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STRAFRECHT/479: Hatespeech-Gesetz - Justizministerium macht private Unternehmen zu Strafverfolgern (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 20. Dezember 2019

Hatespeech-Gesetz: Justizministerium macht private Unternehmen zu Strafverfolgern


Berlin (DAV). Das Bundesjustizministerium (BMJV) möchte stärker gegen Hatespeech im Internet vorgehen. Das "Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität" soll das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ergänzen. Private Unternehmen würden praktisch in die Rolle des Strafverfolgers gezwungen, wenn es um fragwürdige Inhalte auf ihren Plattformen geht. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) sieht das kritisch.

"Mit der Gesetzesinitiative gegen Hassrede verfestigt das BMJV den fragwürdigen Trend der Inanspruchnahme privater Telemediendienste", sagt Rechtsanwalt Stefan Conen vom Ausschuss Strafrecht des DAV. Sinnvoller wäre gewesen, zunächst die gebotenen Nachbesserungen im NetzDG in Angriff zu nehmen - neben dem bedenklichen Abwälzen der "Äußerungsregulierung" auf Private lasse das Gesetz auch handwerklich zu wünschen übrig. Seine Evaluierung steht aus.

Der neue Entwurf enthält nun eine Meldepflicht seitens privater Kommunikationsanbieter für fragwürdige Inhalte an das Bundeskriminalamt (BKA). Die Anbieter müssen folglich nicht nur die Straffreiheit der Inhalte auf ihrer Plattform garantieren. "Das Gesetz zwingt sie selbst in die Rolle des Strafverfolgers", erklärt Rechtsanwalt Conen. Aufgrund der vorgesehenen Meldepflicht wären sie verpflichtet, Inhalte einzuschätzen, in Strafnormen zu kategorisieren und beim BKA entsprechend Anzeige zu erstatten.

"Das lehnen wir aus grundsätzlichen rechtspolitischen wie verfassungsrechtlichen Überlegungen ab", so Conen. Schon beim NetzDG wurde ein sogenanntes "Overblocking" wahrgenommen, weil Unternehmen - schon um möglichen Haftungsrisiken zu entgehen - im Zweifel eher zu viel als zu wenig löschen. Zu Recht wird dies als Gefahr für die Meinungsvielfalt und -freiheit kritisiert. "Das jetzige Gesetzesvorhaben der Regierung verschärft diese Problematik nicht nur, sondern bedeutet in dieser Hinsicht einen Quantensprung", warnt der Berliner Strafverteidiger. Denn Unternehmen würden auch hier eher deutlich zu viele als zu wenige Inhalte zur Anzeige bringen. Schließlich werden sie präventiv vermeiden wollen, Haftungsrisiken einzugehen.

Daraus folgt zweierlei: Beim BKA werden aufgrund ausgedehnter Anzeigenerstattungen der Telemedienanbieter Datensammlungen entstehen, welche Bürger erfassen, deren Äußerungen nicht strafbar sind, sondern von Privatunternehmen nur vorsichtshalber als möglicherweise strafbar angezeigt wurden. Dies wird sich wiederum auf das Kommunikationsverhalten der Bürger auswirken: Um nicht in den Datenbanken des BKA zu landen, werden sich einige Menschen eine Zurückhaltung auferlegen, die rechtlich gar nicht geboten ist. Sie könnten damit den demokratieschädlichen und unzutreffenden Mythos befeuern, man dürfe "bestimmte Dinge oder Themen" nicht sagen oder ansprechen.

Indem sich der Staat außerdem den Zugriff auf Nutzer-Passwörter sicher will, wird nicht nur die IT-Sicherheit untergraben. "Es wird auch den Eindruck eines staatlichen Strebens nach Kommunikationskontrolle verstärken", warnt Stefan Conen weiter. Dies entbehre in einem liberalen demokratischen Rechtsstaat jeder Legitimität.

Der Entwurf zum Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität erlaubt es Strafverfolgungsbehörden, auf die Social-Media-Passwörter von Verdächtigen zuzugreifen. Telekommunikationsanbieter wie Google und Facebook müsste diese herausgeben. Außerdem sollen die Anbieter Inhalte, die womöglich strafbar sind, an das BKA melden müssen.

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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 24/19 vom 20. Dezember 2019
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2019

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