Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → CHRISTENTUM

KIRCHE/581: Polen und seine Kirche nach Wahlsieg von Tusk (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 12/2007

Vielversprechender Neuanfang
Polen und seine Kirche nach dem Wahlsieg von Donald Tusk

Von Ulrike Kind


In Polen brachten die Parlamentswahlen vom 21. Oktober ein klares Signal für eine politische Wende. Auf den neuen Premierminister Donald Tusk richten sich im In- und Ausland, gerade auch in Deutschland, hohe Erwartungen. Polens Episkopat ist nach wie vor gespalten; es wäre zu wünschen, dass auch bei den Bischöfen die Befürworter einer Öffnung die Oberhand gewinnen.


*


Polen ist für Überraschungen gut. Es ist schon Tradition, dass Parlamentswahlen mit dem Auflösen, Umbenennen und Neugründen von Parteien einhergehen. Vergleicht man die politische Landschaft Polens vor und nach den vorgezogenen Parlamentswahlen in diesem Herbst, so sind von den sechs Parteien im letzten Sejm gerade noch drei im heutigen vertreten. Die Entscheidungswahl am 21. Oktober 2007 über die so genannte Vierte Republik des Kaczynski-Zwillingspaares wurde in ganz Europa mit großem Interesse verfolgt und der Sieg Donald Tusks, des Vorsitzenden der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO), als neuer Premierminister geradezu euphorisch gefeiert. Er löste die Minderheitsregierung der national-konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unter Jaroslaw Kaczynski ab. Dass die beiden radikalen Gruppierungen Selbstverteidigung (Samoobronna) und die Liga der polnischen Familien (LPR) mit 1,5 Prozent bzw. 1,3 Prozent Stimmenanteil nicht wieder ins Parlament gewählt wurden, zählt zu den besonders positiven Ergebnissen dieser Abstimmung. Der Zusammenschluss von Linksparteien zum Bündnis "Linke und Demokraten" (LiD) unter Führung des ehemaligen polnischen Präsidenten Aleksander Kwasniewski erhielt nur 13 Prozent der Stimmen und wird mit der rechtskonservativen PiS des abgewählten Premierministers eine ungleiche Opposition bilden.

Für viele Kommentatoren war diese Wahl die wichtigste seit 1989 und ein wirklicher Meilenstein für die polnische Demokratie. Die Kaczynski-Brüder in ihrer Doppelrolle als Premier und Präsident hatten es niemandem in den letzten Jahren leicht gemacht - weder ihrer eigenen Bevölkerung noch den Nachbarländern, geschweige denn der EU. Verbale Attacken, Konfrontationen, nationalistische Töne gemischt mit verfolgungswahnähnlichen Vorstellungen und Medienhetze sorgten dafür, dass Polen innerhalb Europas zum unbeliebtesten und anstrengendsten EU-Mitglied wurde.

In Polen selbst haben der aggressive Ton, die fortwährenden Skandale, aber auch die Aushöhlung demokratischer Strukturen zu einer Mobilisierung geführt, die dafür sorgte, dass gut 13 Prozent mehr Wahlberechtigte zu den Urnen gingen als vor zwei Jahren. Damit hat die Radikalisierung der Tagespolitik zu einer Politisierung der Gesellschaft geführt - einer der wenigen positiven Effekte der Kaczynski-Regierung. Nicht nur die Parteien, auch viele gesellschaftliche Gruppen appellierten im Vorfeld an die Bevölkerung, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Hierzu gehörte auch der Aufruf der Polnischen Bischofskonferenz, die die hohe Wahlbeteiligung daher auch als einen Verdienst der Katholischen Kirche verbuchte.


Wechsel dank der hohen Wahlbeteiligung

Gerade jüngere Menschen ließen sich durch SMS mobilisieren, die im Schneeballsystem von Anhängern der Bürgerplattform verschickt wurden: "Wenn du meinst, dass Polen so schön wie (Außenministerin) Anna Fotyga, so groß wie (Ministerpräsident) Jaroslaw Kaczynski und so tolerant wie Pater Rydzyk (Direktor des für antisemitische und homophobe Inhalte bekannten Rundfunksenders Radio Maryja) sein soll, bleib' am Sonntag zu Hause".

