Gespräch mit Rolf Becker am 18. Oktober 2016 in Hamburg-St. Georg - Teil 14
Rolf Becker weist in Teil 14 des Gesprächs die im Kontext der Extremismusdebatte vollzogene Gleichsetzung von links und rechts zurück und vertieft dies anhand der zur Ideologie gesteigerten Diskreditierung jeglicher Kritik an der Regierungspolitik Israels als "antisemitisch".
Rolf Becker
Foto: © 2016 by Schattenblick
Schattenblick: Die bürgerliche Presse zieht bei ihrer Kritik an der
AfD nicht zuletzt gegen Linke zu Felde, indem sie erklärt, das seien
rotlackierte Faschisten. Im Rahmen der Extremismus-Definition wird
links und rechts gleichgesetzt. Wo würdest du die fundamentale
Unvereinbarkeit der beiden Positionen ansiedeln? Was wären für dich
die maßgeblichen Kriterien?
Rolf Becker: Die vernunftwidrige Gleichsetzung von links und rechts kam schon in der Weimarer Republik auf, sie begleitet uns variantenreich und in verschärfter Form seit Gründung der Bundesrepublik. Bertolt Brecht, etwa 1935, zu Anfang seiner Exilzeit in Svendborg, rückblickend auf die kampflose Niederlage der Arbeiterbewegung bei der Machtübernahme der Faschisten in Deutschland: "Einen Teil unserer Wörter hat der Feind verdreht bis zur Unkenntlichkeit." Der Ost-West-Gegensatz nach dem 2. Weltkrieg hatte zunehmende Diffamierung linksgerichteter Gruppen und Parteien zur Folge: Das "Geht doch in die Zone!" - gemeint war die DDR, die im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands gegründet worden war - wurde zur gängigen Antwort auf sozial- und systemkritische Bemerkungen. Die Gleichsetzung Stalins mit Hitler als Diktatoren wurde ausgeweitet auf die "SED-Diktatur-Ostberlins", der deutsche Faschismus gleichgesetzt mit dem Sozialismus in der Sowjetunion und in der DDR. Dass Faschisten die Herrschaft des Kapitals retten, Sozialisten sie aufheben wollen, wurde und wird negiert. Diese Gleichsetzung gegensätzlicher Systeme und Denkweisen dient zum einen der Verharmlosung faschistischer Herrschaft, vorrangig aber der Diskreditierung sozialer und fortschrittweisender Bemühungen, dem Zurückweisen jeder Kritik der gegebenen Eigentumsverhältnisse. Dass ein Großteil der bürgerlichen Medien sich zunehmend dieser verdummenden Methodik des "rot gleich braun" bedient, deutet ihre Bereitschaft zur Unterwerfung bei fortschreitender Entdemokratisierung an.
Vertuscht wird, wer in Wirklichkeit die neue Etappe faschistischer Entwicklungen zur Bewahrung gegebener Eigentumsverhältnisse vorbereitet, und warum. Brecht: "Wir müssen sagen, daß gefoltert wird, weil die Eigentumsverhältnisse bleiben sollen. Freilich, wenn wir dies sagen, verlieren wir viele Freunde, die gegen das Foltern sind, weil sie glauben, die Eigentumsverhältnisse könnten auch ohne Foltern aufrechterhalten bleiben (was unwahr ist). Wir müssen die Wahrheit über die barbarischen Zustände in unserem Land sagen, daß das getan werden kann, was sie zum Verschwinden bringt, nämlich das, wodurch die Eigentumsverhältnisse geändert werden."
Zur Ideologie gesteigert wird dieses Verdrehen bei den Antideutschen, die bemüht sind ihr Überlaufen zum Klassengegner zu rechtfertigen und kaschieren. Wohin dieser Blödsinn führen kann, habe ich beim Ostermarsch 2009 nach dem Gaza-Krieg auf einer Kundgebung vorm Rathaus in Kassel erleben dürfen. Ich hatte nach der damals wenige Wochen zurückliegenden militärischen Intervention Israels Zahlen der Opfer im Gazastreifen genannt, zu Hilfeleistungen für die palästinensische Bevölkerung aufgerufen und im Hinblick auf die einschränkungslose Bejahung des Angriffs durch die Antideutschen erklärt:
"Die Gleichsetzung jeglicher Kritik an der Regierung des Staates Israel mit Antisemitismus, deren einschüchternde Wirkung beabsichtigt ist, hat Desorientierung bis in Parteien und Gruppierungen der Linken zur Folge. Wir sollten uns dadurch weder beirren noch unsere Sprache verbieten lassen, sondern weiterhin Klartext reden. Klartext wie vor Jahren schon Erich Fried [1] mit seinem "Höre Israel", Klartext wie Uri Avnery [2] in seinen regelmäßig auch auf Deutsch erscheinenden Kommentaren und Moshe Zuckermann [3] in seinem neuen Buch "60 Jahre Israel" [4], Klartext an der Seite der israelischen Friedensbewegung und der israelischen Kriegsverweigerer. Unsere Kritik ist Kritik bestehender Klassenverhältnisse und Kritik imperialistischer Politik. Sie orientiert sich, bezogen auf Israel und Palästina an den Beschlüssen der Vereinten Nationen, die, würden sie umgesetzt, die Existenz Israels wirksamer und dauerhafter sichern würden als Siedlungsbau und Waffengänge."
Gegen Ende dieser Sätze wurden von einer bis dahin nicht wahrgenommenen Gruppe am Rand der etwa 500 Versammelten zahlreiche israelische und amerikanische Fahnen ausgerollt, dazu als Sprechchor "Nazi, Nazi". Da waren sie also - wie ein Beleg für das eben Geäußerte. Der ausdrücklichen Aufforderung, sich an Ort und Stelle einer Diskussion zu stellen, folgte das kommentarlose Wiedereinrollen der Nationalfahnen und der Abzug der offenbar nur als Chor artikulationsfähigen Gruppe. Seine Vertreter ließen sich erst mit Beschimpfungen via Internet wieder vernehmen, Inhalt: Kriege, die von der israelischen oder amerikanischen Regierung geführt werden, sind "gerechte Kriege". Dazu zählen vorrangig Kriege gegen Länder, die sie als Gegner Israels ausmachen - Irak, Libyen, Syrien, Iran. Bedingungslose Solidarität mit dem Staat Israel als vermeintlich sinnstiftendes Bekenntnis der Antideutschen...
Attacken wie die geschilderte gehören mittlerweile und in gesteigerter Form zum politischen Alltag, ausgedehnt auch auf israelische Bürgerinnen und Bürger, die sich kritisch äußern, erst kürzlich abgesegnet durch mehrere Bürgermeister und den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz, der im TV-Duell mit Bundeskanzlerin Merkel erklärte: "Es gibt zum Beispiel junge Palästinenser, Männer, die zu uns kommen, die mit einem tief verwurzelten Antisemitismus erzogen worden sind, denen muss man in klaren Sätzen sagen: In diesem Land hast Du nur dann einen Platz, wenn Du akzeptierst, dass Deutschland ein Land ist, das Israel schützt, dass das unsere Staatsräson ist." Oder auch: der Anhang von Jutta Ditfurth [5] mit einem Transparent, gerichtet gegen eine Veranstaltung in Frankfurt mit Moshe Zuckermann am 6. Juni diesen Jahres: "'Palästina', halt's Maul!" - Palästina in Anführungszeichen gesetzt, weil es das Land und seine Menschen in den Augen dieser Meinungsmacher nicht gibt oder geben darf. Der Antwort des angegriffenen jüdischen Bürgers Moshe Zuckermann, dessen Auftreten nicht nur in Frankfurt zunehmend behindert wird, möchte ich auch an dieser Stelle ausdrücklich zustimmen: "Wer meint, den Antisemitismus bekämpfen zu sollen, vermeide es vor allem, Israel, Judentum und Zionismus, mithin Antisemitismus, Antizionismus und Israel-Kritik wahllos in seinen deutschen Eintopf zu werfen, um es, je nach Lage, opportunistisch zu verkochen und demagogisch einzusetzen." Zu ergänzen ist lediglich, auch an etliche Vertreter der Linkspartei gerichtet: ausgerechnet im Land der Mörder von Millionen Juden, einem Land, in dem mit der AFD auch Neofaschisten ins Parlament einziehen werden, dürfen sich Deutsche mal wieder anmaßen zu entscheiden, wer ein richtiger Jude ist und wer nicht.
Der Weg zur Vernunft ist lang, weit länger der zu vernunftgeleiteter Politik.
(wird fortgesetzt)
Fußnoten:
[1] Erich Fried (1921-1988) war ein österreichischer Lyriker,
Übersetzer und Essayist. Er zählte in der Nachkriegszeit zu den
Hauptvertretern der politischen Lyrik in Deutschland und galt
gleichzeitig als bedeutender Shakespeare-Übersetzer. Fried beteiligte
sich am politischen Diskurs seiner Zeit, hielt Vorträge, nahm an
Demonstrationen teil und vertrat öffentlich Positionen der
Außerparlamentarischen Opposition, was die Gegnerschaft konservativer
und rechter Kreise auf den Plan rief.
[2] Uri Avnery (geb. 1923) ist ein israelischer Journalist, Schriftsteller und Friedensaktivist. Er war in drei Legislaturperioden (1965-1969, 1969-1973 und 1977-1981) Parlamentsabgeordneter in der Knesset.
[3] Moshe Zuckermann (geb. 1949) ist ein israelischer Soziologe und Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv. Seit 2009 ist er wissenschaftlicher Leiter der Sigmund Freud Privatstiftung in Wien. Er gilt als Kritiker der israelischen Politik und befürwortet langfristig eine Konföderation zwischen Israel und einem unabhängigen Staat Palästina.
[4] REZENSION/487: Moshe Zuckermann - Sechzig Jahre Israel (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar487.html
[5] Jutta Ditfurth (geb. 1951) ist eine deutsche Sozialwissenschaftlerin, Politikerin und Aktivistin für Feminismus, Ökosozialismus und Antirassismus. Als Journalistin und Autorin von politisch engagierter Sachliteratur und Belletristik ist sie auch publizistisch tätig.
28. September 2017
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