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DILJA/200: Schutzhaft in München - unter anderem Namen und mit Rechtsgrundlage (SB)


Zwei Münchner ohne Tatvorwurf und ohne Tatverdacht inhaftiert

Die Schutzhaft vergangengeglaubter Tage hat längst wieder Einlaß in deutsche Polizeigesetze gefunden


"Wir werfen ihnen keine Straftaten vor." [1] Dies sagte der Münchner Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer am Montag über zwei seit längerem in der bayerischen Landeshauptstadt lebende Männer, die am Samstag von der Polizei festgenommen worden waren und sich, nachdem ein Richter und eine Richterin am Sonntag ihre weitere Inhaftierung abgesegnet hatten, noch immer im Gefängnis befinden. Kaum ein Bundesbürger wird dies verstehen können. Mit dem allgemeinen Rechtsempfinden, demzufolge für eine Inhaftierung zumindest ein konkreter Tatverdacht vorliegen und seitens der Ermittlungsbehörden ein nicht minder konkreter Tatvorwurf erhoben werden muß, ist dies nicht zu vereinbaren, und so nimmt es nicht wunder, daß kritische Stimmen den sich aufdrängenden Vergleich zur Schutzhaft der Nazizeit ziehen.

Dies mag überzogen wirken, ist jedoch durchaus begründet, zumal die Inhaftierung der beiden Münchner, denen erklärtermaßen nicht der geringste Vorwurf, eine Straftat begangen zu haben, gemacht wird, keineswegs im "rechtsfreien" Raum erfolgte, sondern auf der Basis einer Rechtsgrundlage, die im Unterschied zu Straf- und Untersuchungshaft in der Öffentlichkeit wenig bekannt ist. Die Rede ist vom polizeilichen Unterbindungsgewahrsam, auch Präventivgewahrsam genannt, der in den Polizeigesetzen etlicher Bundesländer, unter ihnen neben Baden-Württemberg und Sachsen auch Bayern, seit langem verankert ist. Der sich zunächst aufdrängende Eindruck, hier habe ein Präzedenzfall geschaffen werden sollen, der nach etwaigen gerichtlichen Auseinandersetzungen die gesetzliche Regelung einer neuen "Schutzhaft" ermögliche, ist unzutreffend, da eine solche Ermächtigungsgrundlage im Bayerischen Polizeiaufgabengesetz bereits besteht.

Richarda Lang, Anwältin eines der beiden betroffenen Münchner, hat gleichwohl angekündigt, gegen die Richterin, die den Präventivgewahrsam ihres Mandanten genehmigt hat, Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung zu stellen. Nach geltender Rechtslage müßte sie dabei durchaus Erfolgsaussichten haben, da der einschlägige Artikel des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes bei näherer Überprüfung nichts hergibt, was die nun bereits über mehrere Tage hinweg fortgesetzte Inhaftierung der beiden Männer rechtfertigen könnte. Von ihnen behauptete der Münchner Polizeipräsident Schmidbauer am Montag: "Beide Personen bewegen sich derzeit unverändert in einem islamistisch-extremistischen Umfeld." [1] Nun stellt das Sich-Bewegen in einem "islamistisch-extremistischen Umfeld", wie auch immer ein solcher Begriff juristisch zu definieren wäre, weder eine Straftat noch eine Ordnungswidrigkeit dar.

