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DILJA/211: Gerichtsverfahren in Argentinien wegen der Ermordung Elisabeth Käsemanns (SB)


Strafverfahren in Argentinien gegen führende Junta-Angehörige wegen der Verbrechen der Militärjunta (1976-1983)

Im Fall der ermordeten Deutschen Elisabeth Käsemann lenkt die heutige deutsche Bundesregierung von der damaligen Unterstützung Deutschlands für die Videla-Junta ab


Am 24. März 1976 putschte in Argentinien das Militär. Unter Führung des Oberbefehlshabers des Heeres, General Jorge Videla, riß das Militär die Macht an sich und ging mit brutalster Gewalt gegen die politische Opposition vor. Nach offiziellen Angaben wurden in den darauffolgenden Jahren der Diktatur 10.000 Menschen umgebracht. Die tatsächliche Zahl der Todesopfer dürfte weitaus höher liegen; sie wird von Menschenrechtsorganisationen auf 30.000 geschätzt. Unter ihnen waren auch rund einhundert Deutsche oder Kinder deutscher Eltern. Doch im Gegensatz zu Diktaturopfern, die Staatsangehörige anderer westlicher Staaten waren, wurde nicht ein einziger Deutscher oder Deutschstämmiger gerettet. Da die meisten Opfer nicht sofort getötet, sondern nach ihrer Entführung zunächst Verhören und Folterungen ausgesetzt worden waren, hätte bei Interventionen des damaligen Auswärtigen Amtes sehr wohl die Möglichkeit bestanden, das Leben deutscher Staatsangehöriger zu retten.

Zu den deutschen Opfern der argentinischen Diktatur, deren Namen frühzeitig bekannt waren und deren Schicksale recht genau aufgeklärt werden konnten, gehört die damalige Studentin Elisabeth Käsemann, die seit 1969 in Buenos Aires Wirtschaftswissenschaften studiert und nach dem Militärputsch damit begonnen hatte, politisch Verfolgten zur Flucht zu verhelfen. Dies machte sie in den Augen der Junta ebenfalls zu einer subversiven Regimegegnerin. Sie "verschwand" am 9. März 1977 und wurde noch im April, wie Überlebende später bezeugten, halb verhungert und gefoltert, in dem Folterzentrum "El Vesubio" lebend gesehen. Am 24. Mai 1977 jedoch wurde sie, zusammen mit fünfzehn weiteren Gefangenen, mit verbundenen Augen abtransportiert. Einen Tag später, so behauptete der damalige Heeresgeneral Carlos Suares Mason, seien bei einem Gefecht sechzehn "Subversive" getötet worden. Daß sich unter ihnen auch Elisabeth Käsemann befunden hatte, wurde der deutschen Botschaft erst Anfang Juni mitgeteilt.

Putschgeneral Videla, der von 1976 bis 1981 auch das Amt des Staatspräsidenten an sich genommen hatte, hatte schon ein Jahr vor dem Putsch keinen Hehl aus seinen Absichten gemacht. Auf einer Pressekonferenz der US-Streitkräfte hatte der General offen angekündigt, daß in Argentinien "so viele Menschen sterben [werden], wie es für die Herstellung der Ordnung erforderlich ist". Als diese Ankündigung dann in die Tat umgesetzt wurde, blieben Proteste, Sanktionen oder gar Interventionen der westlichen Staaten aus. Ihre faktische Unterstützung für die Putschisten war nicht nur kein Geheimnis, sondern ließ sich aus ihrer Haltung mit Leichtigkeit ablesen, zumal Argentinien beileibe nicht das erste Land Lateinamerikas war, in dem die von den USA ausgebildeten Militärs mit nackter Gewalt dafür Sorge trugen, daß dieser Kontinent der "Hinterhof" Washingtons blieb.

