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INTERNATIONAL/147: El Salvador - Totales Abtreibungsverbot, nach Fehlgeburt für 30 Jahre hinter Gitter (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Mai 2015

El Salvador: Nach Fehlgeburt für 30 Jahre hinter Gitter - Totales Abtreibungsverbot trifft vor allem arme Frauen

von Edgardo Ayala


Bild: © Edgardo Ayala/IPS

Carmelina Pérez, die nach einer Verurteilung zu 30 Jahren Haft wegen angeblicher Abtreibung schließlich doch noch freigesprochen wurde
Bild: © Edgardo Ayala/IPS

SAN SALVADOR (IPS) - Menschenrechtsgruppen aus El Salvador und anderen Ländern wollen mit einer globalen Kampagne erreichen, dass das zentralamerikanische Land die drakonischen Haftstrafen für Schwangerschaftsabbrüche abschafft.

Derzeit sitzen 15 Salvadorianerinnen wegen Abtreibung und Mord im Gefängnis, obwohl ihren Anwälten zufolge Komplikationen im Verlauf der Schwangerschaft den frühzeitigen Abort verursacht hatten. Nach Angaben lokaler Organisationen wurden zwischen den Jahren 2000 und 2011 mindestens 129 Frauen unter dem Vorwurf des Schwangerschaftsabbruches strafrechtlich verfolgt.

Im Rahmen einer Kampagne konnten 'Amnesty International' und salvadorianische Menschenrechtsgruppen rund 300.000 Unterschriften für eine Petition zur Lockerung des totalen Abtreibungsverbotes in dem 6,3 Millionen Einwohner zählenden Land zusammenbringen.

El Salvador gehört zu den wenigen Staaten der Welt, in denen Abtreibungen mit harten Gefängnisstrafen geahndet werden. Auch Ärzte und andere Personen, die den Eingriff durchführen, müssen mit rigorosen Strafen rechnen. Aus Angst, sich Ärger mit der Justiz einzuhandeln, sind viele Mediziner dazu übergegangen, den Behörden zu melden, wenn Frauen in den staatlichen Krankenhäusern wegen Komplikationen nach Fehlgeburten behandelt werden.


Überraschender Freispruch

Der Beginn der Kampagne erfolgte zeitgleich zu einem Freispruch für eine Frau, die wegen Mordes 15 Monate im Gefängnis gesessen hatte. Ein Berufungsgericht der im Osten des Landes gelegenen Stadt La Unión revidierte das in erster Instanz gefällte Urteil und sprach Carmelina Pérez am 23. April frei.

"Ich bin glücklich, weil ich wieder zu meinem Sohn und meiner Familie zurückkehren kann", sagte Pérez, noch in Handschellen. Die 21-Jährige, deren dreijähriger Sohn in ihrer Heimat Honduras lebt, hatte als Haushaltshilfe in der Stadt Concepción de Oriente im Distrikt La Unión gearbeitet, als sie eine Fehlgeburt erlitt, die von der Justiz als Abtreibung ausgelegt wurde. Im Juni 2014 wurde sie deshalb zu 30 Jahren Haft verurteilt. Dieses Urteil ist nun aufgehoben.


15 Frauen wegen Schwangerschaftsabbrüchen in Haft

Von 17 Frauen, die seit 1998 aus gleichen Gründen verhaftet wurden, befinden sich 15 weiterhin im Gefängnis. In jenem Jahr hatte das Parlament beschlossen, dass Schwangerschaftsabbrüche auch dann verboten sind, wenn das Leben der werdenden Mutter in Gefahr, der Fötus missgebildet oder nicht lebensfähig oder die Schwangerschaft das Ergebnis von Inzest oder einer Vergewaltigung ist.

Nach einer Änderung von Artikel 1 der salvadorianischen Verfassung ist seit Januar 1999 das Recht auf Leben ab der Zeugung garantiert. Dadurch wird es noch schwieriger, das Abtreibungsverbot zu lockern.

Eine der 17 inhaftierten Frauen ist Carmen Guadalupe Vásquez, die aufgrund einer nach einer Vergewaltigung erlittenen Fehlgeburt zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde. Nach sieben Jahren Gefängnis wurde die 25-Jährige im Januar dieses Jahres begnadigt. Der Oberste Gerichtshof stellte in ihrem Fall Verfahrensfehler fest.

Im vergangenen November wurde die 47-jährige Mirna Ramirez nach zwölfjähriger Haft auf freien Fuß gesetzt. Mindestens fünf weitere Frauen warten als Beschuldigte im Gefängnis auf das definitive Urteil.


