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KIRCHE/1454: Argentinien - Katholiken wollen Rolle der Kirche in der Militärdiktatur untersuchen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. März 2013

Argentinien: Aufarbeitung der Militärdiktatur - Katholiken wollen Rolle der Kirche untersuchen

von Marcela Valente


Bild: © 3.0 CC BY-SA

Kardinal Jorge Bergoglio in Buenos Aires im Jahr 2008
Bild: © 3.0 CC BY-SA

Buenos Aires, 18. März (IPS) - Kaum war der argentinische Kardinal Jorge Bergoglio zum Papst gewählt worden, diskutierte man in der ganzen Welt über seine Rolle während der argentinischen Militärdiktatur. In seinem Heimatland selbst brodelt die Debatte um die Beteiligung der katholischen Kirche an den Militärverbrechen bereits seit Jahrzehnten. Im vergangenen November ist sie neu entflammt, als die Argentinische Bischofskonferenz bekannt gab, der Wahrheit auf den Grund zu gehen.

Gleichzeitig bat die Bischofskonferenz um Vergebung dafür, "dass wir (während der Militärdiktatur) einige enttäuscht und anderen nicht die Unterstützung gegeben haben, die wir hätten geben sollen". Diese Aussage ist vielen Gruppierungen innerhalb und außerhalb der Kirche zu schwach. Sie werfen der Bischofskonferenz mangelnde Selbstkritik vor.

Die Publikation, in der die Kirche um Vergebung bittet, heißt 'Der Glaube an Jesus Christus führt uns zu Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden'. Darin verurteilt die Bischofskonferenz die Verbrechen der Militärdiktatur als "Staatsterrorismus" und setzt diesen mit der Gewalt durch die linke Guerilla gleich. Der Vergleich wird jedoch von Menschenrechtsorganisationen, die sich um die Aufarbeitung der Militärverbrechen kümmern, abgelehnt.

Die 'Christen für das dritte Jahrtausend' veröffentlichten daraufhin eine Gegendarstellung. Sie bezeichneten den Text der Bischofskonferenz als "unzufriedenstellend", weil er negiere, dass einige Kirchenoberhäupter der Diktatur durchaus wohlwollend gegenüber eingestellt gewesen seien. Nach Ansicht der Unterzeichner der Gegendarstellung - Katholiken, die innerhalb der Kirche keine Ämter bekleiden - müssen die Militärkaplane zu Aussagen gezwungen werden. Auch verlangte die Laienorganisation "ein Ende der skandalösen Ereignisse, die die Gläubigen schwächen".


Kein Abendmahl für Diktatoren

Die 'Priester für die Armen' ('Curas en Opción por los Pobres') erklärten, sie seien empört über die Verstöße vieler Geistlicher gegen das Evangelium. Beispielsweise kritisierten sie, dass der argentinische Priester Christian Von Wernich, der wegen Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur verurteilt worden war, nicht aus der Kirche ausgeschlossen wurde und dass der ebenfalls verurteilte Ex-Diktator Jorge Rafael Videla noch immer am Abendmahl teilnehmen darf.

"Die Öffnung der Debatte könnte dazu führen, dass endlich auch die Wahrheit zum Vorschein kommt. Das dürfte ganz heilsam sein", sagt Claudia Touris von der Universität von Buenos Aires und Koordinatorin von 'Relig-Ar', einer Gruppe, die sich mit der Rolle der Kirche in der aktuellen argentinischen Gesellschaft befasst.

Touris zufolge mag die Publikation der Argentinischen Bischofskonferenz zwar "lauwarm" gewesen sein. Aber sie sei ein Novum in der Geschichte der argentinischen Kirche. "Wir werden sehen, ob diese Linie nun weitergeführt wird."

Die Kirche hatte es bereits zu Zeiten der Militärdiktatur versäumt, sich gegenüber dem Regime zu positionieren. Das habe dazu geführt, dass sich einige Bischöfe in die Nähe des Regimes begeben hätten, so Touris. Dazu zählt sie den bereits verstorbenen Kardinal Raúl Primatesta, den Vikar Victorio Bonamín und die Erzbischöfe Adolfo Tortolo und Antonio Plaza, die in Gefangenenlagern gesehen worden sein sollen. Doch andere Bischöfe hätten sich sehr wohl auf die Seite der Regimegegner gestellt, darunter Jaime de Nevares, Jorge Novak und Miguel Hesayne.

Zwei Bischöfe gelten gar als Märtyrer im Kampf gegen die Diktatur: Enrique Angelelli von der Diözese in der nordargentinischen Provinz La Rioja starb 1976 bei einem Autounfall, bei dem vermutlich nachgeholfen worden war. Carlos Ponce de León war Bischof in San Nicolás, einem Stadtteil von Buenos Aires. Er kam 1977 auf die gleiche Weise ums Leben.

Bergoglio war in den 70er und 80er Jahren Mitglied der 'Compañía de Jesús'. Zwei Priester aus diesem Orden, die schwerpunktmäßig mit Armen arbeiteten, wurden entführt. Bergoglio wird teilweise vorgeworfen, diese Priester ausgeliefert zu haben. Andere sagen genau das Gegenteil und meinen, dass gerade Bergoglios Zutun dazu geführt habe, dass die beiden Priester letztlich gerettet wurden.


Jesuiten wurden verfolgt

Die Jesuiten waren die einzigen, die sich zumindest subtil gegen die Militärdiktatur gewandt hatten. Der Vorsitzende der Jesuiten, der Spanier Pedro Arrupe, rief die Priester dazu auf, ihrer politischen und sozialen Verantwortung nachzukommen. Dies führte dazu, dass die Jesuiten diejenigen waren, die in den 1970er Jahren die meisten Verfolgten, Verschwundenen und Folteropfer zu beklagen hatten.

Der Orden unter der Ägide von Bergoglio nahm eine traditionellere Position ein: Bergoglio forderte die Priester, die sich am meisten um die Belange der Armen kümmerten, dazu auf, diese Arbeit aufzugeben, um der Repression zu entgehen.

Der Menschenrechtsaktivist und Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel erklärte nach der Bekanntgabe, dass Bergoglio neuer Papst ist, dass "die Katholische Kirche sich während der Diktatur nicht homogen" verhalten habe und dass es sehr wohl Mitwisserschaft und Tätertum auch seitens der Kirche gab. Aber er versicherte, dass Bergoglio "kein Komplize der Diktatur" gewesen sei. "Ich glaube, ihm hat der Mut gefehlt, uns in unserem Kampf für die Menschenrechte in den schlimmsten Momenten unseres Lebens zu unterstützen". (Ende/IPS/jt/2013)


Links:

http://www.curasopp.com.ar/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102519
http://www.ipsnews.net/2013/03/catholics-in-argentina-protest-churchs-complicity-in-dictatorship/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. März 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2013