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STANDPUNKT/027: Positionspapier zu Terrorismusbekämpfung in Syrien und dem Einsatz von Kampfdrohnen (ECCHR)


European Center for Constitutional and Human Rights e.V. (ECCHR)

POSITIONSPAPIER
Terrorismusbekämpfung in Syrien und unbegrenzter Einsatz von Kampfdrohnen?
Deutschland muss der Aufweichung des Völkerrechts ein Ende setzen

Von Andreas Schüller


Die deutsche Beteiligung an der Anti-ISIS-Koalition in Syrien und Irak basiert auf einer zu weitgehenden Auslegung des Völkerrechts, insbesondere von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen (UNCh). Die völkerrechtswidrige Auslegung des Selbstverteidigungsrechts als Einschränkung des Gewaltverbots in Artikel 2 (4) UNCh reiht sich in die völkerrechtswidrige Praxis anderer Staaten in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus ein. Zentral sind die rechtlichen Begründungen, wie sie die USA in den vergangenen Jahren angeführt haben und die mittlerweile weitere Staaten, vielfach verbunden mit der Debatte um den Einsatz bewaffneter Drohnen, unterstützen. Deutschland hat in der juristischen Argumentation den Weg der USA eingeschlagen und untergräbt damit langbewährte völkerrechtliche Grundsätze wie etwa das enge Verständnis des Selbstverteidigungsrechts von Staaten als Begrenzung von Gewaltausübung und Kriegen.

Zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus fliegt Deutschland selbst keine Luftangriffe, unterstützt diese jedoch durch eigene Aufklärung und Datenweitergabe. Die Erweiterung der Optionen, sich zukünftig an Luftangriffen durch die Anschaffung bewaffneter Drohnen zu beteiligen, muss an eine strikte und enge Auslegung des Völkerrechts, die die Bundesregierung öffentlich macht und in internationalen Gremien verteidigt, gebunden sein. Es darf nicht (nur) der politischen Entscheidung überlassen werden, wann bewaffnete Drohnen eingesetzt werden. Vorderste Aufgabe der Bundesregierung muss die Begrenzung der Gewaltausübung in zwischenstaatlichen Beziehungen und nicht die Beteiligung daran sein. Die rechtliche Begründung der Teilnahme an der Anti-ISIS-Koalition erfüllt diese Voraussetzungen nicht.


Die Verbreitung bewaffneter Drohnen

Der Einsatz bewaffneter Drohnen ist zentral in der Debatte über die Auslegung des Völkerrechts - insbesondere der Ausnahmen vom Gewaltverbot des Artikel 2 (4) UNCh. Der erste bekannte Drohnenangriff fand durch die USA 2001 in Afghanistan statt. Damit ist diese Technologie zwar noch jung, doch hat sie bereits die moderne Kriegsführung gravierend verändert. Mittlerweile betreibt eine Vielzahl von Staaten eigene bewaffnete Drohnenprogramme.[1] Die meisten Einsätze finden aber immer noch durch die USA statt. Seit 2009 wurde das US-Drohnenprogramm massiv ausgeweitet, mittlerweile werden Drohnen zu Luftangriffen in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Somalia, Pakistan und Jemen eingesetzt.[2] Auch die Zahl der Opfer steigt kontinuierlich. Unter der Regierung von US-Präsident Donald Trump haben Drohnenangriffe weiter erheblich zugenommen.[3]


Beteiligung Deutschlands

Für Deutschland ist das Thema Drohnen von großer Relevanz. Die Diskussion um die Anschaffung bewaffneter Drohnen ist noch lange nicht beendet und wird auch die Bundesregierung nach den Wahlen im September 2017 beschäftigen.

