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DILJA/242: Tödliche Begegnung - vor der eigenen Haustür von der Polizei erschossen (SB)


Behördlicher Versuch, eine Unterbringungsverfügung durchzusetzen, endet mit dem Tod des Betroffenen


Vorfälle, bei denen Bürger, die sich nichts zuschulden kommen ließen und gegen die seitens der zuständigen Behörden keinerlei strafrechtlicher Vorwurf erhoben wurde, eine Begegnung mit der Polizei nicht überleben, scheinen sich in der Bundesrepublik Deutschland zu häufen. So hatte vor einem Vierteljahr der Fall einer 53jährigen Berlinerin, die mit Polizeigewalt vom zuständigen Sozialpsychiatrischen Dienst beim Amtsgericht vorgeführt werden sollte, um sie in die geschlossene Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses einweisen zu lassen, bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Andrea H. war am 24. August 2011, nachdem vier Polizeibeamte die Wohnungstür eingerammt hatten und in die Wohnung der schmächtigen kleinen Frau eingedrungen waren, von dem für die Sicherung verantwortlichen Beamten erschossen worden, weil sie die anrückenden Polizisten mit einem Messer bedroht haben soll [1].

Vor wenigen Tagen, am 1. Dezember 2011, ereignete sich in einem viergeschössigen Wohnhaus in Baumberg, einem Stadtteil von Monheim am Rhein zwischen Düsseldorf und Köln, eine ähnliche Katastrophe, die mit dem Tode eines Menschen endete, der von der Polizei erschossen wurde. Abermals war der Tragödie die Durchsetzung einer administrativen bzw. richterlichen Verfügung vorausgegangen bzw. der mit Polizeiverstärkung durchgeführte Versuch der zuständigen Behörden, einen Gerichtsbeschluß, der angeblich dem Wohle des Betroffenen dienen soll und doch, ebenso wie in Berlin, offensichtlich ganz und gar gegen dessen Willen erfolgte, zu vollstrecken. In diesem Fall war es um einen 59jährigen Hausbewohner gegangen, der in eine Betreuungseinrichtung eingewiesen werden sollte. Nach ersten Erkenntnissen soll der Mann, wie der Presse zu entnehmen war, die eingesetzten Beamten an der Haustür mit einem Messer angegriffen haben und sei bei dieser Attacke von der Polizei erschossen worden [2].

Der 59jährige verstarb an Ort und Stelle und binnen kurzer Zeit aufgrund seiner schweren Verletzungen. Die Kreispolizeibehörde Mettmann wie auch die zuständige Staatsanwältin Britta Schreiber hatten zunächst keine weiteren Einzelheiten bekanntgegeben. In einer kurzen Erklärung hatte es lediglich geheißen, daß der Angriff des Getöteten "mit der Schusswaffe abgewehrt" [2] und daß die Polizei zu Hilfe gerufen worden sei von Mitarbeitern der Monheimer Stadtverwaltung, die einen nach dem Betreuungsrecht ergangenen Beschluß des Amtsgerichts durchsetzen wollten. Die offizielle Darstellung habe zunächst gehießen, daß um 11.30 Uhr der Schlüsseldienst angefordert worden sei, nachdem der Bewohner trotz mehrfachen Klingelns seine Wohnungstür nicht geöffnet habe.

Später stellte sich heraus, daß die Polizei fälschlicherweise angegeben hatte, ein Mitarbeiter des Monheimer Stadtverwaltung sei mit einem solchen Gerichtsbeschluß in Polizeibegleitung zu der Wohnung gegangen. "Wir waren das nicht. Wir haben auch keinen Gerichtsbeschluss erwirkt. Das war eine Sache des Kreises Mettmann", lautete die Erklärung eines Sprechers des Monheimer Rathauses [3]. Zwei Tage später erläuterte ein Mitarbeiter der Betreuungsstelle des Kreises Mettmann, warum ein Verwaltungsbeamter den erschossenen 59jährigen zu Hause abholen und in die LVR-Klinik bringen wollte, mit den Worten: "Der Mann war nicht mehr in der Lage für sich selber zu sorgen" [4]. Ein Behördenmitarbeiter habe sich seit Jahren um den Monheimer Bürger gekümmert und sei als Betreuer eingesetzt gewesen.