In Großbritannien, wo aktuell mehr als eine halbe Million Polen leben, hatte man diesmal allein 20 Wahllokale in den größeren Städten eingerichtet - noch vor zwei Jahren konnten die Exilpolen nur in zwei Wahlbüros in London wählen. Die langen Schlangen vor den polnischen Wahlämtern im Ausland waren ein erstes Indiz für die unerwartet hohe Wahlbeteiligung. Diese überraschende politische Partizipation der Polonia (in den USA waren es sogar 80 Prozent!) zeigt zugleich die starke Verbundenheit mit dem eigenen Staat im Ausland. Vielleicht bedeutet die hohe Wahlbeteiligung auch eine Form der Solidarität - wenn man schon sein Land verlässt, dann will man zumindest bei den Wahlen seine Verbundenheit deutlich machen.

In Großbritannien haben 62 Prozent der Wahlberechtigten für die Bürgerplattform gestimmt. Es ist nicht überraschend, dass sich die jungen Auslandspolen in Europa für einen Wechsel eingesetzt haben, schließlich wurden sie außerhalb Polens noch stärker mit dem negativen internationalen Image der Regierung konfrontiert. Und für viele, die in den letzten Jahren ihr Land verlassen haben, war die Regierung Kaczynski mit ein Grund hierfür. Die ältere polnische Emigration, insbesondere in den USA, hat im Gegensatz dazu die nationalkonservative PiS von Jaroslaw Kaczynski unterstützt.

Der hohen Wahlbeteiligung ist der Wechsel im Parlament zu verdanken, denn die PiS hat de facto bei der Wahl noch zwei Millionen Stimmen gewonnen. Noch wenige Tage vorher schien die Situation zwischen Regierungspartei PiS und der Oppositionspartei Bürgerplattform unentschieden, und niemand hätte mit einer Stimmdifferenz von 9 Prozent gerechnet. Dies zeigt aber auch deutlich, dass trotz aller momentanen Euphorie das Land gespalten bleibt. Gut 30 Prozent der polnischen Bevölkerung findet sich in dem Schwarz-Weiß-Denken der Kaczynski-Welt wieder, und 46 Prozent der Bevölkerung haben von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch gemacht. Der Wahlkampf wurde zwischen zwei Parteien ausgetragen, die man beide zum konservativen Lager zählt - einerseits die liberal-konservative Bürgerplattform, auf der anderen Seite die nationalkonservative PiS. Es gibt in Polen bislang keine sozialdemokratische Kraft, die ein wirkliches Gegengewicht auf der linken Seite bilden könnte ohne postkommunistisch zu sein. Wer sich daher als Verlierer der Transformation und der sehr liberalen Marktwirtschaft sieht - und dies sind in Polen ca. 20 Prozent der Bevölkerung - der wählt nicht oder entscheidet sich für eine Protestpartei.


Ein Kabinett mit viel internationaler Erfahrung

Ganz unberührt von politischen Verwerfungen erlebt Polen derzeit eine Phase des Wirtschaftsbooms mit hohen Wachstumsraten und ständig sinkender Arbeitslosigkeit. Letztere ist von 18 Prozent auf 12 Prozent landesweit gefallen, und in vielen wirtschaftlich prosperierenden Zentren herrscht Arbeitskräftemangel. Dies ist wiederum ungünstig für ausländische Investoren, die händeringend nach Facharbeitern suchen.

