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KIRCHE/1884: Anhaltendes Desaster in der Rüstungsexportpolitik erfordert Revision der gesetzlichen Grundlagen (GKKE)


Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) - 6. Juli 2016

Anhaltendes Desaster in der Rüstungsexportpolitik erfordert Revision der gesetzlichen Grundlagen


Berlin/Bonn, 06. Juli 2016 "Zwar begrüßen wir die größere Transparenz in der Rüstungsexportpolitik", betonte Prälat Dr. Karl Jüsten, katholischer Vorsitzender der GKKE, anlässlich des heute veröffentlichten Rüstungsexportberichts 2015 der Bundesregierung. "Der Bericht zeigt jedoch, dass der Umfang der Rüstungsexportgenehmigungen im vergangenen Jahr erneut massiv zugenommen hat." Dies betreffe insbesondere den massiven Anstieg der Einzel- und Sammelausfuhrgenehmigungen mit insgesamt 12,81 Mrd. Euro. "Diese Zunahme von 96 Prozent gegenüber 2014 bestätigt unsere frühere Einschätzung, dass der Rückgang der Genehmigungen im Jahr 2014 keine Trendwende war". Außerdem gebe es nach wie vor viel zu viele höchst problematische Einzelentscheidungen, unterstrich der Prälat. "Mit 59 Prozent der Einzelausfuhrgenehmigungen geht weiter mehr als die Hälfte der Lieferungen an Drittstaaten außerhalb von NATO und EU, unter ihnen zahlreiche in Konfliktregionen und Länder mit problematischer Menschenrechtslage. Insgesamt zeigt der Regierungsbericht trotz aller Bemühungen um eine restriktivere Rüstungsexportpolitik ein anhaltendes Desaster." Erfreulich sei allenfalls der weitere Rückgang der Genehmigungswerte für Kleinwaffen von 47 auf 32 Millionen Euro. "Wir hoffen, dass zumindest dieser Trend stabil bleibt und die neuen Kleinwaffengrundsätze eine nachhaltige Wirkung zeigen."

Massives Unbehagen sei aber nicht nur im Blick auf den Umfang der Rüstungsexporte 2015 angezeigt, ergänzte Prälat Dr. Martin Dutzmann, der evangelische Vorsitzende der GKKE. "Unter den Empfängerländern deutscher Rüstungsgüter sind Staaten wie Katar und Saudi Arabien - das ist aus friedensethischer Sicht hoch problematisch."

So werde das autokratisch regierte Katar beschuldigt, verschiedene islamistische Organisationen, darunter auch den Islamischen Staat (IS), finanziell zu unterstützen. "Hinzu kommt, dass Katar als Mitglied der von Saudi-Arabien angeführten Militärkoalition im Jemen aktive Partei in einem bewaffneten Konflikt ist", unterstrich Dutzmann. Der Krieg im Jemen scheine "ein vergessener Konflikt" zu sein. Der Prälat erinnerte daran, dass seit Beginn der dortigen Kampfhandlungen vor einem Jahr rund 6.000 Zivilisten getötet wurden, und dass 80 Prozent der Bevölkerung im Jemen auf humanitäre Hilfe angewiesen seien. Die Kriegsfolgekosten, wie Hunger, Obdachlosigkeit und Kindersterblichkeit seien hoch. Zudem verletze die Militärkoalition unter Führung von Saudi-Arabien regelmäßig humanitäres Völkerrecht, indem sie Krankenhäuser bombardiere und Zivilisten attackiere. "Die Belieferung Katars mit Kriegswaffen ist aus Sicht der GKKE ein klarer Verstoß gegen die selbst gesetzten Kriterien für deutsche Rüstungsexporte, den wir aufs Schärfste kritisieren", betonte Prälat Dutzmann. Angesichts der Tatsache, dass die Genehmigungen ursprünglich bereits 2013 von der von Union und FDP getragenen Vorgängerregierung erteilt wurden, zeige dieser Fall erneut ein zentrales Problem der deutschen Genehmigungspraxis auf: Die fehlende Möglichkeit bzw. die hohen politischen Hürden, einmal getroffene Entscheidungen bei einer Neubewertung der Situation zu revidieren.

