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KIRCHE/1495: Erzbischof Zollitsch - "Glaube und Gerechtigkeit - Kirche vor der Wahl" (DBK)


Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 02.09.2013

"Glaube und Gerechtigkeit - Kirche vor der Wahl"

Rede von Erzbischof Zollitsch beim St. Michael-Jahresempfang in Berlin



Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, hat zur Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl am 22. September 2013 aufgerufen. Beim St. Michael-Jahresempfang des Katholischen Büros in Berlin sagte Zollitsch, dass es die Aufgabe der Kirche sei, insbesondere die Gläubigen an ihre Verantwortung zu erinnern, "sich in die politischen Meinungsbildungsprozesse aktiv einzubringen und von ihren demokratischen Rechten Gebrauch zu machen. Unsere Aufforderung gilt allen: 'Gehen Sie zur Wahl! Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr!'"

In Zeiten der öffentlichen politischen Auseinandersetzung stehe auch die Kirche vor der Wahl, die Fragen zu beantworten habe, welche Rolle sie bei der Gestaltung der Gesellschaft einnehmen wolle. "In unserem pluralen Gemeinwesen, in dem ein religiöses Bekenntnis mit einem christlichen Wertekanon immer mehr nur eine Option von vielen darstellt, gibt es aus meiner Sicht zwei gegenläufige Versuchungen für die Kirche: Es gibt die Versuchung, sich auf sich selbst zurückzuziehen und die Kraft nur noch aus dem Miteinander der Gleichgesinnten zu schöpfen. Und es gibt die Versuchung der Politisierung der Religion, sich in jeden gesellschaftlichen Diskurs einbringen zu wollen und im gesamtgesellschaftlichen und politischen Wettbewerb der Ideen auf eine gute, mehrheitsfähige Platzierung zu hoffen, um es einmal sportlich zu formulieren", so Zollitsch. Beiden Versuchungen könne die Kirche nur entgehen, wenn sie sich auf ihren Kernauftrag besinne: "Die Verkündigung des Glaubens an Jesus Christus; das gelebte Zeugnis für die Botschaft des Evangeliums. Christsein heißt: aus dem Glauben an Gott engagiert sein für das Leben und Zusammenleben."

Der Auftrag und die Kompetenz der Kirche sei es daher vor allem, "für eine Werteorientierung in der Politik einzutreten, in deren Zentrum die Würde jedes Menschen, die Achtung der Menschenrechte und die Ausrichtung am Gemeinwohl stehen", so Erzbischof Zollitsch. Daran erinnere auch Papst Franziskus, wenn er die Kirche auffordere, an die "Peripherien des Lebens" zu gehen. "Entscheidend für die Qualität unserer Gesellschaft weit über jeden Wahltag hinaus ist es, wie wir mit denen umgehen, die nicht in der Sicherheit und Geborgenheit der Mitte der Gesellschaft sind. Und damit meine ich bei weitem nicht alleine die materielle Sicherheit. Bei aller Unterschiedlichkeit der Aufgabenstellung und Funktionsweise von Politik und Kirche sehe ich hier gemeinsame Herausforderungen." Erzbischof Zollitsch fügte hinzu: "Wenn uns Papst Franziskus dazu ermutigt, für eine gerechtere und solidarischere Welt zu arbeiten, dann gilt das insbesondere mit Blick auf angemessene Löhne und Arbeitsbedingungen. Es kann uns nicht unberührt lassen, dass es bezogen auf die Beschäftigtenzahl in Deutschland im Vergleich zu anderen westlichen EU-Ländern noch immer mehr Geringverdiener gibt."

Ausdrücklich hob Erzbischof Zollitsch die Familien hervor. Es entspreche der Realität, dass es immer wieder versäumt werde, sie und ihre Anliegen in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken und ihnen die gesellschaftliche Anerkennung und Unterstützung zu geben, die sie brauchen: "Unsere Gesellschaft ist nun einmal auf Ehepaare und Familien angewiesen, die bereit sind, Leben weiterzugeben. Darauf fußt der besondere Schutz des Grundgesetzes für Ehe und Familie."