Staatliche Hospitäler zeigen Frauen bei Polizei an

Die meisten dieser Frauen hatten sich in staatliche Hospitäler begeben, nachdem sie Fehl- oder Totgeburten erlitten hatten. Das Krankenhauspersonal meldete sie den Behörden, um nicht selbst in den Verdacht zu geraten, Abbrüche vorgenommen zu haben. Viele Frauen wurden noch im Krankenhaus mit Handschellen abgeführt.

"Das totale Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen verstößt gegen die Menschenrechte von Mädchen und Frauen wie etwa die auf Gesundheit, Leben und Gerechtigkeit", sagte die für die Amerikas zuständige Referentin von Amnesty International, Erika Guevara, am 22. April auf einem Forum in San Salvador. Das Gesetz mache die ärmsten Frauen im Land zu Kriminellen.

Aktuelle Daten liegen dazu nicht vor. Aus einer 2013 durchgeführten Studie der Bürgerkoalition für straffreie Abtreibungen geht aber hervor, dass zwischen 2000 und 2011 129 Frauen angeklagt wurden, Abbrüche vornehmen lassen zu haben. 49 von ihnen wurden verurteilt - 23 wegen Abtreibung und 26 wegen Mordes unterschiedlichen Grades. In drei Fällen argumentierte die Staatsanwaltschaft, dass die Föten lebensfähig gewesen seien und die schwangeren Frauen ihren Tod verschuldet hatten.

Von den 129 angeklagten Frauen waren sieben Prozent Analphabetinnen. 40 Prozent hatten lediglich die Grundschule besucht, 11,6 Prozent besaßen einen höheren Schulabschluss und 4,6 Prozent waren Akademikerinnen. Mehr als die Hälfte dieser Frauen hatten kein eigenes Einkommen und 31,7 Prozent geringfügige Einkommen.


Wohlhabende Frauen treiben unbehelligt ab

In El Salvador ist es kein Geheimnis, dass Frauen aus der Mittel- und Oberschicht sicher in privaten Kliniken Schwangerschaften abbrechen lassen können. Sie werden von den dortigen Ärzten nicht angezeigt und müssen somit keine rechtlichen Konsequenzen befürchten.

In einer Petition zur Änderung des Gesetzes forderte Amnesty International, dass die Regierung Frauen im Falle von Inzest oder Vergewaltigung, bei Gefährdung des Lebens der Mutter oder bei schweren Missbildungen des Fötus' sichere und legale Abtreibungen ermöglichen sollte.

Außer in El Salvador sind Schwangerschaftsabbrüche nur im Vatikan-Staat, in Haiti, Nicaragua, Honduras, Suriname und Chile ausnahmslos verboten. In Chile berät das Parlament derzeit allerdings über einen Gesetzentwurf, der therapeutische Abtreibungen legalisieren könnte.

Mitarbeiter von Amnesty International, der Bürgerkoalition und vom Zentrum für Reproduktionsrechte übergaben am 22. April Vertretern der Regierung von Präsident Salvador Sánchez Cerén die Liste mit den 300.000 Unterschriften. Sánchez Cerén gehört der linken Partei FMLN an, die aus einer ehemaligen Guerillaorganisation hervorgegangen ist.


Krebskranke nach Fehlgeburt wegen Abbruch verurteilt

Mehrere Organisationen verlangen von der salvadorianischen Regierung eine Reaktion auf die am 20. April erfolgte Aufforderung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, die Verantwortung für den Tod von 'Manuela' anzuerkennen.

Die Frau, die ihren vollen Namen nie preisgeben wollte, war nach einer Totgeburt fälschlicherweise der Abtreibung bezichtigt und dann zu 30 Jahren Haft verurteilt worden. Später stellte sich heraus, dass sie an Lymphdrüsenkrebs litt, der zu Fehlgeburten führen kann. Sie starb 2010 in der Haft, ohne wegen der Krebserkrankung behandelt worden zu sein. Die Interamerikanischen Menschenrechtskommission hat der Regierung von El Salvador eine Frist von drei Monaten eingeräumt, innerhalb der sie zu den Vorwürfen Stellung nehmen muss.

Die Debatte über die Lockerung des Abtreibungsverbotes in dem zentralamerikanischen Land ist geprägt vom 'Machismus' der konservativen salvadorianischen Gesellschaft und dem starken Einfluss der katholischen Kirche. Der Freispruch für Carmelina Pérez in La Unión macht jedoch Hoffnung. Erstmals hat ein Berufungsgericht die Aussage eines Gynäkologen nicht anerkannt, der gegen die Angeklagte ausgesagt hatte. Diese Entscheidung hatte maßgeblichen Einfluss auf das Urteil. (Ende/IPS/ck/04.05.2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/04/campana-contra-draconiana-penalizacion-del-aborto-en-el-salvador/
http://www.ipsnews.net/2015/04/draconian-ban-on-abortion-in-el-salvador-targeted-by-global-campaign/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 4. Mai 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2015

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