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DILJA/208: Vertuschung 2.0 - Bundesgerichtshof befaßt sich mit dem Feuertod Oury Jallohs (SB)


Im Falle des in einer Polizeizelle lebendig verbrannten Flüchtlings Oury Jalloh bleibt der Mordvorwurf ausgeklammert

Der Bundesgerichtshof trägt durch minimale "Zweifel" am Freispruch der angeklagten Polizisten zur Beschwichtigung bei


In politisch korrektem und von den einschlägigen Medien ausnahmslos berücksichtigtem Sprachgebrauch wird der Tod des seinerzeit 23jährigen, aus Sierra Leone stammenden und in Sachsen-Anhalt lebenden Flüchtlings und Asylbewerbers Oury Jalloh weder als ein Mord- oder auch nur einmöglicher Mordfall bezeichnet. Der junge Mann war am 7. Januar 2005, in einen fensterlosen, leeren Raum eingeschlossen, bei lebendigem Leibe verbrannt, an Händen und Füßen festgeschnallt auf einer feuerfesten Matratze, dem einzigen, in der Zelle befindlichen Gegenstand. Da es sich bei dem Raum, in dem der Flüchtling zu Tode kam, um eine Polizeizelle handelte, hätten als mögliche Täter, würde man die Mordthese für überprüfenswert einstufen, die in dem Revier tätigen Polizeibeamten in Frage kommen können.

Doch bevor der Mordvorwurf, der in einem anderen Gesamtkontext eine angesichts der Todesumstände wohl naheliegende Schlußfolgerung gewesen wäre, in der Öffentlichkeit aufgeworfen werden konnte, machte die These von einer Selbsttötung des Opfers die Runde. Um zu erklären, wie ein an Händen und Füßen auf einer Liege fixierter Mensch, der noch dazu zuvor bei seiner Ingewahrsamnahme einer polizeilichen Leibesvisitation unterzogen worden war, wobei ein etwaiges Feuerzeug hätte gefunden werden müssen, dies bewerkstelligt haben können soll, wurde ein keineswegs glaubwürdiges Szenario entfaltet. Polizisten der Polizeiwache in Dessau stellten die Behauptung auf, Oury Jalloh habe in seiner Todesnacht angeblich existierende Löcher in der Matratze genutzt, um mit einem Feuerzeug ungeklärter Herkunft, das irgendwie in seine gefesselten Hände geraten sein mußte, den entflammbaren Inhalt der Matratze zu entzünden.

Da die Zelle mit einem Feuermelder ausgestattet gewesen war, hätte das Feuer, selbst wenn diese an Absurdität kaum zu überbietenden These zur Brandentstehung den tatsächlichen Ereignissen entsprochen hätte, keineswegs zum Tode des jungen Mannes führen müssen. Wären die diensthabenden Beamten herbeigeeilt, wie es ihre Pflicht gewesen wäre, hätte Jalloh aller Voraussicht nach gerettet werden können. Tatsache war jedoch, daß die Beamten, und zwar mehrfach, die Signale des Feuermelders unterdrückten, weil sie, wie es hieß, an einen Fehlalarm glaubten. In strafrechtlicher Hinsicht wurde einzig das verspätete Erscheinen der Beamten zum Gegenstand eines Verfahrens gemacht, in dem zwei Beamte, der Dienstgruppenleiter Andreas S. sowie der Streifenpolizist Hans-Ulrich M., wegen Fahrlässiger Tötung bzw. Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen angeklagt wurden. Diese Anklageerhebung seitens der zuständigen Staatsanwaltschaft nahm einen Freispruch in Sachen Mord bzw. eines absichtlich begangenen Tötungsdelikts sozusagen vorweg, doch auch in Hinsicht auf die weitaus geringfügigeren strafrechtlichen Vorwürfe, die den Polizeibeamten schließlich gemacht wurden, erkannte das Landgericht Dessau-Roßlau im Dezember vergangenen Jahres auf Freispruch.

