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DILJA/162: Justiz heißt Herrschaft - der Fall Mumia Abu-Jamal (2) (SB)


Mumia Abu-Jamal - seine Gegner wollen ihn tot sehen

Die US-Justiz zeigt im Fall des streitbaren Afroamerikaners ihr wahres Gesicht

Teil 2: Der Hintergrund - der schwarze Widerstand in den USA


Mumia Abu-Jamal wurde als Wesley Cook 1954 in Philadelphia geboren. Schon als 14jähriger trat er, wie er selbst sagt, "mit dem Herzen" der Black Panther Party (BPP) bei und gab sich den Vornamen "Mumia". Der offizielle Beitritt erfolgte ein Jahr später, und als 16jähriger wurde Abu-Jamal, wie er sich ein weiteres Jahr später nach der Geburt seines ersten Sohnes Jamal nannte, Pressesprecher der Partei. Bekanntlich war ein wesentliches Motiv für die im Oktober 1966 erfolgte Gründung der Black Panther Party die exzessive Polizeibrutalität gegen Menschen schwarzer Hautfarbe, die in nahezu allen US-Großstädten Ausmaße eines wenn auch nie erklärten Krieges gegen Schwarze angenommen hatte. "Wir fordern ein sofortiges Ende der Polizeibrutalität und der Morde an schwarzen Menschen", lautete denn auch eine der zentralen Forderungen der BPP, und Mumia Abu-Jamal selbst ließ nicht unerwähnt, daß der Fußtritt eines Polizisten ihn "direkt in die Black Panther Party" gebracht hatte.

Für Menschen, die sich aufgrund ihrer eigenen privilegierten gesellschaftlichen Position oder/und weißen Hautfarbe für unberührbar halten, mag die Tatsache, daß staatliche Sicherheitsorgane gewaltsam gegen ihnen mißliebige Menschen vorgehen und dabei auch vor dem tödlichen Gebrauch ihrer Schußwaffen nicht haltmachen, schwer nachzuvollziehen sein oder geradezu grotesk anmuten. In Philadelphia "explodierte", wie der Journalist Linn Washington es formulierte, zwischen 1972 und 1980 die in den USA ohnehin allgegenwärtige Polizeibrutalität. In dieser Zeit war der schon zuvor wegen seiner Grausamkeit berüchtigte Polizeichef Frank Rizzo Bürgermeister der "Stadt der brüderlichen Liebe", wie Philadelphia sich nannte. Das Image der Polizei von Philadelphia und damit letztlich auch der USA rutschte derartig in den Keller, daß sich das damalige US-Justizministerium unter Präsident Jimmy Carter 1979 veranlaßt sah, eine Untersuchung wegen der überhandnehmenden Brutalität und Korruption einzuleiten und Klage gegen die Polizei der Stadt zu erheben, was einen bis dahin einmaligen Vorgang in der US-amerikanischen Polizei- und Justizgeschichte darstellte.

Zwischen 1970 und 1974 waren in Philadelphia 226 Menschen von Polizeikugeln getroffen worden, 80 von ihnen tödlich. Insgesamt starben in den 70er Jahren 162 Menschen durch polizeilichen Schußwaffengebrauch. An dieser Realität hat sich bis heute nichts geändert. Nach Zahlenangaben des US-Justizministeriums wurden 1997 71 Polizeibeamte in Ausübung ihres Dienstes getötet, während 353 US-Bürger durch die Polizei ums Leben kamen. Wer nun annimmt, es müsse sich bei gewaltsamen Übergriffen der Polizei um das Fehlverhalten einzelner Beamter gehandelt haben, könnte die Lage insbesondere in den black communities US-amerikanischer Großstädte nicht fundamentaler verkennen. Die US-Bürgerrechtsbewegung "Human Rights Watch" schrieb dazu in einem 1998 über die Stadt Philadelphia verfaßten Bericht folgendes:

