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DILJA/220: Alexandra R. abermals freigesprochen - offensichtlich eine Verwechslung (SB)


Berliner Landgericht bestätigt den Freispruch für Alexandra R. vom Vorwurf der versuchten Kfz-Brandstiftung

"Offensichtliche Verwechslung" durch politisch motivierten Aburteilungswillen erklärbar


Am 29. Juni 2010 fällte das Landgericht Berlin mit dem Freispruch gegen die 22jährige Angeklagte Alexandra R. ein Urteil, das seitens der Staatsanwaltschaft und mit ihr womöglich auch der Berliner Justizbehörde als "politischer" Mißerfolg gewertet wird. Gegen die junge Berlinerin war der Vorwurf erhoben worden, am 18. Mai vergangenen Jahres den Versuch einer Brandstiftung an einem in der Liebigstraße in Berlin-Friedrichshain geparkten Geländewagen begangen zu haben. Ein Schaden war an dem Fahrzeug nicht entstanden, da eine vorbeifahrende Polizeistreife die auf dessen Reifen liegenden Grillanzünder rechtzeitig genug bemerkt hatte, um einen Ausbruch des Feuers verhindern zu können. Einer der beteiligten Polizeibeamten, der spätere Hauptbelastungszeuge S., hatte in dem ersten, vor dem Amtsgericht Tiergarten gegen Alexandra R. durchgeführten Strafverfahren angegeben, in der Nähe des Tatorts eine Person gesehen zu haben, die er für eine männliche gehalten hatte.

Dies ging in dem jetzigen Verfahren vor dem Berliner Landgericht, in dem unter nach wie vor mangelhafter, genaugenommen gar nicht vorhandener Beweislage derselbe Tatvorwurf noch einmal verhandelt wurde, nachdem die Staatsanwaltschaft in die Berufung gegangen war, aus der Zeugenaussage des damaligen Richters hervor. Alexandra R., an deren Händen und Kleidungsstücken nicht die geringsten Spuren oder Grillanzünder-Rückstände gefunden werden konnten, die einen Tatvorwurf gegen sie zumindest plausibel hätten machen können, war im November 2009 vom Amtsgericht Tiergarten freigesprochen worden. Sie war in der Tatnacht in einem nahegelegenen, noch offenen Geschäft ("Spätkauf") gewesen, wo sie, ohne daß dem dortigen Verkäufer zuvor an ihrem Verhalten irgend etwas Ungewöhnliches aufgefallen war, von der Polizei festgenommen worden war.

Da kein konkreter Tatverdacht gegen sie bestanden hatte, war sie am darauffolgenden Tag wieder freigelassen worden, nur um zwei weitere Tage später abermals verhaftet zu werden. In der Zwischenzeit hatte sich zwar nicht die Beweis- oder Indizienlage verändert, wohl aber das "politische" Klima in Berlin, nachdem mehrere Medien den an sich eher unspektakulären Fall einer versuchten Brandstiftung an einem Kraftfahrzeug aufgegriffen und gegen Alexandra R. mit Schlagzeilen, in denen sie als "Haßbrennerin" bezeichnet worden war, eine Stimmung erzeugt hatten, die die Ermittlungsbehörden, möglicherweise auf Anweisung, zu einem verschärften Vorgehen gegen die junge Berlinerin veranlaßten. Erst fünf Monate später, als sich in dem erstinstanzlichen Strafverfahren vor dem Amtsgericht längst abzeichnete, auf wie dünnen (Beweis-) Füßen die gegen sie erhobene Anklage tatsächlich steht, wurde Alexandra R. aus der Untersuchungshaft wieder entlassen.

Richter L., der das Verfahren gegen sie vor dem Amtsgericht geleitet hatte, sagte in dem jetzigen Prozeß vor dem Landgericht als Zeuge aus und schilderte dabei das Aussageverhalten des Polizeikommissars S., der sich nicht nur im Geschlecht der tatverdächtigen Person geirrt hatte, sondern insgesamt keine bzw. nur widersprüchliche Angaben zu möglichen Wiedererkennungsmerkmalen hatte machen können. Da dieser Zeuge auch in dem zweiten Verfahren nicht plausibel machen konnte, daß Alexandra R. die Person gewesen sein soll, die er in der Nähe des Tatorts ausgemacht und für den Bruchteil einer Sekunde auch im Gesicht gesehen haben will, war der abermalige Freispruch für die Angeklagte quasi vorprogrammiert. In der mündlichen Urteilsbegründung nahm der Vorsitzende Richter J. zu diesem Zeugen Stellung und erklärte, daß er ganz erhebliche Zweifel an dessen Aussage habe.

"Für das Gericht steht zweifelsfrei fest, daß die Angeklagte Opfer einer Verwechslung geworden ist", lautete das Fazit des Richters, dem seine Verärgerung darüber, nach dem erstinstanzlichen Freispruch abermals mit einer so dünnen Anklage befaßt zu sein, ohne daß neue Indizien oder Beweise vorgelegen hätten, sehr wohl anzumerken war. Die rechtliche Bewertung, daß zweifelsfrei eine Verwechslung vorgelegen habe, begründete dieser Richter auch mit der Tatsache, daß nach der Festnahme der Angeklagten eine Hundertschaft Polizeibeamter den von ihr mutmaßlich zurückgelegten Weg vom Geländewagen zum Getränkeshop abgesucht hatte, um Handschuhe zu finden, die sie auf dieser Strecke weggeworfen haben müßte, hätte sie mit ihnen zuvor die versuchte Brandstiftung begangen. Ohne die hypothetische Annahme, Alexandra R. habe Handschuhe getragen, wäre das Anklagekonstrukt sofort in sich zusammengebrochen, da an ihren Händen, obwohl die Polizeibeamten diese unmittelbar nach der Festnahme in Papiertüten gesteckt hatten, um eine spätere Untersuchung zu gewährleisten, keinerlei Anhaftungen eines Kohleanzünders gefunden worden waren.

Das Gericht schloß sich in allen wesentlichen Punkten der Argumentation der Verteidigung an. Diese geht allerdings in der Annahme, daß einzig ein politisch zu begründender Verurteilungswillen zu der gegen ihre Mandantin gerichteten Strafverfolgung geführt hat, davon aus, daß die Staatsanwaltschaft auch diesen Freispruch nicht akzeptieren und Revision beim Kammergericht einlegen wird, wo die Beweislage selbstverständlich auch nicht besser werden wird. Für diesen Schritt bleibt der Staatsanwaltschaft eine Woche Zeit. Sollte sie sich dazu entschließen oder dementsprechende Anweisungen erhalten, wird sie nach Einschätzung einer der Anwältinnen R.s, Martina Arndt, allerdings auch dort nicht erfolgreich sein.

Mit einer Strafverfolgung im engeren Sinn, bezogen auf konkret nachweisbare Tatvorwürfe, hat dieser Fall ohnehin schon lange nichts mehr zu tun. In ihm offenbart sich mit jedem weiteren Schritt, mit dem auf eine Aburteilung einer Linksaktivistin gedrängt wird, nur umso deutlicher der politische Charakter der bundesdeutschen Strafjustiz als einem repressiven Instrument zur Aufrechterhaltung der herrschenden Gesellschaftsordnung, die sich durch "links" sehr schnell herausgefordert fühlt, auch wenn, bei Lichte betrachtet, nicht der geringste Anhaltspunkt für eine Straftat, wohl aber seitens der Strafverfolgungsbehörden eine als abweichend bewertete politische Auffassung auszumachen ist.

1. Juli 2010