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PATENTRECHT/032: Vorteilsausgleich bei genetischen Ressourcen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2008

Patente: Was wäre, wenn...
...es ein internationales Regime zum Zugang zu genetischen Ressourcen und gerechtem Vorteilsausgleich gäbe?

Von Michael Frein und Hartmut Meyer


Dann, so könnte man meinen, wäre die Welt in Ordnung. Weit gefehlt. Tatsächlich kommt es darauf an, ob das Regime in der Lage wäre, Biopiraterie effektiv zu bekämpfen; das heißt, die Nutzung genetischer Ressourcen und traditionellen Wissens an die vorherige informierte Zustimmung und einen gerechten Vorteilsausgleich zu binden.

Mit anderen Worten: wie kann es gelingen, Unternehmen und Konzerne dazu zu zwingen, vorher um Erlaubnis nachzusuchen und sich an die getroffenen Vereinbarungen mit den staatlichen Stellen und indigenen Völkern in Entwicklungsländern zu halten, wenn sie deren genetische Ressourcen und traditionelles Wissen für Forschung, Entwicklung und Vermarktung neuer Produkte und Verfahren nutzen wollen? Hierbei spielt die Frage des Patentrechts eine zentrale Rolle. Soll dies, so wie die EU es will, unangetastet bleiben, so wird sich vermutlich kaum etwas ändern. Von daher sind Änderungen des Patentrechts unabdingbar, wenn ein internationales Regime ein wirksames Instrument im Kampf gegen Biopiraterie sein soll.

Die Konzeption dafür liegt auf dem Tisch. Sie wurde von einer CBD-Expertengruppe im Januar 2007 in Lima/Peru[1] entwickelt. Danach soll es ein Zertifikat geben, das eine genetische Ressource und gegebenenfalls traditionelles Wissen vom Bereitsteller bis zum Nutzer begleitet. Wenn man so will, handelt es sich hierbei um eine Art Reisepass. Allerdings konnten sich die Experten in Lima in der Gretchenfrage nicht einigen, nämlich ob ein solches Zertifikat als Ganzes beziehungsweise gewisse Elemente einzeln völkerrechtlich verbindlich eingeführt werden sollen oder ob das Zertifikat ein unverbindliches Angebot an die Nutzer genetischer Ressourcen sein soll.

Die Erfahrung mit freiwilligen Lösungen wie den 'Bonner Leitlinien' ist ernüchternd: Sie werden nicht befolgt. Von daher macht ein Zertifikat nur dann Sinn, wenn es
1) insgesamt verbindlich eingeführt wird,
2) das Patentrecht an die Ziele und Regelungen des Zertifikats angepasst wird und
3) bei Verstößen Sanktionen drohen.


Patentrecht und gerechter Vorteilsausgleich

Zur Zeit unterläuft das Patentrecht die Regeln der Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) zum gerechten Vorteilsausgleich. Zwar hindert nichts einen Patentinhaber daran, mit den Bereitstellern genetischer Ressourcen einen gerechten Vorteilsausgleich zu vereinbaren. Allerdings schreibt das Patentrecht dies auch nicht vor.

Voraussetzung für ein Patent ist, dass das zu schützende Produkt oder Verfahren neu ist, es sich um eine Erfindung (im Unterschied zu einer Entdeckung) handelt und es gewerblich nutzbar ist. Voraussetzung ist nicht eine Vereinbarung über eine vorherige informierte Zustimmung und einen gerechten Vorteilsausgleich. Von daher unterstützt das Patentrecht die Regeln der CBD nicht. Vielmehr verleiht es dem Patentinhaber auch ohne gerechten Vorteilsausgleich ein Monopol - und bietet somit keinerlei Anreiz, die CBD-Regeln zu beachten. Letztlich ist für das Patentrecht nicht von Belang, wie der Erfinder an die Ausgangsmaterialien seiner Erfindung gekommen ist. Das globale Patentrecht im TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation WTO legt lediglich fest, das Patente nicht vergeben werden können, wenn die Verwertung des Patentes gegen die "öffentliche Ordnung oder die guten Sitten" verstößt, es enthält keine Vorschriften zur Beschaffung des Materials. Patentgerichte halten bislang die Nutzung der Biopiraterie zu industriellen Zwecken mit der öffentlichen Ordnung und den guten Sitten für vereinbar.