Die Polizei Philadelphias kämpft derzeit mit dem jüngsten der durch Polizeikorruption und -brutalität ausgelösten Skandale, die ihr eine der schlechtesten Reputationen unter den Polizeidepartements der Großstädte der Vereinigten Staaten eingetragen haben. Die Beständigkeit und Regelmäßigkeit dieser immer wiederkehrenden Skandale deuten darauf hin, daß die Stadt und ihre Polizeiadministration auf die jeweiligen Titelberichte der Zeitungen hin letztlich keine Schritte unternehmen, um die verantwortlichen Polizisten zur Rechenschaft zu ziehen. Das Ergebnis ist eine ungestörte Kultur der Straflosigkeit, die bei jedem neuen Skandal ans Licht kommt und sich danach weiter fortsetzt, wobei jede neue Generation von Polizisten durch Beispiel lernt, daß ihre Führung Korruption und die exzessive Anwendung von Gewalt akzeptiert.

(aus: "free mumia - dokumente, analysen, hintergrundberichte", Atlantik Verlag, Bremen, 1. Auflage, März 2002, S. 141)

Die hier angesprochene "ungestörte Kultur der Straflosigkeit" ist ein wenn auch eher verhaltener Versuch, das Ineinandergreifen der einzelnen Organe des staatlichen Repressionsapparates, sprich von Polizei und Justiz in all ihren jeweiligen Instanzenwegen und Verantwortungsbereichen, auf einen kurzen Nenner zu bringen. Daß sich Polizeibeamte de facto dieser Straflosigkeit sicher sein können, obwohl ihre Taten Straftatbestände erfüllen, umreißt eine der Kernaufgaben, die der Justiz in dieser unheiligen Allianz zukommt. Die andere, nicht minder tragende Säule dieser gewaltgestützten Herrschaftssicherung betrifft die Kriminalisierung politisch mißliebiger Menschen bis hin zu deren physischer Vernichtung.

Wenngleich der gegen die US-Justiz vielfach erhobene Vorwurf, eine Rassenjustiz zu sein, allemal zutreffend ist, greift er womöglich doch nicht weit genug, weil er die postulierte Unrechtmäßigkeit der Justiz auf die Frage der Diskriminierung dunkelhäutiger Menschen reduziert. Die Herrschaft des Menschen über den Menschen bedient sich, so sie erst einmal so hochentwickelt ist wie die heutiger Industrienationen, stets eines Rechtsetzungs- und Aburteilungssystems, um jeden nur denkbaren Widerstand im Keim zu ersticken. Der weltweit populäre Bürgerrechtler und Journalist Mumia Abu-Jamal beispielsweise kann in einer Todeszelle von der Größe eines Badezimmers den weißen US-Eliten "nur" durch seine in seinen Kolumnen verbreiteten politischen Analysen und Stellungnahmen "gefährlich" werden. Gleichwohl steht zu befürchten, daß durch seinen Tod die Erinnerung an die Black Panther Party sowie die Geschichte des schwarzen Widerstands in den USA vergessen gemacht werden soll.

Die Black Panther Party ist zu verstehen als der Versuch, der Situation der Ohnmacht, der sich insbesondere die schwarzen Gemeinden gegenüber Polizei und Justiz ausgesetzt sahen, mit revolutionärem Anspruch eine effiziente Gegenwehr entgegenzusetzen und eine bewaffnete Selbstverteidigung zu organisieren. In den wenigen Jahren ihrer Existenz, in denen sie sich von der Westküste bis in den mittleren Westen, von Boston im Nordosten der USA bis nach Baton Rouge im Süden ausdehnen und insgesamt 44 Ortsgruppen bilden konnte, gelang es ihr nicht, diese Aufgabe zu erfüllen. Die BPP verstand sich aber auch als eine antiimperialistische und internationalistische Organisation, was sie beispielsweise dazu bewog, die Algerische Nationale Befreiungsfront zu unterstützen.

