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DILJA/186: Ermächtigungsgesetz auf der Kippe? Karlsruhe prüft Lissabon-Vertrag (SB)


Die Verfassungsmäßigkeit des EU-Reformvertrages steht auf dem Prüfstand

Kritiker von rechts und links klagen gegen das Ermächtigungsgesetz der EU


Wer wüßte schon ohne zu zögern die Frage zu beantworten, wer der Souverän der Bundesrepublik Deutschland ist? Der Bundespräsident? Die Bundesregierung und/oder die Bundeskanzlerin? Oder doch der Bundestag? Der Bundesrat? Vielleicht Bundestag und Bundesrat gemeinsam? In der deutschen Verfassung wurde diese Frage eindeutig und unmißverständlich beantwortet, und so spricht ein solches Verwirrspiel Bände über die tatsächliche Verfassung der Republik, die zu den im Grundgesetz verankerten Geboten von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit allem Anschein nach im Widerspruch steht. So heißt es in Artikel 20, Absatz 2 des Grundgesetzes:

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

Das Volk ist der einzige und alleinige Souverän. Nicht anders dürfte es in einem gesellschaftspolitischen System, das für sich beansprucht und sich darüber zu legitimieren versucht, eine Demokratie zu sein, sein. Mit dem tatsächlichen Erleben und Begreifen der einzelnen Inhaber dieser Souveränitätsrechte, sprich der Bundesbürger, dürfte sich dies nicht oder nur in eingeschränktem Maße in Übereinstimmung bringen lassen, und so wird die mitunter deutlich sinkende Wahlbeteiligung auf kommunaler, Länder- oder Bundesebene mit einer "Politikmüdigkeit" zu erklären versucht, worunter die Einschätzung subsumiert wird, durch Wahlen ohnehin nicht wirklich bestimmen zu können, "was die da oben machen".

Die Identifikation der Bundesbürger mit dem Staatswesen, in dem sie leben, entspricht nicht unbedingt und im vollen Ausmaß der von den Bundes- wie auch Landesregierungen erwarteten und in Hinsicht auf ihre weitere Regierungsfähigkeit längerfristig für erforderlich gehaltene Politikakzeptanz. Noch um etliches schlechter ist es um die Akzeptanz der Europäischen Union bestellt, die nicht etwa nur im fernen Brüssel Entscheidungen trifft, die irgendwie auch für die deutschen Bundesbürger von Belang sind, sondern sich anschickt, im Zuge ihres sogenannten Einigungsprozesses in die hoheitlichen Rechte ihrer Mitgliedsstaaten einzugreifen und Zug um Zug ein Herrschaftsinstrument zu schaffen, auf das die von ihm mehr und mehr regierten EU-Bürger einen noch weitaus geringeren, wenn überhaupt noch feststellbaren Einfluß haben als die deutschen Wahlberechtigten auf die Zusammensetzung des Bundestages und die Wahl der Bundesregierung und des/der Bundeskanzler/in.

Das Unbehagen gegen "die in Brüssel" ist noch weitaus größer als die keineswegs grundlos als Ohnmacht empfundene Lage gegenüber der Obrigkeit im eigenen Lande. Dies ist, wie die Mißerfolge bei den in manchen EU-Staaten abgehaltenen Referenden über die EU-Verfassung bzw. den EU-Reformvertrag, auch Lissabon-Vertrag genannt, bereits gezeigt haben, keinesfalls ein spezifisch deutsches Phänomen. Bekanntlich ist die EU-Verfassung am Nein der Bevölkerungen in Frankreich und in den Niederlanden gescheitert, was die Initiatoren des auf die Schaffung eines vereinheitlichten und in jeder Beziehung schlagkräftigen EU-Staates bzw. -Staatenbundes nicht davon abhielt, das im ersten Anlauf gescheiterte Ermächtigungsgesetz in Gestalt eines nun "Reformvertrag" genannten Machwerks erneut in den EU-Staaten zur Abstimmung vorzulegen. Das Nein aus Irland brachte diesen Anlauf zu Fall, doch das letzte Wort ist in dieser Angelegenheit noch lange nicht gesprochen, zumal die Kräfte, die aus Europa bzw. der EU ein starkes Imperium machen wollen, das Veto der eigentlichen Souveräne nicht akzeptieren.