Von konkreten Anschlagsplänen oder einer solchen Gefahr für das Münchner Oktoberfest kann ebenfalls nicht ausgegangen werden. Zwar soll in zwei sogenannten Drohvideos, die vor der Bundestagswahl in Öffentlichkeit und Medien für einige Unruhe sorgten, auf das Oktoberfest in München Bezug genommen worden sein. Gleichwohl erklärte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann zwei Tage nach der Festnahme der beiden Münchner, die in der Presse sofort als "Islamisten" bezeichnet wurden, in München: "Es gibt derzeit keinerlei konkrete Hinweise auf Anschlagspläne in Deutschland." [1] Wenn dies nach Angaben des für Sicherheitsfragen zuständigen Landesministers auf ganz Deutschland zutrifft, gilt dies selbstverständlich auch für Bayern und für München und zwar auch für die Zeit des Oktoberfestes. Unter diesen Voraussetzungen bietet Artikel 17 des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes, in dem der "Gewahrsam" geregelt ist, jedoch keinerlei Handhabe für die Festnahme und fortgesetzte Inhaftierung der beiden Betroffenen. Da Art. 17 (1) unter Punkt 1 die Ingewahrsamsnahme eines hilflosen Menschen zu dessen eigenem Schutz regelt und in Punkt 3 der Polizei die Gewahrsamsnahme zur Durchsetzung eines nach Art. 16 verhängten Platzverweises ermöglicht, kann in dem vorliegenden Fall nur Punkt 2 in Betracht kommen, in dem wiederum folgende drei Optionen aufgelistet sind [2]:

Art. 17 Gewahrsam
(1) Die Polizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn
2. das unerläßlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern; die Annahme, daß eine Person eine solche Tat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird, kann sich insbesondere darauf stützen, daß
a) sie die Begehung der Tat angekündigt oder dazu aufgefordert hat oder Transparente oder sonstige Gegenstände mit einer solchen Aufforderung mit sich führt; dies gilt auch für Flugblätter solchen Inhalts, soweit sie in einer Menge mitgeführt werden, die zur Verteilung geeignet ist, oder
b) bei ihr Waffen, Werkzeuge oder sonstige Gegenstände aufgefunden werden, die ersichtlich zur Tatbegehung bestimmt sind oder erfahrungsgemäß bei derartigen Taten verwendet werden, oder ihre Begleitperson solche Gegenstände mit sich führt und sie den Umständen nach hiervon Kenntnis haben mußte, oder
c) sie bereits in der Vergangenheit mehrfach aus vergleichbarem Anlaß bei der Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit als Störer betroffen worden ist und nach den Umständen eine Wiederholung dieser Verhaltensweise zu erwarten ist;
(...)

Die beiden Münchner haben in keiner Weise zur Begehung einer Straftat aufgerufen, sie haben keinerlei Gegenstände bei sich geführt, die die ihnen gemachte Unterstellung, womöglich eine Straftat begehen zu wollen, begründen könnten. Wie Rechtsanwältin Lang gegenüber Spiegel online betonte, wurde auch bei einer Hausdurchsuchung, die bei ihrem Mandanten gemacht wurde, nichts gefunden, was die Mutmaßungen der Polizei erhärten könnte. Von einer womöglich drohenden Wiederholungstat kann ebenfalls nicht die Rede sein, da nicht einer der beiden Inhaftierten in der Vergangenheit eine vergleichbare Straftat begangen hat oder ihrer auch nur verdächtigt wurde. Einer der beiden Festgenommen hat am Tag vor ihrer Verhaftung oder, wie es juristisch korrekt heißen müßte, Ingewahrsamsnahme, selbst die Polizei angerufen, weil ihm vor seinem Haus ein verdächtiges Auto aufgefallen war.

Das "verdächtige" Fahrzeug könnte im Zusammenhang mit den Observationen gestanden haben, die die Münchner Polizei gegen beide am Samstag Festgenommenen bereits mehrere Tage zuvor durchgeführt hatte. Diese waren von den beiden Männern allem Anschein nach nicht unbemerkt geblieben. Möglicherweise fühlten sie sich bedroht und verfolgt durch Menschen, die sich ihnen gegenüber selbstverständlich nicht als Polizeibeamte zu erkennen gegeben haben, mit der durchaus nachvollziehbaren Folge, daß sie versucht haben könnten, sich ihrer "Schatten" zu entledigen. Ihre Beschatter wiederum legten dann allem Anschein nach das durch ihre eigene Tätigkeit womöglich erst hervorgerufene Verhalten der beiden Münchner als Bestätigung ihrer Mutmaßungen aus. So bekräftigte Polizeipräsident Schmidbauer gegenüber dem Münchner Merkur [3], daß die beiden Festgenommenen

sich nach Einschätzung der Beschatter konspirativ verhalten und versucht hätten, diese abzuschütteln und auffliegen zu lassen. So hätten sie sich "praktisch routinemäßig" vergewissert, ob sie beobachtet würden, wenn sie ein Gebäude verließen. Oder hätten U-Bahnen im Bahnhof verlassen, seien ans Ende gespurtet und eingestiegen, um festzustellen, ob das ihnen jemand gleichtut.

