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KIRCHE/1173: Ökumene - Die Kirchen und der Friede (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 7/2011

Ökumene: Die Kirchen und der Friede

von Ulrich Ruh


Ende Mai veranstaltete der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) auf Jamaika eine Internationale Ökumenische Friedenskonvokation. Sie bemühte sich um Antworten auf die Frage nach dem gerechten Frieden und dem Beitrag der Kirchen.


Mit einer "Internationalen Ökumenischen Friedenskonvokation" ging die vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) 2001 ausgerufene "Dekade zur Überwindung von Gewalt" jetzt zu Ende. Unter dem biblischen Motto "Ehre sei Gott und Frieden auf Erden" trafen sich dazu etwa 1000 Teilnehmer aus den ÖRK-Mitgliedskirchen vom 17. bis 25. Mai auf dem Campus der "University of the West Indies" in Kingston (Jamaika).

Die Eröffnung der "Dekade zur Überwindung von Gewalt" hatte auf deutschem Boden stattgefunden, nämlich bei der Tagung des ÖRK-Zentralausschusses Anfang 2001 in Potsdam. Nicht nur diese Eröffnung, sondern auch die gesamte "Friedensdekade" verlief dann aber weitgehend unbemerkt von der deutschen kirchlichen Öffentlichkeit. Dieses Schicksal teilte sie mit so gut wie allen Aktivitäten des Ökumenischen Rates, der nach wie vor wichtigsten ökumenischen Dachorganisation mit 349 Mitgliedskirchen aus allen Teilen der Welt und aus vielen konfessionellen Strängen der nichtkatholischen Christenheit.

Dimensionen eines gerechten Friedens

Die Dekade hatte in jedem Jahr einen regionalen Schwerpunkt: Zur Halbzeit stand Europa im Mittelpunkt, wo 2007 die dritte "Europäische Ökumenische Versammlung" in Sibiu über die Bühne ging. Zuvor galt die Aufmerksamkeit beispielsweise 2002 der Krisenregion Israel/Palästina und 2003 dem Sudan; 2008 ging es dann vor allem um die Probleme der pazifischen Inselwelt und 2009 um die Karibik. In einer vom ÖRK herausgegebenen Veröffentlichung zur Bilanz der Dekade kommt der Schweizer Mennonit Hansulrich Gerber zu dem Schluss, es sei schwierig, ihren programmatischen Ertrag zu ermessen. Allerdings habe die Dekade in den Kirchen das Bewusstsein dafür gestärkt, dass der Friede ein Geschenk Gottes sei und differenziertere Analysen der Friedensproblematik hervorgebracht, als sie vielen Kirchen zuvor bekannt gewesen seien.


Der Konvokation in Kingston lag als Ertrag der "Dekade zur Überwindung von Gewalt" ein "ökumenischer Aufruf zum gerechten Frieden" vor. Er definiert den gerechten Frieden als einen "kollektiven und dynamischen, doch zugleich fest verankerten Prozess (...), der darauf ausgerichtet ist, dass Menschen frei von Angst und Not leben können, dass sie Feindschaft, Diskriminierung und Unterdrückung überwinden und die Voraussetzungen schaffen können für gerechte Beziehungen, die den Erfahrungen der am stärksten Gefährdeten Vorrang einräumen und die Integrität der Schöpfung achten".

Unter der Überschrift "Markierungen auf dem Weg des gerechten Friedens" befasst sich der Text mit dem Extremfall eines rechtmäßigen Einsatzes von Waffengewalt als letztem Ausweg und kleinerem Übel: "Doch selbst dann sehen wir den Einsatz von Waffengewalt in Konfliktsituationen sowohl als Zeichen schwerwiegenden Versagens wie auch als zusätzliches Hindernis auf dem Weg zu einem gerechten Frieden an."

Herausgestellt wird auch die Anerkennung von Menschenwürde und Menschenrechten für ein Verständnis des gerechten Friedens. Die Staaten seien verantwortlich für die Gewährleistung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen und sozialen sowie der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Man sei besorgt über "aggressive Rhetorik und Lehre, die unter dem Deckmantel der Religion verbreitet und durch die Macht der Medien verstärkt werden". Deshalb wird die Verpflichtung zur Friedenserziehung betont: Sie fördere aktive Gewaltlosigkeit, der eine unvergleichliche Macht zur Veränderung innewohne.


Es werden in dem Text vier Dimensionen eines gerechten Friedens namhaft gemacht: Der Friede in der Gemeinschaft, der Friede mit der Erde, der Friede in der Wirtschaft und der Friede zwischen den Völkern. Diese vier Bereiche strukturierten auch die Internationale Ökumenische Konvokation und wurden jeweils in vormittäglichen Plenumsveranstaltungen thematisiert. Die Nachmittage galten der Arbeit in kleinen Gruppen.

Eines der Hauptreferate hielt Margot Käßmann. Die frühere Landesbischöfin der Hannoverschen Kirche und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist dem ÖRK seit der Vollversammlung von Vancouver im Jahr 1983 verbunden. Käßmann zeichnete die Stationen des Wegs nach, der zur "Dekade zur Überwindung von Gewalt" führte, darunter den konziliaren Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung und die 1988 gestartete Dekade "Kirche in Solidarität mit den Frauen".


Fragen an die Pazifisten

Es sei an der Zeit, konsequent zu verneinen, dass es irgendeine theologische Legitimation für Gewalt gebe, so Käßmann: "Wir alle wissen, dass diejenigen, die an Gewaltlosigkeit glauben, oft als naiv angesehen werden und dass man ihnen unterstellt, die Realität von Macht und Politik nicht zu verstehen." Aber die Macht der Liebe sei größer als die Macht der Waffen und der Gewalt. Für Christen sei das der Orientierungspunkt. Die Beendigung der Dekade zur Überwindung von Gewalt solle für die Kirchen der Welt einen neuen Anfang markieren: "Wir sind Kirchen in der Mitte dieser Welt und müssen in ihr handeln."


