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INTERNATIONAL/064: Thailand - Strafgericht unter Beschuss, unverhältnismäßig hohe Strafen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Mai 2012

Thailand: Strafgericht unter Beschuss - Unverhältnismäßig hohe Strafen

von Marwaan Macan-Markar

Trauer über Tod von Ampol 'Akong' Tangnoppakul - Bild: © Marwaan Macan-Markar/IPS

Trauer über Tod von Ampol 'Akong' Tangnoppakul
Bild: © Marwaan Macan-Markar/IPS

Bangkok, 24. Mai (IPS) - In einem imposanten 14-stöckigen Gebäude in Bangkok verhängt das thailändische Strafgericht Urteile, die selten angefochten werden. Bürger, die etwa der Majestätsbeleidigung für schuldig befunden werden, müssen mit langjährigen Freiheitsstrafen rechnen. Doch gegen die Omnipotenz des Tribunals regt sich Widerstand.

Strenge Bestimmungen, die bei einer 'Missachtung des Gerichts' sieben Jahre Haft vorsehen, garantierten den Richtern Unantastbarkeit. Wie Menschenrechtsaktivisten berichten, war die Angst vor den Richtern so groß, dass sich kaum jemand gegen die Urteile zu stellen wagte.

Doch inzwischen regt sich Widerstand. Auslöser war der Tod des Häftlings Ampol 'Akong' Tangnoppakul am 8. Mai. Das Strafgericht hatte trotz mangelnder Beweise den 62-Jährigen der Computerkriminalität für schuldig befunden und im vergangenen November zu 20 Jahren Haft verurteilt.

Nach Überzeugung der Richter hatte er SMS abgesetzt, in denen die königliche Familie beleidigt wurde. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International kritisierten zudem, dass dem Gefangenen trotz acht Anträgen auf Freilassung gegen Kaution eine medizinische Behandlung seiner Leberkrebserkrankung außerhalb der Gefängnismauern verweigert wurde. Das Leiden hat möglicherweise zu seinem Tod geführt.


Militärjunta verschärfte Gesetze

Nach dem seit hundert Jahren geltenden Strafgesetz, das die Würde der Königsfamilie schützen soll, ist bei einem einzigen Verstoß mit Haft von maximal 15 Jahren zu rechnen. Das Gesetz über Computerkriminalität wurde nach dem letzten Staatsstreich 2006 von der Nationalversammlung, hinter der sich die Militärjunta verbirgt, gebilligt. Zuwiderhandlungen werden mit fünf Jahren Gefängnis geahndet.

Seit Akongs Tod haben Gegner der Gesetze ihrer Empörung in Blogs und sozialen Netzwerken freien Lauf gelassen. Sie kamen auch zu einer Gedenkveranstaltung in der Nachbarschaft des Toten am 16. Mai und versammelten sich vor dem Gerichtsgebäude.

"Akong war ein rechtschaffener Mensch, ihm wurde keine Gerechtigkeit zuteil. Es ist traurig, dass er nicht ärztlich behandelt wurde", sagte die 48-jährige Kallaya Wilaipie, die sich unter den Demonstranten vor dem Gericht in Bangkok befand.

Weitaus schärfer fiel die Kritik von Internetnutzern aus, die dem Gericht eine direkte Mitschuld an Akongs Tod geben. Die Wut auf das Strafgericht sei größer als die Angst, wegen Missachtung des Tribunals zur Rechenschaft gezogen zu werden, meint Kwanravee Wangudom von Institut für Menschenrechte und Friedensstudien der Mahidol-Universität.

Die Emotionen der Bevölkerung kochten weiter hoch, als Akongs Leichnam für ein buddhistisches Begräbnisritual vor dem Eingang des Gerichts aufgebahrt wurde. Sechs Mönche in safranfarbenen Gewändern sangen neben dem geschlossenen Sarg. Etwa 1.000 Menschen waren gekommen, um der Zeremonie beizuwohnen.

"Nach Akongs Tod sind die thailändischen Gerichte so heftig kritisiert worden wie nie zuvor, sagte der US-Wissenschaftler David Streckfuss, der sich mit dem Gesetz über Majestätsbeleidigung in zahlreichen Publikationen auseinandergesetzt hat. Die Öffentlichkeit macht ihrer Empörung über die schwachen Beweise gegen Akong und das unangemessen strenge Urteil Luft."

Er rechne nicht damit, dass sich der Unmut bald legen werde, sagte der Autor des Buches 'Truth on Trial in Thailand - Defamation, Treason and Lèse-Majesté' (Die Wahrheit über Prozesse in Thailand - Diffamierung, Hochverrat und Majestätsbeleidigung). Die weiteren Entwicklungen könnten künftige Prozesse beeinflussen.

Die drakonischen Zensurgesetze in Thailand haben bereits für politische Verwerfungen gesorgt. Die traditionelle Elite, die ihre Stärke durch das Militär bezieht, der Beamtenapparat und Königstreue werden von Akademikern und politischen Aktivisten immer schärfer dafür kritisiert, mit Hilfe des Gesetzes über Majestätsbeleidigung das Land zu spalten.


Fast 500 Prozesse wegen Majestätsbeleidigung 2010

Seit dem Militärputsch ist die Zahl der Verfahren wegen Beleidigung der Königsfamilie stark gestiegen. Zwischen 1984 und 2004 kamen durchschnittlich weniger als fünf Fälle pro Jahr vor Gericht. 2007 waren es bereits 126 und 2010 478 Fälle.

Unter den in den vergangenen Jahren Verurteilten ist auch der politische Aktivist Daranee Charnchoengsilpakul, der für 15 Jahre ins Gefängnis kam. Surachai Danwatthananusom verbüßt eine siebeneinhalbjährige Haftstrafe. Für internationale Schlagzeilen sorgte insbesondere das Verfahren gegen den Gewerkschaftsführer Somyot Prueksakasemsuk, der ein verbotenes Magazin herausgab. Wegen Verletzung des Internet-Gesetzes wurde zudem die Geschäftsführerin der beliebten Nachrichtenwebsite 'Prachatai', Chiranuch Premchaiporn zur Rechenschaft gezogen.

Dem 50-jährigen Somyot, der neun Mal vergeblich eine Freilassung auf Kaution zur medizinischen Behandlung beantragt hat, drohen wegen zwei Artikeln 30 Jahre Haft. Die 46-jährige Chiranuch könnte sogar die nächsten 50 Jahre hinter Gittern verbringen, weil sie nicht unverzüglich zehn "diffamierende" Nachrichten von ihrer Website entfernt hat. Über diesen Prozessen lastet nun aber der Schatten Akongs, des ersten Thailänders, der wegen Majestätsbeleidigung hinter Gittern gestorben ist. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2012