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UNTERNEHMEN/2331: Langfristige Investitionen - Weiterbildung im Betrieb (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 138/Dezember 2012
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Langfristige Investitionen
Weiterbildung im Betrieb funktioniert - wenn es verbindliche Regelungen gibt

von Philip Wotschack



Kurz gefasst: Weiterbildung ist für Betriebe und Beschäftigte mit Kosten und Unsicherheiten verbunden. Die Untersuchung von zehn Vorreiterbetrieben, die sich durch eine gute Weiterbildungspraxis auszeichnen, zeigt, wie diese Probleme durch institutionelle Rahmenbedingungen verringert werden können. Stabile Bindungen zwischen Betrieb und Beschäftigten erweisen sich dabei als eine wichtige Voraussetzung für eine hohe Weiterbildungsaktivität.


Die hohe Bedeutung von lebenslangem Lernen und betrieblicher Weiterbildung ist in der öffentlichen Diskussion unbestritten. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit zeigt sich jedoch eine tiefe Kluft: Nur etwa die Hälfte der Betriebe hat nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2011 Weiterbildungsmaßnahmen zeitlich oder finanziell gefördert. Die Weiterbildungsquote der Beschäftigten lag bei weniger als einem Drittel. Das WZB-Projekt "Betriebliche Arbeitszeit- und Qualifizierungspolitik im Lebensverlauf" untersucht die Barrieren der betrieblichen Weiterbildung und fragt nach den institutionellen Voraussetzungen, um diese Barrieren zu überwinden.

Weiterbildung ist für die Betriebe und Beschäftigten mit Kosten und Risiken verbunden, die sich als Transaktionskostenproblem auffassen lassen: Die Organisation und Teilnahme an Weiterbildung erfordern Zeit; finanzielle Kosten entstehen durch die Weiterbildungsanbieter und die benötigte Infrastruktur. Während diese Kosten bereits in der Gegenwart anfallen, ist der zukünftige Nutzen von Weiterbildung für Beschäftigte wie Betriebe oft nicht genau zu beziffern. Für Kleinbetriebe oder Betriebe in schlechter wirtschaftlicher Lage können diese Faktoren Hinderungsgründe für Weiterbildung sein. Auf Seiten der Beschäftigten sind es vor allem Mitarbeiter mit geringer Qualifikation oder weibliche Beschäftigte in der Familienphase, die in geringerem Maße an Weiterbildung teilnehmen.

Das Problem der Transaktionskosten in der betrieblichen Weiterbildung lässt sich lösen. Das zeigen die Beispiele von Betrieben, in denen auch benachteiligte Beschäftigtengruppen regelmäßig Weiterbildungsangebote nutzen. Unser Projekt untersucht, welche institutionellen Rahmenbedingungen in solchen Vorreiterbetrieben zu einer guten Praxis der betrieblichen Weiterbildung beigetragen haben. Solche institutionellen Arrangements (oder Governance-Strukturen) stellen laut der Transaktionskostentheorie einen wichtigen Lösungsansatz für Transaktionskostenprobleme dar. Gemeint sind damit Vereinbarungen, Regelungen oder Normen, die Handlungsunsicherheiten für Betriebe und Beschäftigte minimieren und damit die Kosten und Risiken der Weiterbildungsaktivität verringern. Solche Vereinbarungen und Normen müssen nicht immer schriftlich fixiert sein; sie können auch informeller Natur sein, etwa in Form mündlicher Absprachen, einer bestimmten Unternehmenskultur oder einer üblichen Verfahrensweise in der betrieblichen Praxis.


Forschungsdesign und Betriebsauswahl

Nach umfassenden Recherchen wurden für das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte WZB-Projekt zehn Vorreiterbetriebe ausgewählt. Sie zeichnen sich durch eine intensive Weiterbildungsaktivität aus und beziehen dabei auch Beschäftigtengruppen, wie gering qualifizierte oder weibliche Beschäftigte in der Familienphase, ein. Zugleich wurde bei der Auswahl der Betriebe ein breites Spektrum unterschiedlicher Merkmale wie Größe, Beschäftigtenstruktur oder Wirtschaftssektor einbezogen. Von April 2010 bis April 2012 wurden anhand von zehn Fallstudien die unterschiedlichen betrieblichen Lösungsansätze und ihr Entstehungskontext erfasst. In fünf Betrieben wurden zudem vertiefende Fallstudien durchgeführt, die neben Gesprächen mit der Personalleitung und den betrieblichen Arbeitnehmervertretungen auch Interviews mit Beschäftigten umfassten. Auf dieser Basis wurden die betrieblichen und überbetrieblichen Bedingungen herausgearbeitet, die zu einer hohen betrieblichen Weiterbildungsbeteiligung beitragen. Im Folgenden werden erste Ergebnisse aus den qualitativen Fallstudien vorgestellt. Die vollständigen Befunde, die auch eine Auswertung von repräsentativen Unternehmensdaten umfassen, werden im Sommer 2013 vorliegen.

