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UNTERNEHMEN/2274: Im Kampf um die Weltspitze wirft Fiat VW den Fehdehandschuh hin (Gerhard Feldbauer)


Jenseits von Nizza

Im Kampf um die Weltspitze wirft Fiat VW den Fehdehandschuh hin

Von Gerhard Feldbauer, 23. Februar 2012


Eine internationale Pressevorstellung des neuen Comfort Coupé (CC) von VW im Januar 2012 in Nizza(1) fand vor dem Hintergrund des Erfolgs des Wolfsburger Konzerns statt. Erstmals hat VW 2011 weltweit über acht Millionen Fahrzeuge (exakt 8,16) ausgeliefert und gegenüber dem Vorjahr einen Zuwachs von 14,3 Prozent erzielt. 5,1 Millionen davon erbrachte die Pkw-Marke. Die Prognose von JD Power, die 7,8 Millionen vorausgesagt hatte, wurde damit noch um 360.000 Stück überboten. Da der Pkw-Weltmarkt in der gleichen Zeit lediglich um 5,1 Prozent anwuchs, hat VW damit seinen weltweiten Marktanteil weiter ausgebaut und belegt hinter General Motors (9,03 Millionen) Platz zwei auf der Weltrangliste. Toyota fiel durch Tsunami und Erdbebenkatastrophe auf den dritten Platz zurück (Verkaufszahlen liegen noch nicht vor, sie werden auf rund sieben Millionen geschätzt).


Laut CAM "weltweit mit Abstand leistungsstärkster Automobilhersteller"

Mit 80 Grundmodellen vom Kleinstwagen bis zum Bus ist VW Europas größter und, wie eine Studie des Center of Automotive Management (CAM) einschätzte, auch der "weltweit mit Abstand leistungsstärkste Automobilhersteller". Nun kündigte VW offiziell an, 2018 an die Spitze des Weltmarktes vorzustoßen. Nach den Ergebnissen 2011 halten Experten auch einen früheren Zeitpunkt für möglich.

Das rief Fiat, einen alten Rivalen von VW, in die Schranken. Deren Vorstandsvorsitzender und Chief executive Officer, Sergio Marchionne, nutzte die Eröffnung der Detroit Auto Show (9. bis zum 22. Januar), dem Wolfsburger Kontrahenten den Fehdehandschuh auf die Fahrbahn zu werfen. Natürlich wurde das Thema, zwar nicht offiziell, aber in den Gesprächen unter Kollegen in Nizza lebhaft diskutiert. Hatte doch Marchionne, wie DPA und deutsche Auto-Zeitungen berichteten, mit Bezug auf die Machtstellung von VW geäußert, es bedürfe in Europa eines zweiten starken Autobauers neben VW. "Ich denke, man muss ein zweites Volkswagen schaffen in puncto Größe", wurde der CEO von Fiat zitiert. Auf die Frage, ob Fiat selbst Teil davon werden wolle, habe Marchionne geantwortet, "Grundsätzlich ja. Ganz grundsätzlich." Der Fiat-Chef habe darauf verwiesen, dass der europäische Markt von der Schuldenkrise und Rezessionsängsten geplagt sei und 2012 keinesfalls besser als 2011 werde. Es komme bereits zu Preiskämpfen, "Die Margen schrumpfen."


Spekulationen über eine Allianz Fiat-Peugeot-Citroën

In Zeitungsberichten war von Marchionnes Absicht die Rede, mit Peugeot-Citroën über eine Allianz zu sprechen. Der Mailänder "Corriere della Sera" schrieb, die Franzosen seien zu Verhandlungen bereit. Die Nachrichten erhielten Auftrieb durch ein Abendessen, zu dem sich Marchionne mit Peugeot-Chef Philippe Varin in Detroit traf. Peugeot-Citroën würde in eine Allianz zu den etwa 4,2 Millionen Fahrzeugen, die Fiat 2011 weltweit produzierte (2014 sollen es sechs Millionen werden), 3,5 Millionen (Auslieferung 2011) einbringen. Das könnte "in puncto Größe" dem von Marchionne angedachten "zweiten Volkswagen" nahe kommen und dem Wolfsburger im Kampf um den Platz an der Weltspitze Paroli bieten. Peugeot hat jedoch die Bereitschaft zu Verhandlungen über eine Kooperation, wie AFP schrieb, dementiert. Einer Absage für alle Zeiten schien das nicht zu entsprechen. Es hieß, wie das "Handelsblatt" den Markenchef des Franzosen, Frédéric Saint-Geours, wiedergab, "die Bedingungen seien derzeit nicht erfüllt". Auch der Fiat-Chef selbst bezeichnete die Berichte dann rasch als Spekulation. Bei dem Essen mit Varin sei eine Allianz überhaupt kein Thema gewesen.