Darüber hinaus bietet Deutschland durch die Zurverfügungstellung des Luftwaffenstützpunkts Ramstein (Rheinland-Pfalz) eine direkte Unterstützungsleistung für die Drohneneinsätze der USA. Diese nutzen den Stützpunkt für Fernmeldepräsenzpunkte (in vergrößertem Umfang seit einer Erweiterung im Jahr 2015). Von diesen aus werden Signale als Teil der globalen Kommunikationswege zur Unterstützung von Drohnen weitergeleitet. Zudem unterstützt der Luftwaffenstützpunkt Ramstein die Planung, Überwachung und Auswertung von zugewiesenen Luftoperationen.[4]

Schließlich beteiligt sich Deutschland an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus in Syrien und Irak durch den Einsatz von sechs Tornado-Aufklärungsflugzeugen, einem Tankflugzeug, einer Fregatte, 1200 Bundeswehrsoldat_innen sowie unterstützender Satellitenaufklärung.[5]

Nicht zuletzt gibt Deutschland im Rahmen der Bekämpfung des internationalen Terrorismus wichtige Daten an die USA und andere Staaten weiter, die in die Datensysteme einfließen, die auch für Drohnenangriffe genutzt werden.[6]


Die Rechtswidrigkeit der Angriffe auf fremden Territorium (jus ad bellum)

Die meisten Drohnenangriffe sind allein schon aus dem Grund rechtswidrig, dass die Drohnen auf und über fremden Staatsgebieten eingesetzt werden. Hierin liegt eine Verletzung des Gewaltverbots, eines Kernpfeilers des Völkerrechts, der in Artikel 2 (4) UNCh normiert ist. Das Gewaltverbot umfasst insbesondere die Unverletzlichkeit staatlichen Territoriums. Anerkannte Ausnahmefälle gibt es beim Einsatz bewaffneter Drohnen in aller Regel nicht. Diese bestünden nur bei Einwilligung der betroffenen Staaten, einer Resolution des UN-Sicherheitsrats, die den Einsatz von Gewalt erlaubt, oder im Fall von Selbstverteidigung nach Artikel 51 UNCh.


1. Einwilligung anderer Staaten

In einigen Situationen ist es unklar, ob eine Einwilligung von einem anderen Staat vorgelegen hat. Dies betrifft zum Beispiel Drohneneinsätze in Pakistan, Jemen und Somalia. Im Fall des Iraks ist dessen Einwilligung, dass die Anti-ISIS-Koalition mit militärischen Mitteln Gewalt ausübt, nicht nur mit Drohnen, zu unbestimmt.[7] Bei anderen Staaten, auf deren Gebieten militärische Gewalt ausgeübt wird, zum Beispiel in Syrien durch die Anti-ISIS-Koalition mit deutscher Beteiligung, fehlt explizit eine Zustimmung.[8] Sollte eine Einladung überhaupt vorliegen, müssen die Angaben zu Zeiträumen, Aktivitäten sowie darüber, welche Staaten eingeladen sind, möglichst präzise festgelegt sein, damit die Grenzen einer Einwilligung bestimmbar sind.


2. Resolution des UN-Sicherheitsrats

Im Hinblick auf Syrien und Irak gibt es keine UN-Resolution, die die Anwendung von Gewalt erlauben würde. Zwar hat Deutschland in Bezug auf seinen Syrien- und Irakeinsatz auf die Resolution 2249 [9] des UN-Sicherheitsrats verwiesen.[10] Diese spricht aber keine klare Ermächtigung zur Gewaltanwendung aus. Gerade bei einer Ermächtigung zur Verletzung fremden Staatsgebietes muss dies aber eindeutig formuliert sein.[11]


3. Selbstverteidigung

Es liegt auch kein Fall legitimer Selbstverteidigung vor. Ein solcher erfordert nach ständiger Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) einen Angriff eines anderen Staates.[12] Ein solcher ist aber bei terroristischen Anschlägen von nichtstaatlichen Akteuren grundsätzlich nicht gegeben. Auch Umstände, nach denen die Handlungen der nichtstaatlichen Akteure einzelnen Staaten zugerechnet werden könnten, bestehen im Kontext von ISIS soweit ersichtlich nicht.