Bislang ist die Ratifizierung des EU-Reformvertrages nicht nur in Irland gescheitert, sondern in drei weiteren EU-Staaten - neben Polen und Tschechien auch in Deutschland - nicht vollzogen worden. Die irische Regierung hat sich inzwischen bereiterklärt, noch in diesem Jahr ein zweites Referendum abzuhalten, und so hoffen die EU-Oberen, daß der Lissabon-Vertrag noch 2009 in Kraft treten könne. Dabei könnte sich ausgerechnet Deutschland noch als Stolperstein erweisen. Zwar haben Bundestag und Bundesrat das Vertragswerk gebilligt und alle für dessen Umsetzung in Deutschland erforderlichen Begleitgesetze verabschiedet, die von Bundespräsident Köhler auch unterzeichnet wurden. Die Unterschrift des Staatsoberhauptes unter der deutschen Ratifizierungsurkunde des EU-Vertrages fehlt allerdings noch.

Köhler hat sich im Sommer vergangenen Jahres bereiterklärt, den EU-Reformvertrag solange nicht zu unterschreiben, bis das Bundesverfassungsgericht die Frage geklärt hat, ob dieses Vertragswerk mit der deutschen Verfassung übereinstimmt oder nicht. Die Bundestagsfraktion der Linken hatte gegen den Vertrag Klage und Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt und eine Einstweilige Verfügung beantragt, um dem Bundespräsidenten die Unterzeichnung des Vertrages verbieten zu lassen. Dem kam Köhler, der damit einer Bitte des Bundesverfassungsgerichts entsprach, durch seine Bereitschaft, die Sache bis zu einem Votum aus Karlsruhe ruhen zu lassen, zuvor. In dieser Woche, am 10. und 11. Februar 2009, wurde vor dem 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts unter Richter Udo di Fabio, der im Jahre 2005 schon gegen den Europäischen Haftbefehl entschieden hatte, eine Anhörung wegen der gegen den EU-Reformvertrag eingelegten Verfassungsbeschwerden durchgeführt.

Denn nicht nur die Linksfraktion, auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler sowie eine weitere Juristengruppe hatte Verfassungsbeschwerde bzw. Organklage eingelegt. Gauweiler argumentiert im Kern damit, daß der Reformvertrag wesentliche staatliche Befugnisse auf die EU übertragen würde und daß das in der Europäischen Union ohnehin schon bestehende Demokratiedefizit durch den Vertrag noch verschärft werden würde. Konkret argumentiert Gauweiler damit, daß ein vom Volk (und damit dem eigentlichen Souverän) gewähltes Parlament befugt sein müsse, eine Regierung zu wählen und abzuwählen, doch eben dieses Recht habe das Europäische Parlament nicht. Alle in Karlsruhe vorgebrachten Klagen stimmen darin überein, daß durch den EU-Vertrag die Rechte des deutschen Parlaments in unzulässiger Weise eingeschränkt, die Souveränität Deutschlands ausgehöhlt werde.

Das sind äußerst gravierende und in der Sache begründete Vorwürfe, weshalb das geringe Interesse, das in der deutschen Öffentlichkeit, in Politik und Medien gleichermaßen, der in diesen Tagen in Karlsruhe durchgeführten Anhörung entgegengebracht wurde, schon äußerst seltsam anmutet. Allem Anschein nach soll möglichst wenig Staub aufgewirbelt werden, um nicht das ohnehin vorhandene allgemeine Unbehagen durch die auch juristisch sachkompetenten Argumente der Kläger neu zu beleben. Dabei wäre es angesichts der von der Bundesregierung in Karlsruhe vorgebrachten Entgegnung, durch den Lissabon-Vertrag würden nur geringfügige Kompetenzen auf die EU übertragen werden und im übrigen werde die Rolle des Europäischen wie auch der nationalen Parlamente durch weitere Einspruchsrechte explizit gestärkt, das Gebot der Stunde und demokratische Verpflichtung, in aller Ausführlichkeit über das Reformprojekt und die von Kritikern wie Befürwortern vorgebrachten Argumente zu informieren.

