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KIRCHE/1331: Erzbischof Zollitsch wirbt für starkes Europa (idw)


Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 14.06.2012

Plädoyer für ein solidarisches und freiheitliches Europa

Erzbischof Zollitsch fordert eine echte Wertegemeinschaft und eine verlässliche Rechtsgemeinschaft



Zu einem mutigen Bekenntnis für ein starkes Europa hat heute der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, aufgerufen. In einer Rede im Palais Wittgenstein in Düsseldorf warb Zollitsch dafür, Europa als einen Kontinent der Hoffnung zu gestalten. "Dazu braucht es mutige und mündige Christen, die die Botschaft des Evangeliums in die heutigen Fragen hinein buchstabieren, damit das europäische Haus stabil und wetterfest bleibt. Die Kirche wird dazu ihren Beitrag leisten."

Die Eurokrise haben gerade die Frage nach der Solidarität in Europa mit enormer Wucht aufgeworfen: "Bis vor zwei Jahren hätte jeder die Aussage unterstützt, Europa sei solidarisch. In Zeiten von Rettungsschirmen und Schuldenschnitten drängt sich die Frage auf, was wir unter einem solidarischen und freiheitlichen Europa eigentlich zu verstehen haben", so Zollitsch. In der Krise gehe es auch darum, einen fundamentalen Wert nicht zu vergessen: Europa werde oft als Kontinent des Friedens bezeichnet. Was sich nach dem Zweiten Weltkrieg von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Europäische Gemeinschaft zur Europäischen Union entwickelt habe, "ist das einzigartige europäische Erfolgsmodell, das unserem Kontinent nicht nur Frieden und Freiheit gesichert, sondern auch wachsenden Wohlstand, Freiheit und nicht zuletzt eine gemeinsame Währung gebracht hat." Zollitsch unterstrich die Werte Europas, die auf das Christentum gründeten: "Werte sind ja nichts Abstraktes, sondern prägen das menschliche Zusammenleben. Wer sich auf das Gedankenexperiment einlässt, sämtliche Spuren des Christentums aus unserer europäischen Kultur zu tilgen, der würde sich schnell vor einem toten Gerippe oder einem seelenlosen Gehäuse wieder finden. Denn nicht nur Würde und Freiheit des Menschen, soziale Gerechtigkeit und Solidarität haben hier ihre Wurzeln. Gerade auch die Sorge um Kranke, Schwache und um Hilfsbedürftige ist ein Markenzeichen und unverwechselbares Gütesiegel des christlichen Glaubens von seinen Anfängen bis heute." Das biblische Menschenbild hinterlasse deutliche Spuren in der Geschichte des modernen Rechts- und Sozialstaates. Zollitsch fügte hinzu: "Die Bindewirkungen und die identitätsstiftenden Kräfte, die aus der gemeinsamen, wenn auch allzu häufig unfriedlichen Geschichte, einer gemeinsamen Kultur und insbesondere aus gemeinsamen religiösen Grundüberzeugungen und damit auch aus einem gemeinsamen Wertesystem erwachsen, haben den konkreten europäischen Einigungsprozess wesentlich erleichtert, gefördert und vermutlich so gar erst möglich gemacht."

Mit Blick auf die Erweiterung der Europäischen Union forderte Erzbischof Zollitsch ein klares Bekenntnis zu den Werten Europas: "Nimmt man Europa als eine Wertegemeinschaft ernst, gehören zu den Voraussetzungen künftiger Beitrittsrunden eben nicht nur solche wirtschaftlicher und politischer Natur, sondern auch die Bereitschaft, den für den Zusammenhalt der europäischen Union so wichtigen Grundwertekonsens mitzutragen. Deshalb ist nicht zuletzt die Ökumene in Europa so wichtig: Ohne eine Verständigung zwischen westlicher und östlicher Kirche kann auch die kulturelle und politische Einheit zwischen West und Ost in Europa nur schwer gelingen." Wirkliche Einheit und Integration setzten voraus, dass Menschen bei aller bleibenden nationalen Vielfalt ein gemeinsames Fundament besäßen. "Eine florierende Wirtschaft ist dazu wichtig. Sie ist unverzichtbare Lebensgrundlage, aber sie ist nicht die Lebenserfüllung. Wir brauchen Brot zum Leben, aber wir leben nicht vom Brot allein. Um die Herzen der Menschen zu erreichen und für Europa zu begeistern, braucht es eine Vision", sagte Zollitsch. Dabei sei viel erreicht worden, wofür es gelte, dankbar zu sein. "Zugleich gibt es keinen Grund, die Hände zufrieden in den Schoß zu legen. Das Einigungswerk ist noch nicht vollendet. Die Kirche ermutigt deshalb zu beherztem Fortschreiten auf dem eingeschlagenen Weg, freilich auch zu Kurskorrekturen dort, wo sich Mängel oder Schieflagen zeigen. Ich trete deshalb nachdrücklich für den Vertrag von Lissabon ein, auch wenn er nicht alle Erwartungen der Kirche erfüllt." Dem Vertrag hätte es nach Auffassung der Kirche gut angestanden, wenn in die Präambel ein Gottesbezug und ein Bekenntnis zum christlich-jüdischen Erbe Europas eingefügt worden wären: "Das wäre nicht nur folgerichtig, sondern vor allem auch zukunftsweisend gewesen. Wir können eben nicht darauf vertrauen, dass Werte wie Menschenwürde, Freiheit und soziale Gerechtigkeit aus sich heraus wirken und Bestand haben. Freiheit ohne Verantwortung wird sch nell zur Beliebigkeit! Menschenwürde ohne Rückbindung an den Schöpfer steht in Gefahr, in Egoismus und Überheblichkeit umzuschlagen. Dafür ist die die Finanz- und Wirtschaftskrise ein sicherer Beleg. Und dabei frage ich mich: Wie überlebt ein Sozialstaat ohne den Wert der Nächstenliebe?"