Wie kommt eine Entscheidung für oder gegen Weiterbildung überhaupt zustande? Unser Projekt geht davon aus, dass Betriebe und Beschäftigte Kosten (wie zeitliche und finanzielle Investitionen) und Risiken (wie den möglichen Verlust der Investition oder das Verfehlen der angestrebten Ziele und Vorteile) antizipieren. Referenzpunkte sind dabei die Kosten und Risiken, die mit dem Verzicht auf Weiterbildung verbunden sind. Dazu gehören auf Seiten der Betriebe Qualifikationsdefizite, Arbeitskraftengpässe oder Rekrutierungskosten, auf Seiten der Beschäftigten ein möglicher Arbeitsplatzverlust, Karriere- oder Einkommensnachteile.

Deutlich wird: In den untersuchten Betrieben hat der Druck zugenommen, sich in der Weiterbildung stärker zu engagieren. Die Risiken und die Kosten von Inaktivität in der Weiterbildung steigen. Viele Betriebe sehen sich mit einem akuten oder drohenden Fachkräftebedarf konfrontiert. Doch der Fachkräftebedarf allein führte bei den Vorreiterbetrieben nicht zu einer veränderten Praxis der betrieblichen Weiterbildung. Dafür waren weitere institutionelle Rahmenbedingungen erforderlich.


Vorreiterbetriebe nutzen bestehende Strukturen

Die betrieblichen Kosten von Weiterbildung sinken, wenn auf eigene oder regionale Ausbildungseinrichtungen und Bildungsprogramme zurückgegriffen werden kann oder wenn passende staatliche Fördermittel zur Verfügung stehen. Fast alle von uns befragten Betriebe sind in der Ausbildung aktiv und verfügen über die für Weiterbildung notwendige Infrastruktur, die Personalressourcen und Erfahrungen. So kann der von uns untersuchte Hafenbetrieb für seine Aus- und Weiterbildungsaktivitäten auf das eigene Ausbildungszentrum der Holding, eine konzerneigene Fachschule sowie ein maritimes Fortbildungszentrum am Hafen zurückgreifen, um die Mitarbeiter für den betrieblichen Bedarf zu qualifizieren. In der Krise 2008/09 wurde zudem die von der Bundesagentur für Arbeit bereitgestellte Förderung von Kurzarbeit in Verbindung mit Weiterbildung für eine groß angelegte Qualifizierungsoffensive genutzt. Für den Großteil der Un- und Angelernten in dem Hafenbetrieb wurde es auf diese Weise möglich, einen Berufsabschluss als Fachkraft für Hafen- oder Lagerlogistik nachzuholen. In der Folge hat sich das Qualifikationsniveau auf den unteren Hierarchieebenen deutlich verbessert. Förderlich wirkten sich dabei die enge Kooperation mit der regionalen Arbeitsagentur und die traditionell gute Zusammenarbeit der betrieblichen Akteure aus. In vielen der von uns untersuchten Betriebe wird die Weiterbildungspolitik gemeinsam von Personalabteilung und Betriebsräten gestaltet. Dabei lässt sich zum Teil eine Art Arbeitsteilung beobachten, bei der Themen und Handlungsansätze, die vom Personalbereich eher für Hochqualifizierte und Führungskräfte entwickelt werden, durch das Engagement des Betriebsrats auch für den gewerblichen Bereich und für schwache Beschäftigtengruppen durchgesetzt werden.

