Pressestelle der Universität Augsburg - Pressemitteilung vom 15. April 2015
Resolution deutscher Strafrechtslehrer/innen gegen die Strafbarkeit des assistierten Suizids
Augsburg/Würzburg - In Deutschland wird zur Zeit diskutiert, ob die (ärztliche) Beihilfe zum Suizid in Deutschland künftig bestraft werden soll. Nun meldet sich in dieser Debatte auch die deutsche Strafrechtswissenschaft zu Wort. Über 140 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren und Privatdozentinnen und Privatdozenten haben eine von Eric Hilgendorf (Universität Würzburg) und Henning Rosenau (Universität Augsburg) initiierte Stellungnahme unterzeichnet und wenden sich klar und eindeutig gegen entsprechende Überlegungen.
Zusammengefasst wird die Ablehnung damit begründet, dass
• eine Strafbarkeit der Suizidbeihilfe aus verfassungsrechtlichen Gründen abzulehnen ist. Das Recht auf Selbstbestimmung umfasst das eigene Sterben. In dieses Recht würde durch eine Strafbarkeit der Suizidbeihilfe unverhältnismäßig eingegriffen.
• eine Strafbarkeit der Suizidbeihilfe aus strafrechtlichen Gründen abzulehnen ist. Da der Suizid(versuch) straflos ist, scheidet eine Beihilfe aus dogmatischen Gründen (keine Beihilfe ohne Haupttat) aus. Die bisherigen strafrechtlichen Regelungen (Tötungsverbot, Verbot der Tötung auf Verlangen) und die polizeirechtlichen Möglichkeiten sind ausreichend, um Missbräuchen zu begegnen.
• eine Strafbarkeit der Suizidbeihilfe aus medizinethischen Gründen abzulehnen ist. Ärzte und Angehörige, aber auch Hospize und Palliativstationen sollten nicht einem Strafbarkeitsrisiko ausgesetzt werden, welches dazu führt, dass Menschen mit einem Sterbewunsch ohne Fürsorge und Begleitung bleiben. Das Strafrecht ist nur ultima ratio und nicht geeignet, die sensiblen Fragen der Suizidbeihilfe zu regulieren. Eine ärztliche Gewissensentscheidung für den assistierten Suizid muss zulässig sein.
Die Resolution hat folgenden Wortlaut:
I
Sterbehilfe ist ein moralisch wie rechtlich höchst sensibles Thema. Wir
verstehen darunter jede Hilfe, die einer zumeist schwer erkrankten oder
sterbenden Person im Hinblick auf ihren geäußerten oder mutmaßlichen Willen
geleistet wird, um ihr einen ihren Vorstellungen entsprechenden
menschenwürdigen Tod zu ermöglichen.
II
Mit Sorge beobachten wir politische Bestrebungen, im Zusammenhang mit der
Sterbehilfe den Anwendungsbereich des Strafrechts auszuweiten. Mit der
Strafbarkeit des assistierten Suizids würde die in den letzten Jahren durch
den Bundesgesetzgeber und die Gerichte erreichte weitgehende
Entkriminalisierung des sensiblen Themas Sterbehilfe konterkariert. Die
Vorschläge, welche in diese Richtung zielen, setzen vor allem bei der
Tätigkeit einzelner Personen oder einiger weniger sog.
"Sterbehilfe-Vereinigungen" an, deren Treiben als unseriös und gefährlich
eingestuft wird. Das geltende Polizei- und Strafrecht stellen jedoch
hinlänglich Mittel zur Verfügung, um gegen Aktivitäten vorzugehen, bei
denen die Freiverantwortlichkeit des Suizids nicht hinreichend geprüft
wird. Dagegen wäre es verfehlt, durch eine nicht hinlänglich reflektierte
Ausweitung des Strafrechts auch solche Tätigkeitsfelder in einen
Graubereich möglicher Strafbarkeit zu ziehen, die - wie das
Arzt-Patienten-Verhältnis - auf Vertrauen gründen und ihrer Natur nach auf strafrechtliche
Regulierungen sehr sensibel reagieren.
