Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → CHRISTENTUM

KIRCHE/1394: Die religiös-kirchliche Landschaft in den USA (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 7/2012

Pluriformität, nicht Säkularisierung
Die religiös-kirchliche Landschaft in den USA

Von Thomas Eggensperger



Die Vereinigten Staaten bieten in ihrer religiös-kirchlichen Entwicklung in mancher Hinsicht ein anderes Bild als europäische Länder. Nicht so sehr eine fortschreitende Säkularisierung, sondern eine zunehmende Pluralisierung von Religion ist kennzeichnend. Davon ist auch die katholische Kirche betroffen, in der es unterschiedliche Ausprägungen des Katholischen gibt.


Im Mai 2012 machte sich eine Delegation deutscher Theologen auf, die USA zu besuchen, um im Rahmen verschiedener Begegnungen mit einer Auswahl von Experten Fragen zu erörtern, die Teil eines auf mehrere Jahre hin angelegten Forschungsprogramms zur Säkularisierung sind. Die Partner des Projekts sind das Berliner Institut M.-Dominique Chenu, eine Einrichtung des Dominikanerordens, und die Philosophisch-Theologische Hochschule Münster, die von der deutschen Kapuzinerprovinz getragen wird.

Das Institut Chenu als Mitglied des Netzwerks Espaces setzt sich seit seiner Gründung mit dem Wechselverhältnis von Kirche und Gesellschaft in Deutschland und Europa auf verschiedenen Ebenen (Forschung, Lehre, Publikationen) auseinander, die Kapuziner beschäftigen sich mit dem Thema Säkularisierung im Rahmen ihrer langfristig ausgerichteten Überlegungen, in welcher Weise sie in Deutschland und Europa pastoral angemessen präsent sein können. Dem Forschungsprojekt vorausgegangen waren ein internationaler Kongress europäischer Kapuziner in Madrid 2008 sowie mehrere kleinere Fachtagungen und Begegnungen mit unterschiedlich gesetzten Akzenten.

Das Thema des Programms lautet: "Glaubensvermittlung in gesellschaftlichen und religiösen Transformationsprozessen" und setzt sich schwerpunktmäßig mit der Situation in Deutschland und Europa auseinander. Es geht letzten Endes um das, was im Allgemeinen mit "Säkularisierung" umschrieben wird. Im wissenschaftlichen Diskurs kreisen eine Reihe von differierenden Diskussionen um die Säkularisierung und um ihren Begriff. Hinsichtlich der Hermeneutik hat sich die Forschungsgruppe darauf verständigt, zur Vermeidung von frühzeitigen Festlegungen nicht vorab mit einer eindeutigen Definition in die Debatte zu gehen, sondern hermeneutisch mit einem recht offenen Begriff die Situation zu analysieren.


Postsäkularität und Postmodernität

Die erste Begegnung mit dem Theologen Robert Schreiter an der CTU (Catholic Theological Union Chicago) und weiteren Mitgliedern des Lehrkörpers der Hochschule, die von einem Zusammenschluss von gut zwei Dutzend Ordensgemeinschaften getragen wird, zeigte, dass die in Westeuropa so heiß diskutierte Säkularisierung in den USA mittlerweile kaum mehr ein Thema ist. Viel intensiver sind die Debatten um postsecularity und postmodernity (die Philosophen Charles Taylor und Jürgen Habermas, der Soziologin Grace Davie, der Theologe Robert Schreiter). Die religiöse Situation in den USA ist bekanntlich anders gelagert als in Europa.

Die USA sind trotz der klaren Trennung von Kirche und Staat ein religiöses Land (69 Prozent der Amerikaner würde keinen Kandidaten zum Präsidenten wählen, der nicht religiös ist), sind hauptsächlich von einer protestantischen Tradition geprägt (zurzeit gibt es etwa 900 Denominationen) und die interreligiöse Kommunikation gilt im Allgemeinen als gut. Selbst die evangelikalen Gruppen, die häufig mit einer stark anti-katholischen Tendenz aufgefallen sind, haben sich mittlerweile arrangiert und kooperieren zunehmend mit anderen christlichen Gruppierungen. Allerdings zeitigt der klassische Anti-Katholizismus des 19. Jahrhunderts Folgen bis in die Gegenwart. Denn nicht zuletzt aufgrund dieser Stimmung suchte man damals, eine alternative katholische Kultur zu entwickeln, was unter anderem zu der großen Zahl katholischer Schulen und gegenwärtig etwa 230 Universitäten führte. Gerade in Chicago finden sich eine Reihe Kirchen, die für bestimmte Ethnien eingerichtet wurden, die sich per Zuwanderung in der Stadt angesiedelt haben (vgl. HK, August 2009, 392).

