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INTERNATIONAL/082: Sri Lanka - Warten auf Gerechtigkeit, Prozesse gegen Kinderschänder verschleppt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Oktober 2012

Sri Lanka: Langes Warten auf Gerechtigkeit - Prozesse gegen Kinderschänder verschleppt

von Amanda Perera


Verfahren wegen Kindesmissbrauch dauern in Sri Lanka durchschnittlich sechs Jahre - Bild: © Amantha Perera/IPS

Verfahren wegen Kindesmissbrauch dauern in Sri Lanka durchschnittlich sechs Jahre
Bild: © Amantha Perera/IPS

Colombo, 8. Oktober (IPS) - In Sri Lanka lagen der Polizei im letzten Jahr 1.463 Fälle von Kindesmissbrauch vor. Obwohl die Ermittlungen zügig eingeleitet wurden, kam es zu keinem Gerichtsverfahren. Bis den Missbrauchsopfern Gerechtigkeit widerfährt, vergehen in der Regel Jahre.

Nach Angaben des Weltkinderhilfswerks UNICEF waren in diesem Jahr rund 4.000 Fälle vor den 34 zuständigen High Courts anhängig. "Ein Drittel aller laufenden Verfahren an diesen Gerichten beziehen sich auf Kinder", heißt es in einem UNICEF-Bericht.

Kinderrechtsaktivisten zufolge dürfte die Dunkelziffer der Übergriffe noch weit höher liegen. Nachdem die Polizei eine Anzeige aufgenommen hat, leitet sie erste Untersuchungen ein. Ein Amtsgericht entscheidet dann, ob der jeweilige Fall an eine höhere Instanz verwiesen oder abgewiesen wird.

"Wenn man alle Fälle einrechnet, über die noch nicht entschieden worden ist, kommen wir auf etwa 8.000", kritisierte Visakha Tillekeratne von der unabhängigen Organisation 'Justice for Victims'.

Laut UNICEF dauert es in der Regel mehr als fünf Jahre, bis ein Fall von Kindesmissbrauch abschließend behandelt werden kann. In einer Studie von 2010 über 110 Fälle, die der gerichtsmedizinischen Abteilung der Universität von Kelaniya zur Untersuchung vorgelegt wurden, sei von einer Bearbeitungszeit von 62,5 Monaten die Rede, berichtete die UNICEF-Sprecherin in Sri Lanka, Suzanne Davey.


Polizisten und Gerichtspersonal überfordert

Das gesamte Justizsystem des südasiatischen Staates arbeitet schleppend. Erschwerend kommt hinzu, dass zu wenige Beamte in den Polizeiwachen angemessen ausgebildet sind, derartige Ermittlungen effizient durchzuführen. Bei der Generalstaatsanwaltschaft herrscht außerdem Personalmangel.

"Das ist ein großes Problem", meinte Polizeisprecher Ajitha Rohana, der darauf hinwies, dass Ende 2010 insgesamt 650.000 Fälle bei den Gerichten des Landes anhängig waren. Inzwischen bemühe man sich aber, Fälle von Kindesmissbrauch bevorzugt zu behandeln.

UNICEF hat mit dem Justizministerium, der Polizei und der Generalstaatsanwaltschaft zusammengearbeitet, um Gerichtsbeamte, polizeiliche Ermittler und andere Experten im Umgang mit Fällen von Kindesmissbrauch fortzubilden. Mehr als 900 Beamte haben seit Januar Schulungen besucht. In sechs Distrikten wird außerdem ein Pilotprojekt durchgeführt, das Verfahren wegen Kindesmissbrauchs Priorität einräumt. Die ersten Ergebnisse seien positiv ausgefallen, erklärte Rohana.

Experten warnen, dass eine lange Verfahrensdauer die Traumata der Opfer weiter verstärkt. "Es ist brutal mitzuerleben, wenn Jahr um Jahr nichts geschieht", sagte Tillekeratne. "Kinder, die schon zu viel erlitten haben, empfinden sich dadurch noch mehr als Opfer", meinte Caroline Bakker von UNICEF in Sri Lanka. Wenn die Kinder mitbekommen, dass die Täter auf Kaution freikommen, fühlen sie sich noch hilfloser. "Die Täter bleiben in Freiheit und vergehen sich weiterhin an Kindern, ohne dafür bestraft zu werden."

Wie Rohana berichtete, achte die Polizei inzwischen verstärkt darauf, dass sich Verdächtige erst dann frei bewegen können, wenn ein Gericht deren Freilassung auf Kaution beschlossen habe. Die Mitarbeiter in den Polizeiwachen seien zudem angewiesen worden, sofort zu handeln, wenn ein Fall von Kindesmissbrauch gemeldet werde. Tillekeratne ist allerdings der Ansicht, dass die Maßnahmen angesichts des Ausmaßes des Problems auf nationaler Ebene noch weiter aufeinander abgestimmt werden müssten.

Nach Angaben von Rohana sind bereits seit 2005 Beamte, die besonders im Schutz von Frauen und Kindern geschult wurden, im Einsatz. Seitdem würden mehr Fälle zur Anzeige gebracht.

Am schlimmsten betroffen sind derzeit die dichtbesiedelte Westliche Provinz, die Nordzentral-Provinz und Sabaragamuwa. In letzteren beiden Regionen wird hauptsächlich Landwirtschaft betrieben. Statistiken belegen, dass die meisten Übergriffe in ruralen Gebieten deshalb geschehen, weil die Kinder ohne Aufsicht allein gelassen werden.


Opfer kannten zumeist die Täter

89 Prozent der Übergriffe seien sexueller Natur, erklärte UNICEF unter Berufung auf eine Studie von Gerichtsmedizinern aus dem Jahr 2005. In 70 Prozent der Fälle sei der Täter ein Angehöriger oder Freund der Familie. Nur in drei Prozent der Fälle hätten die Kinder ihre Peiniger nicht gekannt.

Die Medien des Landes berichteten kürzlich in großer Aufmachung über das Thema, nachdem mehrere Fälle bekannt geworden waren, in die offenbar lokale Politiker verwickelt sind. Außerdem wurde bekannt, dass ein 16-Jähriger ein sechsjähriges Mädchen aus seiner Familie vergewaltigt und getötet hatte. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.police.lk/images/others/crime_trends/2011/grave_crimes_committed_against_children_for_the_year_2011.pdf
http://www.unicef.org/infobycountry/sri_lanka.html
http://www.ipsnews.net/2012/10/abused-children-face-long-wait-for-justice/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 9. Oktober 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2012