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DILJA/170: Präventivstrafe - Was macht ein Lager zum Terrorcamp? (SB)


Strafe bei bloßer Terrorverdächtigung

Vollendete Abkehr vom Tatstrafrecht zur Präventivjustiz


Wie der in Geheimdienstfragen gemeinhin gut instruierte Spiegel zu berichten wußte, wurde bei der "Operation Alberich", wie die im Sauerland am 4. September erfolgte Festnahme dreier schwerster Anschlagsabsichten Verdächtigter genannt wird, auch von Washington aus "Regie" geführt. Die Erklärung des US-amerikanischen Heimatschutzministers Michael Chertoff, daß in diesem Fall die Kooperation zwischen den deutschen Behörden und der CIA "so eng wie nie" gewesen sei, wurde hierzulande zur Kenntnis genommen, ohne daß die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit einer solchen Einflußnahme eines ausländischen Dienstes auf Maßnahmen deutscher Strafverfolgungsbehörden aufgeworfen worden wäre. Schließlich gereicht eine erklärtermaßen enge Kooperation mit der CIA den deutschen Stellen keineswegs zur Ehre, steht diese nach den bekanntgewordenen illegalen Flügen Verdächtiger quer durch Europa zu eigens eingerichteten Foltergefängnissen doch in einem denkbar schlechten Licht.

Rechtzeitig zum 6. Jahrestag von Nine-Eleven wurde der deutschen Bevölkerung, die sich einer Emnid-Umfrage zufolge inzwischen zu über 70 Prozent vor Anschlägen fürchtet, die durch den "islamistischen Terrorismus" verübt werden könnten, eine Beinah-Riesenkatastrophe präsentiert. Die drei im Sauerland Festgenommenen sollen über große Mengen einer Chemikalie verfügt haben, die neben vielen anderen Verwendungszwecken auch als Sauerstofflieferant bei der Sprengstoffherstellung benutzt werden kann. Angeblich konnte das ursprünglich 35prozentige Wasserstoffperoxid von den Fahndern - von den Verhafteten unbemerkt - noch vor deren Festnahme gegen eine ungefährliche dreiprozentige Mischung ausgetauscht werden, so daß eine konkrete Gefahr zu keinem Zeitpunkt gegeben war. Dies umso mehr, weil die nun der Planung schwerster Terroranschläge Beschuldigten nach Angaben der Ermittler bei dem ihnen unterstellten Bombenbau von einem zündfähigen Sprengstoff noch "sehr weit" entfernt gewesen sein sollen.

Wenige Tage, nachdem einer der größten, wenn auch bestenfalls im Stadium der Planung befindlichen Terroranschläge vereitelt werden konnte, präsentierte Bundesinnenminister Schäuble auf einer Sonderkonferenz mit den Ressortkollegen der Länder etliche Vorschläge zu weiteren sogenannten "Antiterror"-Gesetzen, die seiner Meinung nach verabschiedet werden sollten. Bis auf Schäubles Vorstoß zur Online-Durchsuchung privater Computer, den er im übrigen keineswegs in den drei Tagen zwischen der Festnahmeaktion vom 4. September und der Innenministerkonferenz vom vergangenen Freitag aus sich herausgearbeitet hat, sollen sich die zuständigen SPD- und CDU-Minister in allen Punkten einig gewesen sein. Das würde bedeuten, daß der bloße Besuch eines "Terrorcamps" demnächst unter Strafe gestellt werden würde. Der FDP-Politiker und frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum konnte darüber nur den Kopf schütteln, weil schon die Frage, wie denn ein "Terrorcamp" von einem Nichtterror-Camp unterschieden werden könne, in (verfassungs-) juristisch einwandfreier Weise nicht zu klären ist.

