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MELDUNG/438: 67. Deutscher Anwaltstag - Das Strafrecht darf nicht als Allheilmittel missbraucht werden (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 2. Juni 2016
67. Deutscher Anwaltstag in Berlin (1. bis 3. Juni 2016)

Das Strafrecht darf nicht als Allheilmittel missbraucht werden


Berlin (DAV). Das Strafrecht muss Ultima Ratio sein, fordert der Deutsche Anwaltverein (DAV) anlässlich des Deutschen Anwaltstages. Der Gesetzgeber muss sich bei der Verschärfung des Strafrechts und der Schaffung neuer Tatbestände zurückhalten. Das Strafrecht darf nicht als gesellschaftliches Allheilmittel eingesetzt werden.

"Sobald es Probleme gibt, wird schnell nach einem schärferen Strafrecht gerufen und dieser Ruf findet leider Anklang", sagt der Präsident des DAV, Rechtsanwalt und Notar Ulrich Schellenberg. Es sei aber Ausdruck einer funktionierenden Gesellschaft, angemessen und verhältnismäßig auf Probleme zu reagieren und nicht sofort mit dem schärfsten Schwert, dem Strafrecht, zu drohen. Als ein Beispiel für den vorschnellen Umgang mit Strafnormen verweist Schellenberg auf die Pläne, das Strafrecht im Fall der sogenannten Gaffer auszuweiten. Das Gaffen könne schon jetzt als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld von bis zu 1000 Euro belangt werden. Werden Fotos gemacht, könnten Platzverweise ausgesprochen werden und es drohten unter Umständen sogar schon jetzt Geldstrafen oder Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren. "Daher erteilen wir Vorschlägen einiger Bundesländer eine klare Absage", so Schellenberg.

Auch die aktuelle Forderung, den minder schweren Fall beim Wohnungseinbruchsdiebstahl aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, zeige das Problem sehr plastisch: "Die Zahlen der Wohnungseinbrüche steigen und umgehend verlangt die Politik eine Strafschärfung", so Schellenberg. Dadurch werde dem erhöhten Sicherheitsbedürfnis der Bürger sicherlich nicht Rechnung getragen. Entscheidend sei nicht Strafrechts, sondern die Aufklärung der konkreten Fälle. "Hier zu investieren ist gleichwohl teurer und aufwändiger, als nur das Gesetz zu ändern", sagt Schellenberg.

"Eine Gesellschaft kann ihre Werte nicht allein mit den Mitteln des Strafrechts durchsetzen", so Schellenberg weiter. Es komme auf die Verhältnismäßigkeit an. Kaum etwas greife so stark in die Freiheit eines Individuums ein, wie die strafrechtliche Sanktion. Daher müsse mit diesem Mittel sehr behutsam umgegangen werden.

Außerdem führt eine permanente Ausweitung des Strafrechts nach Ansicht des DAV zu Problemen bei der praktischen Durchsetzung der Gesetze vor Gericht. In demselben Maße, in welchem der Gesetzgeber eine Fülle von Strafgesetzen erlassen hat, hätten informelle Entlastungsstrategien wie zum Beispiel der Deal in der Strafjustiz zugenommen. "Wenn wir in der Bundesrepublik ein Problem haben, dann ist das kein Regelungsdefizit, sondern ein Vollzugsdefizit", so der DAV-Präsident.

Möglichkeiten ausschöpfen, statt neue Normen zu schaffen

Der DAV appelliert an den Gesetzgeber zuerst mit aller Kreativität an "zivile" Durchsetzungsstrategien zu denken: Warum zwingt der Gesetzgeber Sportveranstalter nicht, effektivere Dopingkontrollen durchzuführen? Warum erlässt der Gesetzgeber stattdessen ein strafrechtliches Anti-Doping-Gesetz?

"Ziel muss es sein, die vorhandenen Möglichkeiten des Strafrechts und anderer Rechtsgebiete auszuschöpfen, statt immer neue Normen zu schaffen", sagt Schellenberg. Beispiel für Sanktionsmöglichkeiten außerhalb des Strafrechts sind das Ordnungswidrigkeitenrecht, zivilrechtliche Schadenersatzforderungen sowie Auflagen und Zwangsgelder im Verwaltungsrecht.

Der diesjährige 67. Deutsche Anwaltstag steht unter dem Motto: "Wenn das Strafrecht alles richten soll - Ultima Ratio oder Aktionismus?". Zu diesem und weiteren Themen treffen sich vom 1. bis 3. Juni Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie Fachreferenten in Berlin.

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Quelle:
Pressemitteilung DAT 3/16 vom 2. Juni 2016
Deutscher Anwaltverein (DAV)
Pressesprecher Swen Walentowski
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2016

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