Der Dialog mit den Muslimen gilt ebenfalls als fruchtbar, wobei es sich als sehr hilfreich erweist, dass sehr viele Muslime (im Gegensatz zu Europa) gut ausgebildet sind. Es gibt zwar das Problem der Islamophobie, wie sie vor allem von Erzkonservativen gepflegt wird, aber sie spielen im interreligiösen Gespräch ohnehin kaum eine Rolle.


Hinsichtlich der Umschreibung des US-amerikanischen religiösen Bewusstseins ist es sinnvoller, von Pluralisierung zu reden als von Säkularisierung. Die Pluralisierung, treffender die Pluriformität, wird von Schreiter und anderen als größere Herausforderung betrachtet als alle auch anzutreffenden Säkularisierungstendenzen. Immerhin gelten 83 Prozent der Amerikaner (also auch die katholischen) als Pluralisten, sind also offen für unterschiedliche religiöse Traditionen - was seitens der Kirchenleitung nicht mit Begeisterung aufgenommen wird. Man rechnet zurzeit mit gut 25 Millionen ehemaligen Katholiken, die mittlerweile zu anderen Kirchen gewechselt sind. Signifikant für diese Gruppe ist die Aussage "I was raised up as Catholic", die höfliche Umschreibung dafür, dass man jetzt nicht mehr dazugehört.

Letztlich wächst die katholische Kirche in den USA aber quantitativ, was mit den Zuwanderern aus Lateinamerika, der Karibik und Asien zu tun hat. Interessant ist der allgemeine Trend vor allem der jungen Erwachsenen, zu den megachurches zu gehen. Die Megachurch-Bewegung trifft sich ein oder zweimal die Woche zu Gottesdiensten mit bis zu 5000 Teilnehmern, was die Veranstaltung zu einem besonderen Event werden lässt, in dem das Zusammensein wichtig ist und in einem vergleichsweise informellen Stil beibehalten wird, wie der Gottesdienst gefeiert wird. Die Megachurches verstehen sich als kundenorientiertes Netzwerk und stehen in Städten wie Chicago in ihrer Ausrichtung nicht allein da. Auf katholischer Seite sind beispielsweise Projekte wie die Gemeinde Old St. Patrick's zu nennen, die gut 1000 zumeist jüngere Leute bei den Eucharistiefeiern aufweisen kann, oder die Gemeinde von St. Clement, die sich im Angebot an jüngere Menschen richtet.


Untersucht man eingehender, was mit Pluriformität gemeint ist, so stellt man fest, dass es sich eher um einen soft pluralism handelt, der weniger systematisch durchdacht ist. Eher stellt die Pluriformität einen gewissen modus vivendi dar, der gepflegt wird. Die Gläubigen interessieren sich dabei weniger für scheinbare Petitessen wie die der kirchlichen Hierarchie oder der Doktrin, sondern fühlen sich zu ökologischen Themen hingezogen, suchen nach alternativen Möglichkeiten des Zusammenlebens und orientieren sich in synkretistischer Manier am Markt der spirituellen Möglichkeiten (nicht nur Yoga, sondern beispielsweise die klassische eucharistische Anbetung als Gegenbewegung zu Hektik und Gewalt im Alltag oder die Beichte als Möglichkeit zu Gespräch und Austausch).


Die praktische Pluralität gibt sich undogmatisch

Im Gegensatz zu landläufigen Meinungen sind die konservativen Gruppen zwar präsent (Opus Dei, Catholic Underground, Neokatechumenat etc.), aber sie sind letztlich keine einflussreichen Bewegungen. Man kann auch nicht behaupten, sie seien fundamentalistischer Natur oder würden aus dogmatischen Gründen faszinieren, sondern sie finden eher Zulauf, weil sie bestimmten Menschen in Krisensituationen beistehen und sich um zwischenmenschliche Beziehungen bemühen.


Überhaupt gibt sich die praktische Pluriformität recht undogmatisch. Selbst kirchlich Konservative sind in politischer Hinsicht progressiv und anderen Ansichten gegenüber sehr tolerant, obgleich eine Werteumfrage unlängst zeigte, dass die Werte immer noch recht konservativ sind und die Prozentzahlen sich kaum von denen der sechziger Jahre unterscheiden. Die Europäische Wertestudie zeigt dagegen in diesem Fall einen erheblichen Wandel auf.