Die Black Panther Party wurde schließlich von gegnerischen Kräfte unterwandert und Mitte der 1970er Jahre zerschlagen. Ihre Mitglieder wurden von der Polizei und dem FBI aufs Schärfste verfolgt und kriminalisiert. Edgar Hoover, damaliger Chef des FBI, hatte die BPP schon bei ihrer Gründung 1966 im kalifornischen Oakland als die "größte Bedrohung der nationalen Sicherheit" diffamiert. Das FBI legte in den 70er Jahren ein Programm auf, das mit geheimdienstlichen Mitteln oppositionelle Parteien und Organisationen unterwandern, verfolgen und zerschlagen sollte. Das später für verfassungswidrig erklärte "Counter Intelligence Programm" (COINTELPRO) Hoovers wurde nicht nur gegen die Black Panther Party, sondern auch gegen die American Indian Movement sowie die Kommunistische Partei der USA eingesetzt.

Die US-amerikanische Justiz tat schon lange vor dem "Fall" Mumia Abu-Jamal das Ihre, um den schwarzen Widerstand zu brechen und die Vorherrschaft des "weißen" Amerikas in inoffizieller Fortschreibung der Sklaverei sicherzustellen. So wurden beispielsweise 1973 zu Zeiten der COINTELPRO-Aktivitäten in New Orleans 13 "schwarze Militante" verhaftet. Drei von ihnen legten unter schwerster Folter während der Polizeiverhöre - diese Praktiken erregten erst internationales Aufsehen, als sie im Zuge der Bush'schen Kriegführung nach Guantánamo und Abu Graibh exportiert wurden - schließlich das falsche Geständnis ab, 1971 in San Francisco einen Polizistenmord begangen zu haben. Hätte ein Ermittlungsrichter in Kalifornien nicht aufgedeckt, daß die Staatsanwaltschaft vor der Hauptverhandlung verschwiegen hatte, daß die Geständnisse durch Folter erpreßt worden waren, wären die drei aller Voraussicht nach zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Obwohl ihre Folterungen - eindeutige Verstöße gegen Landes- und Bundesgesetze sowie das Völkerrecht - von einem Mitglied der US-Justiz festgestellt worden waren, führte dies keineswegs zu Ermittlungen, Prozessen oder Schuldsprüchen gegen die folternden Polizeibeamten.

Straflosigkeit für folternde Polizisten, gekoppelt mit Bestrebungen der Strafverfolgungsbehörden, Oppositionelle mit eigens fingierten Tatvorwürfen und Willkürurteilen buchstäblich aus dem Verkehr zu ziehen - eine solche Vorgehensweise erinnert nicht zufällig an den "Fall" Mumia Abu-Jamals. Dieser stieß sogar bei einigen Unterstützern im Umfeld der Bürgerrechtsbewegung auf einen gewissen Unglauben. Deren Vorstellungen von der US-Justiz ließen sich nur schwer in Übereinstimmung damit bringen, daß ein offensichtlich "unschuldiger" Mensch wissentlich weiter in Haft gehalten und sogar hingerichtet werden soll. Unter Berücksichtigung kriminaltechnischer Beweise, zahlreicher bislang vor Gericht unbeachteter Zeugenaussagen sowie des Geständnisses eines anderen Mannes, der sich in einer eidesstattlichen Erklärung zu der Tötung des Polizisten Daniel Faulkner am 9. Dezember 1981 bekannt hat, läßt sich der gegen Abu-Jamal erhobene Mordvorwurf eigentlich nicht aufrechterhalten.

Das ungläubige Erstaunen oder auch blanke Entsetzen über die Mumia Abu-Jamal gleichwohl noch immer drohende Hinrichtung könnte kraft einer nüchternen Analyse der US-Justiz im allgemeinen wie im besonderen einer realistischen Einschätzung und Bewertung unter Berücksichtigung der Tatsache weichen, daß der ehemalige Black-Panther-Pressesprecher und bis heute verhaßte Journalist als Widerstandssymbol im engsten Wortsinn mundtot gemacht werden soll. Im Interesse einer zumeist weißen Elite, der für die Aufrechterhaltung einer ihre Privilegien sichernden Gesellschaftsordnung jedes Mittel recht ist, soll schon die bloße Erinnerung an die Black Panther Party oder andere revolutionäre Bestrebungen oder Ansätze ausgelöscht werden. Wenn dazu die Ermordung eines noch in der Todeszelle streitbaren Aktivisten für erforderlich gehalten wird, stellt die Vielzahl juristischer und kriminalistischer Störfaktoren kein unüberwindliches Hindernis dar.