Im Wahlkampf hatte Tusk Wirtschaftsreformen und die Senkung des Steuersatzes versprochen. Weitere Schritte sind ein ausgeglichener Haushalt für 2008, die Fortschreibung der Privatisierung und die Entwicklung der Infrastruktur. Schließlich wird Polen zusammen mit der Ukraine 2012 die Europameisterschaft im Fußball ausrichten und bis dahin sind es nur noch fünf Jahre. Denn - so spottete Tusk im Wahlkampf, "wenn in diesem Tempo weiter gebaut wird, ist die Autobahn in 2280 Jahren fertig. Wir sollten der UEFA vorschlagen, die Fußball-Europameisterschaft 2012 auf das Jahr 4287 zu verschieben" (vgl. Gazeta Wyborcza, 7.9.2007). Darüber hinaus will er die Selbstverwaltungsstrukturen auf kommunaler und regionaler Ebene stärken und setzt hiermit einen klaren Akzent gegen die starken Zentralisierungstendenzen der Kaczynski-Brüder.

Aber es gibt noch viele weitere Handlungsfelder: In einer Befragung der Bevölkerung durch die große konservative Tageszeitung Rzeczpospolita wurden die Bereiche Arbeit, Gesundheit und Steuern als vorrangigste Aufgaben der neuen Regierung genannt (vgl. Rzeczpospolita, 14.11.2007). Für eine stärkere Liberalisierung wird er sich sehr um die Unterstützung seines Juniorkoalitionspartners, der gemäßigten Bauernpartei PSL, bemühen müssen, deren Wählerschaft ihrem Vorgesetzten Waldemar Pawlak wenig Spielraum bei wirtschaftsliberalen Fragen lässt. Die PSL soll längerfristig eine der CSU vergleichbare Rolle als ländliches Standbein der Bürgerplattform einnehmen. Tusks Ziel ist es, eine stabile Zentrumspartei zu etablieren, die der PiS auf die Dauer den Boden nimmt.


Die polnisch-deutschen Konfliktfelder bleiben

Die Ernennung des neuen Kabinetts gelang Donald Tusk überraschend schnell und stieß auf viel Zustimmung. Eine ganze Reihe von Posten hat er an parteilose Experten vergeben, von denen einige langjährige Auslandserfahrung mitbringen. Der erst 44-jährige neue polnische Außenminister Radoslaw Sikorski hat fast die Hälfte seines Lebens im Ausland verbracht - erst als Student in den achtziger Jahren in Oxford, dann als Kriegsberichtserstatter für den Observer in Afghanistan, Angola und im ehemaligen Jugoslawien und schließlich leitete er einige Jahre lang einen amerikanischen Think Tank in Washington. Er ist der Einzige, der unter der Vorgängerregierung als Minister tätig war. Dort überwarf er sich aber nach kurzer Zeit mit Präsident Lech Kaczynski und gab sein Amt als Verteidigungsminister auf.

Aber auch die Ernennung des Wirtschaftsprofessors Jacek Rostowski zum Finanzminister fand großen Beifall; auch er hat in Großbritannien studiert und hielt an der Mitteleuropäischen Universität in Budapest einen Lehrstuhl inne. Die Entscheidung für ein international erfahrenes Kabinett ist ein deutliches Signal für die politische Öffnung Polens unter Tusk und weckt hohe Erwartungen im Ausland.

Während der Koalitionspartner in Wirtschaftsfragen das Regieren schwer machen könnte, wird es in der Außen- und Verteidigungspolitik mit dem weiterhin amtierenden Präsidenten Lech Kaczynski einen ausgesprochen komplizierten politischen Partner, besser wohl Gegner geben. Nachdem - wie die TAZ zufrieden titelte - die Zwillinge erfolgreich getrennt wurden, steht Polen nun eine Kohabitation bevor. Präsident Lech Kaczynski ist entschlossen, seine präsidialen Machtbefugnisse voll auszunutzen und vor allem von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen - "um das 'nationale Interesse' Polens zu retten", wie er meint (TAZ 15.11.2007).

Schon im Vorfeld der Kabinettsbildung versuchte der Präsident mit Hilfe von Verdächtigungen, Tusk von seiner Ministerwahl des Außen- und Verteidigungsministers abzubringen. Sollte es in Zukunft zu einem Veto des Präsidenten kommen, bedarf es 60 Prozent der Parlamentsstimmen, um das Veto aufzuheben. Aber nicht nur die Posten, sondern auch die Gestaltung der Außenpolitik selbst werden ein zunehmender Streitpunkt zwischen Premier und Präsident sein. Wer vertritt Polen bei der EU, ist hierbei die Gretchenfrage. Bis zur Zeitenwende unter dem Kaczynski-Doppel war der Premier für die Gespräche mit der EU verantwortlich und nahm am Ministerrat teil - in den letzten zwei Jahren bestimmte der Präsident die Außenpolitik, wenn auch oft in Rücksprache mit dem Zwillingsbruder.