Darüber hinaus spielen überbetriebliche institutionelle Regelungen eine wichtige Rolle, um Weiterbildung im Unternehmen zu fördern. Das betriebswirtschaftliche Denken zeigt sich oft blind für die langfristigen Vorteile von Weiterbildungsinvestitionen. Kosten und Nutzen werden in der Regel für kürzere Zeiträume berechnet. Langfristige Risiken und Kosten, die durch Qualifizierungsdefizite entstehen, werden dabei ausgeblendet. Die untersuchten Vorreiterbetriebe zeigen, dass überbetriebliche Regelungen wesentlich dazu beitragen, diese begrenzte Perspektive zu überwinden. So werden etwa die Weiterbildungsaktivitäten der von uns untersuchten Klinik durch Bestimmungen der Ärzte- und Pflegekammern mitreguliert. Sie schreiben den Beschäftigten jährliche Weiterbildung in einem bestimmten Umfang vor. Es wird eine bestimmte Anzahl an Fortbildungspunkten von den Ärzten und dem Pflegepersonal verlangt, die bei den Kammern nachzuweisen sind. Verpflichtende Standards sichern eine breite Beteiligung an Weiterbildung, wenn auch in kleinem Umfang.

In dem schon erwähnten Hafenbetrieb haben tarifliche Regelungen einen wichtigen Einfluss. In dem Konzerntarifvertrag "Demografischer Wandel, globaler Wettbewerb und betriebliche Sozialpolitik" verpflichten sich die Tarifparteien und Unternehmen, Instrumente einer altersgerechten Sozialpolitik zu entwickeln. Darunter fällt explizit eine bedarfsgerechte und qualifizierte Ausbildung, der Ausbau und die Übernahme der Kosten von Aus- und Weiterbildung und berufsbezogenen Studiengängen, die Entwicklung von Leitfäden für die Bildungsförderung und die Belebung des internen Arbeitsmarkts.


Regelungen schaffen Verbindlichkeit

Unsicherheiten und Risiken von Weiterbildungsaktivitäten lassen sich reduzieren, indem durch Regelungen und Vereinbarungen Verbindlichkeit und Transparenz hergestellt und mögliche Risiken für Beschäftigte und Betriebe abgefedert werden. Faktoren, die hier Sicherheit vermitteln, sind gut funktionierende Kooperationen zwischen den arbeitspolitischen Akteuren im Betrieb, eine hohe Dichte und Transparenz betrieblicher und tariflicher Regelungen im Bereich der Weiterbildung sowie verbindliche Qualifizierungsbedarfsanalysen und Mitarbeitergespräche. So gibt es in einem untersuchten Chemiebetrieb ein Formblatt für die jährlich vorgeschriebenen Mitarbeitergespräche mit den Vorgesetzten, in dem der Qualifizierungsbedarf und die langfristigen beruflichen Interessen des Mitarbeiters thematisiert und geplant werden. In einer Betriebsvereinbarung verpflichtet sich der Arbeitgeber zur Einarbeitung neuer Mitarbeiter, zu jährlichen Schulungen sowie zur vollen Kostenübernahme bei betrieblich notwendigen Qualifizierungen. Für Weiterbildungsmaßnahmen, die nicht auf einen akuten betrieblichen Bedarf zielen, beteiligt sich der Arbeitgeber an den Weiterbildungskosten, in dem Maße, in dem auch ein Nutzen für den Betrieb erkennbar ist: Bei der berufsbegleitenden Weiterbildung zum Chemikanten trägt der Betrieb beispielsweise zwischen 75 und 100 Prozent der zeitlichen und finanziellen Kosten; bei der Weiterbildung zum Meister in der Regel 50 Prozent. Ein Weiterbildungskatalog legt die jeweilige Zeit- und Kostenbeteiligung für Betrieb und Mitarbeiter präzise fest. Mit einem individuellen Fortbildungsvertrag sichert sich der Arbeitgeber gleichzeitig gegen den möglichen Verlust von Weiterbildungsinvestitionen ab, indem die Modalitäten der Rückerstattung von Kosten bei einem Arbeitgeberwechsel innerhalb von zwei Jahren nach der Maßnahme geregelt werden.

Ein anderes Beispiel für den Einfluss informeller Regelungen bietet der erwähnte Hafenbetrieb. So besteht zwischen den konkurrierenden Betrieben am Hafen ein mündliches "Gentlemen's Agreement", das die gegenseitige Abwerbung von Fachkräften oder Ausgebildeten untersagt. Das Risiko, dass Aus- und Weiterbildungsinvestitionen durch Arbeitgeberwechsel am Hafen verloren gehen, wird dadurch direkt vermindert.

