beiderseitigem Vorteil wäre". Fiat-Chef Sergio Marchionne äußerte, Suzuki könnte ein interessanter Partner für den asiatischen Markt sein.
Für das Überdenken der Fortsetzung der "strategischen Allianz" hatte VW Suzuki eine Frist von einigen Wochen gesetzt. Sie dürfte bald ablaufen und eine Entscheidung heranreifen.
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Quelle:
© 2011 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2011