Eine Woche vor der Anhörung ist in Karlsruhe ein weiterer, 200 Seiten starker Schriftsatz eingegangen, in dem eine Juristengruppe - bestehend aus dem früheren Vorstandschef der Thyssen AG, Dieter Spethmann, dem früheren CSU-Bundestags- und Europaabgeordneten Franz-Ludwig Schenk Graf von Stauffenberg, dem Volkwirtschaftler Joachim Starbatty, der 1997, wenn auch erfolglos, gegen die Einführung des Euro geklagt hatte, und dem Juraprofessor von der TU Berlin, Markus Kerber - gegen den EU-Vertrag geklagt hat. Diese Klägergruppe glaubt, daß in den von Gauweiler und der Linksfraktion vorgebrachten Klagen die Gefahren, die vom Lissabon-Vertrag ausgehen, politisch wie juristisch nicht vollständig erfaßt worden seien. Gegenüber dem Deutschlandfunk brachte Prof. Kerber, der Prozeßbevollmächtige dieser Gruppe in Karlsruhe, deren Argumentation auf den Punkt. Zunächst stellte er jedoch klar, daß er und seine Mitstreiter keineswegs eine anti-europäische Gesinnung hätten [1]:

Wir sind nicht gegen mehr Europa, sondern wir sind der Meinung, dass es bei den Oppositionellen, die diesen Vertrag bekämpfen oder kritisch sehen, wie Sie eben in Ihrem Beitrag gesagt haben von links und von rechts, auch Oppositionelle geben muss, die sozusagen aus einer sehr europäischen Gesinnung heraus die Kritikpunkte an diesem Vertrag offenlegen. Wir haben uns entschlossen, eine Klage einzureichen, um deutlich zu machen, die europäisch gesinnte Opposition hat gute Gründe, das Lissaboner Vertragswerk zu überdenken.

Desweiteren stellt Prof. Kerber klar, daß eine fundamentale Kritik an diesem Reformwerk keinerlei spezifisch "linker" Argumentation bedarf, sondern - wie er anschaulich und unmißverständlich deutlich macht - aus der politischen Mitte kommt und kommen müßte. Kerber tut in seiner verfassungsrechtlichen Begründung der von der durch ihn vertretenen Gruppe eingebrachten Klage nichts anderes, als die Kernelemente des Grundgesetzes ernstzunehmen und zur Meßlatte des vorgelegten Reformprojektes zu machen - und zwar mit für deren Glaubwürdigkeit verheerend abschlägigen Ergebnissen. So führte Prof. Kerber aus [1]:

Wir sind Teil der Opposition gegen diesen Lissabon-Vertrag, im Wesentlichen aus zwei rechtlichen Erwägungen. Im Grundgesetz haben wir den Grundsatz der Gewaltenteilung verankert, das heißt der Trennung von Exekutive, Legislative und Rechtsprechung. Wenn nun Hoheitsrechte aus Deutschland auf Brüsseler Instanzen übertragen werden, dann müssen Minimalia dieser Gewaltenteilung auch beachtet werden. In Brüssel herrscht demgegenüber ein Gewaltenkonglomerat. Alles geht durcheinander, Kommission, Ministerrat, Europäischer Gerichtshof. Das sind überhaupt nicht mehr die Kriterien der Gewaltenteilung, die für die Ausübung von Staatsgewalt in Deutschland gelten. Sie müssen aber minimal zumindest erhalten werden. Praktisch spielt die Europäische Kommission Regierung, sie ist zu einer autokratischen, selbstgenügsamen Regierungsbehörde geworden. Das steht mitnichten in den europäischen Verträgen, sondern dort steht davon, dass die Europäische Kommission Hüter der Verträge sein soll. Sie ist also zu einer Herrin der Verträge geworden und hat Schritt für Schritt nicht in ausbrechenden Rechtsakten, sondern in einer mehr schleichenden Art und Weise sich Kompetenzen angeeignet, die nur sehr andeutungsweise in den europäischen Verträgen vorhanden sind. Wir haben darauf hingewiesen, dass so die europäische Integration nicht weitergehen darf und dass in dem Moment, wo ein solcher schleichender Erosionsprozess vorhanden ist, zunächst einmal Bilanz gezogen werden muss.