Donald Tusk ist international anerkannt, tritt moderat auf und bemüht sich um gute Beziehungen zu den Nachbarstaaten. Er wird nicht grundsätzlich die Ziele der polnischen Außenpolitik ändern, aber er wird es seinen ausländischen Gesprächspartnern in Form, Stil und Methode viel leichter machen, ihn als ernstzunehmenden Gesprächspartner zu akzeptierten. In seinen ersten öffentlichen Auftritten hat er die Verbesserung der Beziehungen zu Deutschland und Russland besonders betont. Die Antrittsreisen von Tusk sollen nach Brüssel, Paris, Berlin, Moskau und Washington führen, nachdem er sich direkt nach den Wahlen bei einem Kurzbesuch in Großbritannien bei den polnischen Wählern dort bedankt hatte.

Auf einer Konferenz für ausländische Journalisten Anfang November betonte Tusk, dass die Bürgerplattform die "europafreundlichste" Partei Polens sei. Seine Aussagen zu Deutschland erinnern an alte gute Zeiten - Deutschland sei "Polens erster Partner". Es sei "Wunsch und Wille [...] die Freundschaft und gleichberechtigte Partnerschaft [...] erheblich auszubauen." Deutschland bemühe "sich seit Jahrzehnten ehrlich und ernsthaft um Polen und von den guten Kontakten zu den Deutschen [...] [hänge] auch unsere Lage in Europa ab" (polskaweb 4.11.2007). Erinnert man sich an die Deutschland-Aussagen der letzten zwei Jahre, glaubt man seinen Ohren angesichts von so viel Freundlichkeit kaum zu trauen.

Und zugleich werden sich die polnisch-deutschen Konfliktfelder unter Tusk nicht umgehend in Luft auflösen. Die drei zentralen Konfliktfelder - das Zentrum gegen Vertreibung, die deutsch-russische Gas-Pipeline durch die Ostsee und der Umgang Deutschlands mit Entschädigungsforderungen deutscher Vertriebener werden auch unter der neuen Regierung schwierig bleiben. Aber in das Dauerstreitthema "Zentrum gegen Vertreibung" scheint etwas Bewegung zu kommen. Zwar betont Tusk, dass "keine politische Kraft in Polen [...] die Version des historischen Gedenkens und der Geschichtspolitik akzeptieren [wird], zu deren negativem Symbol die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, geworden ist". Aber zugleich kann sich der Premier vorstellen, dass ein Dokumentationszentrum gegen Flucht und Vertreibung, solange das Projekt nicht von Steinbach geleitet wird, die Zustimmung seiner Regierung finden könnte.

Ein wichtiger Garant für eine positive Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen liegt in der Wahl seines wichtigsten Beraters in diesem Feld - Wladyslaw Bartoszewski, zweifacher Außenminister, jahrzehntelanger Motor der deutsch-polnischen Versöhnung und mit Sicherheit einer der bekanntesten Polen in Deutschland. Ihm galt auch Tusks direkter Dank in der Wahlnacht - hatte Bartoszewski doch zwei Tage vor dem Wahltag erklärt, sollte die PiS alleinige Regierungspartei werden, dann werde er, 85, und seine Frau, 80, als politische Emigranten ins Ausland gehen, da sie in einer Demokratie sterben wollten. Diese pointiert komisch-tragische Aussage ging durch alle polnischen Medien und hat mit Sicherheit Tusk noch die eine oder andere Wählerstimme gebracht, da Bartoszewski als unbeugsame moralische Instanz über alle Parteigrenzen hinweg gilt.