Weitere Zentralisation der Autoproduktion auf der Tagesordnung

Nun spielen Allianzen, Fusionen und ähnliche Formen der Kooperation gerade in der Autobranche eine große Rolle. Alle führenden Konzerne praktizieren sie. In Erinnerung ist noch der 2000 gestartete Versuch von Daimler, seine Tochter Mercedes Benz mit dem angeschlagenen US-Auto-Bauer Chrysler zusammen zu bringen. Das Unterfangen, damit einen weltmarktbeherrschenden Autokonzern zustande zu bringen, scheiterte 2007. Und doch meinen Experten, das damals "Welt AG" genannte Projekt, werde eines wahrscheinlich gar nicht allzu fernen Tages von der zwangsläufig in Richtung weiterer Zentralisation der Autoproduktion gehenden Entwicklung wieder auf die Tagesordnung der Automobilgeschichte gesetzt. Dafür spricht, dass die vor fünf Jahren auf der Pkw-Seite fehlgeschlagene Fusion, bei den Nutzfahrzeugen gelungen ist: Mit Mercedes-Benz Lkw, Mitsubishi Fuso in Japan und Freightliner in den USA ist Daimler heute weltweit vertreten.

Insider meinen, dass VW auf der Kooperationsstrecke mit seinen Töchtern Audi, Bentley, Lamborghini, Bugatti, Seat, Skoda, Scania, MAN und Porsche (wie verlautet, stehen hier die Probleme vor einer Lösung) eine besonders große und erfolgreiche Group-Strategie betreibt.


Die Allianz Fiat-Chrysler

Die Fiat-Group ist - entgegen den jetzt gegen VW geführten Attacken - (u. a. mit Abarth, Alfa Romeo, Ferrari und Maserati) auf dieser Strecke selbst auch sehr aktiv. Mit Peugeot begann eine Zusammenarbeit bereits in den 1970er Jahren, als der Franzose Mini-Vans und auch Einzelteile für Fiat herstellte. Während der Wirtschaftskrise 2009 wollte der Italiener die General Motor-Tochter Opel übernehmen, was scheiterte. Dafür ging Marchionne dann eine Partnerschaft mit dem schon wieder angeschlagenen Chrysler ein, der am Tropf der Staatshilfe hing. Von damals 30 Prozent hat der Turiner 2011 seine Anteile auf 46 Prozent aufgestockt. Dem US-Autohersteller ermöglichte der Zusammenschluss, seine Staatsschulden von 5,9 Mrd. USD komplett zurückzuzahlen. Noch 2012 will FIAT 51 Prozent übernehmen. Marchionne führt Chrysler bereits jetzt in Personalunion. Bereits 2014 soll ein Produktionsausstoß von 5,6 Millionen Fahrzeugen erreicht werden.


Was wird mit Suzuki?

Wenn es um die neu entfachte Fehde von Fiat gegen VW geht, blieb in Nizza nicht unerwähnt, dass im schwelenden Streit des Wolfsburger mit dem japanischen Auto- und Motorradhersteller Suzuki, der jährlich 2,6 Millionen Autos verkauft, der Turiner hineinspielte. In der 2009 geschlossenen "strategischen Zusammenarbeit" war dem Japaner eine zentrale Rolle auf dem asiatischen Markt zugedacht. Als Suzuki im September 2011 das Abkommen mit VW plötzlich aufkündigte, wurde bekannt, dass vertragswidrig von Fiat Antriebstechnik bezogen worden war. Neben Mazda und Nissan ist der Japaner bereits seit langem ein enger Partner von Fiat, so bei der Produktion der Plattform für Sedici und SX4. Die "Automobilwoche" schrieb von Plänen einer Vertiefung dieser Zusammenarbeit zu "beiderseitigem Vorteil". Sergio Marchionne ließ verlauten, Suzuki könnte ein interessanter Partner für den asiatischen Markt sein. VW sitzt hier allerdings am längeren Hebel, denn es hält an Suzuki 19,5 Prozent Anteile im Wert von 1,7 Mrd. Euro, die es, so der derzeitige Eindruck, nicht herausgeben will. Die Partie ist noch offen.

VW hat sich bisher nicht zu dem jüngsten Affront aus Turin geäußert. Die "Automobilwoche" brachte allerdings am 13. Januar 2012 - sicher nicht ohne Wissen von Wolfsburg - längere Auszüge aus einem internen Schreiben der Konzernspitze, dessen Datum vom Januar 2010 nur einmal und eher beiläufig erwähnt wurde, das sich mit der Einstellung auf anhaltende Krisentendenzen befasste. Der Leser, der das Datum übersah, konnte den Eindruck gewinnen, es sei eine Replik auf die jetzigen Ausführungen des Fiat-Chefs zu "Schuldenkrise und Rezessionsängsten". Unabhängig davon wurde Turin ganz einfach belehrt, dass das alles bei VW schon zwei Jahre vorher erkannt, analysiert und sich darauf eingestellt wurde. Dazu wurde mehrfach Konzernchef Martin Winterkorn zitiert, der auch angesichts weiter bestehender Krisenrisiken die Zielvorgaben der "Strategie 2018" schon damals nachgeschärft habe. Daran werde nicht nur festgehalten, sondern die "Messlatte sogar noch ein Stück höher" gelegt. Hier wurde deutlich herausgestellt, die 2010 höhergelegte Meßlatte, wurde 2011 mit 8,16 Millionen Fahrzeugen erreicht. Dazu nochmals Winterkorn im Zitat: "Volkswagen muss bei Qualität und Kundenzufriedenheit bis 2018 nicht nur unter den Top 3, sondern wirklich an der Spitze der Automobilindustrie stehen".


Eine geschickte Replik

Dann zitierte sich die "Automobilwoche" von damals, dass einem um schwächere Anbieter "wirklich angst und bange" werde, und fügte die Meinung eines Porsche-Managers an, dass Branchenbeobachter insbesondere Opel, Fiat und PSA (Peugeot) für anfällig bei einer Zuspitzung der Krise hielten. Am Ende wurde auf die Rolle von Suzuki in der Integrationsstrategie des VW-Konzerns verwiesen, was bedeuten dürfte, dass man in Wolfsburg nicht bereit ist, hier das Feld zu räumen. Insgesamt ist der Beitrag der "Automobilwoche" eine geschickte Replik auf die Turiner Attacke.

Was die "Strategie 2018" des Gastgebers der Veranstaltung in Nizza betraf, so herrschte durchaus die Meinung vor, dass der Wolfsburger sein Ziel, die Weltspitze zu erreichen wahrscheinlich schon früher erreichen könnte, aber auch, dass in diesem Wettbewerb der Autogiganten härtere Bandagen angelegt werden.


Anmerkung:
(1) Internationale Pressevorstellung des neuen VW CC. Design und Technologie im Oberklasseformat.
Schattenblick vom 24. Januar 2012
Werbung und Konsum → Produktinformationen → Rund ums Auto → Modell


Zum Thema siehe u.a. folgende Beiträge im Schattenblick:
Werbung und Konsum → Produktinformationen → Rund ums Auto

• VW auf der Überholspur.
Toyota gerät ins Hintertreffen.
29. Oktober 2011

• Volkswagen peilt Absatzziel von acht Millionen Fahrzeugen an.
Konzernvertriebsvorstand Christian Klingler verweist auf zunehmende Risiken auf europäischen Märkten.
17. Dezember 2011

• Volkswagen Konzern lieferte 2011 erstmals über 8 Mio. Fahrzeuge aus
onzernvertriebsvorstand Christian Klingler: "Unter schwierigen Bedingungen weiter zugelegt."
9. Januar 2012

• Volkswagen Pkw steigerte 2011 mit 5,1 Mio. Fahrzeugen Absatz um 13,1 Prozent
7. Januar 2012


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Quelle:
© 2012 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2012