Der Interviewer des Deutschlandfunks versuchte, wenn auch vergeblich, diesen harschen und erfrischend eindeutigen Worten durch die Frage Einhalt zu gebieten, warum er (Kerber) demokratisch legitimierten Regierungen das Recht absprechen würde, weitere Kompetenzen an andere weiterzudelegieren. Prof. Kerber blieb die Antwort nicht schuldig:

Weil für die Weitergabe von Kompetenzen, von originären Hoheitsrechten im Grundgesetz sehr genaue Voraussetzungen genannt sind. Es ist nicht eine pauschale Ermächtigung in Artikel 23 enthalten, Hoheitsrechte zu übertragen, sondern diese Hoheitsrechte können nur im Rahmen der europäischen Integration und unter Respektierung des Artikel 79 III weitergegeben werden und der sagt aus, dass A diese Weiterreichung demokratisch erfolgen muss, also die Empfänger der Hoheitsrechte müssen auch minimal demokratisch legitimiert sein - das sind sie zweifelsohne nicht; die Europäische Kommission ist nicht demokratisch legitimiert -, und es muss ein Minimum von Gewaltenteilung vorhanden sein. Auch dies sehen wir in den Brüsseler Institutionen nicht gewährleistet.

Der Rechtsgelehrte stellt desweiteren klar, daß die Mitwirkungsrechte, die das Europäische wie auch die nationalen Parlamente durch den Vertrag bekommen würden, keineswegs den Demokratie-Anforderungen genügen. Wenn "alle Staatsgewalt vom Volke" ausginge, wie es im Grundgesetz heißt, und dieses den Bundestag (sowie die jeweiligen Landesparlamente) wählt, können die von ihm gewählten Parlamente nicht bloße "Mit"-Wirkungsrechte haben - was nichts anderes bedeutet, als daß noch andere, demokratisch nicht legitimierte Kräfte und Institutionen am Wirken sind. Der Berliner Professor erteilt den EU-Institutionen in Sachen Demokratie eine denkbar schlechtes Zeugnis, was von allen Befürwortern der EU-Vereinheitlichung und -Ermächtigung nicht gern vernommen werden wird, weil ihm weder mangelnde Sachkompetenz noch eine randständige, "linke" Gesinnung nachgesagt werden kann:

Ich sage, dass das Mehr an Mitwirkungsrechten des Europäischen Parlaments nicht der demokratischen Kompensation entspricht, die das Bundesverfassungsgericht im sogenannten Maastricht-Urteil gefordert hat für einen verstärkten Hoheitstransfer auf europäische Institutionen, und dafür gibt es eine Fülle von Beispielen. Letztlich regiert dort ein Triumvirat von Rat, Kommission und Parlament und es sind sich im Prinzip alle einig: Immer mehr Kompetenzen müssen nach Europa. Sehen Sie, die Kompetenz für Tourismus; warum muss Europa eine Kompetenz für Tourismus haben? Das ist überhaupt nicht einsehbar.

Die von Prof. Kerber vertretenen Beschwerdeführer monieren auch die Unverständlichkeit des Vertragswerkes, die ihrer Meinung nach nur verschleiern soll, daß es sich dabei um ein Ermächtigungsgesetz handelt, das alle Politikbereiche den aus EU-Kommission, -Rat und -Parlament gebildeten administrativen Eliten unterwerfen würde. Die Kerber-Gruppe beanstandet, daß die europäische Integration, zu der sie sich ausdrücklich bekennt, durch den Lissabon-Vertrag endgültig zu einem Automatismus verkommen würde, der es den "Administrationseliten" erlaube, über das "Schicksal Deutschlands ohne das deutsche Volk zu schalten und zu walten" [2]. Das Bundesverfassungsgericht steht nun vor der überaus schwierigen Aufgabe, nicht nur diese, sondern insgesamt drei sachlich nur zu begründete Verfassungsbeschwerden und Organklagen gegen die juristischen Grundlagen eines autoritären EU-Staatsgebildes bearbeiten zu müssen.

