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MENSCHENRECHTE/043: El Salvador - Folteropfern eine Stimme geben, Buch mit Zeugenaussagen erschienen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. März 2013

El Salvador: Folteropfern eine Stimme geben - Buch über Verbrechen der Militärdiktatur

von Edgardo Ayala


Bild: © Edgardo Ayala/IPS

Carlos Santos (links) und Fabricio Santín mit einer Skulptur, die einen Menschen zeigt, an dem die Foltermethode 'La Capucha' (die Kapuze) angewendet wird
Bild: © Edgardo Ayala/IPS

San Salvador, 21. März (IPS) - Die Opfer des salvadorianischen Bürgerkrieges kommen ihrem Ruf nach Wahrheit und Gerechtigkeit ein Stück näher: Im April kommt ein Buch auf den Markt, in dem Zeugenaussagen von 270 Folteropfern aufgeführt sind, die im Jahr 1986 dokumentiert wurden. IPS hat exklusiv einen Blick in die Vorabversion erhalten.

Das Buch mit dem Titel 'Die Folter in El Salvador' hat 197 Seiten und wird herausgegeben von der nichtstaatlichen Menschenrechtskommission El Salvadors (CDHES). Die Mehrheit der Interviews führten CDHES-Mitglieder im Gefängnis mit dem euphemistischen Namen 'La Esperanza' (die Hoffnung) im Norden der Hauptstadt San Salvador. Die Interviewer waren selbst Opfer des Staatsterrorismus und wurden in diesem Gefängnis festgehalten.

Der Bürgerkrieg in El Salvador dauerte von 1980 bis 1992. Im Kampf der rechtsgerichteten Regierung, die von Vertretern der Oberschicht des Landes geführt wurde, gegen Regimegegner kamen insgesamt 75.000 Menschen ums Leben. 8.000 verschwanden und sind bis heute nicht aufgetaucht, auch ihre Leichen wurden nie gefunden.

"In den 80er Jahren konnten wir wegen der andauernden Repressalien das Buch unmöglich veröffentlichen. Aber jetzt kommen die Zeugenaussagen endlich ans Licht", sagte der CDHES-Chef Miguel Montenegro gegenüber IPS. Auch nach dem Krieg konnte das Buch zunächst nicht erscheinen, da der Kommission die notwendigen Gelder fehlten.

Montenegro selbst wurde 1986 von der berüchtigten 'Policía de Hacienda' (PH) gefangen genommen. Er lernte am eigenen Leib die unterschiedlichen Foltermethoden kennen, die die Sicherheitskräfte gegen Regimegegner einsetzten.

Die Policía de Hacienda wurde mittlerweile aufgelöst - genauso wie andere Einrichtungen des Sicherheitsapparates in El Salvador, denen schwere Menschenrechtsverstöße vorgeworfen wurden. Darauf hatten sich die damalige Regierung unter Präsident Alfredo Cristiani und die linksgerichtete Guerilla der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) bei den Friedensverhandlungen geeinigt, die 1992 zum Friedensabkommen führten.


Buch zeigt Zeichnungen von Foltermethoden

Jetzt ist das Buch fertiggestellt und zeigt unter anderem Zeichnungen von mehr als 40 Foltermethoden, die laut den Zeugenaussagen in El Salvadors Gefängnissen angewendet wurden. Unter den am häufigsten praktizierten Methoden war beispielsweise 'El Avioncito', was auf Deutsch 'Das kleine Flugzeug' bedeutet: Das Opfer wurde an Schlingen, die von der Decke hingen, aufgehängt und die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Die Beine baumelten über dem Boden.

Angewendet wurde die Folter 'La Capucha' (Kapuze), die das Ersticken simulierte, indem Gefangenen eine Plastiktüte über den Kopf gezogen wurde, 'El Submarino' (U-Boot), das auch als 'Water Boarding' bekannt ist. Den Häftlingen wird der Kopf unter Wasser gedrückt, um ihnen das Gefühl zu geben, zu ertrinken. Daneben wurden Elektroschocks verabreicht, Zungen mit Schnitten traktiert und Chemikalien in die Augen geträufelt.

"Mich hat man in einen Raum am Sitz der Policía de Hacienda gebracht, dessen Boden und Wände voll waren mit geronnenem Blut", berichtet Montenegro. Die Foltermethoden seien Teil der staatlichen Politik gewesen, und das Volk habe das Recht zu erfahren, was während des Krieges passiert sei.

Die Verbrechen wurden nie gesühnt, weil das Parlament 1993 ein Amnestiegesetz verabschiedet hat, das Kriegsverbrechen und alle anderen Menschenrechtsverletzungen der 80er und 90er Jahre unter Straffreiheit stellt.

Gegen zwei Protagonisten des schmutzigen Krieges wurde allerdings doch Anklage erhoben: Ein Gericht in den USA erklärte im Jahr 2002 die Ex-Generäle Eugenio Vides Casanova und José Guillermo García, die in den 80er Jahren Verteidigungsminister in El Salvador waren, für drei Fälle für schuldig, in denen das Militär unter ihrem Mandat gefoltert hatte. Das Gericht verurteilte die Generäle zur Zahlung von 54,6 Millionen Dollar. Die Angeklagten, die sich in Florida niedergelassen haben, legten Berufung ein. Im Jahr 2012 entschied ein Gericht die Auslieferung von Vides Casanova an El Salvador.


US-Amerikaner sollte Foltermethoden aus El Salvador in den Irak bringen

In den 80er Jahren galten die USA noch als Verbündete der Regierungen El Salvadors. Am 5. März berichteten britische Medien vom US-Militär James Steele, der während des schmutzigen Krieges in El Salvador als Berater der Sicherheitskräfte tätig und an der Ausbildung der Soldaten beteiligt war. Steele soll im Jahr 2003 von der US-Regierung in den Irak entsandt worden sein, um dort "die salvadorianische Option" einzuführen und auf Oppositionskräfte im Land anzuwenden. Die britischen Medien verstehen darunter Foltermethoden, die bereits in El Salvador angewendet worden waren.

"Es ist traurig, dass im Irak nun wiederholt wird, was wir in El Salvador durchmachen mussten", kommentierte Montenegro die Enthüllungsgeschichte.

Auch die vor drei Jahren gegründete Salvadorianische Vereinigung von Überlebenden der Folter (ASST) trägt zur Aufklärung der Verbrechen der Vergangenheit bei. Damit will sie zum einen Verbrechen aufdecken und die Wahrheit ans Licht holen. Zum anderen will sie konkrete Verdachtsfälle vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission anzeigen.

"Wir dokumentieren die Fälle, um schließlich formelle Anklagen vorbereiten zu können", sagte ASST-Präsident Carlos Santos gegenüber IPS. Auch er war in den 80er Jahren verhaftet worden, als er noch Student der Theaterwissenschften war, und landete schließlich in 'La Esperanza'. "Bisher wurden die Verbrechen nicht gebüßt. Wir wollen auf keinen Fall, dass sich Taten wie diese wiederholen."

Die aktuelle Regierung unter Mauricio Funes weigert sich, die Anti-Folterkonvention von 1984 zu unterzeichnen. Auch das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs hat El Salvador nicht anerkannt. (Ende/IPS/jt/2013)


Links:

http://www.cdhes.org.sv/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102544

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IPS-Tagesdienst vom 21. März 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2013