Selbst wenn die ISIS-Anschläge etwa in Frankreich einem Staat zugerechnet werden könnten, wären die weiteren Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts nicht erfüllt. Die Anschläge außerhalb Syriens und des Iraks liegen sowohl einzeln betrachtet, als auch - selbst wenn man diese Möglichkeit anerkennen wollte - in ihrer Zusammenschau unter der Erheblichkeitsschwelle, die vom IGH für Angriffe gefordert wird, die das Selbstverteidigungsrecht der UN-Charta auslösen können.[13] Das Selbstverteidigungsrecht ermöglicht zudem nur solche Eingriffe, die für die Beendigung des Angriffs notwendig und verhältnismäßig sind.[14] Der Einsatz der Anti-ISIS-Koalition in Syrien und Irak überschreitet diese Begrenzung, da terroristische Anschläge von häufig autonom agierenden und ideologiegeleiteten Einzeltätern oder Kleingruppen mit militärischer Gewalt auf fremdem Territorium nicht "beendet" werden können.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass einige Staaten eine Selbstverteidigung gemäß der UN-Charta gegen bevorstehende Angriffe geltend machen.[15] Dies ist aber nur dann möglich, wenn ein unmittelbar bevorstehender, nicht anders abwendbarer Angriff unverzüglich verhindert werden muss und der Einsatz von Gewalt verhältnismäßig und nicht exzessiv ist. Ein Vorgehen gegen nicht näher bekannte, lediglich möglich erscheinende zukünftige Angriffe ist hingegen nicht gerechtfertigt.

Mittlerweile vertreten die USA [16], Großbritannien [17] und Australien [18] die Position, dass die Anforderungen an das Selbstverteidigungsrecht nicht mehr zeitgemäß seien. Daher komme auch ein abgeschwächter Maßstab zum Tragen - inklusive der Möglichkeit der Selbstverteidigung gegen nichtstaatliche Gruppierungen auf dem Territorium eines anderen Staates gegen dessen Willen und selbst dann wenn ein solcher Angriff nicht unmittelbar bevorsteht. Diese Position ist rechtswidrig und muss abgelehnt werden. Nicht nur ignorieren die USA, Großbritannien und Australien mit dieser Haltung die ständige Rechtsprechung des IGH. Sie entwerten auch fundamentale Rechte und Grundsätze der UN-Charta, wie das Gewaltverbot in Artikel 2 (4) UNCh. Damit droht eine irreparable Aufweichung völkerrechtlicher Normen und Garantien, mit denen nach dem Zweiten Weltkrieg die Völkerrechtsordnung weiterentwickelt wurde und die dazu dienen, solche Kriege und den Einsatz militärischer Gewalt zu begrenzen


4. Deutsche Position

Die Bundesregierung fördert mit ihrer zu weitgehenden Auslegung der UN-Charta in Bezug auf den Einsatz in Syrien und Irak die internationale Gewaltspirale.[19] Damit trägt sie dazu bei, dass bewährte völkerrechtliche Standards untergraben werden. Sollte Deutschland irgendwann einmal über eigene bewaffnete Drohnen verfügen, droht eine weitere Eskalationsstufe, sollten diese dann auf der völkerrechtswidrigen Grundlage des Syrien- und Irakeinsatzes eingesetzt werden. Nur eine klare und eindeutige Rückbesinnung und Artikulation sowie das Bekenntnis zu einer engenAuslegung des völkerrechtlichen Gewaltverbots und des Selbstverteidigungsrechts können diesem Szenario ein Ende setzen.


Rechtswidrigkeit von Luftangriffen in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Menschenrechte und jus in bello)

Die Verletzung der Gebietshoheit anderer Staaten ist mithin oftmals rechtswidrig. Zusätzlich stellen sich auch die konkreten Tötungshandlungen durch Luftangriffe regelmäßig als rechtswidrig dar.

Menschenrechtlich ist dieTötung von Personen nur in einer Notwehr- oder Notstandssituation und auch dann nur in engen Grenzen erlaubt. Eine solche liegt in der Konstellation, in der Drohnenangriffe im sogenannten "Krieg gegen den Terror" stattfinden, nicht vor.


