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DILJA/187: "Emmelys" Kündigung - Arbeitgeber hat Justiz und Politik auf seiner Seite (SB)


Arbeitsgerichtsbarkeit setzt Unternehmensinteressen durch

Justiz und Politik halten fristlose Kündigung wegen des Verdachts der Veruntreuung von 1,30 Euro für rechtens


Der Fall einer in den Medien als "Emmely" bezeichneten Kassiererin, deren fristlose Kündigung wegen des Verdachts der Veruntreuung am 24. Februar 2009 vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in zweiter Instanz bestätigt wurde, sorgte für öffentliche Empörung. Viele Menschen konnten weder verstehen noch akzeptieren, daß einer langjährigen Mitarbeiterin - "Emmely" hatte in dem Supermarkt bereits seit 31 Jahren gearbeitet - wegen des gegen sie erhobenen Verdachtsfristlos gekündigt worden war, zwei Pfandbons im Wert von 48 und 82 Cent unterschlagen zu haben. Der Unmut über dieses Urteil war so groß, daß sich das Meinungsforschungsinstitut Emnid zu einer repräsentativen Umfrage veranlaßt sah. Diese ergab, daß über zwei Drittel (67 Prozent) der Deutschen die Kündigung als ungerecht ansehen und immerhin noch 29 Prozent sich mit der in erster wie auch zweiter Instanz bestätigten Kündigung einverstanden zeigten.

Dieses Verhältnis könnte, grob geschätzt, den Mengenverhältnissen zwischen den abhängig Beschäftigten und aus dem Arbeitsbereich ausgegrenzten Menschen auf der einen und den sogenannten Arbeitgebern sowie den mit ihren Interessen konform gehenden Funktionseliten entsprechen. Weniger umständlich ausgedrückt könnte man sagen, daß die zuständige Arbeitsgerichtsbarkeit in diesem keinesfalls außergewöhnlichen Fall einmal mehr unter Beweis gestellt hat, wie sehr und ausschließlich sie in einem solchen Konflikt den Interessen der Unternehmensseite zur Durchsetzung verhilft.

In einer vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg am Tag der Entscheidung veröffentlichten Pressemitteilung suchte das Gericht dieses Urteil zu rechtfertigen und plausibel zu machen. Darin stellte das Berufungsgericht darauf ab, daß im Verhalten der Klägerin, also der gekündigten Kassiererin, ein Grund für eine fristlose Kündigung gelegen habe. Für den Arbeitgeber sei es nach Auffassung des Gerichts unzumutbar, die Klägerin auch nur befristet, das heißt bis zum Verstreichen der Kündigungsfrist, weiterzubeschäftigen. Die Voraussetzungen für eine "Verdachtskündigung", so das LAG Berlin-Brandenburg, seien gegeben, zumal das Gericht davon ausgehe, daß die Klägerin die Tat begangen habe und somit mehr als ein für eine Verdachtskündigung bereits ausreichender "dringender" Verdacht, eine Straftat begangen zu haben, vorliege. Eine vorherige Abmahnung sei in diesem Fall nicht erforderlich, da der Arbeitnehmer nicht davon ausgehen könne, daß der Arbeitgeber "gegen sein Vermögen gerichtete Straftaten auch nur einmalig dulden werde".

Spätestens bei dem Wort "Vermögen" werden viele Menschen wohl glauben, sich verhört zu haben. Die mutmaßliche Unterschlagung von zwei Leergutbons im Wert von 0,48 und 0,82 Cent als einen Vermögensschaden eines Supermarktes zu bezeichnen, offenbart die völlige Übereinstimmung des Arbeitsrechts und der Arbeitsgerichtsbarkeit mit den Kernpositionen der Unternehmensseite. Dies verdeutlichte das Landesarbeitsgericht durch den von ihm bezogenen Standpunkt, der Arbeitgeber müsse sich bei einer Kassiererin auf unbedingte Zuverlässigkeit und absolute Korrektheit beim Umgang mit Geld, Bons etc. verlassen können. Das Gericht postulierte einen irreparablen Vertrauensverlust, der unabhängig von dem Wert der mutmaßlich entwendeten Sache (1,30 Euro) ein maßgeblicher Kündigungsgrund sei.

