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KIRCHE/490: Huber predigt an Pfingsten (EKD)


Evangelische Kirche in Deutschland - Pressemitteilung vom 27.05.2007

Neuanfang in der Gemeinschaft

Wolfgang Huber predigt an Pfingsten


Gottes Geistesgegenwart stelle Menschen vor Proben; aber er ermöglicht auch neue Aufbrüche. Darauf wies der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, in seiner Predigt am Pfingstsonntag in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin hin. Auch heutzutage sei es allein "Gottes Geist, der Herr ist und lebendig macht". Wolfgang Huber ist sich sicher: Gott "gibt dem verflachten und verflachenden Reden neues Feuer."

Die Macht des Geistes und die Macht der Menschenwürde brauche eine andere Sprache, verweist der Ratsvorsitzende auch auf aktuelle Zusammenhänge. Eine Grundlage für diese Überzeugung erkennt Wolfgang Huber in der Erfahrung der Gegenwart Gottes, als das Volk Israel nach jahrzehntelanger Wanderung durch die Wüste Gottes zu murren begann, eine zweite in der Ausgießung des Heiligen Geistes als Geburtsstunde der christlichen Kirche, die an Pfingsten gefeiert wird.

Der von Gott immer wieder geschenkte Neuanfang brauche die Gemeinschaft von Menschen, die diesen neuen Geist zu ihrer Sache machen. Wolfgang Huber sieht in den nächsten Wochen dazu viel Gelegenheit: Zum einen, wenn sich der deutsche Protestantismus in Köln zum Evangelischen Kirchentag trifft, zum anderen, wenn evangelische Christen mit wacher Aufmerksamkeit verfolgen, was auf dem Gipfeltreffen der Staatspräsidenten und Regierungschefs in Heiligendamm geschieht, aber genau so, wenn Christen mit offenen Augen in ihre Nachbarschaft schauen. "Immer geht es darum, ob der Geist der Wahrheit bei uns einkehrt," weiß Wolfgang Huber.


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Die Predigt im Wortlaut:

So unterschiedlich kann Pfingsten gefeiert werden. Gestern sah ich schon am frühen Morgen die ersten Autos mit Nürnberger Nummern in der Stadt, elf Stunden vor dem Beginn des Pokalendspiels zwischen dem VfB Stuttgart und dem 1. FC Nürnberg. Die Fans hatten es zu Hause nicht mehr ausgehalten. Und abends schrien sie sich dann die Kehle aus dem Leibe, die Fans aus beiden Städten wollten jeweils ihre Mannschaft mit ihren Stimmen schier zum Sieg tragen. Wir haben das selbst gestern abend erlebt und mich auch begeistern lassen - bis hin zu dem erstaunlichen Siegestor der Nürnberger. Aber ist das der Geist von Pfingsten? Karneval der Kulturen. Auch so kann Pfingsten gefeiert werden. In Berlin erleben wir das Jahr für Jahr. Bunt werden die Bilder sein, die da zu sehen sind. Die Ausgelassenheit hat auch schon manchem Regen getrotzt. Aber welchem der vielen Geister er sich anschließen will, muss jeder selbst entscheiden, der das zu sehen bekommt. Nacht der offenen Kirchen. Wieder öffnen über 130 Kirchen in unserer Stadt in der kommenden Nacht ihre Türen. Auch diejenigen sind eingeladen, die nur selten die Schwelle einer Kirche überschreiten. Unter den Fragen, die sie stellen, wird auch die Frage sein: Pfingsten - was ist das? Um welchen Geist handelt es sich denn?

Hätte es im Jahre 381 nach Christi Geburt bereits die heutigen medialen Übertragungsmöglichkeiten gegeben, dann wäre das Zweite Ökumenische Konzil in Konstantinopel ein Medienereignis ersten Ranges geworden. Damals einigten sich die anwesenden 150 Bischöfe während des Konzils auf den Wortlaut eines Glaubensbekenntnisses, mit dem sie die Einsichten des Konzils von Nicaea ein halbes Jahrhundert vorher weiterführen wollten. In diesem Glaubensbekenntnis, das der Chor vorhin für uns alle gesungen hat, heißt es unter anderem: "Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten und die eine, heilige, allgemeine und apostolische Kirche."