Da die CBD-Regeln zu Zugang und gerechtem Vorteilsausgleich im Patentrecht bislang keine Rolle spielen, soll, so kann aus den Ergebnissen der oben genannten CBD-Arbeitsgruppe gefolgert werden, ein Anreiz dadurch geschaffen werden, dass die Nutzung genetischer Ressourcen und traditionellen Wissens nur dann erlaubt ist, wenn der Nutzer ein entsprechendes Zertifikat vorweisen kann. Da Patentierung als Nutzung betrachtet wird, würde das Vorlegen des Zertifikats zur Voraussetzung für die Patentierung, kurzum: Ohne Zertifikat kein Patent.[2]

Zertifiziert würde die Einhaltung nationaler Gesetze beim Zugang zu einer genetischen Ressource beziehungsweise zu traditionellem Wissen. Aber nicht nur die Tatsache, dass eine vorherige informierte Zustimmung erfolgt und ein gerechter Vorteilsausgleich vereinbart wurde, wäre in einem solchen Reisepass vermerkt.[3] Es ginge auch um die erlaubte Nutzung. Das heißt, die vorherige informierte Zustimmung zur Nutzung könnte auf einen bestimmten Zweck begrenzt sein (also etwa ein Diätmittel oder etwa Forschung), was andere Zwecke (etwa ein Mittel gegen Diabetes oder etwa Vermarktung) ausschlösse. Zusätzlich könnte Patentierung grundsätzlich ausgeschlossen werden, oder aber ein Patentierungsverbot könnte sich lediglich auf Produkte und Verfahren beziehen, die in irgendeiner Weise traditionelles Wissen beinhalten. Welche Nutzung erlaubt wäre und welche nicht, wäre letztlich abhängig von dem Ergebnis der Verhandlungen zwischen Nutzern und denjenigen, die genetische Ressourcen beziehungsweise traditionelles Wissen zur Verfügung stellen. Allerdings kollidiert der Gedanke der Einschränkung des Erfindungsschutzes durch die Bereitsteller der Ausgangsmaterialen einer Erfindung mit dem geltenden Patentrecht. Die Situation, dass ein neues Mittel gegen Diabetes nicht patentiert werden könnte, weil es auf einer genetischen Ressource basiert, deren Bereitsteller die Patentierung verbieten, passt nicht in das bisherige Verständnis des Schutzes von Erfindungen durch Patente.

Dies gilt in gleicher Weise für die Frage der Weitergabe an Dritte. Auch hier sehen die CBD-Experten die Möglichkeit von Einschränkungen, so dass die Veräußerung von Patenten oder Lizenzierungen gegebenenfalls nicht gestattet wäre - was einen ganz erheblichen Eingriff in das alleinige Nutzungsrecht der Patentinhaber bedeuten würde.


Indigene Völker am Steuer

Ein weiteres Problem besteht darin, festzulegen, wer berechtigt ist, solche Einschränkungen vorzunehmen. Mit der Anerkennung der Rechte indigener Völker, wie sie in der entsprechenden UN-Erklärung vom September 2007 [4] festgehalten wurden, tun sich viele CBD-Mitglieder, allen voran Kanada, noch schwer. Diese völkerrechtlich nicht verbindliche Erklärung erkennt das Recht indigener Völker auf ihre genetischen Ressourcen und ihr traditionelles Wissen an. Damit, so ist zu schlussfolgern, ist eine CBD-konforme Nutzung genetischer Ressourcen und traditionellen Wissens ohne die vorherige informierte Zustimmung indigener Völker und lokaler Gemeinschaften als Träger traditionellen Wissens und Souverän ihrer genetischen Ressourcen nicht möglich. Folglich könnten auch indigene Völker die oben angeführten Möglichkeiten zur Einschränkung der Nutzung oder zur Weitergabe an Dritte in Anspruch nehmen und mit Hilfe des Zertifikats in den Vertragstaaten der CBD wirksam werden lassen.

Mit anderen Worten: das Zertifikat könnte ein Instrument zum Schutz traditionellen Wissens sein und würde damit einen immer wieder kritisierten blinden Fleck des westlichen Patentrechts aufheben helfen. Zudem wäre ein Verbot von Patenten auf Leben über die CBD nicht grundsätzlich, wohl aber fallweise durchzusetzen. Indigene Völker erhielten die Souveränität über die Nutzung ihres traditionellen Wissens und ihre genetischen Ressourcen, ihnen würde ein Instrument in die Hand gegeben, ihre Rechte auch außerhalb ihres Territoriums durchzusetzen - sofern es in der der CBD zu einer Vereinbarung käme, dass Patente, die ohne Zertifikat erteilt würden oder nicht von der dort festgehaltenen Zustimmung zur Nutzung gedeckt wären, wieder entzogen würden.


Fazit

Die Einführung eines ABS-Regimes, das die Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften anerkennt und Instrumente enthält, die die Nutzer-Staaten zur Einhaltung der Regeln zwingen, würde idealerweise die Kräfteverhältnisse ändern. Nicht mehr der Biopirat, der sich ein Nutzungsmonopol durch ein Patent sichert, würde die Regeln bestimmen, sondern diejenigen, die traditionelles Wissen und genetische Ressourcen zur Verfügung stellen, wären am längeren Hebel. Ohne deren vorherige informierte Zustimmung wäre keine Nutzung möglich.[5]

Eine Patentierung wäre folglich nur noch in dem Rahmen möglich, der von den Bereitstellern genetischer Ressourcen und traditionellen Wissens durch ihre vorherige informierte Zustimmung abgedeckt wäre.

Teil der gegenseitig vereinbarten Bedingungen zur Nutzung (Mutual Agreed Terms, MAT) ist neben der vorherigen informierten Zustimmung der gerechte Vorteilsausgleich. Die von Teilen der Industrie immer wieder ins Spiel gebrachte Vorstellung, wonach zunächst die Patentierung erfolgt und dann ein gerechter Vorteilsausgleich in Form einer Gewinnbeteiligung oder einer von den Unternehmen unilateral angebotenen Maßnahme erfolgt (etwa Entlohnung für Anbau und Ernte im Rahmen der Rohstoffversorgung des Unternehmens), ist ohnehin nicht CBD-konform und damit als Biopiraterie zu verurteilen.

Denn es geht tatsächlich nicht nur um Gewinnbeteiligung. Indigenen Völkern und Nichtregierungsorganisationen geht es um die Frage der Souveränität oder, einfacher ausgedrückt: wer bestimmt? Das Patentrecht beantwortet die Frage im Sinne der Nutzer. Ein internationales Regime zu Zugang und gerechtem Vorteilsausgleich, das Biopiraterie verhindern kann, würde einen Rechtsrahmen bieten, der den Bereitstellern, vor allem indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften, diese Rolle zubilligen würden. Die nächste Aufgabe bestünde dann darin, diesen Rechtsrahmen im beschriebenen Sinne zu füllen.

Michael Frein ist Referent für Handel und Umwelt beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) und Sprecher des Leitungskreises des Forums Umwelt und Entwicklung. Hartmut Meyer ist freier Experte im Bereich biologische Vielfalt, biologische Sicherheit und ABS und arbeitet für den EED im Bereich ABS.

[1] UNEP/CBD/WG-ABS/5/7
[2] Und, so kann man hinzufügen, ohne Zertifikat auch keine Marktzulassung.
[3] Michael Frein, Hartmut Meyer: Die Biopiraten. Milliardengeschäfte der Pharmaindustrie mit dem Bauplan der Natur. Berlin 2008, S. 209 ff.
[4] Resolution 61/295 vom 13. September 2007
[5] Mehr noch: der Zugang kann in Übereinstimmung mit CBD Art. 15.4 auch verweigert werden.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2008, S. 16-17
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2008