Den Zorn und die Empörung vieler Menschen über dieses Urteil werden diese Erläuterungen kaum abschwächen, sondern viel eher noch anheizen können, weil unschwer aus ihnen herauszulesen ist, daß die gegen "Emmely" gefällte harte Entscheidung, die für sie existenzgefährdende Konsequenzen hat, da ihr als einer fristlos Gekündigten Nachteile beim Bezug von Arbeitslosengeld und einer möglichen Wiedereinstellung bei einem anderen Arbeitgeber bevorstehen, beileibe kein Einzelfall ist. Nicht von ungefähr haben Arbeitsgerichte in der Vergangenheit wieder und wieder ein Arbeitsrecht zur Anwendung gebracht, dessen oberste und einzige Maxime in der juristischen Durchsetzung der Unternehmensinteressen besteht. So hatte das LAG Berlin-Brandenburg zur Erläuterung seines Urteils das für das arbeitsrechtliche Kündigungsrecht, nicht jedoch für etwaige strafrechtliche Ermittlungen maßgebliche "Prognoseprinzip" geltend gemacht, was nichts anderes bedeutet, als daß es in einem strittigen und den Arbeitsgerichten zur Entscheidung vorgelegten Kündigungsfall einzig auf die Frage ankommt, ob es dem Unternehmer angesichts angeblich vorliegender dringender Verdachtsmomente noch zuzumuten ist, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.

Ein tatsächlicher oder auch nur "dringend" vermuteter Vermögensverlust, und sei er auch noch so minimal, genießt demnach Priorität vor den Lebens- und Überlebensinteressen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, die in Ermangelung materieller Vermögenswerte nichts anderes als die eigene Arbeitskraft in einer Eigentumsgesellschaft wie der bundesdeutschen zu veräußern hat. Wie es um das Vertrauen der Arbeitnehmer, die entgegen des vorherrschenden Sprachgebrauchs diejenigen sind, die ihre Arbeitskraft "geben" und nicht "nehmen", in die Betriebe und Unternehmen bestellt sein mag, die aus den eingegangenen Arbeitsverhältnissen Gewinne ziehen können, ist eine Frage, die im Arbeitsrecht nicht gestellt wird und gegenstandslos ist, da sich beide Seiten eben nicht auf gleicher Augenhöhe gegenüberstehen. Ihr Verhältnis ist von einer fundamentalen Abhängigkeit derjenigen gekennzeichnet, die durch ihre Arbeit ihre materielle Existenz zu sichern suchen.

Mit dem Gespür für die große Empörung in weiten Teilen der Bevölkerung übte auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) Urteilsschelte. Gegenüber der Berliner Zeitung erklärte er am 26. Februar, dies sei "ein barbarisches Urteil von asozialer Qualität". Der Verdacht, der SPD-Politiker wolle dem Unmut lediglich den Wind aus den Segeln nehmen, ohne eine tatsächliche Änderung der Lage, beispielsweise die Streichung der Verdachtskündigung aus dem aus dem 19. Jahrhundert stammenden deutschen Arbeitsrecht, auch nur in die öffentliche Diskussion zu bringen, liegt auf der Hand. Doch schon für diese deutlichen Worte wurde Thierse seinerseits gescholten.

