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UNTERNEHMEN/2686: Postwachstum von Konzernen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2017

Konzerne außer Kontrolle?
Über Macht und Ohnmacht des Staates

Postwachstum von Konzernen
Warum wir endlich über Wettbewerbspolitik reden müssen

von Dr. Thomas Dürmeier


66 Milliarden US-Dollar wird Bayer für den US-amerikanischen Gentech-Riesen Monsanto bezahlen müssen, damit die bisher größte Unternehmensfusion in der Geschichte der Bundesrepublik gelingt. Die Negativrekorde nehmen aktuell kein Ende: Lufthansa monopolisiert den Luftraum weiter. Die Europäische Wettbewerbsbehörde ermittelt gegen das riesige Dieselkartell der deutschen AutobauerInnen von Volkswagen und Co. Wir blicken dieses Jahr auch auf 10 Jahre Finanzkrise zurück und unsere Gesellschaften haben nicht gelernt, dass systemrelevante Banken neben "too big to fail" (zu groß zum Scheitern) auch zu "too big to be" (zu groß zum Bestehen) sind.


Die Fusionen und Firmenzusammenschlüsse erreichen immer größere Summen, wie die Berichte der Wettbewerbsbehörden dokumentieren. 2 oder mehrere Firmen können sich zu einem neuen, größeren Unternehmen verbinden. Firmen können auch andere Firmen über den Erwerb von Aktienpaketen aufkaufen, sodass Monsanto in den Bayer-Konzern aufgeht. Dies kann im wechselseitigen Einvernehmen geschehen oder als "feindliche Übernahme" gegen den Widerstand des Schwächeren. Die Konzentration auf vielen Märkten steigt an und die Marktmacht der wenigen verbleibenden Megakonzerne wächst und wächst. Das renommierte Wirtschaftsmagazin The Economist warnt auch schon von einer gefährlichen Konzentration der Märkte.

Die wachsende Macht der Megakonzerne hat zahlreiche negative Folgen. Marktmacht ist die Fähigkeit, wirtschaftliche Freiheit anderer MarktteilnehmerInnen einzuschränken. Konkurrenzunternehmen werden aufgekauft oder vom Markt verdrängt. Die schwächeren MarktteilnehmerInnen, ob ZuliefererInnen oder VerbraucherInnen, werden durch höhere Preise oder Knebelverträge ausgebeutet. Die ökonomischen Schäden durch Megakonzerne berechnen ÖkonomInnen auf ca. 5 bis 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). (1) Dies entspricht fehlendem Angebot von Produkten oder Dienstleistungen durch überhöhte Preise. Die Monopolprofite, die eine Umverteilung von schwächeren MarktteilnehmerInnen zu Megakonzernen darstellen, sind dabei nicht berücksichtigt. Die Megakonzerne verteidigen ihre Fusionen mit angeblichen positiven Synergie-Effekten für VerbraucherInnen, weil z. B. ihre Produktionskosten sinken würden oder neue Forschung erst so möglich wäre.

Konzernmacht ist auch Lobbymacht, was die Lobbyerfolge von Monsanto zeigen. Sie schädigt Demokratie. Megakonzerne werden z. B. als nationale Champions mit Wirtschaftsförderung umworben oder KonzernlobbyistInnen bekommen privilegierte Zugänge in Ministerien oder internationale Wirtschaftsverhandlungen. Angesichts dieser steigenden Macht von Konzernen frage ich mich, warum wir kein Postwachstum - also ein Schrumpfen von Megakonzernen - in der Wettbewerbspolitik fordern.