Dass er selbst mit seinen 85 Jahren noch als Außenminister im Gespräch war, zeigen sein großartiges außenpolitisches Können und Gespür. Beides wird er nun als "Regierungsbevollmächtigter für den Wiederaufbau der guten Beziehungen Polens mit dem Ausland" im Range eines Staatssekretärs für die Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen wieder einbringen können. Ein weiterer positiver Aspekt sind die langjährigen guten Beziehungen zwischen Angela Merkel und Donald Tusk. Anfang November lobte Tusk die deutsche Bundeskanzlerin als "beste deutsche Führungspersönlichkeit in der Politik". Auch verbinde beide ein ähnliches politisches Temperament - Tusk habe wie Angela Merkel "bei diesen Wahlen eine psychologische Verwandlung von einem Parteimanager zu einem politischen Führer" durchgemacht (Polityka, 29.10.2007). Beide wurden lange unterschätzt - und ihr politischer Erfolg hat viele überrascht.


Die polnische Bischofskonferenz ist gespalten

Für das Deutschlandbild der Polen könnte die allmähliche Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für polnische Ingenieure einen positiven Schritt bedeuten. Zugleich kommt dieser Schritt viel zu spät - Polen klagt selbst über einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften und wer ins Ausland wollte, hat längst den Schritt getan. Drei Tage vor Weihnachten fallen mit der Aufnahme in den Schengenraum endgültig die Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Polen. Auf Initiative von Tusk ist für diesen Tag zusammen mit Angela Merkel eine Feierstunde an der Grenze in Görlitz/Zgorzelec geplant.

Es wird Aufgabe der neuen polnischen Regierung sein, auf ein positiveres Deutschlandbild hinzuwirken. Hierbei sind auch die Medien gefragt, die in den letzten Monaten oft à la Kaczynski wenig Gutes aus und zu Deutschland berichteten. Eine positive Ausnahme bildete die wichtigste Tageszeitung Gazeta Wyborcza, die diesem Trend entgegenwirkt und aktuell beispielsweise eine Reihe unter dem Titel "Was in Berlin geht und in Warschau (noch) nicht" publiziert. Hier werden kreative Berliner Lösungen für urbane Probleme vorgestellt - ein guter Weg Partnerstädte einander näher zu bringen. Der letzte Beitrag nannte unter anderem ausleihbare Fahrräder der Bahn, Fahrkartenautomaten in Straßenbahnen und den Wochenmarkt vor dem Roten Rathaus als good practice Beispiele für Polens Hauptstadt.

Neben solchen positiven publizistischen Beispielen sind deutsche Kulturveranstaltungen ein wichtiges Verbindungsglied zwischen den Nachbarländern. So sorgten die deutsche Filmreihe German Panorama während des Internationalen Warschauer Filmfestivals und die Tage des deutschen Films in Krakau im Oktober für ausverkaufte Kinosäle und großes Publikumsinteresse. Besonders positiv wurde Robert Thalheims Film über einen Freiwilligen in Oswiècim (Auschwitz) aufgenommen. "Am Ende kommen Touristen" ist auch Thalheims eigene Geschichte, der in den neunziger Jahren als Freiwilliger von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in der Gedenkstätte seinen Zivildienst ableistete.


Unter den Kaczynski-Brüdern wurde Radio Maryja de facto zum Regierungsrundfunk

Ein weiteres positives deutsch-polnisches Signal war die Verleihung des Totus Preises 2007 der Stiftung der Polnischen Bischofskonferenz "Werk des neuen Jahrtausends" an das Warschauer Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung für seine "Tätigkeit im Geiste des polnischen Papstes beim Aufbau christlicher Verantwortung in Politik und Gesellschaft". Diese Preisentscheidung war umso interessanter, als sie eine Woche vor den Wahlen stattfand. Die polnische katholische Kirche hatte sich im Vorfeld der Parlamentswahlen offiziell zurückgehalten und an ihre Priester appelliert, keine Wahlempfehlungen auszusprechen. Dennoch gab es deutliche Aussagen von Bischöfen, die als Parteinahme zu verstehen waren. Dass aber neben der Adenauer-Stiftung auch Andrzej Zoll, früherer Verfassungsgerichtspräsident und Beauftragter für Bürgerrechte, ausgezeichnet wurde, machte diese Verleihung zu einer politischen Geste. Mit beiden Entscheidungen stand die Stiftung deutlich quer zur PiS. Zoll engagierte sich im Ehrenrat der PO im Wahlkampf, während die Adenauer-Stiftung seit Jahren um die Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen bemüht ist.