So hat der Arbeitskreis sozialdemokratischer Juristen (ASJ) in einer am 27. Februar veröffentlichten Presseerklärung des SPD-Parteivorstandes [2] den gegen Thierse erhobenen Vorwurf, er habe mit seiner Richterschelte die Unabhängigkeit der Justiz verletzt, zurückgewiesen, nur um sich vollinhaltlich auf die Seite des Unternehmens bzw. der Arbeitsgerichte zu stellen. Thierse habe "sein Unverständnis über ein schlecht kommuniziertes Urteil" zum Ausdruck gebracht, lautete das Credo der Presseerklärung, in der der ASJ-Vorsitzender Harald Baumann-Hasske das in der Öffentlichkeit vielfach angesprochene Argument, einer Kassiererin werde wegen eines Minimalbetrages fristlos gekündigt, während Bankmanager, die Millionengelder verspekulieren, überhaupt nicht zur Verantwortung gezogen werden, zu entkräften suchte:

Die in der Öffentlichkeit diskutierte Unverhältnismäßigkeit einer Kündigung wegen 1,30 Euro, insbesondere bei einer über 30jährigen Betriebszugehörigkeit lässt fraglich erscheinen, ob nicht das Kriterium der Verhältnismäßigkeit auch im Falle einer Straftat gegen den Arbeitgeber anzulegen und eine Entlassung für ein so geringwertiges Vergehen wie die Unterschlagung von 1,30 Euro als nicht angemessen anzusehen ist. Ein Vergleich mit dem Verhalten von Managern, die gerade das Vermögen ihrer Bank und von deren Anlegern vernichtet und die Finanzkrise ausgelöst haben, aber ungekündigt sind, drängt sich auf, auch wenn es nicht um vergleichbare Sachverhalte geht: Kein Gericht hat entschieden, diese Personen seien nicht zu kündigen.

Diese Argumentation "hinkt" natürlich, denn keineswegs steht den Managern eine Unternehmensleitung gegenüber, die an ihrer Kündigung interessiert sein könnte, und eine nicht ausgesprochene Kündigung kann selbstverständlich auch nicht Gegenstand einer Verhandlung vor den Arbeitsgerichten werden. Bundestagsvizepräsident Thierse wurde desweiteren vom Vorsitzenden des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Hartmut Kilger, gerügt. Thierses Argument, auch Richter müßten begreifen, daß solche Urteile "das Vertrauen in die Demokratie" zerstörten, ließ dieser nicht gelten. Der DAV-Präsident schloß sich der Argumentation des Landesarbeitsgerichts an und erklärte in einer am 26. Februar veröffentlichten Presseerklärung [3], daß es bei einer Unterschlagung durchaus sachgerecht sei, "zwischen dem Wert der Sache und dem Vertrauensbruch zu unterscheiden". Thierses Bewertung, das Urteil sei barbarisch, sei "nicht gerechtfertigt" und "nicht sachgerecht".

Durch Kilgers Stellungnahme hat sich der Deutsche Anwaltverein als Sachwalter unternehmerischer Interessen in arbeitsrechtlichen Verfahren anerboten, und mit Sicherheit wird dieses Signal auch so verstanden werden. Die laut Emnid 67 Prozent der Deutschen, die in der Abstrafung der Berliner Kassiererin wie Thierse ein inakzeptables Urteil sehen, werden durch die Stellungnahmen aus Politik und Justiz sicherlich nicht umgestimmt werden können. Der von Thierse befürchtete Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Demokratie kann selbstverständlich nur von denjenigen als abzuwendendes Unheil begriffen werden, die von der weitverbreiteten Mär, die staatlichen Organe und in diesem Fall namentlich die Arbeitsgerichtsbarkeit würden wie eine neutrale Vermittlerin zwischen Arbeitnehmern und -gebern stehen, profitieren.

[1] Siehe Pressemitteilung Nr. 7/2009 des LAG Berlin-Brandenburg vom 24.02.2009

[2] http://www.mrcampaign.com/ct/OK9YP3/BHE0KU0P/*http_mm_url_mm_www.spd.de* http_mm_url_mm_www.spd.de

[3] DAV-Presseerklärung Nr. 5/09 vom 26. Februar 2009, im Schattenblick unter RECHT\FAKTEN, ARBEITSRECHT/079

3. März 2009



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