Auch ein - womöglich bevorstehender - Justizmord setzt schließlich ein Tatmotiv voraus. Folgendes Zitat aus einer von Mumia Abu-Jamal im Jahre 2005 verfaßten Kolumne könnte stellvertretend plausibel machen, warum es in Kreisen US-amerikanischer Administrationen, bei Polizei, FBI und Geheimdiensten auch ein Vierteljahrhundert nach den Ereignissen des 9. Dezember 1981 ein ungebrochenes Interesse an der Hinrichtung gerade dieses Menschen geben könnte. So machte Abu-Jamal beispielsweise deutlich, inwiefern die Black Panther Party allein durch ihre ehemalige Existenz aus Sicht der herrschenden Ordnung noch heute ein Problem darstellt:

Wenn es eine nicht zu leugnende historische Wahrheit über die Black Panther Party gibt, dann ist es folgende: Die Partei hat ihren langjährigen Kampf um die Umsetzung ihrer revolutionären Ziele vor dreißig Jahren verloren. Es ist ihr damals nicht gelungen, eine wirksame revolutionäre Gegenmacht der Schwarzen in den USA zu etablieren.

Nach ihrer Auflösung kam es dann im Laufe der Zeit zu einer kuriosen Transformation: Die Partei wandelte sich im kollektiven Bewußtsein von einer Organisation, die faktisch gescheitert war, in eine historische Legende. Heute scheint schon allein die Tatsache, daß die Black Panther Party existiert hat, denjenigen Kraft zu geben, die zum ersten Mal von ihr hören. Das Heranführen an das Wissen um ihre einstmalige Existenz erfolgt dabei in der Regel nicht durch Schule und Elternhaus, sondern durch die eigenen Anstrengungen derjenigen, die auf der Suche nach Alternativen zum Bestehenden sind.

(aus: "Black-Panther-Legende", Kolumne von Mumia Abu-Jamal, veröffentlicht in einer Übersetzung von Jürgen Heiser in "junge Welt" vom 3. September 2005)

Die Partei definierte sich, so schrieb Abu-Jamal vor zwei Jahren an anderer Stelle, "durch den innerstaatlichen Widerstand gegen den Status Quo in den USA". Die Vehemenz, mit der seine in hohen Staatsämtern sowie in der rechten Polizeigewerkschaft "Fraternal Order of Police" zu verortenden Gegner auf die Vollstreckung seines Todesurteils hinarbeiten, läßt den Rückschluß zu, daß Abu-Jamals Stellungnahme zur Black Panther Party - "Ihr sicheres Gespür für die Entfremdung lebt in diesem Moment in jedem Ghetto der USA und anderswo weiter" - zutreffender nicht sein könnte.

Schon 1982 hatte der damalige Staatsanwalt Joseph McGill in dem ersten, grundlegende Verfassungsgrundsätze verletzenden Mordprozeß gegen Mumia Abu-Jamal dessen frühere Mitgliedschaft in der Black Panther Party herausgestrichen, weil sich daraus McGills Meinung nach ein Tatmotiv für die Abu-Jamal angelastete Ermordung des Polizisten Daniel Faulkner ableiten ließe. Doch nur in entgegengesetzter Richtung könnte ein plausibles Mordmotiv vermutet werden. Die Tatsache, daß Mumia Abu-Jamal auch über seine aktive Zeit bei der Black Panther Party hinaus die Unbeugsamkeit schwarzen Widerstands repräsentiert, würde als Tatmotiv vollkommen ausreichen. Bei dem potentiellen "Täter" würde es sich zudem um eine Institution handeln, die mit weitreichenden Befugnissen und sogar der Lizenz zum Töten ausgestattet wurde, um Straftaten aufzudecken und Täter zu bestrafen und die insofern gegebenenfalls keine Verfolgung durch sich selbst zu befürchten hätte.

24. Mai 2007



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