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VERKEHR/1265: Bürger fordern mehr Mitspracherecht bei Infrastrukturprojekten (idw)


Universität Leipzig - 30.01.2013

Bürger fordern mehr Mitspracherecht bei Infrastrukturprojekten



Die Bürger in Deutschland wünschen sich eine stärkere Einbindung in Infrastrukturvorhaben wie den Bau von Straßen, Bahnhöfen, Flugplätzen oder Stromleitungen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie unmittelbar davon berührt sind. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e. V. an der Universität Leipzig, unterstützt von der envia Mitteldeutsche Energie AG (enviaM), Chemnitz, und dem enviaM-Netzbetreiber Mitteldeutsche Netzgesellschaft Strom mbH (MITNETZ STROM), Halle (Saale).

Für die Studie "Optionen moderner Bürgerbeteiligung bei Infrastrukturprojekten - Ableitungen für eine verbesserte Beteiligung auf Basis von Erfahrungen und Einstellungen von Bürgern, Kommunen und Unternehmen" wurden im vergangenen Jahr vom Kompetenzzentrum knapp 400 Kommunen, 150 Unternehmen des Infrastrukturbereichs und 1500 Haushalte zu ihrer Einstellung, Bewertung und Nutzung moderner Beteiligungsformen bei Infrastrukturvorhaben befragt.

Während die befragten Kommunen und Unternehmen mit den bestehenden Beteiligungsmöglichkeiten bei Infrastrukturvorhaben weitestgehend zufrieden sind, gilt dies für die breite Mehrheit der Bevölkerung nicht. Die befragten Bürger wünschen sich sowohl eine bessere Einbeziehung in die politischen Entscheidungsprozesse als auch ein Mitspracherecht bei der konkreten Planung und Gestaltung von Infrastrukturprojekten. Bemängelt wird vor allem, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren der Bürgerbeteiligung nicht befriedigend seien. Insbesondere kritisieren die Befragten, dass die Anliegen der Bürger bei Planungen zu spät berücksichtigt und Alternativvorschläge deshalb häufig nicht beachtet würden. Andererseits nehmen die Bürger die bestehenden Angebote offenbar kaum wahr: Ein Großteil der befragten Haushalte gab an, meist nur bei persönlicher Betroffenheit aktiv zu werden.

Die Bürger wünschen sich, bereits vor Beginn der Planungen frühzeitig und umfassend über Infrastrukturvorhaben durch die Verantwortlichen informiert zu werden. Kommunen und Unternehmen werden dem bereits gerecht, indem sie zum Beispiel Bürgerfragestunden und -versammlungen anbieten. Dies reicht aus Sicht der Bürger jedoch nicht aus. Konkret fordern sie eine direkte Beteiligung am Planungsverfahren von Beginn an. Dies wird von Kommunen und Unternehmen bisher aus finanziellen, organisatorischen und zeitlichen Gründen mehrheitlich abgelehnt. Folge der aus Sicht der Bürger unzureichenden Einbeziehung ist, dass Widerstände gegen Infrastrukturvorhaben zunehmen. Über 70 Prozent der Bürger empfinden Proteste gegen große Infrastrukturprojekte als gut oder sehr gut.

Um eine Konfrontation von Planungsverantwortlichen und Bürgern bei Infrastrukturvorhaben zu vermeiden, empfehlen die Autoren der Studie, berechtigte Einwände der Bürger frühzeitig und transparent in die Planungen einzubeziehen. Die gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren seien der Bevölkerung vielfach nicht bekannt und für diese häufig nicht nachvollziehbar. Die Folge sei, dass die Bürger diese nur ungenügend oder zu spät wahrnehmen. Dies müsse sich ändern. Die bestehenden Beteiligungsmodelle seien zu vereinfachen und zu verbessern. Zudem könnten die Projektverantwortlichen vermehrt alternative Beteiligungsmöglichkeiten wie Open-Space-Konferenzen oder Planungswerkstätten nutzen.

"Es gibt beim Thema Bürgerbeteiligung nicht die Lösung. Die Kommunikations- und Beteiligungsstrategie ist für jeden Einzelfall gesondert festzulegen. Im Idealfall sollte diese in Zusammenarbeit mit den Bürgern erarbeitet werden. Nur wenn die Projektverantwortlichen wissen, wie und wo die betroffenen Bürger mit einbezogen werden wollen, können sie sinnvoll darauf reagieren. Ein später und teurer Projektabbruch kann so vermieden werden", sagt Dr. Oliver Rottmann, Geschäftsführender Vorstand des Kompetenzzentrums. Zu beachten sei grundsätzlich, dass eine verstärkte Einflussnahme der Bürger auf Infrastrukturprojekte die Umsetzung bereichern, aber auch behindern und im Extremfall scheitern lassen könne.


Das Kompetenzzentrum

Das Kompetenzzentrum Öffentliche Wirtschaft und Daseinsvorsorge der Universität Leipzig ist ein interdisziplinäres Zentrum, das sich im Rahmen einer praxisorientierten Forschung mit Fragestellungen der öffentlichen Wirtschaftsbereiche - auch an der Schnittstelle zur Privatwirtschaft - beschäftigt. Themenschwerpunkte bilden neben den öffentlichen Finanzen vor allem die Bereiche der Daseinsvorsorge (beispielsweise Energie- und Wasserversorgung). Das Zentrum wurde 2009 gegründet und beinhaltet elf Professuren aus Ökonomie, Jurisprudenz, Politikwissenschaft, Infrastruktur, Stadtentwicklung und Pädagogik sowie einen Praxisbeirat aus öffentlichen und privaten Unternehmen, Verbänden und Institutionen.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution232

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Leipzig, Susann Huster, 30.01.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2013