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INTERNATIONAL/101: USA - Bald kein Pardon mehr für Sexualstraftäter innerhalb der Streitkräfte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. April 2013

USA: Kein Pardon für Sexualstraftäter innerhalb der Streitkräfte - Militärreform angekündigt

von Carey L. Biron



Washington, 10. April (IPS) - Chuck Hagel, seit Ende Februar neuer Verteidigungsminister der USA, will mit einer Militärrechtsreform der Straflosigkeit verurteilter Sexualstraftäter innerhalb der US-Streitkräfte vorbeugen. So sollen hochrangige Offiziere um ihr bisheriges Privileg gebracht werden, Urteile der Militärjustiz gegen Untergebene abzumildern oder außer Kraft zu setzen.

Mit dem Vorstoß reagiert Hagel auf den jüngsten Skandal, der landesweit für Empörung sorgte. Der Drei-Sterne-Generalleutnant Craig Franklin hatte ein von einem Militärgericht im November verhängtes Urteil gegen einen Oberstleutnant ausgehebelt, der auf einem NATO- Luftwaffenstützpunkt in Italien eine zivile Mitarbeiterin massiv sexuell belästigt hatte.

Franklin, der der Gerichtsverhandlung nicht beigewohnt hatte, gab noch nicht einmal eine Erklärung für die Entscheidung ab, die einjährige Haftstrafe gegen James Wilkerson aufzuheben. Wilkerson wurde aus der Haft entlassen und wieder in den aktiven Dienst aufgenommen.

Der Fall brachte Pentagon-Mitarbeiter, Politiker und Öffentlichkeit gleichermaßen in Rage. Er zeigte aber auch, dass Franklin durchaus legal gehandelt hat. So ist es hochrangigen Offizieren nach Paragraph 60 des Einheitlichen US-Militärgesetzbuches (UCMJ) durchaus erlaubt, Urteile des Militärgerichts zu lockern oder gar aufzuheben. Zudem gibt es keine rechtliche Handhabe, die einen solchen Schritt verhindern könnte.

Laut Verteidigungsministerium werden jedoch in nur einem Prozent der Fälle die entsprechenden Urteile aufgehoben. Umso häufiger kommt es vor, dass Urteile der US-Militärtribunale abgemildert werden.

Kurz nach seinem Amtsantritt kündigte Hagel eine Untersuchung der Vorfälle an. Am 8. April erklärte er, dem US-Kongress entsprechende Reformvorschläge zu unterbreiten. Demnach soll es Kommandanten nur noch in Bagatelldelikten erlaubt sein, Militärurteile aufzuheben. Überdies sollen die Militärführer künftig schriftlich begründen, warum sie ein Urteil abändern wollen.


Erster Schritt

Hagel zufolge stehen alle Vereinigten Generalstabchefs hinter den Reformvorschlägen. "Das ist der Beginn eines langen Prozesses, der dafür sorgen soll, dass innerhalb der Armee allen Opfern von Sexualstraftätern Gerechtigkeit widerfährt", kommentierte Barbara Boxer, eine Senatorin aus Kalifornien, den Vorstoß von Hagel.

Sollten die neuen Reformvorschläge den Kongress passieren, hätte dies Folgen für alle größeren Vergehen, die innerhalb der Streitkräfte begangen werden. Das US-Militär wird für eine Epidemie sexueller Übergriffe verantwortlich gemacht. Pentagon-Vertreter hatten die Zahl der Vorfälle im letzten Jahr mit 19.000 angegeben. Allgemein wird davon ausgegangen, dass nur die wenigsten innerhalb der Streitkräfte begangenen sexuellen Übergriffe bekannt werden. Was diejenigen Fälle anbetrifft, in denen es zu einer Anzeige kommt, kommt es verschiedenen Studien zufolge bestenfalls in zehn Prozent der Fälle zu einer Verurteilung.

Es stehe außer Frage, dass das Ministerium noch viel mehr tun müsse, um das Problem der sexuellen Gewalt in den Streitkräften umfassend anzugehen, meinte Hagel am 8. April. Diese Verbrechen, die Einfluss auf das Leben und die Karrieren tausender Opfer nähmen, schadeten dem Ansehen des Militärs und sollten von allen zivilen und nicht-zivilen Mitgliedern als Schande betrachtet werden.

Mit seinem Vorstoß hat Hagel bei Rechtsexperten und Menschenrechtsaktivisten offene Türen eingelaufen. Helen Benedict, Journalismusprofessorin an der 'Columbia University' und Autorin des Buches 'The Lonely Soldier' über die Erfahrungen von US-Soldatinnen im Irak, spricht von einem ersten Schritt in die richtige Richtung. Es müsse aber noch viel mehr getan werden, um Sexualstraftätern innerhalb der Streitkräfte das Handwerk zu legen.

Das 'Service Women's Action Network' (SWAN), das sich mit Straftaten innerhalb des Militärs befasst, bezeichnete den Vorstoß von Hagel als ermutigend nach dem "Justiztheater" im Fall Wilkerson. Es sei aber ebenso wichtig, dafür zu sorgen, dass Kommandanten nicht in den Verlauf von Vorverhandlungen eingreifen könnten", sagte die SWAN-Chefin Anu Bhagwati, die selbst in der Marine gedient hatte, in einer Stellungnahme für IPS.

Hagel scheint sich der Notwendigkeit weiterer Reformen bewusst zu sein. Er kündigte an, die Präventiv- und Gegenmaßnahmen des Pentagons weiter zu stärken. So will er für die Einrichtung unabhängiger Untersuchungsausschüsse sorgen, "die sich mit den Systemen befassen sollen, die bei der Untersuchung, Verfolgung und Verurteilung von Verbrechen, die sexuelle Übergriffe beinhalten, zum Tragen kommen". (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://servicewomen.org/
http://www.ipsnews.net/2013/04/u-s-proposal-would-cut-military-powers-on-rape-cases/

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IPS-Tagesdienst vom 10. April 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. April 2013