Paul Oestreicher, der als anglikanischer Priester auch Mitglied der Quäker ist, rief in Kingston dazu auf, die "kleine Stimme der historischen Friedenskirchen, die bisher zwar respektiert, aber doch ignoriert wurden", ernst zu nehmen. Gewaltloser Widerstand gegen das Böse werde nie einfache und schnelle Lösungen bringen, sondern langes Leid und Geduld erfordern: "Er wird heute und jetzt lebendiger Ausdruck der neuen Welt sein, die noch nicht ist."

Oestreicher betonte aber auch, er sei nicht nach Kingston gekommen, um diejenigen zu verteufeln, die sich für die militärische Option entschieden hätten; die Kritiker der prinzipiellen Gewaltlosigkeit seien weder Schurken noch Dummköpfe: "Sie werden Pazifisten wie mir zu Recht viele ernsthafte Fragen stellen: Wie zum Beispiel können Recht und Ordnung international aufrechterhalten werden, wenn es keine schwer bewaffneten Länder gibt?" Als größte Herausforderung auf dem Weg zum Frieden bezeichnete Oestreicher die Entthronung des militärisch-industriellen Komplexes. Den Frieden zu organisieren, werde genauso schwierig und anforderungsreich sein wie die Organisation eines Krieges. Alle Disziplinen seien dabei herausgefordert, nicht zuletzt die Theologie, "die Art und Weise, wie wir den Willen Gottes auslegen".


Einen eigenen Akzent brachte in die Konvokation auch Metropolit Hilarion ein, der Leiter des kirchlichen Außenamtes des Moskauer Patriarchats. Der orthodoxe Theologe und Kirchenführer kam in seinem Referat vor allem auf die Verfolgung von Christen in etlichen Ländern zu sprechen: Die christliche Gemeinschaft solle sich trotz ihrer Uneinigkeit zusammentun und die UNO, staatliche und internationale Organisationen auffordern, der Verfolgung von Christen in der heutigen Welt ein Ende zu setzen. "Christliche Kirchen und Gemeinschaften sollten ihre Friedens- und Menschenrechtsarbeit mit wirklichen Inhalten füllen und sich an erster Stelle um ihre in einigen Teilen der Welt verfolgten Brüder und Schwestern kümmern."

Hilarion scheute auch nicht davor zurück, pro domo zu sprechen, als er die These aufstellte, in der russischen Geschichte habe es keine Religionskriege oder religiöse Konfrontationen gegeben. Die Art und Weise, wie in Russland stabile und wohlwollende Beziehungen zwischen den Religionen aufgebaut worden seien und weiter aufgebaut würden, könne als "Lehre für die Anwendung derselben Prinzipien auf internationaler Ebene dienen".


Unterschiedliche Akzentsetzungen

Die Internationale Ökumenische Friedenskonvokation ging mit der Verabschiedung einer Botschaft zu Ende. Auch dieser Text enthält Aussagen zu den vier Dimensionen des Friedens in der Gemeinschaft, mit der Erde, in der Wirtschaft und zwischen den Völkern. Dem ist ein Absatz vorangestellt, der die unterschiedlichen Akzentsetzungen der Kirchen in Sachen Frieden und Friedensförderung benennt. Für manche seien persönliche Bekehrung und Moral Ausgangspunkt und Grundlage für die Herstellung von Frieden, andere betonten die Notwendigkeit, "sich als Vorbedingung für die Schaffung von Frieden zunächst auf gegenseitige Unterstützung und Korrektur im Leib Christi" zu konzentrieren. Wieder andere legten den Schwerpunkt auf das gemeinsame Engagement mit sozialen Bewegungen und das öffentliche Zeugnis.


Jeder dieser Ansätze, so die Botschaft, habe seine Vorzüge; sie würden sich nicht gegenseitig ausschließen: "Selbst in unserer Vielfalt können wir mit einer Stimme sprechen." Was dann gemeinsam formuliert wird, ist nicht in allen Forderungen gleichermaßen überzeugend. So werden die Kirchen dazu ermutigt, gemeinsame Strategien zu einer Reform der Wirtschaft zu beschließen; sie müssten wirksamer der unverantwortlichen Konzentration von Macht und Reichtum sowie der Geißel der Korruption entgegentreten. Die Kirchen seien, heißt es pathetisch, dazu in der Lage, "die Mächtigen Gewaltfreiheit zu lehren".

Als nächstes Etappenziel wird die 2013 bevorstehende Vollversammlung des ÖRK in Busan (Südkorea) genannt. Sie solle dem gerechten Frieden in allen seinen Dimensionen höchste Priorität geben. Ob die nächste Vollversammlung dazu beitragen kann, der Stimme des ÖRK in der weltweiten Ökumene und nicht zuletzt hierzulande wieder mehr Gewicht zu verleihen, wird sich allerdings erst zeigen müssen.


Ulrich Ruh, Dr. theol., geboren 1950 in Elzach (Schwarzwald). Studium der Katholischen Theologie und Germanistik in Freiburg und Tübingen. 1974-1979 Wiss. Assistent bei Prof. Karl Lehmann in Freiburg. 1979 Promotion. Seit 1979 Redakteur der Herder Korrespondenz; seit 1991 Chefredakteur.
ruh@herder.de


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
65. Jahrgang, Heft 7, Juli 2011, S. 331-333
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2011