1. Bewaffneter Konflikt

Die Menschenrechte werden grundsätzlich auch nicht durch die Anwendung humanitären Völkerrechts überlagert. Dies wäre nur dann zumindest in gewissem Umfang der Fall, wenn ein bewaffneter Konflikt zwischen einem Staat und einer organisierten bewaffneten Gruppe bestünde.[20] Die aktuell relevanten terroristischen Gruppierungen zeichnen sich aber gerade durch den Mangel an einem für eine Konfliktpartei erforderlichen Organisationsgrad aus. Darüber hinaus fehlt es an der für einen Konflikt notwendigen Gegenseitigkeit von Gewaltausübungen, da Kampfhandlungen in den meisten Drohneneinsatzgebieten darauf beschränkt sind, dass einseitig Luftangriffe stattfinden.

Dies betrifft vor allem Drohnenangriffe in Pakistan, Jemen oder Somalia. ISIS in Syrien und Irak könnte hingegen durchaus den erforderlichen Organisationsgrad einer Konfliktpartei erfüllen und übt auch seinerseits militärische Gewalt aus.

Es ist völkerrechtlich möglich, dass in einem Gebiet, in dem ein bewaffneter Konflikt zwischen zwei oder mehr Parteien besteht, zusätzlich die Bekämpfung terroristischer Gruppen stattfindet, ohne das letztere Teil des Konflikts ist.


2. Humanitäres Völkerrecht

Selbst in den Fällen, in denen es aufgrund des Bestehens eines bewaffneten Konflikts zur Anwendung des humanitären Völkerrechts kommt, liegt regelmäßig eine Rechtswidrigkeit der Einsätze vor, da diese gegen die Grundprinzipien der Unterscheidung zwischen Zivilist_innen und Kombattant_innen verstoßen sowie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht einhalten.

So zeigen Studien der zur Zielerfassung genutzten Drohnen-Technologie, dass diese gar nicht in der Lage ist, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festzustellen, welche individuelle Person anvisiert wurde.[21] Ebenfalls kann mit dieser Technologie nicht zuverlässig zwischen Zivilist_innen und Kombattant_innen unterschieden werden, da Drohnenpilot_innen bestenfalls nur menschliche Umrisse erkennen können. Diese technische Unzulänglichkeit spiegelt sich nicht zuletzt auch in den Opferzahlen wieder, unter denen viele Personen zu finden sind, die völkerrechtlichen Schutz genießen, allen voran unbeteiligte Zivilist_innen.[22]

Über die technischen Probleme hinaus führt die zu weitgehende Auslegung völkerrechtlicher Normen vorangetrieben durch die USA zu völkerrechtswidrigen Angriffen. Insbesondere die Berufung auf humanitär-völkerrechtliche und nicht auf engere menschenrechtliche Standards ist oftmals irreführend. Die US-Regierung unter Präsident Barack Obama hat seinerzeit zwar medienwirksam veröffentlicht, dass sie im Rahmen von "Gebieten aktiver Kampfhandlungen" nur noch Angriffe durchführten, bei denen mit großer Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass es zu zivilen Opfern komme.[23] Diese Einschränkung enthält aber diverse Schwächen. Insbesondere handelt es sich bei dem Begriff "Gebiete aktiver Kampfhandlungen" um einen eigens geschaffenen nicht-rechtlich normierten Terminus, der nicht an bestimmte Bedingungen geknüpft ist. Vielmehr können jederzeit einseitig Landstriche von der US-Regierung als "Gebiete aktiver Kampfhandlungen" eingestuft werden, was bereits geschieht. Diese Einstufung determiniert jedoch nicht, ob es sich rechtlich um einen bewaffneten Konflikt handelt und ob zum Beispiel das Recht auf Leben eingeschränkt werden kann.

Ein Großteil der internationalen Terrorismusbekämpfung findet außerhalb bewaffneter Konflikte statt. Damit gelten die Menschenrechte vollumfassend und nicht eingeschränkt. An diesem Maßstab sind tödliche Luftangriffe durch Drohnen zu messen. Das bedeutet in der Konsequenz, dass diese Angriffe Straftatbestände erfüllen, da es keine Rechtfertigungsgründe für die Tötung geschützter Personen gibt. Selbst in den selteneren Situationen, dass Luftangriffe mittels Drohnen in einem bewaffneten Konflikt stattfinden, ist nicht jedes Mitglied einer terroristischen Gruppe legitimes Angriffsziel. Entgegen der US-Auffassung sind beispielsweise an Kampfhandlungen unbeteiligte Drogenschmuggler_innen oder Geldgeber_innen von terroristischen Gruppen keine legitimen Angriffsziele, da sie keine einer/m Soldat_in ähnliche Kampffunktion ausüben.

