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INTERNATIONAL/149: Justiz - Warum für einen Anwalt zahlen, wenn sich der Richter kaufen lässt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Juli 2015

Justiz: Warum für einen Anwalt zahlen, wenn sich der Richter kaufen lässt

von Kanya D'Almeida



Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Frauen und Kinder auf einer Anti-Korruptions-Veranstaltung in der nordpakistanischen Stadt Peshawar
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

NEW YORK (IPS) - Eine hochschwangere Frau wird an einem Checkpoint festgehalten, bringt ihr Kind zur Welt und stirbt. Eine andere wird auf einem Sklavenmarkt verkauft. Ein Panzer überrollt einen Jungen. Ein vor Krieg und Verfolgung fliehender Mann ertrinkt bei dem Versuch, eine für ihn sichere Weltregion zu erreichen.

Das waren nur einige von vielen Beispielen, die Rima Khalaf, Exekutivsekretärin der Wirtschafts- und Sozialkommission für Westafrika (ESCWA) auf einer Podiumsdiskussion zum Thema Rechtsstaatlichkeit am UN-Sitz in New York am 7. Juli aufführte.

In allen Fällen sei den Opfern ihr Geschlecht, ihre Hautfarbe beziehungsweise ihre ethnische und religiöse Zugehörigkeit zum Verhängnis geworden. Sie hätten sterben müssen, weil es an Rechtsstaatlichkeit gefehlt habe. Und allzu häufig hätten Bürger nicht die Möglichkeit oder das Wissen, wie sie ihr Recht auf Nahrung, Arbeit und Gerechtigkeit einfordern könnten.

Die versammelten Rechtsexperten diskutieren auf der Veranstaltung über die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele (SDGs), die sich an die Ende des Jahres auslaufenden Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) zur Armutsbekämpfung anschließen werden.

Organisiert hatte das Treffen die 'International Development Law Organisation' (IDLO), die sich für ein Mehr an politischer Mitsprache der Bürger einsetzt und Regierungen beim Aufbau robuster Rechtssysteme hilft. Im Mittelpunkt der Gespräche stand das SDG 16, das auf den Aufbau inklusiver Gesellschaften unter Ausschöpfung rechtlicher Mittel abzielt.

Die Förderung und Stärkung der Rechtsstaatlichkeit im Sinne der internationalen Entwicklung sei an und für sich eine Selbstverständlichkeit, betonte die IDLO-Generalsekretärin Irene Khan. Doch tatsächlich sei die Inklusion der Rechtsstaatlichkeit als Vorbedingung für Entwicklung, wie in den SDGs vorgesehen, ein Novum.

Es sei höchste Zeit, dass Thema Rechtsstaatlichkeit als wichtige Voraussetzung für Entwicklung zu behandeln, meinte Khan auf der Veranstaltung. Die 1988 gegründete IDLO ist die einzige Organisation, die sich hauptamtlich der Förderung der Rechtsstaatlichkeit widmet und für weltweit wirksame Rechtssysteme als Grundlage für eine effektive Bekämpfung der Armut und Diskriminierung einsetzt.


Wechselwirkung zwischen Ungleichheit und Rechtlosigkeit

Khan verwies zudem auf den Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Rechtlosigkeit. Ein schwaches Rechtssystem zerstöre das Vertrauen der Bürger in die Strukturen, die eigentlich geschaffen wurden, um deren Wohlergehen zu gewährleisten.

Wie die Expertin weiter berichtete, hatte ihr ein Oberrichter in einem IDLO-Partnerland erzählt, dass es in diesem speziellen Land die Redewendung 'Warum für einen Anwalt zahlen, wenn sich der Richter kaufen lässt' gebe. Der Satz unterstreiche im Grunde die Bedeutung, die der Rechtsstaatlichkeit zukomme. "Rechtsstaatlichkeit reguliert Macht, was Voraussetzung für die Erreichbarkeit der SDGs ist. Armut ist keine Frage des Einkommens, sondern der Machtlosigkeit."

Uganda ist ein Land, in dem drei Viertel der Menschen von der Landwirtschaft leben und wo Landstreitigkeiten gravierende Folgen für deren Wohlergehen und ihre Ernährungssicherheit haben können. Über Jahre hatten ineffiziente und informelle Rechtssysteme verhindert, dass Bauern und insbesondere Frauen in Streitigkeiten Recht widerfuhr. Doch seit der Gründung der Uganda-Landallianz (ULA) im Jahre 1995, die die ländlichen Gemeinschaften in besonderen Zentren über ihre Landrechte informiert, ist die Einhaltung von Landrechten zur Norm geworden.

In Ecuador hat ein IDLO-Trainingsprogramm Bauern den Zugang zu fairen Handelsbedingungen ermöglicht und mit den rechtlichen Grundlagen für die Führung von Mikrounternehmen in vorwiegend ländlichen Gebieten vertraut gemacht. Und in Ruanda, wo Frauen im Jahr 2003 43 Prozent der Sitze im Unterhaus innehatten, konnte dank einer neuen Verfassung und der Gründung von Frauenräten im letzten Jahrzehnt der Anteil der Frauen im Parlament auf 64 Prozent 2013 erhöht werden. Dies wiederum führte zu stärkeren Gesetzen gegen Gewalt gegen Frauen und geschlechtsspezifische Verbrechen.

Allerdings reichen Gesetze allein nicht aus, wie Khalid Malik, ehemaliger Direktor des Berichts zur menschlichen Entwicklung des UN- Entwicklungsprogramms (UNDP) erklärte. "Viele Länder verfügen über alle möglichen Statuten und Konventionen, doch die Verhaltensweisen haben sich nicht geändert. Wenn Institutionen nicht im Sinne der Armen agieren, kann es keinen Wandel geben."


Selbstbewusst durch Bildung

Malik sieht das Hauptproblem vor allem darin, dass sich Eliten die Institutionen einverleibten und diese den Interessen der Mächtigen dienten. Die Rechtsstaatlichkeit müsse im Justizsystem fest verankert sein und die normalen Bürger politisch fit gemacht werden - etwa durch einen universellen Zugang zu Bildung und Gesundheit. Wer gebildet sei, sei sich seiner Rechte eher bewusst und stelle höhere Ansprüche an die Institutionen. Außerdem verändere sich die Beziehung zwischen Bürgern und Staat.

Das 'World Justice Projekt' gibt jedes Jahr einen Rechtsstaatlichkeitsindex heraus, der auf der Grundlage von acht Faktoren - Einschränkung der Regierungsmacht, Abwesenheit von Korruption, offene Regierungsführung, grundlegende Rechte, Recht und Ordnung, geregelte Umsetzung, Zivilrecht und Strafrecht - den Stand der Rechtsstaatlichkeit in rund 100 Staaten bewertet.

Für den diesjährigen Bericht wurden mehr als 100.000 Haushalte befragt und 2.400 Expertengutachten über 102 Länder erstellt, um einen umfassenden Überblick darüber zu präsentieren, wie normale Bürger überall auf der Welt das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in ihrem täglichen Leben wahrnehmen und erleben. Dänemark erhielt mit 0,87 die Bestnote, während Länder wie Afghanistan und Simbabwe mit 0,35 und 0,37 zu den Schlusslichtern zählten. (Ende/IPS/kb/10.07.2015)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juli 2015

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