Auch im Blick auf Saudi-Arabien als Empfängerland deutscher Rüstungsgüter äußerte Dutzmann Unverständnis. "In unserem GKKE-Rüstungsexportbericht 2015 haben wir im Dezember 2015 aufgrund der Gesamtlage im Land und der destabilisierenden Rolle Saudi-Arabiens in der Region einen Stopp für sämtliche Rüstungsausfuhren nach Saudi-Arabien gefordert. Solche Genehmigungen können nicht einfach mit dem Verweis auf Gemeinschaftsprogramme mit anderen Ländern begründet werden. Aus Sicht der GKKE verstoßen sie gegen die Kriterien des Gemeinsamen Standpunkts der EU zur Ausfuhr von Militärgütern und Militärtechnologie. Die Bundesregierung ist deshalb dringend dazu angehalten, zusammen mit den europäischen Partnern diese Exportpraxis nach Saudi-Arabien zu stoppen."

"So darf es nicht weitergehen", resümierte Prälat Karl Jüsten: "Der anhaltende Widerspruch zwischen gesetzlichen Grundlagen und politischen Leitlinien einerseits und der Genehmigungspraxis andererseits schwächt die Legitimität nicht nur der Rüstungsexportpolitik, sondern auch der Außen- und Sicherheitspolitik. Wir brauchen eine Revision der gesetzlichen Grundlagen. Und wir erwarten, dass das Bundeswirtschaftsministerium entsprechende Schritte einleitet. Es geht hier nicht nur um die Planungssicherheit für deutsche Unternehmen, sondern vor allem um die Glaubwürdigkeit deutscher Friedens- und Sicherheitspolitik."

Die Anlage enthält Stichpunkte und Argumente zur GKKE Bewertung des Rüstungsexportberichtes 2015 der Bundesregierung.


In der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) arbeiten Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst und die Deutsche Kommission Justitia et Pax zusammen.

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Stichpunkte und Argumente der GKKE

zum Rüstungsexportbericht 2015 der Bundesregierung
Die Zahlen:

• 2015 erteilte die Bundesregierung Einzelgenehmigungen im Wert von 7,86 Mrd. Euro. 2014 lag dieser Wert noch bei 3,97 Mrd. Euro. Es handelt sich also nahezu um eine Verdopplung der erteilten Einzelgenehmigungen.

• Auch die Zahl der genehmigten Sammelausfuhren hat sich 2015 mit einem Wert von 4,96 Mrd. Euro fast verdoppelt (2014: 2,54).

• Insgesamt wurden damit 2015 Rüstungsexporte in Höhe von 12,81 Mrd. Euro genehmigt. Eine Zunahme von 96% gegenüber 2014 (6,52 Mrd.).

• Der Anteil der Exporte an Drittländer bleibt weiter hoch. 59% der Einzelausfuhrgenehmigungen gingen 2015 an Drittländer (2014: 61%).

• Genehmigungswert für Lieferungen an Saudi-Arabien: 270 Mio. Euro. Der Genehmigungswert für Kleinwaffen ist 2015 von 47 auf 32 Millionen Euro zurückgegangen.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie verweist auf Sonderfaktoren, die das Volumen in die Höhe getrieben hätten:

• Genehmigung von vier Tankflugzeugen für Großbritannien im Wert von 1,1 Mrd. Euro. Solche Lieferungen an einen NATO-Partner seien unproblematisch.

• Genehmigung von Kampfpanzern und Panzerhaubitzen samt Munition und weiteren Begleitfahrzeugen nach Katar im Wert von 1,6 Mrd. Euro. Für diese Ausfuhren sei bereits 2013, also noch unter der schwarz-gelben Koalition, eine Genehmigung erteilt worden, heißt es im Bericht.

• Bei den Lieferungen nach Saudi-Arabien entfalle ein "Großteil" auf Gemeinschaftsprogramme oder Zulieferungen an andere Länder wie Frankreich.

Bewertung:

• Die Genehmigungspraxis der Bundesregierung bleibt aus Sicht der GKKE höchst problematisch. Der massive Anstieg der Genehmigungen (bei Einzel- wie Sammelgenehmigungen) bestätigt die frühere Einschätzung der GKKE, dass der Rückgang der Genehmigungen im Jahr 2014 keine Trendwende war.