Die jungen US-Amerikaner stehen zu ihrer Diversität, die aus den Migrationserfahrungen resultiert. Die diversity wird in der Regel als hilfreich empfunden, was dazu führt, dass beispielsweise versucht wird, die seitens der Immigranten importierten theologischen und religiösen Spezifika fruchtbringend aufzugreifen und zu rezipieren. Hierbei ist vor allem die Tradition der Latinos zu nennen (die so genannte "US-Hispanic-Theology"). Die jungen Gemeindemitglieder haben mit ihrer Offenheit für Diversitäts-Erfahrungen wenig Verständnis für die in ihren Augen bestehende kirchliche Intoleranz in Lehre und Moral.

Ihnen kommt vor, dass die Amtsträger eher polarisieren als Pluriformität kreativ entfalten. Dennoch wird der tolerante Prozess von Pluriformität und Diversität auch kritisch gesehen und als Herausforderung für das alltägliche Zusammenleben empfunden. Zudem entstehen immer wieder neue zuweilen sehr konservative Gemeinschaften, die sich sehr altmodisch inszenieren und auch viel Zulauf haben. Zudem ist zu beobachten, dass die Theologie als akademische Wissenschaft nach wie vor sehr europäisch geprägt ist.


Es scheint, dass die junge Generation sehr stark auf der Suche nach "Identität" ist. Zumindest ist festzustellen, dass junge Erwachsene nicht kontinuierlich bei einer Sache bleiben, sondern Gruppen schnell wechseln, was man unter anderem daran festmachen kann, dass es sowohl viele Eintritte in als auch Austritte aus den einzelnen Kirchen(gemeinden) gibt beziehungsweise Experimente auf Zeit welcher Art auch immer großen Anklang finden. Die Klärung von Identität und Berufung wird von Beobachtern - bildlich betrachtet - wahrgenommen als ein "Buffet", an dem man sich unkompliziert und reichlich bedienen kann, aber die Sehnsucht geht eher in Richtung eines "Menus".


Kirche und ihre Gemeinden

In den USA gibt es 195 Bistümer und ungefähr 270 Bischöfe. Auffallend sind Polarisierungen innerhalb der US-amerikanischen Bischofskonferenz, neuere Bischofsernennungen entspringen, so die Einschätzung vieler Katholiken, eher ideologisch geprägten Kriterien. Die Kandidaten kommen heutzutage mehr denn je aus dem Mittelstand ("Kapläne der Republikaner") und nicht mehr, wie bislang häufig der Fall, aus dem Arbeitermilieu. Manche Bischöfe tendieren stark zu rechten und fundamentalistischen Gruppen. Immer wieder wird beklagt, dass die Bischöfe immer konservativer werden und kaum in der Lage sind, den Zeichen der Zeit angemessen zu begegnen.

Dies hat wohl nicht zuletzt damit zu tun, dass die Bischöfe fast gar nicht aus dem akademischen Milieu entstammen und entsprechende Reflexionen richtiggehend scheuen. Es überrascht zu erfahren, dass bei Veranstaltungen der Bischofskonferenz eher Referenten aus den großen protestantischen Denominationen eingeladen werden als aus dem Pool der katholischen Theologen. Es entsteht der Eindruck, dass die Hierarchie den Protestanten eher traut als den ihrer Meinung zu kritischen Theologen der katholischen Universitäten.


Ein weiterer Gesprächspartner der Delegation war der Theologe Thomas O'Meara, der unter anderem an der Loyola University in Chicago lehrt. Der Dominikaner ging ausführlicher auf die Situation der kirchlichen MitarbeiterInnen in den USA ein. Umfragen haben ergeben, dass in den USA heute etwa 77 Millionen Katholiken leben, davon betrachten sich etwa 9 Millionen als nicht praktizierend. Letztere würden sich durchaus als gläubige Katholiken bezeichnen, aber sie fühlen sich nicht unbedingt einer Pfarrei oder Ähnlichem näher verbunden. Von den praktizierenden Katholiken besuchen immerhin etwa 38 Prozent jeden Sonntag die Hl. Messe, jeden Monat einmal gehen etwa 75 Prozent in den Gottesdienst.