Wie Spiegel online [4] berichtete, hat die Polizei schlußendlich den Eindruck gewonnen,

dass beide möglicherweise versuchten, sich "Freiraum für Aktivitäten" zu schaffen und beantragte die präventive Haft, die am Sonntag zwei Richter bestätigten.

Für Anwältin Lang ist dies ein Skandal. "Aus Angst werden hier sämtliche rechtstaatlichen Kriterien über Bord geworfen", erklärte sie demselben Magazin [4]. "Angst" allerdings dürfte das geringste Motiv der Münchner Behörden gewesen sein, hier - und zwar durchaus richtungsweisend für Deutschland - faktisch neue Maßstäbe zu setzen. Menschen zu inhaftieren, denen nicht der geringste strafrechtliche Vorwurf gemacht werden kann, stellt in der bundesdeutschen Nachkriegs- und Verfassungsgeschichte sehr wohl einen Dammbruch dar, auch wenn die gesetzlichen Handwerkszeuge dafür, wie es zunächst scheinen mag, zumindest in einigen Bundesländern bereits geschaffen wurden. Das Recht der Polizei, zur Abwehr einer konkreten und unmittelbar bevorstehenden Gefahr - von der hier nach Aussage des bayerischen Innenministers nicht ausgegangen werden kann und die auch der Polizeipräsident nicht geltend machen konnte - kurzfristig eine Person festzunehmen, auszudehnen auf Menschen, denen aufgrund der Zuordnung zu einem politisch unliebsamen und gesellschaftlich stigmatisierten Personenkreis, in diesem Fall dem sogenannter "islamistischer Extremisten", bedeutet, daß die Lehren aus der Vergangenheit in entgegengesetzer Bedeutung gezogen worden sind.

Wäre dem nicht so, müßte ein Aufschrei aller Demokraten durch die Republik erschallen, weil in Deutschland bereits wieder Menschen, die einer bestimmten Religionsgemeinschaft angehören und gewisse Merkmale aufweisen, einem Generalverdacht, um nicht zu sagen einer potentiellen Generalkriminalisierung ausgesetzt sind. Wenn jedoch, an Hand welches Präzendenzfalles auch immer, die Dämme einmal gebrochen und Schutzrechte, die jeden in Deutschland lebenden Menschen vor derartigen Übergriffen und willkürlichen Inhaftierungen zu bewahren versprechen, durchlöchert wurden, werden davon nicht nur jene angeblich finster dreinblickenden Männer mit langen Bärten betroffen sein.

Anmerkungen

[1] Münchner Polizei nimmt Islamisten fest, Präventivgewahrsam zum Schutz des Oktoberfests, NZZ Online, 28. September 2009, 14:02

[2] Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz - PAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. September 1990 (GVBl S. 397, BayRS 2012-1-1-I), Fundstelle: GVBl 1990, S. 397, Anbieter: juris/Staatsministerium, Stand: 24.12.2005, http://by.juris.de/by/PolAufgG_BY_1990_rahmen.htm, Download vom 30.09.2009

[3] Vorwürfe nach Festnahme mutmaßlicher Islamisten, von Kolja Kröger, 29.09.09, merkur-online.de, http://www.merkur-online.de/lokales/ nachrichten/vorwuerfe-nach-festnahme-mutmasslicher-islamisten- 479822.html

[4] Terrordrohungen gegen das Oktoberfest. Bayerische Polizei inhaftiert vorbeugend zwei Islamisten, von Matthias Gebauer und Yassin Musharbash, Spiegel online, 28.09.2009, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,651810,00.html

30. September 2009



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