• Die GKKE betont aber, dass sich diese Bewertung der Genehmigungspraxis als "höchst prob lematisch" nicht alleine und auch nicht primär aus den Gesamtwerten ableitet. Die GKKE kritisiert, dass sich unter den Empfängerländern mehrere Staaten befinden, welche aus friedensethischer Sicht als Empfänger von Rüstungsgütern äußerst problematisch sind.

• Dazu zählt in diesem Fall vor allem Katar. Die GKKE hatte die Genehmigungen für die Lieferungen von Kampfpanzern und Haubitzen an das autokratisch regierte Katar bereits in ihrem Rüstungsexportbericht 2013 kritisiert. Katar wird beschuldigt, verschiedene islamistische Organisationen, unter anderem auch den Islamischen Staat (IS) finanziell zu unterstützen. Hinzu kommt, dass Katar, als Mitglied der von Saudi-Arabien angeführten Militärkoalition im Jemen, aktive Partei in einem bewaffneten Konflikt ist. Die Belieferung Katars mit Kriegswaffen ist deshalb aus Sicht der GKKE ein klarer Verstoß gegen die selbst gesetzten Kriterien für deutsche Rüstungsexporte. Die GKKE kritisiert die Belieferung von Katar mit deutschen Kriegswaffen deshalb aufs schärfste.

• Der Bundeswirtschaftsminister beruft sich u.a. darauf, dass die Genehmigungen ursprünglich bereits 2013 von der schwarz-gelben Vorgängerregierung erteilt wurden und nun nicht mehr gestoppt werden konnten. Dieser Fall zeigt erneut ein zentrales Problem der deutschen Genehmigungspraxis auf: die fehlende Möglichkeit bzw. die hohen politischen Hürden, einmal getroffene Entscheidungen bei einer Neubewertung der Situation zu revidieren.

• Auch die genehmigten Rüstungsexporte an Saudi-Arabien bewertet die GKKE als höchstproblematisch. In ihrem Rüstungsexportbericht 2015 hatte sie aufgrund der Gesamtlage im Land und seiner destabilisierenden Rolle in der Region, insbesondere seiner Kriegsführung im Jemen, einen Stopp für sämtliche Rüstungsausfuhren nach Saudi-Arabien gefordert. Die Genehmigungen können nicht einfach mit dem Verweis auf Gemeinschaftsprogramme mit anderen Ländern entschuldigt werden. Aus Sicht der GKKE verstoßen sie gegen die Kriterien des Gemeinsamen Standpunkts der EU zur Ausfuhr von Militärgütern und Militärtechnologie. Die Bundesregierung ist deshalb dringend dazu angehalten, zusammen mit den europäischen Partnern, diese Exportpraxis an Saudi-Arabien zu stoppen.

• Jemen scheint ein vergessener Krieg zu sein, zumindest wird in den deutschen Medien kaum noch darüber berichtet. Seit Beginn der Kampfhandlungen vor einem Jahr sind ca. 6.000 Zivilisten getötet worden, 80 Prozent des Landes ist auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Kriegsfolgekosten, wie Hunger, Obdachlosigkeit und Kindersterblichkeit sind hoch. Zudem begeht die Kriegskoalition unter der Führung von Saudi-Arabien regelmäßige Verletzungen des humanitären Völkerrechts, indem sie Krankenhäuser bombardiert und unterschiedslos Zivilisten attackiert. Saudi-Arabien soll zudem Clustermunition (aus britischer Produktion stammend) eingesetzt haben. Gemäß dem Vertrag über den Waffenhandel (Arms Trade Treaty, ATT) und dem EU Gemeinsamen Standpunkt dürfen an solche Staaten keine Waffen geliefert werden, z.B. wegen "schwerer Verstöße gegen die Genfer Konvention" (Art. 6,3 ATT).

Dr. Max Mutschler und Dr. Simone Wisotzki
Vorsitzende der GKKE Fachgruppe Rüstungsexporte

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Quelle:
Presseinformation vom 6. Juli 2016
Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE)
Evangelische Geschäftsstelle
Charlottenstr. 53/54, 10117 Berlin
Leitung: Tim Kuschnerus
Telefon: +49 30 203 55 307
E-Mail: tim.kuschnerus@gkke.org
Katholische Geschäftsstelle
Kaiserstrasse 161, 53113 Bonn
Telefon: +49 228 103 303
Leitung: Gertrud Casel
E-Mail: g.casel@dbk.de
Internet: http://www3.gkke.org/


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2016

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