Aber die Zusammensetzung des liberal-europaoffenen Stiftungskapitels, das über die Preisvergabe entschied, spiegelt nicht die politische Haltung im Episkopat wider. Die Polnische Bischofskonferenz ist politisch klar gespalten. Zwar gab es nach der Wahl eine Reihe positiver Äußerungen unter anderem des neuen Warschauer Erzbischofs Kazimierz Nycza der das Wahlergebnis als die "kreative Fortsetzung jenes Polen, das 1989 entstanden ist und dessen Schöpfer im großem Ausmaß Johannes Paul II. war" begrüßte, gleichzeitig hat die PiS aber viele Anhänger unter den Bischöfen.

Die national-konservative Regierungszeit hat auch den Episkopat nicht unberührt gelassen. Die enge Verbindung zwischen den Kaczynski-Brüdern und dem Redemptoristenpater Tadeusz Rydzyk hat dem erzreaktionären Radio Maryja noch mehr Rückenwind gegeben. Unter den Zwillingen stieg Radio Maryja de facto zum Regierungsrundfunk auf. Die Wirtschaftskraft des gesamten Unternehmens, das neben Radio Maryja einen Fernsehsender, Zeitungen, eine private Journalistenschule, eine Stiftung und andere Einrichtungen umfasst, ist kaum mehr einzudämmen.


Die Kirche stellt sich ihrer Vergangenheit

Hinzu kam in den letzten Jahren der wachsende politische Einfluss Rydzyks, der angeblich ebenfalls an Minister- und Botschafterernennungen beteiligt war. Wenn man auch nur einige Beispiele der dezidiert antisemitischen und verschwörungstheoretischen Beiträge des Radios gehört hat, dann ist es nicht nachvollziehbar, wie der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, Józef Michalik, der Tageszeitung "Dziennik" gegenüber in einem Interview im Sommer betonen konnte, dass das Radio auch viel Positives habe (5.9.2007). Man findet im Episkopat erbitterte Gegner und Befürworter von Radio Maryja. Die antisemitischen Inhalte werden oft heruntergespielt - schließlich leiste das Radio eine wichtige Arbeit im Feld der Mission und spiele für viele Polen in ihrem religiösen Alltag eine zentrale Rolle. Wenn man das Radio verböte - so die Sorge - würden viele Polen der Kirche den Rücken kehren.

Aber auch Anhänger des Radios im Episkopat wünschen sich, dass der Radiosender auf seine politischen Agitationen verzichte. Selbst wenn der Episkopat sich zu einer deutlicheren Kritik an Rydzyks Imperium durchringen könnte, ist immer noch sehr fraglich, ob dies überhaupt Folgen hätte. Zum einen ist seine wirtschaftliche Macht inzwischen so groß, zum anderen untersteht er keiner Diözese, sondern der polnischen Provinz der Redemptoristen. Es scheint, als könnte nur der Papst ihm wirklich Einhalt gebieten. Der hat aber Rydzyk im Juli auf seiner Sommerresidenz empfangen und so internationale Proteste, auch zahlreicher jüdischer Organisationen, ausgelöst.