Ökonomische Zwänge zur Marktkonzentration

Die Ursachen für Unternehmenswachstum sind systemimmanent. Jede kapitalistische Marktwirtschaft zwingt zur Profitmaximierung. Institutionelle InvestorInnen, also Banken, Investmentfonds, Versicherungen, aber auch Organe der öffentlichen Hand, fordern hohe Rendite. ManagerInnen müssen diese Vorgaben der Finanzmärkte erfüllen. Frauen findet man kaum im Spitzenmanagement. Wer nicht zur Spitzengruppe der Konzerne gehört, wird aufgekauft oder vom Markt verdrängt. Preise zeigen auf Wettbewerbsmärkten an, wo bessere oder billigere Alternativen existieren, und VerbraucherInnen wandern zu besseren Angeboten ab. Jede Preissenkung der Konkurrenz zwingt zu neuen Anstrengungen oder zum Ausscheiden. Unternehmen müssen in diesem System wachsen, KonkurrentInnen verdrängen und neue Märkte erobern.

Aus diesem Grund lernt jedeR BWL-StudentIn im strategischen Management, Wettbewerb und besonders Preiswettbewerb zu vermeiden. Kartelle und Preisabsprachen waren früher alltäglich. Produktionsmittel wurden monopolisiert. Gewerkschaften wurden verhindert. Heute sind die Methoden vielseitiger und tiefgehender. Patente, geistiges Eigentum oder Produktnormen schließen Konkurrenz aus. VerbraucherInnen werden von Produkten über Marken, Werbung oder Treuepunkte abhängig gemacht. Produktdifferenzierung bedeutet, baugleiche Produkte mit einem anderen, aber vielversprechenden Namen an zahlungskräftige VerbraucherInnen zu verkaufen. VerbraucherInnen werden getäuscht.

Neue digitale Unternehmen wie Google, Facebook oder Amazon sammeln permanent Daten über uns und Daten sind das Erdöl des 21. Jahrhunderts. Digitalkonzerne monopolisieren diese Datenbestände im Internet. Daten sind auch für Bayer ein neuer Rohstoff. Durch den Kauf von Monsanto will man Marktführer bei digitaler Präzisionslandwirtschaft werden. Digitale Leistungen für Medikamente, Dünger oder Pflanzengifte liefern Bayer Daten über ihre Produkte und KundInnen und somit neue Marktmacht. Eine Handy-App für jede Kuh im Stall von Bayer gefällig?


Die Gründe für Fusionen sind vielfältig

Wettbewerb zwingt zu Wachstum. Horizontale Fusionen zwischen Unternehmen der gleichen Produktionsstufe verdrängen Konkurrenz aus dem Markt. Vertikale Fusionen finden statt, wenn Unternehmen vor- oder nachgelagerte Unternehmen in der Produktionskette aufkaufen, sodass der Großkonzerne mehr Kontrolle über die Lieferbeziehungen erreicht und so Kosteneinsparungen erzielt. Dies bringt für den einzelnen Konzern viele wirtschaftliche Vorteile, aber zerstört die regulierende Wirkung von Märkten.

Zahlreiche ManagerInnen folgen auch der Hybris, ein immer größeres Firmenimperium besitzen zu wollen. Erringen von wirtschaftlicher Macht ist ein starker Antrieb und führt zu Megakonzernen, die ökonomisch keinen Sinn mehr ergeben. Viele Fusionen scheitern, weil größere Megakonzerne nicht immer die besseren Unternehmen sind. Steuerungsaufgaben werden komplexer, Zielkonflikte größer und das Unternehmen immer schwerfälliger. Fusionen scheitern auch oft daran, dass die Zusammenführung von 2 Unternehmen mit unterschiedlichen Betriebskulturen, gewachsenen Organisationsstrukturen und Firmenphilosophien zu viele Konflikte und Ablehnung im Gemeinschaftsunternehmen produziert. Auch kann der Kampf um die geringere Anzahl von Führungspositionen zu mehr Schaden als Nutzen führen. Jede zweite Fusion scheitert daher auch wie z. B. DaimlerChrysler.