Zudem sind Vorsichtsmaßnahmen bei Luftangriffen zu beachten und ihr militärischer Vorteil darf nicht außer Verhältnis zu zivilen Schäden stehen. Daher muss bei jeder Einsatzsituation das Ziel klar und eindeutig identifiziert und alles Mögliche versucht worden sein, zivile Schäden zu vermeiden. Angriffe dürfen nur aufgrund gesicherter und überprüfbarer Informationen durchgeführt werden.[24] Dies findet in der US-Praxis sehr häufig nicht hinreichend statt.


Rechtswidrigkeit der Unterstützungshandlungen nach deutschem Recht

Die deutschen Grundrechte gelten einschließlich ihrer Schutzdimension grundsätzlich auch auf fremdem Territorium. Zwar ist der deutsche Staat hierdurch nicht verpflichtet, jegliche Völkerrechtsverstöße anderer Staaten aktiv zu verhindern. Jedoch steht es mit den Schutzpflichten in krassem Widerspruch, wenn Deutschland bewusst sein Territorium für völkerrechtswidrige Aktivitäten eines anderen Staates zur Verfügung stellt. Gerade dies geschieht aber mit der Überlassung des Luftwaffenstützpunkts Ramstein sowie weiterer Liegenschaften für US-Einrichtungen. Hier bedarf es dringend effektiver Kontrollmechanismen zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit einzelner Nutzungen, der Durchsetzung von Rechenschaftspflichten und notfalls der Entziehung der Genehmigungen für die Stützpunkte.

Hinzu kommt, dass durch den eigenen Syrien- und Irakeinsatz auch ein Verstoß gegen deutsches Verfassungsrecht stattfindet.

Die Bundesregierung rechtfertigt diese Einsätze in ihrem Schreiben an den UN-Sicherheitsrat mit der Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht Frankreichs, des Iraks und weiterer Staaten. Jedoch liegen die Bedingungen für die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts durch Frankreich mangels hinreichender Erheblichkeit eines bewaffneten Angriffs mitnichten vor. Es ist zudem verfassungsrechtlich nicht möglich, Frankreich Unterstützung zu leisten, solange Frankreich sich nicht auf Deutschlands NATO-Beistandsverpflichtung beruft. Die EU-Beistandsregeln alleine reichen nicht aus, da diese nicht die engen verfassungsrechtlichen Grenzen an die Existenz eines "Systems kollektiver Sicherheit" erfüllen.

Der Irak hingegen hat das Recht, andere Staaten zur Unterstützung in der Ausübung seines Selbstverteidigungsrechts auf seinem eigenen Territorium und ausschließlich dort einzuladen. Eine solche Einladung des Iraks kann Deutschland aus verfassungsrechtlichen Gründen jedoch nicht annehmen. Für den Einsatz der Bundeswehr bedarf es entweder eines Verteidigungsfalls, eines Bündnisfalls, sprich Angriffen auf Deutschland oder einen NATO-Partner, oder aber eine zur Gewaltausübung ermächtigende UN-Resolution. All dies trifft in Bezug auf den Irak nicht zu, weshalb der deutsche Einsatz in Syrien und Irak verfassungswidrig ist.


Empfehlungen

Es bedarf dringend einer Änderung der Völkerrechtspolitik durch die Bundesregierung. Die Grundlage für deutsche Einsätze in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus muss sich wieder an bestehenden eng auszulegenden völkerrechtlichen Bestimmungen orientieren. Deutschland muss diesbezüglich seine Position verändern und diese veröffentlichen. Dies kann nicht zuletzt bedeuten, dass die Bundesregierung vom Einsatz militärischer Mittel Abstand nehmen und Unterstützungshandlungen einstellen muss. Die Anschaffung bewaffneter Drohnen sollte ohne eine restriktive Auslegung des Völkerrechts nicht stattfinden.