Niemand, auch die Mitarbeiter der Betreuungsstelle des Kreises Mettmann nicht, hatte in dem Betroffenen eine Gefahr gesehen, auch nicht für die Allgemeinheit. "Sonst wäre mein Mitarbeiter am Donnerstag auch nicht allein dorthin gegangen, um ihn abzuholen", stellte Joachim Weber von der Betreuungsstelle die Haltung seiner Behörde gegenüber der Presse klar [4]. Dieser Beamte habe dann, nachdem ihm die Tür nicht geöffnet wurde, nicht nur den Schlüsseldienst, sondern auch die Polizei hinzugezogen, weil nicht klar gewesen sei, ob der Betreffende "freiwillig mitgehen oder sich womöglich zur Wehr setzen würde" [4].

Mit gezogenem Messer soll der Hausbewohner auf die in seine Wohnung eindringende Polizei losgegangen sein. "Eine Polizistin schrie, schrie immer lauter" soll später eine Nachbarin berichtet haben, die erklärte: "Da ist es irgendwie eskaliert." [2] Drei Schüsse habe sie gehört. Der Mann sei stark blutend zusammengebrochen. Alle Versuche, sein Leben zu retten, blieben erfolglos. Innerhalb weniger Minuten rasten zehn Polizeiwagen, mehrere Rettungswagen, der Notarzt sowie ein Rettungshubschrauber in das Viertel. Doch der Mann verstarb. Die Straßen rund um das Wohnhaus wurden abgeriegelt, die übrigen Bewohner durften nur in Polizeibegleitung in ihre Häuser. Die Nachbarn konnten ihre Wohnungen mehrere Stunden lang nicht verlassen.

"Wir durften nicht raus, nicht rein. Ich hatte Angst. Ich wusste ja zuerst nicht, was passiert war", so eine Nachbarin, die den getöteten Mann gegenüber der Presse als einen allein lebenden und sehr ruhigen Mann beschrieben hatte, der in all den 20 Jahren, in denen er dort gewohnt habe, nie aufgefallen sei. Zu seiner Mutter, so wußte die Nachbarin zu berichten, habe er regelmäßigen Kontakt gehabt: "Die sah immer nach dem Rechten. Die sorgte sich um ihn und und brachte auch das Essen. Die hatten ein wirklich gutes Verhältnis." [2] Auch am Tage seines Todes hatte der 59jährige noch Besuch von seiner Mutter gehabt. Sie habe, bevor sie die Wohnung ihres Sohnes betreten habe, zu der Nachbarin noch gesagt, daß sie froh sei, daß es ihm nun wieder besser gehe.

Zum Stand der Ermittlungen, so hatte es bei der Staatsanwaltschaft zunächst geheißen, wolle sie sich erst am Freitag äußern. Die zuständige Düsseldorfer Staatsanwältin Schreiber erklärte am Freitag, daß "wichtige Vernehmungen bis zum Abend andauern werden" [3] und daß sie in dieser "heiklen Angelegenheit" wesentliche Angaben überprüfen wolle, bevor sie damit an die Öffentlichkeit trete, was möglicherweise erst am Sonntag oder Montag der Fall sein könne. Derzeit wird nicht bekanntgegeben, wieviele Mitarbeiter der Kreisverwaltung und wieviele Polizisten die Wohnung betreten haben. Die eingesetzten Polizeibeamten sollen erst am Freitag vernehmungsfähig gewesen sein. An diesem Tag erklärte die verantwortliche Staatsanwältin auf Pressenachfrage aber auch, daß es nach dem "jetzigem Stand der Dinge keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten der Polizisten" [4] gäbe.

