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DILJA/210: Mordvorwurf bleibt tabu - BGH hebt Polizistenfreispruch im Fall Jalloh auf (SB)


Kein Grund zur Hoffnung

Der Bundesgerichtshof hebt im Fall Oury Jalloh den Freispruch des hauptangeklagten Polizisten auf


Auf den Tag genau heute vor fünf Jahren starb ein an Händen und Füßen gefesselter und auf einer Pritsche fixierter Mensch einen grauenvollen Feuertod [1]. Oury Jalloh, ein damals 23jähriger Flüchtling aus Sierra Leone, kam am 7. Januar 2005 in einer Gewahrsamszelle der Dessauer Polizei ums Leben unter Umständen, die die Strafverfolgungsbehörden alsbald in den Verdacht brachten, durch eine sofortige Festlegung auf die noch dazu unwahrscheinlichste Todesursache, nämlich die einer Selbsttötung, ein möglicherweise vorliegendes Tötungsdelikt zu verheimlichen. Unter Annahme einer Brandverursachungsthese, die durch sachverständige Gutachter keineswegs bestätigt werden konnte, nämlich der, daß der Verstorbene die noch dazu feuerfeste Matratze ungeachtet seiner Fesselung mit einem Feuerzeug entzündet und damit seinen Tod selbst verursacht habe, wurden die Ermittlungen sofort in eine Richtung gelenkt, die die Dessauer Polizei von Mordvorwürfen, die einzig von den Angehörigen des Opfers sowie einer kritischen Öffentlichkeit erhoben wurden, freihielt.

Ohne die bis heute nicht abgebrochenen Proteste wäre es vermutlich nicht einmal zu einer Prozeßeröffnung gegen den hauptverantwortlichen Polizisten, den Dienstgruppenleiter S., sowie einen weiteren Polizeibeamten gekommen. In dem am 27. März 2007 vor dem Landgericht Dessau-Roßlau eröffneten Verfahren wurde S. wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt, weil er den Rauchmelder in der Zelle Jallohs ignoriert habe, während dem mitangeklagten Polizisten eine fahrlässige Tötung zum Vorwurf gemacht wurde, weil er - angeblich - bei einer polizeilichen Durchsuchung ein Feuerzeug in der Hose des späteren Opfers übersehen habe. 21 Monate und 59 Verhandlungstage später, am 8. Dezember 2008, sprach das Dessauer Landgericht beide Angeklagten frei und sorgte damit für einen Sturm der Entrüstung und Tumulte im Gerichtssaal.

Mit dieser Entscheidung hatten sich alle Hoffnungen der Angehörigen, Freunde und Unterstützer Oury Jallohs, daß es auf gerichtlichem Wege zu einer Aufklärung eines Todesfalls, den sie für Mord hielten und noch immer halten, kommen könnte, erst einmal zerschlagen. Für Prozeßbeobachter stand ohne jeden Zweifel fest, daß die Dessauer Polizei in diesem Verfahren einen Korpsgeist an den Tag gelegt hatte, der jede juristische Aufbereitung zu verhindern imstande war ganz einfach deshalb, weil die polizeilichen Zeugen - niemand sonst hätte etwas zur Aufklärung eines Todesfalls im Polizeigewahrsam beitragen können - eisern schwiegen bzw. bereits gemachte, ihre Kollegen belastende Aussagen zurückzogen und sich im übrigen weigerten, sich an brisante und für die Angeklagten in strafrechtlicher Hinsicht relevante Details zu erinnern.

Der Deutung, es hier mit einem ausgemachten Polizeiskandal zu tun zu haben, hatte sich im Verlauf des ungewöhnlich langen Strafverfahrens sogar der Vorsitzende Richter des verhandelnden Landgerichts, Manfred Steinhoff, angeschlossen, obwohl er, wäre es um die Unabhängigkeit der Justiz so bestellt, wie es die grundgesetzlich verankerte Gewaltenteilung vermuten lassen müßte, eigentlich "Herr des Verfahrens" hätte sein müssen. Steinhoff jedoch kapitulierte ganz offen vor der eisernen Mauer des Schweigens, die ihm von seiten der Polizisten entgegengebracht worden war. In der mündlichen Urteilsverkündung am 8. Dezember 2008 hatte er erklärt, daß dieser Prozeß "schlicht und ergreifend gescheitert" sei. Der Freispruch erfolgte, wie es hieß, aus formalen Gründen.

