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PATENTRECHT/041: Mit Patenten zur weltweiten Kontrolle der Lebensmittel (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 323 - Juni 2009
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Mit Patenten zur weltweiten Kontrolle der Lebensmittel
Der Schutz von innovativen Erfindungen verkommt zu einem Instrument der Gewinnmaximierung

Von Marcus Nürnberger


Mit Daniel Düsentrieb fing alles an. Der geniale Erfinder aus Entenhausen hat noch immer eine technische Lösung gefunden. Von der Denkkappe über die Zeitsonde bis zu seinem kleinen Glühbirnenroboter "Helferlein". Wer wollte ihm das Recht an der Erfindung streitig machen? Niemand. Es gibt neben ihm keinen anderen Erfinder. Der Mann besitzt ein Monopol. Einen Markt indessen gibt es für seine kuriosen Auftragserfindungen, Unikate und Einzelstücke aber auch nicht. Doch die Welt ist kein Comic. Und in der Realität zählt nicht allein die Erfindung, sondern der Umsatz, der mit ihr zu machen ist. Beginnt man seine Überlegungen also beim Umsatz und stellt die Erfindung hinten an, kann man in aller Ruhe unterschiedliche Betätigungsfelder ob ihres Gewinnpotentials vergleichend betrachten. Dem Analysten wird schnell bewusst werden, dass Nahrungsmittel eine nahezu unübertroffene, nie versiegende Einkommensquelle garantieren. Es muss allerdings gelingen, an zentraler Stelle eine Schlüsselposition zu besetzen, die nicht zu umgehen ist und von der aus es gelingt, Preise zu kontrollieren.


Getreide

Schon seit ca. einem halben Jahrhundert agiert das US-amerikanische Agrarunternehmen Cargill nach dieser Prämisse. Groß geworden im Getreidehandel der USA waren die Manager bestrebt, ihren Einfluss auszudehnen. Überall auf der Welt entwickelte das Unternehmen in den vergangenen 50 Jahren intensive Handelsstrukturen. Dabei orientierte man sich vor allem an den landwirtschaftlich relevanten Standortfaktoren. Überall, wo Getreideanbau möglich war, und damit potentielle Handelspartner zu erwarten waren, engagierte sich Cargill. Unabhängig von Grenzen und politischen Strukturen. Wohlwissend dass sich beides, auch unter dem Einfluss des Unternehmens, verändern kann. Die Tatsache, dass Getreide als Grundnahrungsmittel der Menschheit immer nachgefragt werden wird, offenbart die "Genialität" dieser Überlegungen. Allerdings könnte sich die Strategie des inzwischen weltweit aktiven und vernetzen Unternehmens bald überholt haben.

Die neue Idee heißt nicht mehr zentrale Markt- oder Handelspositionen zu besetzen, sondern den direkten Zugriff auf die gesamten Handelskette zu sichern. Diesen Schluss jedenfalls legt die Studie "Saatgut und Lebensmittel, Zunehmende Monopolisierung durch Patente und Marktkonzentration" nahe. Die zentrale Neuerung des Vorgehens ist es, mit Hilfe von Patenten die Nutzung von Pflanzen und Tieren, vom Samenkorn oder der Eizelle bis Konsum durch den Verbraucher steuern zu können.

Ein Beispiel ist das Patent auf Brokkoli (EP 1069819), das derzeit als Präzedenzfall (G2107) am Europäischen Patentamt verhandelt wird. Die Reichweite dieses Patents erstreckt sich nicht nur auf Saatgut und Pflanzen, sondern auch auf die essbaren Teile der Pflanze. Dass eine Patentierung von Lebewesen, also Pflanzen und Tieren, überhaupt möglich wird liegt in der wenig eindeutigen Definition innerhalb der unterschiedlichen Rechtsverordnungen begründet.

Zwar schließt das deutsche Patentrecht von 1877 den Bereich der Ernährung und der medizinischen Versorgung der Bevölkerung aus sozialpolitischen Motiven aus. Allerdings kannten die Verfasser damals weder biotechnologische Verfahren, noch war ihnen die Vielschichtigkeit nationaler, europäischer und internationaler Gesetzgebung des 21. Jahrhunderts bekannt.