Auf Nachfrage von rp-online wollten weder die ermittelnde Staatsanwältin noch Polizeisprecher Ulrich Löhe Angaben dazu machen, wieviele Schüsse überhaupt abgefeuert worden seien. Ebenso blieben Pressenachfragen danach, ob von den Polizistinnen und Polizisten an der Wohnungstür nur einer oder mehrere geschossen hätten, von Schreiber und Löhe unbeantwortet. "Wir müssen die Obduktion abwarten", erklärte die Staatsanwältin, die sich bedeckt halten wolle, so lange "Hergang und Abläufe nicht geklärt" seien, zur Begründung [5]. Der Polizeisprecher rechtfertigte unterdessen das Vorgehen der Behörden. Daß die Polizei in solchen Fällen die Mitarbeiter der Kreisverwaltung begleite, sei "normale Amtshilfe", die "ja auch nicht zu Unrecht" erfolgt sei, "wie sich bei dem Angriff mit dem Messer gezeigt" habe [5].

Es steht zu erwarten, daß die offiziellen Stellen auch in den kommenden Tagen ihre bisherige Informations- bzw. Desinformationspolitik beibehalten werden. Die zuständigen Ermittlungsbehörden als Organe der Exekutive sollen einen Verdacht aufklären, der sich möglicherweise gegen Polizeibeamte und damit andere Angehörige der staatlichen Exekutivorgane richten könnte. Sollten tatsächlich, wie eine Anwohnerin angab, drei Schüsse gegen einen - wenn überhaupt - mit einem Messer bewaffneten Mann gefallen sein, wäre dies mit einer Notwehrhandlung kaum zu vereinbaren. Sollte die tagelange Ausweich- und Hinhaltetaktik der zuständigen Ermittlungsbehörden darauf hindeuten, daß hier die Faktenlage nur unter größten Schwierigkeiten oder vielleicht gar nicht mit den juristischen Anforderungen einer Notwehrsituation zu vereinbaren ist, was es unmöglich machen würde, dieses rechtliche Schlupfloch in Anspruch zu nehmen? Es kann nicht ausbleiben, daß das Mißtrauen besorgter Bürger umso größer wird, je länger eine umfassende und nachprüfbare Aufklärung der Öffentlichkeit ausbleibt.


Anmerkungen

[1] Siehe im Schattenblick -> INFOPOOL -> RECHT -> MEINUNGEN (vom 01.09.2011):
DILJA/240: Lebensgefahr in deutschen Wohnungen? Berlinerin von der Polizei erschossen (SB)

[2] Blutiges Drama. Polizei erschießt Mann nach Messer-Angriff in Monheim, 01.12.2011, 18:38 Uhr,
http://www.derwesten.de/staedte/duesseldorf/polizei-erschiesst-mann-nach-messer-angriff-in-monheim-id6125779.html

[3] Polizei. Genauer Ablauf der Messer-Attacke in Monheim ist noch unklar, 02.12.2011, 18:11 Uhr,
http://www.derwesten.de/staedte/duesseldorf/genauer-ablauf-der-messer-attacke-in-monheim-ist-noch-unklar-id6128522.html

[4] Monheim. Erschossener galt bei den Behörden nicht als gefährlich, zuletzt aktualisiert: 03.12.2011,
http://www.rp-online.de/region-duesseldorf/langenfeld/nachrichten/erschossener-galt-bei-den-behoerden-nicht-als-gefaehrlich-1.2626277

[5] Monheim. Polizei erschießt 59-Jährigen, zuletzt aktualisiert: 02.12.2011,
http://www.rp-online.de/region-duesseldorf/langenfeld/nachrichten/polizei-erschiesst-59-jaehrigen-1.2624690

3. Dezember 2011