Der Wechsel der politischen Situation in Polen wird aber nicht ohne Einfluss auf das Radio bleiben. Im Vorfeld der Wahlen hatte Rydzyk in wilden Reden gegen die Bürgerplattform agiert und einen von Donald Tusk gewünschten Auftritt im Radio verhindert. Durch die Kürzung der Förderungen seiner Einrichtungen wird die polnische Regierung in Zukunft Einfluss nehmen können. Hierzu zählen auch Gelder, die Rydzyk bei der EU in Brüssel für seine Hochschule beantragt hatte. Zu hoffen ist außerdem, dass der Fernsehrat neu besetzt wird und somit als wirkliches Kontrollgremium wieder ernst zu nehmen ist. Beschwerden über antisemitische Inhalte blieben in den letzten Jahren in der Regel ohne Folgen. Die neue politische Konstellation wird zudem den liberaleren Gruppierungen im Episkopat den Rücken stärken, die in den letzten zwei Jahren der Dominanz von PiS und LPR-Anhängern wenig entgegensetzen konnten.

Ein Thema, das die polnische katholische Kirche weiterhin beschäftigt, sind die kommunistischen Verstrickungen in ihren eigenen Reihen. Nach dem dramatischen Rücktritt des Warschauer Erzbischofs Stanislaw Wielgus zu Beginn des Jahres waren immer wieder Entlarvungen und Entdeckungen auf den Titelseiten der polnischen Gazetten. In vielen Diözesen haben inzwischen die eingerichteten Kirchlichen Historischen Kommissionen die Akten der Bischöfe und Priester durchgesehen. Die Diözese Kattowitz, die im Oktober ihre Untersuchungen abschloss, kommt beispielsweise zu dem Ergebnis, dass es insgesamt doch wenig Priester gewesen seien, die mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet hätten. Zugleich sei die Aktenlage schwierig und oft auch wenig glaubwürdig. Die Namen der Betroffenen werden nicht öffentlich bekannt gegeben, sondern man will sich kircheninterne Maßnahmen überlegen (vgl. Gazeta Wyborcza, 11.10.2007).

Nachdem die Lustration und ihre Folgen Politik und Medien die letzten Jahre in hohem Maße beschäftigt haben, ist es inzwischen keine Sensation mehr, wenn jemand die Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Geheimdienst zugibt. Die Unzuverlässigkeit der noch vorhandenen Akten und die Unklarheit, wie man bestimmte Vereinbarungen mit dem Geheimdienst interpretieren soll, haben deutlich gemacht, dass es "die Wahrheit" nicht gibt, auch wenn man alle Akten öffnet. Somit müssen auch 18 Jahre nach dem Ende des kommunistischen Regimes Kirche und Staat immer wieder neu entscheiden, welches der beste Umgang mit der eigenen Geschichte ist.

Der Fall Wielgus hat der Kirche insofern gut getan als sie begonnen hat, sich mit der eigenen Rolle im Kommunismus zu beschäftigen. Und dies ist kein "Symptom für Schwäche, sondern Ausdruck des Mutes [...], sich mit den Fehlern der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Kirche verliert nicht, wenn sie eine Sünde zugibt, sondern wenn sie in ihr verharrt. Durch Buße und geistige Umkehr kann sie in tieferem und authentischerem Sinne Kirche in der Zukunft sein" (Zbigniew Nosowski, Wahrheit und/oder Barmherzigkeit, in: Europäische Perspektiven, 3/2007).


*


Ulrike Kind (geb. 1969), Studium der Politikwissenschaft, neuesten Geschichte und des öffentlichen Rechts in Heidelberg, Aix-en-Provence und Bonn (M.A. 1996). Polnischstudium in Polen und Mainz. Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Polnischen Robert Schuman Stiftung, Warschau und persönliche Mitarbeiterin von Prof. Wladyslaw Bartoszewski (1998-2000). Seit 2002 Referentin für Internationale Beziehungen und Ökumene in der Bundesgeschäftsstelle der Evangelischen StudentInnengemeinden.


*


Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
61. Jahrgang, Heft 12, Dezember 2007, S. 605-610
Anschrift der Redaktion:
Hermann-Herder-Straße 4, 79104 Freiburg i.Br.
Telefon: 0761/271-73 88
Telefax: 0761/271-74 88
E-Mail: herderkorrespondenz@herder.de
www.herder-korrespondenz.de

Die "Herder Korrespondenz" erscheint monatlich.
Bezugspreis ab Januar 2007:
Heftpreis im Abonnement 10,20 Euro.
Das Einzelheft kostet 12,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2008