Trotz dieser recht guten Zahlen und dem Anwachsen der Katholiken durch Zuwanderung sinkt die Zahl der Gemeinden und es herrscht bei den Diözesanpriestern zwischenzeitlich ein erheblicher Nachwuchsmangel, was von den Bischöfen bislang jedoch noch nicht angemessen rezipiert wird. Dafür gibt es zunehmend seitens der einzelnen Pfarreien bezahlte Laien-MitarbeiterInnen, die in universitären oder bischöflichen Einrichtungen ausgebildet wurden (mehrheitlich Frauen mit dem Durchschnittsalter von 50 Jahren). Zwischen den (in mehreren Verbänden gut organisierten) Laien-Mitarbeitern und den Bischöfen kommt es immer wieder zu Konflikten.

O'Meara stellt vier Paradoxien hinsichtlich der Zukunft der US-amerikanischen katholischen Kirche heraus: Erstens existiert der Mythos von der "einen" Kirche, der aber nicht zu halten ist. De facto gibt es mindestens fünf Kirchen, die sich regional im Land verteilt finden und die jeweils sehr unterschiedliche organisatorische, theologische und pastorale Traditionen ausgebildet haben und pflegen.

Das zweite Paradox stellt die Tatsache dar, dass die Kirche der USA letztlich eine Kirche der Universitäten und Schulen (zumeist getragen von den Orden) ist, die im Zuge der historischen Positionierung gegen die reformatorische Vorrangstellung im Lande entstanden sind. Drittens spielt die Akquise von Geld und die ökonomische Unsicherheit der Institutionen eine große Rolle, da seitens des Staates in dieser Hinsicht nichts zu erwarten ist. Die katholische Kirche gilt als reich, da die US-amerikanischen Katholiken in den letzten Jahrzehnten zu hohem Wohlstand gelangt sind. Die Zuwendungen kommen größtenteils den Einrichtungen zugute, nicht aber den Diözesen. Das vierte Paradoxon stellt der Standard der guten theologischen Ausbildung dar. Der Bildungsstand der Katholiken ist mittlerweile sehr hoch und die immer kompetenteren Gläubigen sind interessiert an guten Predigten und einer intelligent gestalteten Liturgie.


Die wichtige Rolle der Ordensgemeinschaften

Über dogmatische Fragen wird kaum diskutiert, sondern die essentials der katholischen Glaubenslehre werden als bekannt und respektiert vorausgesetzt. Soziale und moralische Themen werden heiß debattiert. Zusammenfassend also lässt sich sagen, dass die Kirche zwar groß, sich aber inmitten vieler anderer Kirchen behaupten muss und dann letztlich doch nur eine sehr lokal ausgerichtete Größe ist. Zudem ist sie reich, aber dann doch wieder arm angesichts der vielen Immigranten (vor allem die hispanics, für die viel getan wird und auch eine Reihe guter pastoraler Initiativen existieren, wie beispielsweise die als "Exzellenzpfarrei" ausgezeichnete St. Pius V. in Chicago, die sich um die vorrangig aus Mexiko - zumeist illegal - Eingewanderten kümmert und von Dominikanern betreut wird).

Robert Ludwig, der Leiter des an der Loyola University angesiedelten "Institute of Pastoral Studies" (IPS) präsentierte eine Reihe von graduate programs zur Kompetenzerlangung für die Umsetzung in eine zeitgemäße Pastoral, in die zu einem guten Teil Studierende eingeschrieben sind, die das Studium neben ihrem Beruf absolvieren (beispielsweise das "Crossing Over" - Projekt, das aus einer gemeinsamen Initiative mit der Katholisch-Theologischen Fakultät Bochum hervorgegangen ist (vgl. HK, Juni 2011, 290)). Das IPS sieht als vorrangige pastorale Herausforderung die Hilfe für (illegale) Immigranten, die Auseinandersetzung mit der kulturellen Diversität der unterschiedlichen ethnischen Kulturen im Land sowie das fehlende Interesse der jungen Generation an Kirche.


Die Ordensgemeinschaften spielen in den USA eine sehr wichtige Rolle. Dabei zeigt sich, dass es innerhalb der immer älter werdenden Schwesterngemeinschaften große Konflikte zwischen "Progressiven" und "Konservativen" gibt (was sich erstaunlicherweise unter anderem am Tragen beziehungsweise Nichttragen des Ordenskleids festmacht). Das Intervenieren des Heiligen Stuhls gegen vorgeblich zu heterodoxen und verweltlichten Gemeinschaften sei, so die Auskunft mehrerer Beteiligter, eher eine Initiative, die seitens Ultrakonservativer aus den eigenen Reihen provoziert wurde, als dass Rom selbst größeres Verlangen danach gehabt habe, in irgendeiner Weise disziplinarisch einzuschreiten (vgl. HK, Juni 2012, 279).