Noch bevor die Frage, ob dem Vorsitzenden Richter nicht juristische Möglichkeiten offengestanden hätten, die aussageunwilligen oder offen lügenden Polizeizeugen zur Aussage zu zwingen, gestellt werden konnte, leistete dieser in seiner mündlichen Urteilsbegründung offene Kritik am Verhalten der Polizisten: "Es ist schon erschreckend, in welchem Maße hier schlicht und ergreifend falsch ausgesagt wurde." Gegen einige Polizeizeugen waren wegen ihres Aussageverhaltens Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, allerdings ohne daß es zu einer Anklageerhebung gekommen wäre. Richter Steinhoff gesellte sich allem Anschein nach zu den Prozeßkritikern und nahm die Position eines von seinem Ergebnis, den von ihm ergangenen Freispruch, Betroffenen ein, indem er erklärte: "Wir hatten nicht die Chance auf ein rechtsstaatliches Verfahren, auf die Aufklärung des Sachverhalts." Im Dezember 2008 mögen diese Sätze dazu beigetragen haben, den Unmut der kritischen Öffentlichkeit abzuschwächen, doch schon in der schriftlichen Urteilsbegründung vergaß der kritische Richter seine zuvor scheinbar so klar formulierten Sätze über den Prozeßverlauf.

Da die schriftliche Urteilsbegründung für die übrigen Prozeßbeteiligten, sprich Staatanwaltschaft und Nebenklage, die juristische Grundlage für den weiteren Instanzenweg, nämlich die beim Bundesgerichtshof eingelegte Revision, bot, waren die möglichen Optionen durch dieses Versäumnis schon erheblich reduziert worden. Tatsächlich legten Staatsanwaltschaft und Nebenkläger, die die Interessen der Angehörigen vertraten, beim BGH Revision gegen den Freispruch des hauptangeklagten Dienststellenleiters ein, weil, wie es bei den Anklägern noch immer hieß, dieser zu spät auf die Signale des Feuermelders reagiert habe.

Angesichts dessen, daß eine Polizeizeugin, die mit S. zusammen in der fraglichen Zeit Dienst gehabt hatte, zu einem frühen Zeitpunkt des Verfahrens einmal ausgesagt hatte, daß sie bereits eine halbe Stunde vor dem Todeszeitpunkt Jallohs Geräusche aus der Sprechanlage vernommen und Bewegungen von Menschen vor seiner Zelle auf der Überwachungskamera gesehen habe, steht das Verhalten der Ankläger, der Dessauer Staatsanwaltschaft wie auch der Bundesanwaltschaft, in dem Verdacht, die eigentlich naheliegende und keineswegs durch Ermittlungsergebnisse ausgeräumte Möglichkeit eines Tötungsdelikts in Mißachtung ihrer beruflichen Aufgaben, unter Einbeziehung aller denkbaren Optionen ergebnisoffen zu ermitteln, in gezielter Absicht vernachlässigt zu haben. Die Zeugin allerdings hatte ihre belastenden Aussagen später vollständig widerrufen, was angesichts der gesamten Umstände dieses Falles zu Ermittlungen wegen Falschaussage oder auch Erpressung hätte führen können wegen des Verdachts, daß hier auf eine aussagebereite Polizistin seitens betroffener Kollegen massiver Druck ausgeübt worden sein könnte.

Fragen und Argumente dieser Art ließen sich noch weiter ausführen, bieten die Einzelheiten doch Ansatzflächen genug, um an diesem Beispiel die Nagelprobe auf das Funktionieren des Rechtsstaates zu machen und die Justiz einem Echttest zu unterziehen in einem Fall, in dem es in besonders krasser Weise um Übergriffe geht, die möglicherweise von Trägern des staatlichen Gewaltmonopols gegen in ihrer Gewalt befindliche Menschen ausgeübt worden sein könnten. Überlegungen dieser Art mögen den Bundesgerichtshof am heutigen Tag dazu bewogen haben, der Revision stattzugeben und den Freispruch des Landgerichts Dessau im Fall des hauptangeklagten Dienstgruppenleiters aufzuheben. Die Beweiswürdigung, so argumentierte der BGH, weise erhebliche Lücken auf. Der Fall wird nun vor dem Landgericht Magdeburg neu verhandelt, ohne daß der Bundesgerichtshof an dem Ermittlungs- und Anklageverhalten Anstoß genommen hätte.

In der Neuverhandlung sei, so behauptete die Vorsitzende Richterin des 4. Strafsenats des BGH, Ingeborg Tepperwien, alles offen. Dies darf getrost bezweifelt werden, da der Polizeiskandal um den Feuertod Oury Jallohs von Beginn an auch ein Justizskandal war und mit einer Zäsur am Ende des Instanzenwegs keineswegs zu rechnen ist. Das Landgericht Magdeburg steht nun vor der unangenehmen Aufgabe, das Ineinanderwirken der staatlichen Gewalten um weitere Jahre zu verlängern, ohne an den Grundlagen zu rütteln oder der Frage, wie Oury Jalloh im Polizeigewahrsam ums Leben kommen konnte, ohne Berücksichtigung der Tatsache, daß als mögliche Täter eines Tötungsdelikts nur Polizeibeamte in Frage kommen könnten, ergebnisoffen nachzugehen.

[1] Siehe auch im Schattenblick -> INFOPOOL -> RECHT -> MEINUNGEN:
DILJA/208: Vertuschung 2.0 - Bundesgerichtshof befaßt sich mit dem Feuertod Oury Jallohs (SB)

7. Januar 2010



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