Auf internationaler Ebene muss die Bundesregierung auf die Einhaltung und enge Auslegung des Völkerrechts verstärkt hinwirken, um einer weiteren Erosion und Aufweichung bewährter völkerrechtlicher Standards entgegenzuwirken. Bei Verstößen sind Verantwortlichkeiten festzustellen, Betroffene angemessen zu entschädigen und gegebenenfalls auch Einzelpersonen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.


CHRONOLOGIE

Ende 2001: Erste Luftangriffe mit Drohnen der USA in Afghanistan als Teil der "Operation Enduring Freedom".

2008/2009: Massive Ausweitung der US-Drohnenangriffe, vor allem in Pakistan.

Oktober 2010: Strafrechtliche Ermittlungen in Deutschland durch den Generalbundesanwalt ausgelöst durch den Tod des ersten deutschen Staatsangehörigen bei einem Drohnenangriff. Am 20. Juni 2013 Einstellung des Verfahrens. Seither mindestens noch sieben weitere Beobachtungsvorgänge, von denen jedoch nur zwei in Ermittlungsverfahren mündeten. Ein Verfahren wurde eingestellt, das andere ist noch anhängig. Siehe: Deutscher Bundestag, Drucksache 18/12850, "Bericht NSA-Ausschuss", 23.6.2017, S. 1097.

Oktober 2014: ECCHR-unterstützte Klage beim Verwaltungsgericht Köln von Mitgliedern der Familie BinAli Jaber aus dem Jemen wegen der Einbindung des US-Luftwaffenstützpunkts Ramstein (Rheinland-Pfalz) in US-Drohnenangriffe.

Mai 2015: Anhörung und Urteil des Verwaltungsgerichts Köln in Sachen Bin Ali Jaber. Bestätigung der zentralen Rolle Ramsteins bei US-Drohneneinsätzen, aber Abweisung der Klage aus anderen Gründen. Gefolgt von Einlegung der Berufung. Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster anhängig.

September 2015: Klage eines Somaliers vor dem Verwaltungsgericht Köln wegen der Einbindung des Stützpunkts Ramstein in einen Drohnenangriff bei dem der Vater des Klägers ums Leben gekommen ist.

September 2015: Beginn von französischen Luftangriffen in Syrien, zwei Monate vor den Anschlägen in Paris am 13. November 2015.

Dezember 2015: Beschluss des Bundestags über Einsatz der Bundeswehr in Syrien und im Irak.

Dezember 2015: Deutschland meldet dem UN-Sicherheitsrat, dass es die militärischen Aktionen der Anti-ISIS-Koalition in Syrien unterstützt.

Seit 2016: Datenweitergabe durch Tornado-Aufklärungsflugzeuge der Bundeswehr über Syrien und Irak an Staaten der Anti-ISIS-Koalition zur Vorbereitung und Durchführung von Luftangriffen.

April 2016: Das Verwaltungsgericht Köln erklärt die Klage des Somaliers für unzulässig. Der Kläger legt Berufung ein.

Juni 2016: Einreichung des Organstreitverfahrens beim Bundesverfassungsgericht durch die Fraktion Die Linke mit Schwerpunkt auf die Völkerrechtswidrigkeit des Syrien- und Irakbeschlusses des Bundestags. August 2016: Unterrichtung des Auswärtigen Amtes durch die US-Botschaft Berlin, dass die Steuerungssignale von US-Drohneneinsätzen über "Fernmeldepräsenzpunkte" und "Fernmelderelaisschaltungen" des Stützpunkts in Ramstein laufen.

Juni 2017: Der Haushaltsausschuss des Bundestages setzt die Entscheidung über die Anschaffung bewaffnungsfähiger Drohnen nicht auf die Tagesordnung der letzten Sitzung der Legislaturperiode.

Juli 2017: Mindestens 4.354 getötete Zivilist_innen durch Anti-ISIS-Koalition in Syrien und Irak sowie 23.345 Luftangriffe in Syrien und Irak durch die Anti-ISIS-Koalition insgesamt. Siehe: Airwars.org.