Für europäische Verhältnisse sehr bemerkenswert ist der überdurchschnittliche hohe Bildungsstandard der Schwestern (wir konnten uns beim Besuch des Klosters St. Clare in Trenton/New Jersey davon überzeugen, dass dies auch für explizit beschauliche Klöster gilt), der dazu führt, dass man viele Schwestern als Lehrerinnen und Professorinnen findet. Es ist evident, dass durch die erweiterten beruflich möglichen Betätigungsfelder der Schwestern immer wieder die Frage eines Beschäftigungsverhältnisses außerhalb des kirchlichen Milieus diskutiert wird.


Die Begegnung mit jungen Ordensleuten (in unserem Fall zwei Ausbildungshäuser der Kapuziner in Chicago und der Dominikaner in St. Louis) zeigt, dass zumindest der männliche Ordensnachwuchs sicherlich neue Perspektiven eröffnen wird, wenn er die Ausbildung erst einmal beendet hat. Nach Ansicht der Ausbilder dieser beiden Häuser ist die junge Generation von Novizen und Studenten prinzipiell etwas konservativer als die aktive Generation, aber sie bewegt sich nicht auf ideologisch verfestigten Pfaden, sondern sucht einfach nach einem alternativen Weg, sich als Ordensleute in Kirche und Gesellschaft zu behaupten.

Dabei repräsentieren die jungen Ordenschristen durchaus ihre eigene Generation, die in der Kirche aktiv ist. Entsprechend stehen die jungen Studierenden hinter den Vorstellungen ihrer Altersgenossen. Fragt man sie nach ihren Visionen, dann stellt man ein großes Interesse fest, die kirchliche Lehre, aber auch die christliche Botschaft in die Gesellschaft einzubringen und sie verständlich zu machen. Die jungen Dominikaner werden hierzu ausgebildet im renommierten "Aquinas Institute", das in St. Louis ansässig ist und das versucht, Fragen der Verkündigung und des christlichen Lebens theologisch aufzuarbeiten und zu vermitteln.


In den Gesprächen wurde immer wieder die hohe Bedeutung der Studierendenseelsorge hervorgehoben. Nicht nur, dass dieses Feld eine spannende Herausforderung für Seelsorge ist, sondern man erhofft sich recht unverhohlen auch die Rekrutierung von Ordensnachwuchs und macht entsprechende Angebote. Diese Form der Berufe-Pastoral auf dem Feld von Studentengemeinden ist im deutschsprachigen Raum weitgehend unbekannt. Es zeigt sich, dass es für diese junge Generation von Ordensleuten zum einen wichtig ist, Kommunikation und Gemeinschaft zu pflegen und zum zweiten, wie sie immer wieder betonen, "authentisch" zu sein.


Eine pluralistische Gesellschaft mit dezidiert religiösem Charakter

Die kroatischstämmige Theologin Slavica Jakelic (University of Virginia) trafen wir am Ende der Reise im Nucleus des Wirtschafts- und Finanzlebens wieder, in Manhattan. Jakelic betonte, dass ihrer Meinung nach die USA kein melting pot sei, wie gemeinhin behauptet wird, sondern vielmehr eine pluralistische Gesellschaft mit dezidiert religiösem Charakter (immerhin glauben 92 Prozent der Amerikaner an Gott und 50 Prozent geben an, täglich zu beten). Bei ihrer Präsentation aktueller Debatten um das Verhältnis von Religion und Gesellschaft kristallisieren sich nach Meinung der Theologin zwei Akzente heraus, die in ihnen eine wichtige Rolle spielen: Zum einen wird der stark religiöse Bezug innerhalb der Gesellschaft als Zeichen von Hoffnung gesehen, zum anderen besteht mehr oder weniger latent die Angst vor dem Verlust eben jenes Bezugs zum Religiösen.

Die Debatten sind nicht frei von Polarisierungen, das heißt, es wird in der Selbst- und Fremddefinition schnell Schwarzweißmalerei betrieben und somit auch der Pluralismus - je nach Standpunkt - als gut oder schlecht betrachtet. Die theologische und soziologische Auseinandersetzung mit dem Säkularismus zeigt eine große Skepsis gegenüber dieser Umschreibung. Vor allem im Blick auf Europa und seine unterschiedlich gelagerten Zustände empfindet man Säkularisierung in der Regel als ein Problem, welches man in den USA nicht unbedingt importiert wissen will.