Der größte Waffenlieferant für die argentinische Junta wurde jedoch die Bundesrepublik Deutschland. An der Erklärung General Videlas, "ein Terrorist ist nicht nur jemand mit Gewehr oder Bombe, sondern auch jemand, der Gedanken verbreitet, die im Gegensatz zur westlichen und christlichen Zivilisation stehen", störte sich im damaligen Bonn niemand. In stiller Diplomatie wurden Handelsverträge mit argentinischen Partnern geschlossen unter für ausländische und damit auch deutsche Investoren lukrativen Bedingungen, waren doch unter der Diktatur Arbeiterrechte und Mindestlöhne abgeschafft sowie einer Privatisierung freien Lauf gelassen worden. Militärisches Gerät aller Art, darunter auch Panzer, Fregatten und U-Boote, wurden von Deutschland an die Junta geliefert. Die damalige SPD-FDP-Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt kanzelte Fragen nach verschwundenen Deutschen kaltschnäuzig ab bzw. beschied sie mit "Informationen", die "gut informierte Militärs" dem Auswärtigen Amt gegeben hätten.

Anläßlich einer Arte-Fernsehdokumentation ("Die Leichen im Keller des Auswärtigen Amtes") erschien in der Süddeutschen Zeitung im Jahre 2003 ein Artikel, in dem das "Versagen" der damaligen deutschen Regierung thematisiert wurde [1]:

War es professionelles Versagen? Oder fehlte der politische Wille? Unter denen, die in die Gewalt der argentinischen Junta gerieten, waren viele, die sich für unterdrückte Minderheiten einsetzten und die in jenen Jahren wohl auch in Deutschland schnell unter Terroristenverdacht geraten wären. Elisabeth Käsemann zum Beispiel, die Tochter des Theologen Ernst Käsemann, die einer Studentengruppe angehörte, die Ausreisepapiere für politisch Verfolgte organisierte.

Oder Klaus Zieschank, Student aus München, der nach bestandenem Vordiplom ein Praktikum in einer Maschinenfabrik absolvierte.

Am Beispiel dieser beiden jungen Leute erzählt Frieder Wagner die Geschichte des vollständigen Versagens der deutschen Diplomatie. Es ist eine Geschichte, die einem die Schamesröte ins Gesicht treibt. Wie der frühere deutsche Botschafter in Buenos Aires, Jörg Kastl, mit schrägem Grinsen daher schwadroniert: "Wer in einem solchen - äh - Spannungsfeld in die Schuss - äh - linie gerät, der ist in Gefahr." Das AA hatte präzise Hinweise, wo Zieschank und Käsemann gefangen gehalten wurden, aber es unternahm - nichts. Staatsminister Mörsch (FDP) erklärte, man könne sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates einmischen.

Doch noch heute liegen, um im Bilde zu bleiben, die Leichen deutscher Diktaturopfer in den Kellern bundesdeutscher Regierungssstellen. Diese haben sich geradezu rührend darum bemüht, die argentinischen Folterer, wenn auch mit etlichen Jahrzehnten Verspätung, vor Gericht zu bringen und keine Mühen gescheut, um Auslieferungsanträge zu stellen. Das dunkle Kapitel der tatkräftigen militärischen Unterstützung für die argentinische Junta durch Deutschland hingegen bleibt Verschlußsache und wurde weder Gegenstand juristischer Ermittlungs- oder Strafverfahren noch parlamentarischer Untersuchungen.

Wegen der Ermordung Elisabeth Käsemanns sollen nun in einem Strafverfahren, in dem wegen insgesamt 157 Fällen von Menschenrechtsverletzungen acht ehemalige Militärs in Buenos Aires vor Gericht gestellt werden, die mutmaßlichen Mörder zur Verantwortung gezogen werden. Die Verhandlungen dieses auf mehrere Monate anberaumten Verfahrens sollen am 26. Februar beginnen. Die Bundesrepublik Deutschland tritt wegen der mitverhandelten Ermordung Elisabeth Käsemanns in diesem Prozeß als Nebenklägerin auf. Deutlicher hätte der tatsächliche Stellenwert eines solchen juristischen Verfahrens, in dem Mitbeteiligte zur Mitanklägern mutieren können, kaum gemacht werden können.

[1] Die Leichen im Keller, von Hans Holzhaider, Süddeutsche Zeitung, 4. Juni 2003

24. Februar 2010



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