Zu den Menschen, die an den Rändern der Gesellschaft leben, gehören nach Auffassung von Erzbischof Zollitsch auch die Flüchtlinge. An die Mitglieder des Deutschen Bundestags und der Bundesregierung gerichtet, sagte Zollitsch: "Ich weiß, dass auch Sie dem Schutz von Flüchtlingen hohe Bedeutung beimessen. Die Aufnahme von 5000 Flüchtlingen aus Syrien wie ebenso die Verbesserungen beim Bleiberecht für die sogenannten 'geduldeten Ausländer' legen davon Zeugnis ab. Das sind wichtige erste Schritte, für die ich dankbar bin und an die wir anknüpfen müssen - nicht zuletzt mit Blick auf die aktuellen Ereignisse in Syrien." Die Situation dort erfülle jeden Menschen mit Sorge. Die oft gewalttätig ausgetragenen Konflikte hätten vielfältige Ursachen. "Tatsächlich ist bis jetzt nirgendwo in der arabischen Welt eine überzeugende Synthese zwischen dem religiösen Erbe und den Herausforderungen der Moderne gefunden worden. Und so stürzt der Kampf um das gesellschaftliche und kulturelle Leitbild und die damit verbundenen Macht- und Einflusssphären immer mehr Gesellschaften ins Chaos", so Zollitsch. "Es stimmt mich unsagbar traurig, dass auch so viele Christen vom Mahlwerk der Gewalt zerrieben zu werden drohen. Ein Ende des christlichen Orients ist eine finstere Möglichkeit unserer geschichtlichen Epoche. An die Vertreter der Politik richte ich deshalb die ernste Bitte: Tun Sie alles Ihnen Mögliche, um eine friedliche Entwicklung in dieser Region zu fördern! Und unternehmen Sie, was immer Sie können, um die Überlebensmöglichkeit der christlichen Minderheiten zu sichern!" Erzbischof Zollitsch dankte Papst Franziskus für seinen gestrigen Aufruf, am kommenden Samstag weltweit einen Tag des Fastens und des Gebets für Syrien abzuhalten.

Erzbischof Zollitsch dankte den scheidenden Mandatsträgern im Deutschen Bundestag für ihr Engagement. Dabei erinnerte er auch an Themen, die Kirche und Gesellschaft weiter beschäftigten: "Unsere Verantwortung dem Leben gegenüber, dem eigenen, dem noch nicht geborenen und dem zu Ende gehenden, wird in dem Maße wachsen, in dem unser Wissen und Können zunimmt. Als Kirche haben wir den Auftrag, die ethischen Grenzen aufzuzeigen, die sich aus unserem christlichen Menschenbild ergeben. Dies mag bisweilen für die Politik unbequem sein, kann Ihnen aber vielleicht auch helfen, schwierige Entscheidungen zu treffen und zu verteidigen." Mit Blick auf die Finanzkrise betonte Erzbischof Zollitsch, dass diese erneut gezeigt habe, wie wichtig es sei, "politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entscheidungen nicht einseitig an kurzfristigen Zielen auszurichten. Gute Politik will langfristig angelegt sein und Grundsätzen folgen, die auch in stürmischen Zeiten Orientierung geben. Die Wirtschafts- und Finanzkrise fordert uns heraus und bietet die Chance, längerfristig zu denken und dementsprechend zu handeln. Positiv stimmt mich, dass von einer in der Vergangenheit viel beklagten Politikverdrossenheit derzeit weniger zu spüren ist."

Hinweis:
Die Rede von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch beim St. Michael-Jahresempfang in Berlin finden Sie zum Herunterladen unter www.dbk.de.


Die Deutsche Bischofskonferenz ist ein Zusammenschluss der katholischen Bischöfe aller Diözesen in Deutschland. Derzeit gehören ihr 65 Mitglieder (Stand: September 2013) aus den 27 deutschen Diözesen an. Sie wurde eingerichtet zur Förderung gemeinsamer pastoraler Aufgaben, zu gegenseitiger Beratung, zur Koordinierung der kirchlichen Arbeit, zum gemeinsamen Erlass von Entscheidungen sowie zur Kontaktpflege zu anderen Bischofskonferenzen. Oberstes Gremium der Deutschen Bischofskonferenz ist die Vollversammlung aller Bischöfe, die regelmäßig im Frühjahr und Herbst für mehrere Tage zusammentrifft.

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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 136 vom 2. September 2013
Herausgeber: P. Dr. Hans Langendörfer SJ,
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2013