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SOZIALRECHT/045: Bundesgerichtshof vertagt Entscheidung über Selbstbestimmungsrecht am Lebensende (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 2. Juni 2010

BGH vertagt Entscheidung über Selbstbestimmungsrecht am Lebensende

DAV-Sozialrechtsanwälte empfehlen Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht


Berlin (DAV). Der Bundesgerichtshof (BGH) hat heute über das Selbstbestimmungsrecht von Patienten und Pflegebedürftigen verhandelt. Dabei ging es um die grundsätzliche Entscheidung zu Rechtsfragen des Abbruchs und der Unterbrechung der Behandlung eines unheilbar erkrankten und selbst nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten. Eine abschließende Entscheidung ist auf den 25. Juni 2010 vertagt worden. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) rät zur Durchsetzung eigenen Willens dringend dazu, eine eigene, individuelle Patientenverfügung zusammen mit einer Vorsorgevollmacht zu errichten.

Beim BGH ging es um den Fall, bei dem vor dem Inkrafttreten des neuen Patientenverfügungsgesetzes am 01. September 2009 eine Tochter und ihr beratender Anwalt auf die Anklagebank gebracht hatten. Die Tochter hatte den Schlauch der Ernährungssonde ihrer seit 5 Jahren im Wachkoma liegenden alten Mutter durchschnitten. Dies geschah auf Rat eines Anwaltes, den die Tochter eingeschaltet hatte, weil das Heim sich zunächst geweigert hatte, die künstliche Ernährung zu beenden. Weil auch der behandelnde Arzt die Einstellung der künstlichen Ernährung angeordnet hatte, lenkte das Heim schließlich ein. Das Gesamtunternehmen hatte das Heim dann aber angewiesen die Sonde wieder anzulegen, der Tochter Hausverbot zu erteilen und die gegenteilige mündliche Patientenverfügung der Patientin zu ignorieren.

Ob der Rat zum Durchtrennen des Schlauches ein strafbarer Tötungsversuch war, ist nun höchstrichterlich zu entscheiden. Der BGH diskutierte in dem Zusammenhang, inwieweit sich das 2009 in Kraft getretene Patientenverfügungsgesetz und das Verbot der Tötung auf Verlangen unvereinbar gegenüberstehen. Bundesrichter Fischer sprach an, dass ein Mensch nicht nur das Recht habe, friedlich zu sterben, sondern auch qualvoll, falls er dies wünsche.

Bereits im Vorfeld hatte ein Vertreter der Bundesanwaltschaft angekündigt, auf Freispruch zu plädieren. "Und das völlig zu Recht", so die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im DAV, die sich erst im April 2010 auf dem Ersten Deutschen Seniorenrechtstag mit Fragen des neuen Patientenverfügungsrechts und der Sterbehilfe beschäftigt hat. Rechtsanwältin Dr. Doering-Striening, stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht: "Jede andere Entscheidung würde das neue Patientenverfügungsgesetz ad absurdum führen. Es respektiert den verfassungsrechtlich geschützten Willen des Menschen, über seinen Körper und sein Leben selbst zu entscheiden. Auch wenn die Entscheidung unvernünftig ist oder einfach nur von anderen nicht respektiert wird. Jede Behandlung ist grundsätzlich Köperverletzung." Nur die Einwilligung des Betroffenen mache sie zulässig. Auch jede Weiterbehandlung bedürfe einer solchen rechtfertigenden Erklärung. Der Abbruch mit Willen des Betroffenen brauche sie gerade nicht. Werde die Behandlung gegen den Willen des Patienten erzwungen, so sei das die strafbare Handlung und nicht der Abbruch.

Allerdings ist für den zu entscheidenden Fall zu beachten, dass die wegen des Streites der Beteiligten an sich einzuholende Genehmigung des damals zuständigen Vormundschaftsgerichtes nicht eingeholt worden war. "Wildwestmethoden" nennen das manche und fordern, dass der Patientenwille nicht zum Spielball fremder Interessen werden darf. "Das ist unzweifelhaft", so die Sozialrechtler im DAV. Aber erst recht darf der Wille nicht gebrochen werden, wie dies durch das Anlegen der Sonde geschehen ist.

Die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht rät zur Durchsetzung des eigenen Willens dringend dazu eine eigene, individuelle Patientenverfügung zusammen mit einer Vorsorgevollmacht zu errichten. "Das beste Recht nutzt nichts, wenn es nicht jemand durchsetzt", so Dr. Doering-Striening weiter. Die Patientenverfügung müsse nach neuem Recht schriftlich sein. Sie sollte Auslegungsregeln enthalten für all die Situationen, die man nicht sicher vorhersehen könne. Denn auch der mutmaßliche Wille könne reichen, um den Patientenwillen zu realisieren. "Geben Sie Ihrem Bevollmächtigten und den sie behandelnden Ärzten "Regieanweisungen für ihr Drehbuch am Lebensende" und sorgen Sie dafür, dass sie durchgesetzt werden", lautet die Empfehlung von Doering-Striening.


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Quelle:
Pressemitteilung SozR 02/10 vom 2. Juni 2010
Deutscher Anwaltverein (DAV)
Pressesprecher Swen Walentowski
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2010