Die Umfragen erwecken den Eindruck, als ob es einen starken Hang gibt, sich der Religion zuzuwenden, weil sie reichen Lohn verspricht. Im Zweifelsfall wechselt man auch seinen religiösen Standort (so haben 44 Prozent der Amerikaner schon mindestens einmal ihre Gemeinde und/oder ihre Religion gewechselt, was unter anderem mit der Suche nach Heil zu tun haben dürfte). Einig ist man sich allerdings in der Hinsicht, dass Agnostizismus oder Atheismus mehr oder weniger als unamerican empfunden wird und man die Betroffenen tendenziell für unmoralisch hält.

Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Situation innerhalb der katholischen Kirche, so ist erstaunlich festzustellen, dass die Katholiken - im Gegensatz zu landläufigen Meinungen - keineswegs automatisch von allem überzeugt sind, was als originär katholisch gilt. Wie sehr vorgeblich prioritäre Themen in den Vorstellungen der Gläubigen tatsächlich eher im Hintergrund stehen, zeigen die Umfragen: Die grundsätzliche Ablehnung einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft wird nur von 35 Prozent der Kirchenmitglieder als wichtig betrachtet, nur 40 Prozent halten die Schwangerschaftsverhütungsthematik für prioritär, hinter dem Zölibat der Priester stehen nur 21 Prozent der Gläubigen. Auch für Jakelic sind die Konflikte zwischen Bischöfen und Theologen sowie zwischen Hierarchie und Gläubigen sehr erheblich und bedeuten eine Belastung.


Am Ende der Reise, die unter anderem zur Begegnung mit Mitarbeitern einer typischen Innenstadt-Pfarrei Manhattans (Saint Francis of Assisi) und mit einer Neugründung von Ordensleuten mit dem Anspruch radikaler Armut (Franciscan Friars of Renewal) in Newark/New Jersey führte, stellte sich für die Forschungsgruppe eine Reihe von Fragen, die im Rahmen des Projekts weiter vertieft werden sollen. Vor allem erscheint es wichtig, den Begriff der "Säkularisierung" neu zu überdenken. In der europäischen Forschung besteht mittlerweile eine hohe Bedeutungsvielfalt, aber es ist zu fragen, ob die entsprechenden Transformationsprozesse sowie die einhergehende Pluriformität und Diversität auch in Deutschland und Europa nicht subtiler zu betrachten sind, als dass man sie gemeinhin mit dem (auch erweiterten) Begriff der Säkularisierung angemessen umschreiben kann.


Wir hatten die Gelegenheit, einen kleinen Ausschnitt von verschieden gelagerten pastoralen Aktivitäten wahrnehmen zu dürfen, aber auch in den USA ist zu fragen, welcher gezielt missionarische Impetus eigentlich hinter all diesen Aktivitäten steht. In Deutschland diskutiert man in Kirche und Orden sehr leidenschaftlich über Strukturen und Institutionen und vergisst dabei leicht, dass diese nur Mittel zum Zweck einer missionarischen Verkündigung sein sollten. Dabei sollte auch die Theologie des Ordenslebens überdacht werden, die Konsequenzen zeitigen muss für eine erneuerte Ausbildung zur Schwester oder Bruder einer Ordensgemeinschaft mit ihren jeweiligen Spezifika. Die Aufgabenstellung für das weiterführende Forschungsprojekt ist damit evident.


Thomas Eggensperger OP, Dr. theol., M.A.; Professor für Sozialethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Münster; Direktor des Institut M.-Dominique Chenu Berlin. Das beschriebene Forschungsprojekt findet sich ausführlich dargestellt auf der Website www.saeculum.eu.

*

Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
66. Jahrgang, Heft 7, Juli 2012, S. 368-372
Anschrift der Redaktion:
Hermann-Herder-Straße 4, 79104 Freiburg i.Br.
Telefon: 0761/27 17-388
Telefax: 0761/27 17-488
E-Mail: herderkorrespondenz@herder.de
www.herder-korrespondenz.de
 
Die "Herder Korrespondenz" erscheint monatlich.
Heftpreis im Abonnement 10,29 Euro.
Das Einzelheft kostet 12,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2012