AUSWAHL RELEVANTER VORSCHRIFTEN
Charta der Vereinten Nationen
Artikel 2

Die Organisation und ihre Mitglieder handeln im Verfolg der in Artikel 1 dargelegten Ziele nach folgenden Grundsätzen:

4. Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.


Artikel 51

Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält.


Grundgesetz
Artikel 2

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.


Europäische Menschenrechtskonvention
Artikel 2

(1) Das Recht jedes Menschen auf Leben wird gesetzlich geschützt. Niemand darf absichtlich getötet werden, außer durch Vollstreckung eines Todesurteils, das ein Gericht wegen eines Verbrechens verhängt hat, für das die Todesstrafe gesetzlich vorgesehen ist.


Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
Artikel 6

(1) Jeder Mensch hat ein angeborenes Recht auf Leben. Dieses Recht ist gesetzlich zu schützen. Niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden.


Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I)
Artikel 48 Grundregel

Um Schonung und Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte zu gewährleisten, unterscheiden die am Konflikt beteiligten Parteien jederzeit zwischen der Zivilbevölkerung und Kombattanten sowie zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen; sie dürfen daher ihre Kriegshandlungen nur gegen militärische Ziele richten.


Artikel 51
Schutz der Zivilbevölkerung

4. Unterschiedslose Angriffe sind verboten.

5. Unter anderem sind folgende Angriffsarten als unterschiedslos anzusehen: (...)

b) ein Angriff, bei dem damit zu rechnen ist, dass er auch Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartige Folgen zusammen verursacht, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.


Artikel 57
Vorsichtsmassnahmen beim Angriff

2. Im Zusammenhang mit Angriffen sind folgende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen:

a) Wer einen Angriff plant oder beschließt, (...)

ii) hat bei der Wahl der Angriffsmittel und -methoden alle praktisch möglichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um Verluste unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen und die Beschädigung ziviler Objekte, die dadurch mit verursacht werden könnten, zu vermeiden und in jedem Fall auf ein Mindestmaß zu beschränken.


Ausgewählte Veröffentlichungen

(verfügbar auf der Website des ECCHR unter www.ecchr.eu)

ECCHR, Litigating Drone Strikes: Challenging the Global Network of Remote Killing (2017)

Wolfgang Kaleck & Andreas Schüller, Mehr als "nur" ein weiteres Waffenträgersystem - über die tiefgreifenden Bedrohungen durch bewaffnete Drohnen (2017)

ECCHR Website zu Drohnen

ECCHR Klage gegen Ramstein für Faisal bin Ali Jaber

ECCHR Gutachten zum Fall des Drohnenangriffs auf Bünjamin E. in Pakistan 2010


Videos

(verfügbar unter
https://www.ecchr.eu/de/dokumente/videos/drohnen.html)

Clip von ECCHR-Event im Mai 2017 mit Drohnen-Whistleblowern

Clip vom ECCHR Expertenworkshop im Oktober 2016 zu rechtlichen Strategien gegen Drohnenangriffe

Faisal bin Ali Jaber über die Ramstein-Klage

3D-Modell des Drohnenangriffs 2010 auf Bünjamin E., zusammen mit Forensic Architecture

Whistleblower Brandon Bryant beim ECCHR über das US-Drohnenprogramm


European Center for Constitutional and Human Rights

Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) ist eine gemeinnützige und unabhängige Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Berlin. Sie wurde 2007 von einer Gruppe renommierter Menschenrechtsanwält_innen gegründet, um die Menschenrechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie anderen Menschenrechtsdeklarationen und Verfassungen garantiert werden, mit rechtlichen Mitteln zu schützen und durchzusetzen. Einen Schwerpunkt bilden hierbei juristische Interventionen zu Völkerstraftaten und deren rechtlicher Verantwortung.

Unterstützt durch einen Zuschuss der Foundation Open Society Institute in Kooperation mit der Human Rights Initiative der Open Society Foundations. Der Autor dankt seinen Kolleg_innen beim ECCHR für wertvolle Anregungen und Diskussionen.

Juli/August 2017


Anmerkungen

[1] Unterschiedliche Übersichten bei European Council on Foreign RelatTions und bei New America.