Mit einem "Terrorcamp" soll ein militärisches Ausbildungslager einer als "terroristisch" eingestuften Organisation gemeint sein, wobei noch hinzuzufügen wäre, daß dabei ausschließlich die von der Bundesregierung und/oder ihren Partnern in der EU oder der NATO vorgenommenen Einschätzungen als maßgeblich angesehen werden würden. Ausbildungseinrichtungen der Bundeswehr gelten demnach sicherlich nicht als "Terrorcamps", auch wenn Deutschland von den Bevölkerungen in Ländern wie Afghanistan durchaus als eine Besatzungsstreitmacht empfunden wird, die noch dazu logistische Hilfe zur Bombardierung von Zivilisten leistet. Die Bundeswehr könnte wie auch das US-Militär am Hindukusch insofern als "terroristische Organisation" eingeschätzt werden.

Neben der zukünftigen Strafbarkeit des Besuchs eines "Terrorcamps" soll Ausländern die Einreise nach Deutschland verweigert bzw. ihre Ausweisung verfügt werden können. Dieses Vorhaben einer bundesgesetzlichen Regelung mutet schon deshalb seltsam an, weil das geltende Abschiebegesetz längst die Möglichkeit eröffnet, "zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr" die Abschiebung Nichtdeutscher einzuleiten. Da dies nach geltender Rechtslage allerdings nur "aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose" geschehen kann - weshalb von dieser Vorschrift bislang kaum Gebrauch gemacht wurde -, drängt sich der Verdacht auf, daß mit den von Schäuble angekündigten Gesetzesverschärfungen dieses Hindernis zugunsten einer uneingeschränkten Behördenwillkür aus dem Weg geräumt werden soll. Doch auch nichtausländische "Gefährder" oder eben "verdächtige Personen" sollen nach einhelliger Innenministermeinung künftig noch stärker ins Visier genommen werden.

In den Videotext-Nachrichten des Bayerischen Rundfunks (Bayern-Text) vom 6. September 2007 wurde gemeldet, die Union würde "angesichts der aktuellen Festnahmen auf den Straftatbestand für terroristische Vorbereitungstaten" drängen. Konkret hieß es, daß der CDU-Fraktionsvorsitzende Bosbach und der bayerische Innenminister Beckstein (CSU) forderten, "die Ausbildung in einem Terrorlager und das Verbreiten von Bombenbau-Anleitungen künftig strafrechtlich zu ahnden". Aufgrund solcher und ähnlicher Nachrichten nun eine Strafbarkeitslücke bei Vorbereitungshandlungen für einen "terroristischen" Anschlag zu vermuten, wäre allerdings eine fehlgeleitete, wenn auch womöglich beabsichtigte Schlußfolgerung.

Nicht nur, daß bei solch schweren Straftaten die Strafbarkeit auch den Versuch und damit jede Vorbereitungshandlung umfaßt - hinzu kommen die Gesinnungsparagraphen 129, 129a und 129b, mit denen die bloße Zugehörigkeit zu einer oder die Werbung für eine als "terroristisch" eingestufte/n Organisation unter Strafe gestellt wird, weshalb hier nicht einmal mehr der strafrechtliche Nachweis einer konkreten Tat oder Tatbeteiligungshandlung erbracht werden muß. Da Bundesinnenminister Schäuble und seine Länderkollegen über diese strafrechtlichen Instrumente zur Verfolgung "terroristischer" Organisationen bestens informiert sein müssen, steht zu befürchten, daß sie mit der geplanten Strafbarkeit des Besuchs eines "Terrorcamps" die (wenigen) Einschränkungen, die dieses in seinem Kern auf die bloße Gesinnung abzielende Instrumentarium zur Verfolgung politisch mißliebiger Organisationen aufweist, umgehen wollen.