Das Bekenntnis verweist auf die Heilige Schrift und stellt klar, dass Christen an den Heiligen Geist glauben, der bereits durch die Propheten gesprochen hat. Die Reihe der Propheten beginnt nach jüdischem Verständnis mit Mose. Er gilt als der größte unter den Propheten Israels. Auf ihn, auf diesen Propheten, bezieht sich der biblische Bericht, der uns an diesem Pfingsttag beschäftigen soll. Unter den biblischen Texten für das Pfingstfest ist es der merkwürdigste und eigentümlichste Abschnitt. Er handelt von einer schweren Krise auf dem Weg des Volkes Israel aus Ägypten in das gelobte Land. Der Weg durch die Wüste droht zur Katastrophe zu werden. Das Volk murrt und will nicht weitere Strapazen auf sich nehmen. Vor allem klagt es über die eintönige Ernährung. Tag für Tag nichts anderes als das himmlische Manna, immer wieder nur Manna. Da verklärt sich der Blick zurück. Die Gegenwart ist vom Jammern bestimmt, früher war alles besser - wir kennen das. Die Erinnerung an die Zeit unter der Knute des Pharaos wird plötzlich in leuchtenden Farben geschildert. Die Menschen sehnen sich im wahrsten Sinn des Wortes zurück nach den Fleischtöpfen Ägyptens. Sie träumen von Fisch und Fleisch, von Melonen und Gurken und von wunderbaren Erfrischungsgetränken. Den einzigen unsichtbaren Gott anzubeten, sind die Israeliten noch immer bereit. Den einzigen Gott: ja - ein einziges Essen: nein! Wie löst sich diese kritische Situation auf? Im 4. Buch Mose heißt es:

Und Mose sprach zu dem HERRN: Warum bekümmerst du deinen Knecht? Und warum finde ich keine Gnade vor deinen Augen, dass du die Last dieses ganzen Volks auf mich legst? Hab ich denn all das Volk empfangen oder geboren, dass du zu mir sagen könntest: Trag es in deinen Armen, wie eine Amme ein Kind trägt, in das Land, das du ihren Vätern zugeschworen hast. Woher soll ich Fleisch nehmen, um es all diesem Volk zu geben? Sie weinen vor mir und sprechen: Gib uns Fleisch zu essen. Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer. Willst du aber doch so mit mir tun, so töte mich lieber, wenn anders ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, damit ich nicht mein Unglück sehen muss.

Und der HERR sprach zu Mose: Sammle mir siebzig Männer unter den Ältesten Israels, von denen du weißt, dass sie Älteste im Volk und seine Amtleute sind, und bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie dort vor dich, so will ich herniederkommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volks tragen und du nicht allein tragen musst.

Und Mose ging heraus und sagte dem Volk die Worte des HERRN und versammelte siebzig Männer aus den Ältesten des Volks und stellte sie rings um die Stiftshütte. Da kam der HERR hernieder in der Wolke und redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm war, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf.

Ist das nicht eine wunderbare Einladung dazu, dass auch wir fröhlich darüber in Verzückung geraten, wie Gottes guter Geist das Volk Israel aus einer schweren Krise führt! Viele Beispiele lassen sich dafür erzählen, dass er später auch das Gottesvolk aus vielen Völkern in Krisen bewahrt und durch sie hindurch geführt hat. Gottes Geistesgegenwart stellt uns durchaus vor harte Proben; aber er ermöglicht uns auch neue Aufbrüche. Doch wie sieht der Aufbruch in diesem Fall aus? Am Anfang ist es so wie bei uns, in Berlin und anderswo. Wir treffen auf eine Person, die sich von Gott allein gelassen fühlt und keinen Ausweg sieht. Sie kann die ihr auferlegten Lasten nicht länger tragen. Der, der ihr die Lasten ihres Lebens auferlegt habe, habe sie allein gelassen - so ihr Lebensgefühl. Es ist so wie bei uns, in Berlin und anderswo. Wir werden Zeugen des Verklärens und Murrens. Es geht um die Suche nach einem Neuanfang: Wenn ich nicht allein wäre, könnte ich es natürlich besser schaffen. Viele unserer Zeitgenossen sind aufrichtig auf der Suche nach ihrer Lebensbestimmung. Sie wollen wissen, was es mit ihren paar Jahren hier auf Erden auf sich hat. Enttäuschungen wiegen schwer. Ihr Gefühl sagt ihnen hin und wieder: Die Antwort Gottes bleibt aus, so dass sie schließlich keinen Sinn in einem weiteren Fragen nach Gott sehen. Ja, auch das gibt es in unserer Welt, dass manche sich den Tod herbeiwünschen, der ihnen nicht als Übel, sondern eher als Gnade erscheint. Denn das Elend ist in bestimmten Situationen ohne eine Hoffnung auf Änderung nicht zu ertragen. Mose erinnert Gott mit einer an Sturheit grenzenden Beharrlichkeit daran, dass dieser ihm einst bei seiner Berufung zum Propheten ein Versprechen gegeben hatte. Damals hatte Mose die Schafe seines Schwiegervaters Jetro über die Wüste hinausgeführt. Jenseits der fassbaren Geografie trat ihm Gott entgegen. Im brennenden Dornbusch, der loderte und doch nicht verbannte, hörte Moses, wie Gott sagte: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Land in ein gutes und weites Land, darin Milch und Honig fließt. An dieses Versprechen erinnert Mose. Und Gott schweigt nicht. Er gewährt einen neuen Anfang. Ein in sich gefangener Mensch braucht Menschen, die ihm zur Seite stehen. Die richtigen Worte und Gesten im rechten Moment können versteinerte Herzen erweichen, einer in die Krise geratenen Beziehung eine Chance geben, die politische Kultur aus der Verflachung befreien und die Menschenwürde robuster schützen.

