Schattenblick → INFOPOOL → RELIGION → CHRISTENTUM


KIRCHE/2023: Menschenrechte in Argentinien - die Reise geht weiter (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Meldung vom 5. September 2017

Menschenrechte in Argentinien: die Reise geht weiter


"Seit 1983 genießt Argentinien die längste Zeit der Demokratie unserer Geschichte - das ist eine wichtige Errungenschaft, und gerade deshalb müssen wir uns um sie kümmern." Die Botschaft von Estela Barnes de Carlotto war geprägt von Stolz über den friedlichen Wandel von der Militärdiktatur zur Demokratie vor 35 Jahren sowie von der Sorge über neuste Entwicklungen in ihrem Land. Carlotto sprach bei einem Treffen in Genf, das dazu diente die Freundschaft zwischen dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) und der Vereinigung der Großmütter der Plaza de Mayo zu erneuern, deren Präsidentin sie ist.

ÖRK-Generalsekretär Pastor Dr. Olav Fykse Tveit und leitende Angestellte hießen Carlotto am Ökumenischen Zentrum in Genf willkommen. Sie dankte dem ÖRK für die Unterstützung, die sie in den Jahren erhalten hatte, als sie und andere Frauen ihre wöchentlichen Kundgebungen auf dem Plaza de Mayo begannen. Sie hatten diesen symbolischen Platz im Zentrum der argentinischen Hauptstadt ausgewählt, um Gerechtigkeit für ihre vom Regime entführten Kinder zu fordern und die Rückgabe ihrer Enkel zu verlangen, die in den Geheimgefängnissen geboren worden waren.

"In unserem Schmerz entschieden wir, uns zu vereinen", sagte Carlotto, und rief die gemeinsame Kraft dieser Mütter und Großmütter in Erinnerung.

Die Energie und die Hingabe der 86-jährigen Frau beeindruckte die ÖRK-Mitarbeitenden nicht weniger als die Geschichte, die sie über das Leiden ihrer Familie zu erzählen hatte. Zuerst, im Jahr 1977, wurde ihr Ehemann entführt und 25 Tage lang festgehalten, weil das Regime wissen wollte, wo sich die Töchter des Ehepaars - Mitglieder einer Studentenbewegung - aufhielten. Nachdem er während dieser 25 Tage Zeuge und Opfer von Folter wurde, wurde er schließlich freigelassen.

Weniger Glück hatte die Familie ein paar Monate später, als ihre Tochter Laura, die damals gerade schwanger war, auch auf illegale Weise verhaftet wurde. Auch wenn sie nicht auf der Stelle getötet wurde, wie ihr Partner, wurde ihr Leben doch nur verschont, bis sie einen Jungen geboren hatte, wie die Familie erst viel später erfuhr.

Im Unterschied zu anderen Familien von Verschwundenen "hatten wir das Privileg, ihre Leiche am Tag, an dem sie getötet wurde, zu erhalten", erinnerte sich Carlotto, und erklärte, wie sich ihr Schmerz in eine Verpflichtung verwandelte: "Am Grab meiner Tochter versprach ich, dass ich für Gerechtigkeit für sie kämpfen und ihren Sohn finden würde."

Tatsächlich wurde Carlotto im Jahr 2014 mit ihrem Enkel Guido wiedervereint, als dieser auf eine öffentliche Einladung der Großmütter der Plaza de Mayo reagierte, die jungen Menschen mit Zweifeln über ihre Identität einen DNA-Test anbot. Die Freude, ihren lange verlorenen Enkel wiederzufinden, hat ihr Engagement nicht geschmälert: "Ich werde weiterhin für diejenigen Großmütter arbeiten, deren Arme noch leer sind, solange ich am Leben und bei Gesundheit bin", sagt sie.

Die Vereinigung der Großmütter führt ihre Verpflichtung gegenüber den 30,000 Personen, die zwischen 1976 und 1983 entführt wurden, weiter, indem sie auf juristischem Weg für Gerechtigkeit kämpft und gerichtsmedizinische Beweise sammelt. Sie ist auch weiter bestrebt, die geschätzten 500 Kinder, die auf illegale und geheime Weise in dieser Zeit adoptiert worden waren, manchmal gar von den Mördern ihrer Eltern, mit ihrer biologischen Familie zu vereinen. Bisher konnten dank der Hilfe der Großmütter 122 Kinder ihre wahre Identität finden.

Bei dem Treffen vom 31. August mit ÖRK-Vertretenden gab Carlotto ihre Sorge zum Ausdruck, dass heute, insbesondere seit der Wahl einer neuen Regierung im Jahr 2015, die Debatte über die Verbrechen der Vergangenheit mehr und mehr in den Hintergrund gerät.

Carlotto sprach auch über den Fall von Santiago Maldonado, einem 28-Jährigen, der seit dem 1. August vermisst wird, nachdem er an einer Kundgebung für indigene Rechte in Patagonien teilgenommen hatte. Sie schloss sich der Besorgnis der Familie des jungen Mannes an, dass der Staat Hinweise auf die Beteiligung der Sicherheitskräfte am Verschwinden des Mannes nicht ernst nimmt. Am 1. September fanden in ganz Argentinien Solidaritätskundgebungen statt.

*

Quelle:
Meldung vom 5. September 2017
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
150 rte de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
Internet: http://www.oikoumene.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang