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ÖFFENTLICHES RECHT/135: Das Kooperationsverbot und sein Ende (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 159/März 2018
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Das Kooperationsverbot und sein Ende

Bund und Länder sollen in Bildungsfragen noch enger zusammenarbeiten dürfen

von Michael Wrase


Kurz gefasst: Bund und Länder konnten seit der Föderalismusreform 2006 im Bildungsbereich nicht mehr kooperieren. Das sogenannte Kooperationsverbot wurde aber für den Bereich der Hochschulen in den letzten Jahren deutlich gelockert. Auch wenn CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag keine (teilweise) Abschaffung des Kooperationsverbots beschlossen haben, sind einige kleinere Schritte vorgesehen, die eine Unterstützung der Länder durch den Bund auch im Bereich Schule ermöglichen. Eine grundlegende Reform steht allerdings weiter aus.


In der deutschen Bildungspolitik ist das sogenannte Kooperationsverbot in den letzten Jahren zu einem Dauerthema geworden. Die SPD hat dessen Abschaffung gar zu einem ihrer wichtigsten Wahlkampfprojekte im Bildungsbereich erkoren. Die Forderung wurde so vehement erhoben, dass man annehmen musste, ein Ende des Kooperationsverbots wäre ein gewaltiger Schritt in Richtung Bildungsgerechtigkeit in Deutschland. Zuletzt wurde berichtet, die Spitzen von CDU/CSU und SPD hätten sich in ihrem Koalitionsvertrag zur Bildung einer Großen Koalition auf eine (teilweise) Abschaffung des Kooperationsverbots geeinigt. Allerdings ist in dem Papier eine so weitreichende Reform gerade nicht vorgesehen. Es sind kleinere Schritte, die das strenge Kooperationsverbot immer mehr zurückdrängen.

Den Begriff "Kooperationsverbot" sucht man im Grundgesetz vergeblich. Um zu verstehen, was sich dahinter verbirgt, muss man sich die Systematik der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern etwas genauer anschauen. Danach ist zu unterscheiden zwischen 1. der Gesetzgebungskompetenz (wer darf auf einem bestimmten Gebiet ein Gesetz erlassen?), 2. der Verwaltungskompetenz (wer führt die Gesetze aus, richtet also Behörden ein, bestimmt das Verwaltungsverfahren etc.?) und 3. der Finanzierungskompetenz (wer kommt für die Kosten auf?).

Bekanntermaßen ist der Bildungsbereich eines der letzten verbliebenen Felder, auf denen der Bund grundsätzlich keine Gesetzgebungskompetenz hat. Die Kultushoheit, so heißt es, liegt bei den Ländern. Allerdings gibt es Randbereiche einzelner Bundeskompetenzen, die auch wichtige Bildungsfragen berühren. So hat der Bund "konkurrierende" Kompetenzen unter anderem zur Regelung der beruflichen Ausbildung - mit Ausnahme der berufsbildenden Schulen, die dem Schulbereich zugerechnet werden -, der Ausbildungsförderung (BAföG), der Forschungsförderung sowie dem Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII), dem traditionell Kindertageseinrichtungen (Kita, Hort) und die Schulsozialarbeit zugeordnet sind. Dazu kommt das Grundsicherungsrecht, zu dem auch die Leistungen für Bildung- und Teilhabe gehören. In diesen Bereichen kann der Bund also Gesetze erlassen, etwa zur Einführung eines Rechtsanspruchs auf Kindertagesbetreuung, der nach dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD nunmehr auf die Ganztagsbetreuung in den Grundschulen erweitert werden soll.

Selbst dort, wo der Bund zu Bildungsfragen ausnahmsweise Gesetze erlassen darf, sind für die Durchführung dieser Gesetze jedoch die Länder (bzw. die Kommunen) zuständig. Das ist nicht weiter schlimm, da der Bund ja über die Gesetze steuern kann. Er darf sogar Regelungen zur Einrichtung von Behörden und zum Verwaltungsverfahren erlassen, wenn zur Wahrung der Länderinteressen der Bundesrat zustimmt. Es kommt dann immer darauf an, wie detailliert die vom Bund erlassenen Vorschriften sind: So wurde zum Beispiel im SGB VIII ein Rechtsanspruch auf frühkindliche Betreuung vom ersten Lebensjahr an eingeführt.

Allerdings wird der garantierte Betreuungsumfang vom Bundesgesetzgeber nicht weiter konkretisiert, sodass sich in den Bundesländern teilweise weiter divergierende Regelungen finden. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass mindestens sechs Stunden Betreuung täglich garantiert werden müssen. Der Bundesgesetzgeber könnte hier problemlos weitere Konkretisierungen vornehmen und zum Beispiel einen Betreuungsumfang von bis zu acht Stunden (oder mehr) oder einen bestimmten (Mindest-)Betreuungsschlüssel festlegen. Ein entsprechendes Kita-Qualitätsgesetz, das solche und ähnliche Konkretisierungen enthalten könnte, ist schon länger in der Diskussion.

Entsprechende Maßnahmen kosten natürlich Geld. So sind in den Kita-Ausbau in den vergangenen Jahren Milliarden geflossen. Doch auch hier gilt der Grundsatz, dass die Finanzierung der Zuständigkeit folgt. Und da die Zuständigkeit zur Durchführung der Bundesgesetze bei den Ländern liegt, haben diese auch die Kosten zu tragen. Damit der Bund nun nicht einfach Regelungen auf Kosten der Länder treffen kann, sind derartige kostenrelevante Gesetze wiederum an die Zustimmung des Bundesrates und die dortige Ländermehrheit geknüpft. Dabei hat der Bund die Möglichkeit, den Ländern auf unterschiedliche Weise Mittel für die erforderlichen Mehrausgaben zu verschaffen. So wird insbesondere das Aufkommen der Umsatzsteuer nach einer bestimmten Quote zwischen Bund und Ländern aufgeteilt.

Um die Zustimmung des Bundesrates für kostenintensive Maßnahmen, die von den Ländern umgesetzt werden müssen, zu erhalten, kann den Ländern dann ein entsprechend höherer Anteil der Einnahmen aus der Umsatzsteuer zuerkannt werden. Oder man nutzt kreativ bestimmte Ausnahmevorschriften im Grundgesetz. So kann der Bund nach Artikel 104b Grundgesetz in den Bereichen, in denen ihm die Gesetzgebungskompetenz zusteht, Finanzhilfen für "besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden" gewähren, die unter anderem zur "Förderung des wirtschaftlichen Wachstums" erforderlich sind. Über diese Ausnahmeklausel hat der Bund in den vergangenen Jahren massiv den Ausbau der Kindertagesstätten vorangetrieben, indem er die Länder bei investiven Maßnahmen zur Verbesserung der Betreuungsinfrastruktur mit der Begründung unterstützt hat, durch solche Investitionen werde zugleich das Wirtschaftswachstum stimuliert.

Trotz der aufgeführten Gesetzgebungskompetenzen in wesentlichen (flankierenden) Bereichen der Bildungspolitik hat der Bund im Kernbereich der Bildung, das heißt bei Schulen und Hochschulen, keine Gesetzgebungs- und damit erst recht keine Verwaltungs- und Finanzierungskompetenz. Nach dem sogenannten "Trennungsprinzip" oder auch "Verbot der Mischverwaltung" kann der Bund auch mit den Ländern eigentlich nicht einfach Programme vereinbaren, wie beispielsweise ein "Nationales Bildungsprogramm", und entsprechende Verträge schließen, um die Mittelverteilung zu regeln. Denn das würde eine Umgehung der strikten Zuständigkeitsregelungen des Grundgesetzes durch Regelungs- und Finanzierungswege bedeuten, die eben nicht vorgesehen sind. Der Bund und die Länder dürfen also nicht außerhalb der durch die Verfassung vorgegebenen Kompetenzen miteinander zusammenarbeiten, sprich: kooperieren. Und daraus erklärt sich der Begriff "Kooperationsverbot", der sich im öffentlichen Sprachgebrauch und der politischen Diskussion eingebürgert hat.

Das Trennungsgebot und die fehlende Zuständigkeit des Bundes im Bildungsbereich reichen bis zur Entstehung des Grundgesetzes zurück. Aber immerhin gab es lange in Artikel 91b Grundgesetz eine ausdrückliche Ermächtigung des Bundes und der Länder, bei der "Bildungsplanung" "auf Grund von Vereinbarungen [...] zusammenzuwirken" und die Kosten in Abweichung von den allgemeinen Regelungen untereinander aufzuteilen. Aufgrund dieser Kooperationsklausel gab es zum Beispiel von 1970 an eine Bund-Länder-Kommission Bildungsplanung und Forschungsförderung und es wurden verschiedene Programme - etwa zur Förderung von Ganztagsschulen - umgesetzt. Das änderte sich 2006 mit der Föderalismusreform, mit der die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern neu geordnet wurden. Die Klausel, die ein begrenztes Zusammenwirken von Bund und Ländern in Bildungsfragen ermöglicht hatte, wurde ersatzlos gestrichen.

Erklärtes Ziel der Föderalismusreform war es, die Gemeinschafts- und Doppelzuständigkeiten weitgehend zu beseitigen, um den Einfluss des Bundes in originären Länderangelegenheiten wie der Bildung zurückzudrängen. Dass dies im Nachhinein als ein großer Fehler anzusehen ist, wird heute von vielen in der Politik und in Fachkreisen eingeräumt - mit Blick auf die Bedeutung der Bildungspolitik für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Gesamtstaates. Allerdings bedarf es für die Änderung der Verfassung jeweils einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat. Das macht die Revision der entsprechenden Vorschriften angesichts divergierender bildungspolitischer Ansätze zwischen den Parteien und Ländern schwierig.

Eine erhebliche Lockerung beziehungsweise teilweise Aufhebung des Kooperationsverbots hat indes im Hochschulbereich stattgefunden. So wurde der Artikel 91b des Grundgesetzes mit Wirkung zum Januar 2015 dahingehend geändert, dass Bund und Länder "auf Grund von Vereinbarungen in Fällen überregionaler Bedeutung bei der Förderung von Wissenschaft, Forschung und Lehre zusammenwirken" können. Diese Kompetenz zu kooperativem Handeln im Wissenschaftsbereich wird für den Bereich der Hochschulen dahingehend eingeschränkt, dass hier jeweils alle Länder zustimmen müssen, Alleingänge zwischen dem Bund und einzelnen Ländern also nicht möglich sind. Dennoch handelt es sich um eine weitgehende Öffnung des Kooperationsverbots, wie entsprechende Bundesprogramme, etwa zur bundesweiten Einrichtung von Tenure-Track-Professuren, zeigen.

Ein entsprechend großer Wurf wie im Wissenschaftsbereich, der zumindest potenziell die Möglichkeit einer "Gesamtstaatlichen Bildungsstrategie" eröffnen würde, ist für den Schulbereich bislang nicht gelungen. Immerhin wurde in der vergangenen Legislaturperiode ein Artikel 104c in das Grundgesetz eingefügt, wonach der Bund den Ländern "Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der finanzschwachen Gemeinden (Gemeindeverbände) im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur gewähren" kann. Nach dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vom 7. Februar 2018 soll diese Befugnis erweitert werden, indem die Begrenzung der Finanzhilfen auf "finanzschwache" Gemeinden entfällt, das heißt zukünftig alle Gemeinden unabhängig von ihrer finanziellen Lage durch den Bund gefördert werden können. Ähnlich wie beim Kita-Ausbau kann der Bund die Kommunen dann bei einmaligen Investitionen zur Verbesserung der Bildungsinfrastruktur unterstützen, nicht aber bei den fortlaufenden Personal- oder Sachkosten. Konkret geplant sind Bundesprogramme zur Schulsanierung, zum Ausbau der Ganztagsschul- und Betreuungsangebote und nicht zuletzt zur Verbesserung der digitalen Ausstattung von Schulen ("Digitalpakt") in Höhe von 3,5 Milliarden Euro über die kommenden vier Jahre.

Interessant ist, dass die Vergabe der Bundesmittel explizit an "einvernehmlich mit den Ländern vereinbarte Bedingungen gebunden" werden soll. Untere anderem sollen diese in die Qualifikation der Lehrkräfte investieren und die Bildungs- und Lehrpläne den Vorgaben der Kultusministerkonferenz entsprechend weiterentwickeln. So werden die Länder auch inhaltlich an bestimmte Vorgaben gebunden, um die Investitionsmittel des Bundes zu erhalten.

Darüber hinaus enthält das Papier eher kleine Ansätze für erweiterte Einflussmöglichkeiten des Bundes in der Bildungspolitik. Ein "Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter" soll in bewährter Manier über das SGB VIII, also das Kinder- und Jugendhilferecht, verwirklicht werden. Es ist zu befürchten, dass die (Mit-)Finanzierung durch den Bund dabei wieder über den Etikettenschwindel des Artikels 104b Grundgesetz zur Wachstumsförderung laufen soll.

Auch im Bereich der Leistungen für Bildung und Teilhabe für Kinder aus Familien, die Grundsicherung nach dem SGB II, SGB XII, AsylbLG oder Familienzulage nach dem BKGG beziehen, sind nur marginale Verbesserungen geplant. Das dürfte kaum reichen, um Kinder aus sozial benachteiligten Familien auf ihrem Bildungsweg effektiv zu unterstützen. Entsprechend dem Vorbild der gemeinsamen Initiative zur Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler, soll ein Bund-Länder-Programm für die Unterstützung von Schulen "in benachteiligten sozialen Lagen und mit besonderen Aufgaben der Integration" aufgelegt werden. Wie das Programm genau aussehen soll, auf welche Rechtsgrundlage es sich stützt und welche Bundesmittel am Ende tatsächlich zur Verfügung gestellt werden, ist aus dem Koalitionsvertrag nicht ersichtlich.

Es sind also viele kleinere Maßnahmen, die zu einer Durchlöcherung des Kooperationsverbots beitragen. Dabei wäre ein großer Wurf gar nicht schwer. Eine Finanzierungskompetenz des Bundes auf Feldern, in denen er die Gesetzgebungskompetenz besitzt, existiert nämlich bereits in Artikel 104a Absatz 3 Grundgesetz. Allerdings ist diese momentan auf Bundesgesetze beschränkt, die "Geldleistungen gewähren". Würde man diese Vorschrift um "Sach- und Dienstleistungen" erweitern, so hielte der Bund flankierende Regelungs- und Finanzierungskompetenzen in den Bereichen Bildung und Teilhabe, frühkindliche Bildung, Ganztagsschulangebot und Inklusion in den Händen, ohne dass die Länderkompetenzen im Kern angetastet werden müssten.

Dass es noch zu einer solchen Änderung des Grundgesetzes unter einer Großen Koalition kommen könnte, ist angesichts der bildungspolitisch eher kleinteiligen Maßnahmen des Koalitionsvertrags nicht sehr wahrscheinlich. Daran ändert auch die vorgesehene Einrichtung eines Nationalen Bildungsrates erstmal nichts; auch hier wird viel von der konkreten Ausgestaltung abhängen. Es ist daher eine Reihe kleinerer Schritte für mehr Kooperation von Bund und Ländern geplant. Zusammen genommen können sie vielleicht langfristig die Perspektive für eine Nationale Bildungsstrategie eröffnen.


Literatur

• Allmendinger, Jutta / Baethge, Martin / Füssel, Hans-Peter / Karsten, Maria-Eleonora / Maaz, Kai / Nikolai, Rita / Pant, Hans Anand / Schu, Cornelia / Spieß, Katharina / Werning, Rolf / Wrase, Michael: "Gesamtstaatliche Bildungsstrategie. Gemeinsame Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen. Analyse und Empfehlungen". Ergebnispapier der Initiative für eine Gesamtstaatliche Bildungsstrategie der Niedersächsischen Staatskanzlei, 2014.
Online:
http://www.stk.niedersachsen.de/aktuelles/presseinformationen/initiative-fuer-eine-gesamtstaatliche-bildungsstrategie-129588.html
(Stand 21.02.2018).

• Edelstein, Benjamin / Allmendinger, Jutta: "Bildungsförderalismus - Déjà-vu mit Happy End?". In Schultz, Tanjev / Hurrelmann, Klaus (Hg.) Bildung und Kleinstaaterei. Brauchen wir mehr Bildungszentralismus? Weinheim: Juventa 1. Aufl. 2012, S. 18-51.

• Speiser, Guido: "Das - Status quo und Handlungsoptionen". In: Die Öffentliche Verwaltung (DÖV), 2014, Heft 13, S. 555-563.

• Wolf, Johanna: "Der neue Artikel 91b Abs. 1 GG - Erweiterte Kooperation im Wissenschaftsföderalismus". In: Die Öffentliche Verwaltung (DÖV), 2015, Heft 18, S. 771-780.

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 159, März 2018, Seite 34-37
Herausgeber:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2018

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