Mit einer Entscheidung des 2. Senats wird frühestens in diesem Sommer gerechnet. Nimmt sich das Karlsruher Gericht mehr Zeit, wäre dies schon Sand im Getriebe der Befürworter dieses Projektes, die nach wie vor darauf drängen, dieses Ermächtigungsgesetz noch in diesem Jahr in Kraft treten zu lassen. Dabei könnte, von dem schwebenden Verfahren in Karlsruhe, das mit einem Todesstoß für das Reformwerk enden könnte, einmal abgesehen, auch die der irischen Regierung abgerungene zweite Abstimmung in Irland ein noch krasseres Nein erbringen. Eine Entscheidung des Karlsruher Gerichts, das seinerseits womöglich keineswegs so unabhängig sein wird, wie es das deutsche Recht verlangt, ist schwerlich zu prognostizieren, denn ungeachtet der zwingenden Argumente der Kritiker, die sich im Kern auf die auch im Grundgesetz verankerten demokratischen Prinzipien berufen, wird das höchste deutsche Gericht nicht gänzlich frei von Erwägungen, die aus den vermeintlichen Erfordernissen juristischer Herrschaftssicherung abgeleitet werden, entscheiden (können).

Ulrich Maurer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der Linken, zeigte sich nach der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe gleichwohl vorsichtig optimistisch. In einer Presseerklärung der Fraktion [3] erklärte er am 11. Februar:

In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht den vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken Gehör schenkt. Die Entscheidung des Gerichts erscheint offen. Erkennbar teilt das Gericht unsere Sorge, dass der Lissabon-Vertrag sowohl dem Sozialstaatsgebot wie dem Demokratiegebot unserer Verfassung nicht genügen könnte. Zudem höhlt der Lissabon-Vertrag den vom Bundesverfassungsgericht selbst festgelegten Parlamentsvorbehalt bei Einsätzen der Bundeswehr aus. Das Bundesverfassungsgericht ließ erhebliche Zweifel am Machtzuwachs und der Kompetenzbündelung der EU erkennen und machte durch seine Fragen deutlich, dass die Demokratisierung mit dieser Entwicklung nicht Schritt hält.

Ob das Karlsruher Gericht dem hier angedeuteten Optimismus entsprechen und im Sinne der Kläger entscheiden wird, darf bezweifelt werden, zumal der politische Kollateralschaden für den anvisierten starken EU-Staat immens wäre. Der Linksfraktion ist jedoch allemal in ihrer Forderung zuzustimmen, in einem so wesentlichen Punkt die Bevölkerung selbst abstimmen zu lassen, was bislang in Deutschland wie auch den meisten anderen EU-Staaten tunlichst vermieden wurde. Die Linksfraktion jedoch machte deutlich, daß dazu in der deutschen Verfassung nicht nur der Weg geebnet ist (in Artikel 146), sondern daß die Glaubwürdigkeit des behaupteten Demokratiezugewinns durch den EU-Vertrag sich daran messen lassen kann, ob in diesem Punkt der Souverän gefragt wird [3]:

Das Mindeste aber, was in einer derartig verfassungsrechtlich problematischen Situation zum Tragen kommen müsste, wäre es, den Lissabon-Vertrag dem Volk zur Entscheidung vorzulegen. Wer wie die Bundesregierung behauptet, mit dem Vertrag wäre eine Ausweitung der Demokratie verbunden, sollte es erst recht dem demokratischen Souverän ermöglichen, durch Volksentscheid über diese gravierenden Einschnitte in die Verfassungslage Deutschlands zu befinden. Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht der Politik aufgibt, diesen Weg entsprechend Artikel 146 des Grundgesetzes zu ebnen. [4]

[1] Zitiert aus: "Kerber: Die Institutionen haben die Völker verloren. Jurist sieht Klage gegen Lissabon-Vertrag in mangelnder Demokratie begründet", Interview mit Prof. Markus Kerber, TU Berlin, von Dirk Müller, Deutschlandfunk, 10.02.2009; im Internet nachzulesen unter http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/917262/

[2] Zitiert aus: "Neue Verfassungsbeschwerde gegen Lissabon-Vertrag. Juristen und Ökonomen beklagen 'Ermächtigungsgesetz' / Abgrenzung vom CSU-Abgeordneten Gauweiler", von Hannelore Mohringer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.01.2009, Nr. 22, S. 13

[3] "Ulrich Maurer: Lissabon-Vertrag - Entscheidung über Klage erscheint offen", Pressemappe DIE LINKE, 11.02.2009

[4] Zur Erläuterung: Artikel 146 des Grundgesetzes betrifft dessen Geltungsdauer und besagt, daß es seine Gültigkeit an dem Tag verliert, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist,

13. Februar 2009



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