Denn die Patentierung von Lebewesen ist nicht grundsätzlich verboten. Zwar stellt das Europäische Patentübereinkommen (EPU) in Artikel 53 fest, dass Patente nicht auf Pflanzensorten oder Tierarten sowie für im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren erteilt werden können, schränkt jedoch unmittelbar ein, dass diese Vorschrift nicht auf mikrobiologische Verfahren und auf die mit Hilfe dieser Verfahren gewonnenen Erzeugnisse anzuwenden sei. Auch die dem EPU nachgeordnete Biopatentrichtlinie lässt unzählige Möglichkeiten offen, um Lebewesen zu patentieren.


Return of Investment

Warum Patente für die Unternehmen wichtig sind, machte ein Vertreter des Unternehmens BASF in einer Anhörung des Rechtsausschusses des deutschen Bundestages deutlich: Im Gegensatz zum Sortenschutz können die Unternehmen in Folge der Patente nicht nur eine Sorte mit ihrem patentierten Konstrukt versehen, sondern sie haben die Möglichkeit, dieses gleich bei allen Sorten der jeweiligen Pflanze einzubauen. Der BASF-Vertreter führte weiter aus, "dass der Sortenschutz den jeweiligen Unternehmen keine adäquate Verwertung ihres Investments gewährt". Vor diesem Hintergrund erscheint es nur konsequent, wenn sich der Patentschutz nicht allein auf das Saatgut, sondern eben auch auf das Produkt und dessen Verarbeitung erstreckt.


Patentflut

Die Entdeckung, dass es mit Hilfe von Patenten möglich ist, Abhängigkeiten zu schaffen und Märkte zu kontrollieren, hat offenbar beim Europäischen Patentamt in den vergangenen Jahren zu einem enormen Anstieg der eingereichten Patentanträge geführt. Experten stützen diese Vermutung durch die Feststellung, dass zwar die Zahl der Patentanträge steigt, aber die erfinderischen Leistungen zurück gehen. Auch reagiert das europäische Patentamt seinerseits und möchte die Anforderungshürde, insbesondere der erfinderischen Standards, die zur Erteilung führen, anheben.

Das hierbei in Bezug auf die Patentierung von Lebewesen vor dem Hintergrund der massiven wirtschaftlichen Interessen weniger international agierender Unternehmen mit gut laufenden Lobbynetzwerken eine für den Landwirt, den Züchter oder den Verbraucher befriedigende Lösung quasi aus dem System selbst heraus entsteht, darf bezweifelt werden.

Um so erfreulicher ist es, dass sich die Politik intensiver mit der Thematik auseinander setzt. Auch wenn bei der Anhörung des Rechtsausschusses des deutschen Bundestages Anfang Mai schnell deutlich wurde, dass ein Europäisches Patentamt nur sehr bedingt mit nationalen Gesetzesänderungen zu kontrollieren ist. Notwendig sei hierfür, so Prof. Fritz Dolder von der ETH Zürich, vielmehr eine Änderung der Biopatentrichtlinie bzw. des Europäischen Patentübereinkommens.

Dabei birgt eine Überarbeitung immer auch die Gefahr einer Verschlechterung der Ist-Situation. Allerdings hat Deutschland in dieser Frage einen besonderen Einfluss, so dass die aus Berlin kommenden Signale bei anderen EU-Ländern eine besonderer Wahrnehmung erfahren dürften. Darüber hinaus haben Italien, Norwegen und die Niederlande vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Biopatentrichtlinie geklagt, weil ihnen deren Interpretationsspielraum zu groß ist und Frankreich folgt, zumindest bei menschlichen Genen, einem nationalen Ansatz.

Wenn Landwirte, Züchter, Verbraucher und Politiker nicht nur dabei zusehen wollen, wie das Europäische Patentamt als demokratisch nicht kontrollierte Behörde sich seine eigenen Regeln setzt und damit die Nahrungsmittel nach und nach der Allgemeinheit entzieht, dann gilt es schnell zu handeln, um die eindeutige, verbindliche Vorgabe durchzusetzen: Kein Patent auf Leben!


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 323 - Juni 2009, S. 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2009