[2] Aktuelle Übersicht zu US-Drohneneinsätzen bei The Bureau of Investigative Journalism und beim Center for the Study of the Drone at Bard College.

[3] M. Zenko, "The (Not-So) Peaceful Transition of Power: Trumps Drone Strikes Outpace Obama", Council on Foreign Relations, 2.3.2017.

[4] Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 18/205, 30.11.2016, S. 20452-20453.

[5] Deutscher Bundestag, Drucksachen 18/6866 (1.12.2015) und 18/6912 (2.12.2015).

[6] Deutscher Bundestag, Drucksache 18/12850, "Bericht NSA-Ausschuss", 23.6.2017, S. 1088-1089.

[7] Schreiben des Ständigen Vertreters des Iraks bei den Vereinten Nationen an den Präsidenten des UN-Sicherheitsrats, UN Doc. S/2014/691 (22.9.2014).

[8] Schreiben des Ständigen Vertreters Syriens bei den Vereinten Nationen an den UN-Generalsekretär und den Präsidenten des UN-Sicherheitsrats, UN Doc. S/2015/719 (21.9.2015) und "Drone strikes against Pak sovereignty: FO", The News, Pakistan, 23.6.2017.

[9] UN-Sicherheitsrat, Res. 2249(2015), 20.11.2015

[10] Schreiben des Chargé d'affaires a.i. der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen an den Präsidenten des UN-Sicherheitsrats, UN Doc. S/2015/946 (10.12.2015).

[11] D. Akande & M. Milanovic, The Constructive Ambiguity of the Security Council's ISIS Resolution, EJIL: Talk! (21.11.2015); Security Council Report, Special Research Report No. 1: Security Council Action under Chapter VII: Myths and Realities (23.6.2008).

[12] IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, 2004 ICJ Reports 136, Ziff. 139 (9.7.2004); Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Uganda), 2005 ICJ Reports 168, Ziff. 146 und 147 (19.12.2005).

[13] IGH, Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and Against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), 1986 ICJ Reports 14, Ziff. 195 (22.6.1986).

[14] Ibid., Ziff. 176; IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion, 1996 ICHR Reports 226, Ziff. 41 (8.6.1996); IGH, Armed Activities, supra Fn. 12, Ziff. 147.

[15] C. Greenwood, Self-Defence, Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Ziff. 45-46 (2011).

[16] B. Egan, U.S. Department of State, Legal Diplomacy, and the Counter-ISIL Campaign, Speech as prepared for delivery at the 110th Annual Meeting of the ASIL (1.4.2016).

[17] The modern law of self-defence, Attorney General's Speech at International Institute for Strategic Studies (11.1.2017).

[18] G. Brandis, Attorney-General, Australia, The Right of Self-Defence Against Imminent Armed Attack In International Law, EJIL: Talk! (25.5.2017).

[19] Siehe die angeführten Gründe zum Syrien- und Irakbeschluss im Bundestag, supra Fn. 5.

[20] How is the Term "Armed Conflict" Defined in International Humanitarian Law", International Committee of the Red Cross (ICRC) Opinion Paper (2008).

[21] CorpWatch, "Drone, Inc. - Marketing the Illusion of Precision Killing" (im Erscheinen 2017).

[22] Verschiedenen Berechnungen zu Folge gibt es bereits mehr als 4000 Tote, s. M. Zenko, Do Not Believe the U.S. Government's Official Numbers on Drone Strike Civilian Casualties, Foreign Policy (5.7.2016)

[23] White House, Fact Sheet: U.S. Policy Standards and Procedures for the Use of Force in Counterterrorism Operations Outside the United States and Areas of Active Hostilities (23.5.2013).

[24] UN Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions, Report to the Human Rights Council, UN Doc. A/HRC/14/24/ Add.6 (28.5.2010), Ziff. 83.

*

Quelle:
European Center for Constitutional and Human Rights e.V. (ECCHR)
Zossener Str. 55-58, Aufgang D, 10961 Berlin
Telefon: + 49 (0)30 - 40 04 85 90, Fax: + 49 (0)30 - 40 04 85 92
E-Mail: info@ecchr.eu,
Internet: www.ecchr.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. September 2017

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