a. Im Zusammenhang mit der Diskussion um die sog. passive und die indirekte Sterbehilfe ist schon lange anerkannt, dass ein vom Patienten artikulierter Sterbehilfewunsch zu beachten ist und entsprechend Sterbehilfe auch dann rechtlich zulässig ist, wenn sie im Ergebnis zu einer Verkürzung von Lebenszeit führt.
b. In Hospizen und Palliativstationen wird tagtäglich organisiert Sterbehilfe geleistet. In vielen Fällen kommt es dabei zu einer Verkürzung der verbleibenden Lebenszeit. Trotzdem ist die Tätigkeit dieser Einrichtungen uneingeschränkt positiv zu bewerten. Statt sie unnötig mit Strafbarkeitsrisiken zu hemmen, sollte ihre Arbeit durch großzügige finanzielle Hilfen unterstützt werden.
c. Aus der Straflosigkeit des Suizids ergibt sich nach bewährten strafrechtsdogmatischen Regeln, dass auch die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar ist. Dies zu ändern würde zu einem Systembruch führen, dessen Auswirkungen nicht absehbar sind.
d. Das Recht auf Selbstbestimmung jedes Menschen, verfassungsrechtlich durch Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG garantiert, umfasst auch das eigene Sterben. Mit dem Patientenverfügungsgesetz aus dem Jahre 2009 hat der Gesetzgeber dies ausdrücklich anerkannt. Eine Strafbarkeit der Suizidbeihilfe greift in das Selbstbestimmungsrecht unverhältnismäßig ein. Der Grundsatz, dass Strafrecht ultima ratio sein muss, wird nicht beachtet.
e. Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist seiner Natur nach nur eingeschränkt rechtlich regulierbar. Das gilt auch und gerade für das Strafrecht. Die Einführung einer Strafbarkeit von Ärzten wegen Beihilfe zum Suizid ist deshalb entschieden abzulehnen. Deren Grundrecht der Gewissensfreiheit, Art. 4 Abs. 1 GG, umfasst auch das Verhältnis zwischen dem Arzt und dessen Patienten, so dass eine strafrechtliche Neuregelung schon aus verfassungsrechtlichen Gründen abzulehnen ist.
f. Das ärztliche Berufsrecht sollte nicht ärztliche Maßnahmen zu unterbinden suchen, die nach Maßgabe der Medizin- und Sozialethik sowie des Strafrechts zulässig und oft sogar positiv zu bewerten sind. Wir plädieren deshalb dafür, das Berufsrecht so zu vereinheitlichen, dass die Hilfe beim Suizid als ärztliche Gewissensentscheidung zulässig bleibt.
g. Menschen mit einem Sterbewunsch benötigen in besonderer Weise Fürsorge und Begleitung. Die Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid würde dagegen dazu führen, dass professionelle Hilfe, die gerade Ärzte und Ärztinnen leisten könnten, erschwert oder unmöglich wird, weil sich Beistehende aus Furcht vor einer Strafbarkeit von den Sterbewilligen abwenden. Diese werden in den Brutal-Suizid gedrängt. Ziel muss es dagegen sein, möglichst viele Menschen mit Sterbewunsch zu erreichen, um so die Zahl der Suizide in Deutschland zu senken. Das Strafrecht ist dafür ein gänzlich ungeeignetes Mittel.
Die Resolution im Wortlaut samt der Liste der bisherigen 141
Unterzeichnerinnen und Unterzeichner findet sich zum Download auf:
http://idw-online.de/de/attachmentdata43853.pdf
*
Quelle:
Pressemitteilung UDP 56/15 vom 15. April 2015
Universität Augsburg, Pressestelle
Klaus P. Prem / Michael Hallermayer
Telefon: 0821/598-2094
E-Mail: klaus.prem@presse.uni-augsburg.de / michael.hallermayer@presse.uni-augsburg.de
Internet: www.uni-augsburg.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2015
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