Wettbewerb braucht "Fairness", wie es auch die Wettbewerbskommissarin der Europäischen Union (EU) Margrethe Vestager in die Diskussion gebracht hat. Fairness bedeutet Geschäftsmöglichkeiten für viele kleine und mittelständische Unternehmen auf offenen Märkten. Marktbeherrschende Stellungen müssen entflochten werden. Wer als Großkonzern andere MarktteilnehmerInnen unterdrückt, muss wie andere Megakonzerne von der Öffentlichen Hand in viele kleinere Unternehmen zerschlagen werden. Märkte brauchen zusätzlich soziale und ökologische Grenzen des Wettbewerbs. Wettbewerb und Märkte brauchen staatliche Kontrolle und Steuerung, wie z. B. die Bundesnetzagentur oder ein starkes Bundeskartellamt.


Politische Weichenstellungen für Megakonzerne

Es gibt Megakonzerne, weil die Lobby der Unternehmen die politischen Weichen gestellt hat. Gesetzliche Vermutungstatbestände der Marktbeherrschung wurden im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der Grundlage der Wettbewerbskontrolle, von anfangs 20 Prozent Marktanteil über 30 Prozent auf heute 40 Prozent erhöht. Bei über 1.000 Fusionsanmeldungen in Deutschland jedes Jahr werden nur weniger als 10 untersagt. Die EU untersagte 2015 keine einzige Fusion.

Im Standortnationalismus sind Konzerne als Champions politisch gewollt, aber ein Pakt mit dem Teufel. Sinnvolle Politik gegen Konzerne wird unterlassen, um kurzfristig Arbeitsplätze zu erhalten, aber Steuersenkungen, Sozialabbau und Standortwettbewerb gehen weiter. Letztendlich verlieren alle Gesellschaften und nur die Konzerne und Superreichen gewinnen.


Der Dornröschenschlaf der Zivilgesellschaft endet

Es fing eigentlich alles gut an. Die Alliierten haben die großen deutschen Kriegskonzerne zerschlagen und in Großkonzernen wie Volkswagen bekommen Gewerkschaften und VolksvertreterInnen starke Mitspracherechte. Leider führten viele Entwicklungen wie die marktradikale Revolution der Konzerne und Neoliberalen dazu, dass sich die bundesdeutsche Zivilgesellschaft stark aus wirtschaftlichen Themen zurückgezogen hat. Der ehemalige Präsident des Bundeskartellamts, Wolfgang Kartte, weist zu Recht auf die fehlende Lobby gegen Marktmacht hin: "Wettbewerbspolitik hat keine Lobby".

Als mit dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac Konzernkritik wieder erstarkte, gründete sich 2006 das zivilgesellschaftliche Netzwerk für Corporate Accountability (CorA). Global gab es immer viele Initiativen wie die kanadische Nichtregierungsorganisation (NGO) ETCgroup mit ihren Studien gegen die Macht der Agrokonzerne. Mit der Streitschrift `Fusion von Bayer & Monsanto` (2) wurde im April 2017 ein zivilgesellschaftlicher Mobilisierungsaufruf gegen die Ohnmacht der Wettbewerbskontrolle formuliert und unsere konzernkritische NGO `Goliathwatch` gründete sich.

Wettbewerbskontrolle ist der strategische Hebel und könnte eigentlich Megakonzerne zerschlagen. Das Bundeskartellamt wird am 15. Januar 2018 60 Jahre alt. Das ist ein guter Zeitpunkt, um auch Fragen nach einer gerechten Globalisierung mit fairen Märkten ins Spiel zu bringen.


Der Autor ist Campaigner und Geschäftsführer von Goliathwatch.


Anmerkungen:

(1) Robert T. Masson/Joseph Shaanan (1984): Social Costs of Oligopoly and the Value of Competition.
https://masson.economics.cornell.edu/docs/08Masson%20and%20Shaanan%20EconJournal%201984.pdf.

(2) www.goliathwatch.de.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 4/2017, Seite 4-5
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2018

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