Nur in einem Fall, nämlich dem des Dienstgruppenleiters S., in dessen Verantwortungsbereich drei Jahre vor dem Tod Oury Jallohs bereits ein Inhaftierter in einer Polizeizelle ums Leben gekommen war, wurde seitens der Staatsanwaltschaft wie auch der die Angehörigen des Opfers vertretenen Nebenkläger Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm vorgeworfen, nicht sofort nach Ertönen des Signals Rettungsmaßnahmen eingeleitet und dadurch mögliche Verletzungen, also nicht unbedingt den Tod Jallohs, in Kauf genommen zu haben. In der heutigen Verhandlung vor dem BGH in Karlsruhe wollte die Bundesanwaltschaft von einer möglichen Verurteilung des Polizisten nichts mehr wissen. Sie insistierte darauf, daß der BGH den ergangenen Freispruch auch für S. bestätigen möge, während die Nebenkläger dessen Aufhebung beantragten.

Eine Entscheidung fällte der BGH am heutigen Donnerstag nicht. Er verlegte dies - ausgerechnet - auf den fünften Todestag Oury Jallohs, was, wie die Vorsitzende Richterin Ingeborg Tepperwien sich beeilte zu erklären, nachdem aus den Reihen der Zuschauer im Gerichtssaal Proteste laut geworden waren, keinerlei Symbolwert habe und sich aus der Terminlage des Senats ergeben habe. Am 7. Januar 2010 wird der BGH demnach sein Urteil in dieser Sache verkünden. Da mehrere Richter des mit diesem Fall befaßten 4. Strafsenats auf Lücken in den Fragestellungen des Landgerichts Dessau-Roßlau hinwiesen, wird in der Presse gemutmaßt, daß es zu einer Aufhebung des Urteils und einer Neuverhandlung kommen könnte.

Das Dessauer Landgericht hatte in seinem Urteil vom Dezember 2008 entscheiden zu können vorgegeben, daß den Polizeibeamten kein Vorsatz für eine Körperverletzung zur Last gelegt werden könnte; auch sei nicht nachweisbar, daß ein sofortiges Eingreifen das Leben des jungen Mannes tatsächlich gerettet hätte. Die Bundesanwaltschaft vermochte in dieser "Beweiswürdigung" keine "Rechtsfehler" zu entdecken, weshalb ihre Prozeßvertreterin in Karlsruhe den Antrag stellte, die Revisionen abzulehnen. In dem Prozeß vor dem Dessauer Landgericht hatte der Vorsitzende Richter, Manfred Steinhoff, für einiges Aufsehen gesorgt, nachdem er sich gegenüber der Öffentlichkeit zunächst in ungewöhnlicher Weise zu dem Verhalten der Polizeibeamten geäußert hatte, denen er vorwarf, in erschreckendem Maße falsch ausgesagt zu haben ("Das, was hier geboten wurde, war kein Rechtsstaat mehr"). Dessen ungeachtet hatte das Verfahren, für die Angehörigen und Freunde des Opfers sowie die kritische Öffentlichkeit umso unverständlicher, mit einem Freispruch für beide Angeklagten geendet.

Käme es nun zu einer Urteilsaufhebung durch den BGH in dem in dem Revisionsverfahren behandelten Teilaspekt, wäre damit nach wie vor keine unvoreingenommene Aufklärungs- und Strafverfolgungarbeit, die vor der Mordthese nicht Halt machen dürfte, so sie angesichts dieser Todesumstände glaubwürdig sein wollte, verbunden. Käme es zu einem geringfügigen Abrücken von der bisherigen Freispruch-Linie durch den Bundesgerichtshof, wäre dies allenfalls ein dem Ansinnen, das reibungslose Ineinandergreifen und -arbeiten des Polizei- und Justizapparates in einem solchen Skandal zu gewährleisten und die darauf abzielenden Fragen abzuwehren, geschuldetes Manöver.

Anmerkung:

[1] Siehe dazu: Schattenblick -> INFOPOOL -> RECHT -> MEINUNGEN, 10.12.2008:
DILJA/182: Der Apparat funktioniert - Oury Jallohs Tod bleibt ungeklärt (SB)

17. Dezember 2009



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