So sind unter "terroristischen Vereinigungen" nach vorherrschender Meinung Zusammenschlüsse zu verstehen, die auf längere Zeit ausgerichtet sind und eine organisatorische Willensbildung aufweisen, deren Hauptzweck auf die Begehung schwerster Straftaten wie Mord und Totschlag, Sprengstoffverbrechen und ähnliches ausgerichtet ist. Bundesjustizministerin Zypries sagte zwar zu, daß ihr Ministerium demnächst einen Entwurf vorlegen wird für ein Gesetz, das den Aufenthalt in einem Terror-Ausbildungslager bestraft. Die Ministerin wandte gleichwohl ein, daß der Besuch eines solchen Camps keine Tathandlung darstelle und deshalb nur schwer zu bestrafen sei. Im Deutschlandfunk erklärte sie am 6. September 2007:

"Wir prüfen das ja schon seit einiger Zeit, aber es ist eben sehr schwierig, ein Verhalten unter Strafe zu stellen, bei dem keine Tathandlung in irgendeiner Form vorliegt. Ich sage mal, es wäre ja auch möglich, daß jemand in einem solchen Camp ist und rauskommt und sagt: Nie wieder will ich irgendwas mit denen zu tun haben. Gleichwohl soll ich ihn dann bestrafen?"

Dabei ist schon die Frage, was denn ein "solches Camp" sei und was nicht, nur zu beantworten auf der Basis exekutiver Willkür, sprich unter der Voraussetzung, daß eine solche potentielle Strafnorm die Strafbarkeit eines Lager-Aufenthalts daran knüpft, ob dieses von der Bundesregierung, der EU, den USA oder auch den Vereinten Nationen als "terroristisch" eingestuft wurde oder nicht. Dies wäre ein Bruch der Verfassung, die zwingend eine Trennung der angeblich geteilten Gewalt, in diesem Fall zwischen Exekutive und Judikative, vorschreibt. Mit den Geboten eines demokratischen Rechtsstaates ist eine Strafvorschrift, die als verlängerter Arm der Exekutive offen in Erscheinung tritt, nicht zu vereinbaren.

Bislang ist es auch nicht gelungen, da die Einstufung einer Organisation als "terroristisch" stets auf dem spezifischen Interesse der einstufenden Instanz beruht, auf EU- und UN-Ebene eine allgemeinverbindliche Terrorismus-Definition festzulegen. Es ist mittlerweile schon ein geflügeltes Wort, daß die Terrororganisation des einen die Befreiungsbewegung oder auch völkerrechtlich legitime Widerstandsgruppe des anderen ist. Dieses Dilemma läßt sich beispielhaft nachzeichnen an der durchaus militanten Oppositionsgruppe Volksmudschahedin/MEK im Iran. An ihr scheiden sich buchstäblich die Geister. Sie wurde, obwohl sie im europäischen Ausland ausschließlich mit politischen Mitteln arbeitet, in die EU-Liste "terroristischer Organisationen" aufgenommen. Eine Klage der Volksmudschahedin vor dem Europäischen Gericht gab dieser Recht. Im Dezember 2006 erklärte das Gericht in erster Instanz den Beschluß des EU-Rates von 2002, die iranische Oppositionsgruppe auf die EU-Terrorliste zu setzen und ihre Gelder einzufrieren, für rechtswidrig.

Dies hätte zur Folge gehabt haben müssen, daß die iranischen Volksmudschahedin von der Liste gestrichen, die Sanktionen aufgehoben und die Gelder wieder freigegeben hätten werden müssen. Doch nichts dergleichen geschah. Am 30. Januar 2007 verkündete der EU-Ministerrat ganz nach dem Motto, was scheren uns die Entscheidungen des Europäischen Gerichts, die Volksmudschahedin/MEK "nach wie vor in der EU-Liste" zu führen. Punktum. Gesetzt einmal den völlig hypothetischen Fall, diese Organisation würde irgendwo ein militärisches Ausbildungslager unterhalten und ein ebenso fiktiver Besucher eines solchen Camps würde danach in die Bundesrepublik Deutschland einreisen, würde er den neuen Antiterrorgesetzen zufolge verhaftet und bestraft werden. Dies würde, wie unschwer vorherzusagen ist, nur dann erfolgen, wenn die Absichten, die ihm von den hiesigen Behörden unterstellt werden, nicht im Interesse der Bundesregierung liegen. Deutlicher könnte zudem die Tatsache, daß das einst als Tatstrafrecht konzipierte bundesdeutsche Strafrecht längst zu einem Instrument präventiver Repression mutiert ist, kaum noch werden.

12. September 2007



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