Sorge, so Zollitsch, bereite ihm im Zuge der derzeitigen Euro-Schuldenkrise das Verhältnis der europäischen Völker untereinander. "Beim Geld, so sagt das Sprichwort, hört die Freundschaft auf. Aber das bedeutet keinesfalls, dass das Verhältnis in sein Gegenteil umschlagen muss. Das Schüren von Vorurteilen und die Bedienung nationaler Stereotypen sind nicht nur unfruchtbar, sondern entzweien die Völker. Mich schmerzt sehr, dass solche Entwicklungen in den vergangenen Monaten und Jahren der Krise in Europa deutlich zugenommen haben." Dabei warnte Erzbischof Zollitsch vor einer "rückwärtsgewandten Romantik, die Sehnsucht danach hat, das einstige christliche Abendland wieder herzustellen. Im Gegenteil: Mein Blick richtet sich auf Gegenwart und noch mehr auf die Zukunft. Ich traue gerade der christlichen Tradition eine erneuernde Kraft für unseren bisweilen müde erscheinenden Kontinent zu. Eine Gesellschaft, die in der Botschaft des Evangeliums wurzelt, ist eine lebenswerte und zukunftsfähige Gesellschaft. Wir dürfen nicht übersehen, dass moderne Gesellschaften dazu neigen, in der Gestaltung des individuellen wie des gemeinschaftlichen Lebens von der Beziehung zum lebendigen Gott abzusehen. Gott ist vor vielen Türen in Europa nicht nur ein Fremder, sondern mittlerweile auch ein Obdachloser geworden - wie auf kaum einem anderen Kontinent unserer Erde. Auch davon zeugt die Präambel des Vertrages von Lissabon. Ein Gottesbezug bewahrt uns Menschen davor, immer nur um uns selbst zu kreisen. Er stellt uns in einen größeren Verantwortungszusammenhang und weist zugleich auf die Grenzen menschlichen und politischen Handelns hin."

Erzbischof Zollitsch warb für einen verstärkten Einsatz der Politik, um die Akzeptanz Europas in der Bevölkerung zu erhöhen. Europa muss die Verwurzelung der Menschen in ihren jeweiligen Bezügen nutzen, um eine europäische Identität zu fördern, die die Gemeinsamkeiten hervorhebt, ohne die Bedeutung des Besonderen zu mindern." Nur in seiner ganzen Vielgestaltigkeit könne Europa seine Einheit finden, wie es das Motto der Europäischen Union zum Ausdruck bringe: "In Vielfalt vereint". Dabei setze Solidarität die Wahrnehmung von Eigenverantwortung voraus. "Wenn es gelingt, verbindlichere Regeln in der Europäischen Union durchzusetzen, dann habe ich die Hoffnung, dass die Krise auch zu einer Stärkung der Union führen kann. So könnte die Eurokrise zu einer Stärkung der europäischen Einigung und zu einer Vertiefung der Beziehungen unter den europäischen Völkern führen. Das wäre die Fortsetzung des Versöhnungs- und Einigungsgedankens, der uns über 60 Jahre lang auf dem Weg der Integration geleitet hat", sagte Zollitsch.

Erzbischof Zollitsch sprach in Düsseldorf bei der Veranstaltungsreihe "Mein Europa!", die federführend von der Konrad-Adenauer-Stiftung vorbereitet wurde. Der Landesbeauftragte der Konrad-Adenauer-Stiftung in Nordrhein-Westfalen, Daniel Schranz, würdigte die Rede von Erzbischof Zollitsch als bedeutenden Beitrag der ältesten Institution in Europa. Anlass für die Veranstaltungsreihe sei der 60. Jahrestag der Wiederkehr der Verkündung des Schuman-Planes am 9. Mai 1950 als der "Geburtsurkunde" der heutigen Europäischen Union, so Schranz. Die Konrad-Adenauer-Stiftung, der Jean-Monnet-Lehrstuhl an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und das Düsseldorfer Institut für Außen- und Sicherheitspolitik, die zu der Veranstaltung eingeladen hatten, seien der Auffassung, dass die Europäische Idee Gesicht zeigen müsse.

Hinweis:
Den Vortrag von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch anlässlich der Veranstaltungsreihe "Mein Europa!" finden Sie zum Download unter www.dbk.de.

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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 096 vom 14. Juni 2012
Herausgeber: P. Dr. Hans Langendörfer SJ,
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2012