Die Klage des Mose endet mit dem Signalwort "allein". Gottes Antwort endet mit dem Widerwort "nicht allein" und behebt die Führungskrise. Die wichtigste Ursache für das Scheitern ist die Einsamkeit. Hier setzt Gottes Handeln ein. Er antwortet Mose auf seine Klagen und versichert ihn seiner Gnade. Gott selbst macht den Verdacht gegenstandslos, der Führer des Volkes Israel könne von Gott verlassen oder verraten worden sein. Im Ergebnis werden die dem Moses allein überlassenen Aufgaben auf die Schultern von 70 Ältesten verteilt. In den rabbinischen Schriften gibt es dazu zwei bemerkenswerte Hinweise: Erstens: Gott selbst gab den Ältesten Anteil an der Geistbegabung des Mose. Auf die Frage, ob denn dadurch das Charisma des Mose geringer geworden sei oder eine Schmälerung erfahren habe, wird geantwortet: Nein. Der Vorgang ist eher mit einer Kerze zu vergleichen, an der etliche andere angezündet wurden. Das Ursprungslicht verliert dadurch nichts von dem, was es hatte. Zweitens: Mose muss entscheiden, wer die 70 Ältesten sein sollen. Nach welchen Kriterien soll er sie in die besondere Verantwortung rufen? Da sprach Mose zu Gott: ich weiß nicht, wer würdig ist und wer nicht. Darauf antwortete er ihm: Die, von denen du weißt, dass sie die Ältesten und Vorsteher des Volkes sind, die sich selbst hingaben, um geschlagen zu werden in Ägypten der Zahl der Ziegel wegen, die sollen kommen und an dieser Größe teilhaben...Deshalb also, weil sie sich selbst an statt der Gemeinschaft den Schlägen hingaben, gilt: Sie sollen mit dir die Last des Volkes tragen. Daraus lernst du, dass jeder, der sich selbst hingibt für Israel, zu Ehre gelangt und zu Größe und zum heiligen Geist. Wir dürfen uns sicher sein, dass wir Feuer fangen, wenn Gottes Geist über uns kommt. Er hilft unserer Schwachheit auf. Jesus Christus hat das durch die Zeiten wandernde Gottesvolk auf vielen Völkern zusammengerufen. Die Gemeinschaft der Glaubenden aus aller Welt Zungen lebt davon, dass die Offenheit der Menschen für Gott das Verstehen untereinander ermöglicht. Trotz allen Murrens hat das Volk Israel den Weg in das gelobte Land gefunden. Und in der nach Ostern abgetauchten urchristlichen Gemeinde konnte sich die Leidenschaft für das Evangelium am Feuer der Pfingstpredigt des Petrus in Jerusalem entzünden. Das war die Initialzündung und der Weckruf, der zur Ausbreitung des Christentums führte: von Jerusalem über Samaria bis hin zu den Enden der Welt.

Auch heute ist es allein Gottes Geist, der Herr ist und lebendig macht. Er gibt unserem verflachten und verflachenden Reden neues Feuer. Der Bundestagspräsident hat in diesen Tagen allen Politikern eine zweijährige Talkshow-Pause vorgeschlagen. Er meint damit: In unserem vielen Reden decken wir die Probleme unserer Welt zu, anstatt dass wir sie mit neuem Feuern lösen. Die Macht des Geistes und die Macht der Menschenwürde brauchen eine andere Sprache. Und sie brauchen eine Gemeinschaft von Menschen, die diesen neuen Geist zu ihrer Sache machen, nicht einen allein, sondern eben siebzig Älteste. Die nächsten Wochen geben dazu viele Gelegenheit, wenn sich der deutsche Protestantismus in Köln zum Evangelischen Kirchentag trifft, wenn wir mit wacher Aufmerksamkeit verfolgen, dass auf dem Gipfeltreffen der Staatspräsidenten und Regierungschefs in Heiligendamm geschieht, aber auch, wenn wir mit offenen Augen in unsere Nachbarschaft schauen. Immer geht es darum, ob der Geist der Wahrheit bei uns einkehrt.

Für die Richtigkeit
Pressestelle der EKD
Hannover, 27. Mai 2007


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Quelle:
Pressemitteilung 108/2007 vom 27.05.2007
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), Pressestelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2007