In allen von uns untersuchten Vorreiterbetrieben finden wir Regelungen und Normen, die eine langfristige Kooperation von Betrieb und Mitarbeiter stützen und Weiterbildungsinvestitionen damit für beide Parteien sinnvoll erscheinen lassen. Als wichtige Voraussetzungen dafür erweisen sich sichere Beschäftigungsverhältnisse, gute berufliche Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb des Betriebs und stark ausgeprägte Solidaritätsnormen. In den untersuchten Betrieben dominieren unbefristete Beschäftigungsverhältnisse. Entlassungen in größerem Umfang sind - oft durch vereinte Anstrengungen der Betriebsparteien - vermieden worden. In vielen der untersuchten Betriebe finden wir zudem Hinweise auf starke Gemeinschafts- und Solidaritätsnormen. Sie tragen dazu bei, dass auch gering Qualifizierte oder Teilzeitbeschäftigte, die sonst nicht im Fokus der Personalpolitik sind, mehr Aufmerksamkeit in der Weiterbildungspolitik gewinnen.

In der oben genannten Klinik wird die innerbetriebliche Solidarität von den Personalverantwortlichen aktiv gefördert. Statt Konkurrenz und individuellem Prestige werden Kooperation und Teamgeist betont. Auf Ärzte mit großem Renommee wird bewusst zugunsten fachlich guter Spezialisten und "Teamplayer" verzichtet. Führungskräfte werden intern rekrutiert; notwendige Fachkompetenzen so weit wie möglich innerbetrieblich im Rahmen von Weiterbildung und Personalentwicklung vermittelt. Gegenseitige Unterstützung, Vertrauen und einen fairen Umgang miteinander kennzeichnet die Zusammenarbeit in der Klinik. Ähnliche Beispiele lassen sich auch bei dem genannten Hafenbetrieb oder dem von uns untersuchten Chemie- oder Automobilbetrieb finden. Zum Teil stehen sie in einer Tradition, in der sich der Betrieb als "große Familie" versteht. In einer solchen Unternehmenskultur werden Weiterbildungsentscheidungen stärker von solidarischen Gesichtspunkten und langfristigen Zielen geleitet als von rein betriebswirtschaftlichen Kriterien.

Die untersuchten Betriebe zeigen, dass Weiterbildung forciert werden kann, wenn die damit verbundenen Kosten und Unsicherheiten durch institutionelle Rahmenbedingungen verringert werden. Stabile und solidarische Bindungen zwischen Betrieb und Beschäftigten erweisen sich dabei als eine wichtige Voraussetzung für eine langfristige, gemeinsame Handlungsperspektive. Das Beispiel des Hafenbetriebs zeigt zugleich, wie von der betrieblichen Weiterbildungspolitik wichtige Impulse für die Unternehmenskultur ausgehen können. So wurde durch die groß angelegte Qualifizierungsoffensive die Weiterbildungsmotivation vieler Mitarbeiter geweckt und gestärkt. Auch bei den beteiligten betrieblichen Akteuren hat sich die erfolgreiche Durchführung der Qualifizierungsoffensive sehr positiv auf die Bereitschaft zu weiteren Anstrengungen in der Weiterbildungspolitik ausgewirkt.

Philip Wotschack ist seit 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Ausbildung und Arbeitsmarkt. Der in Groningen promovierte Soziologe untersucht im Projekt "Betriebliche Arbeitszeit- und Qualifizierungspolitik im Lebensverlauf" neue Handlungsansätze der demografiebewussten und lebenslauforientierten Personalarbeit von Unternehmen.
philip.wotschack@wzb.eu


Literatur

Bechmann, Sebastian/Dahms, Vera/Tschersich, Nikolai/Frei, Marek/Leber, Ute/ Schwengler, Barbara: Fachkräfte und unbesetzte Stellen in einer alternden Gesellschaft. Problemlagen und betriebliche Reaktionen. IAB-Forschungsbericht 13/2012.

Gillen, Julia/Elsholz, Uwe/Meyer, Rita: Soziale Ungleichheit in der beruflichen und betrieblichen Weiterbildung. Arbeitspapier 191. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung 2010.

Wotschack, Philip/Scheier, Franziska/Schulte-Braucks, Philipp/Solga, Heike: "Zeit für Lebenslanges Lernen. Neue Ansätze der betrieblichen Arbeitszeit- und Qualifizierungspolitik". In: WSI-Mitteilungen, 2011, Jg. 64, Nr. 10, S. 541-547.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Zukunftsfähig? In Branchen wie dem Welthandel (hier der Hamburger Containerterminal) ist Weiterbildung eine der Voraussetzungen für den Erfolg. Eine Hafenlogistikfirma gehört zu den Unternehmen, deren Weiterbildungskonzepte am WZB untersucht werden.

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 138, Dezember 2012, Seite 35-38
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph. D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2013