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KIRCHE/700: Statement von Erzbischof Zollitsch zur Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise (DBK)


Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 04.03.2009

Statement des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz,
Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, beim Pressegespräch anlässlich
des Studienhalbtags der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz
zur Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise am 4. März 2009


- Es gilt das gesprochene Wort! -

Die Krise an den internationalen Finanzmärkten und die Wirtschaftskrise haben Deutschland mit aller Wucht erfasst. Wir erleben weltweit eine Besorgnis erregende Situation. Die Menschen machen sich Gedanken um ihre Zukunft, die Zukunft ihrer Familien und um die Zukunft unseres Landes. Angesichts dieser tiefen Verunsicherung stehen wir vor grundlegenden Fragen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung, denen sich die Kirche vor dem Hintergrund ihres politisch-diakonischen Auftrags stellen muss.

Deshalb haben wir heute Vormittag die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise in den Mittelpunkt unserer Beratungen gestellt. Mit diesem Studienhalbtag wurden unterschiedliche Ziele verfolgt:

• Zunächst eine Vergewisserung: Wir haben gemeinsam auf die Ursachen, den Verlauf sowie die Auswirkungen der Krise auf die Finanzmärkte und die Wirtschaft geschaut.

• Dann eine ethische Bewertung: Im Mittelpunkt aller Bemühungen um eine globale Neuordnung der internationalen Finanzwirtschaft und um aktuell anstehende finanz- und wirtschaftspolitische Maßnahmen muss die Sorge um die Menschen stehen. Als Orientierung und Bewertungsmaßstab für die gesellschaftliche Ordnung hat sich die katholische Soziallehre bewährt, aus deren Perspektive wir zu ersten Bewertungen der Krise gekommen sind.

• Schließlich haben wir grundsätzlich geprüft, in welche Richtung spezifisch kirchliche Äußerungen zur Krise gehen könnten. Dies gilt sowohl für die Lehren, die aus der Finanzmarktkrise gezogen werden müssen, als auch für die Herausforderungen und Aufgaben, die aus der Krise erwachsen. Dabei stellen sich rasch fundamentale und komplexe Fragen, zu denen es keine einfachen Antworten gibt. Nachfolgend möchte ich einige Punkte nennen, die in diesem Zusammenhang wichtig sind.

1. Freiheit braucht Ordnung!

Die Krise nährt den Ruf nach staatlicher Ordnung, damit ist die Erwartung einer besseren und gerechteren Ordnung verknüpft. Das Fehlen funktionsfähiger Finanzmärkte und die Verunsicherung durch die Wirtschaftkrise haben die Idee der Ordnungspolitik belebt. Gleichzeitig wächst das Misstrauen gegen die Freiheit. Auch wenn wir deren Missbrauch nicht ausschließen können, dürfen wir sie aber deshalb nicht grundlegend beschränken. Es braucht ein Vertrauen darauf, dass die Freiheit im Ganzen mehr Dynamik zum Guten als zum Schlechten auslöst. Aufgabe des Staates ist es, die Rahmenbedingungen für die freie Entfaltung des Einzelnen zu setzen.

Die Dauerspannung zwischen Freiheit und Ordnung spiegelt auch das Verhältnis von Markt und Staat wider. In Deutschland haben wir uns für das Modell der Sozialen Marktwirtschaft entschieden, weil es ihr gelingt, wirtschaftlichen Erfolg mit sozialem Ausgleich zu verbinden und der Freiheit eine Ordnung zu geben. Sie impliziert eine Verpflichtung zu wertebasiertem Handeln in einem Wirtschaftsprozess, in dem Markt und Wettbewerb dem Menschen dienen sollen. Die Erfahrungen der aktuellen Krise zeigen erneut, dass die international agierenden Unternehmen, die so genannten Global Player, der nationalen Ordnungspolitik auf immer mehr Gebieten entwachsen sind. Deshalb braucht auch das globalisierte Wirtschaftssystem einen ordnenden Rahmen. Die Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft bieten eine Orientierung für die zu schaffenden Rahmenbedingungen des internationalen Finanz- und Wirtschaftssystems.

2. Freiheit braucht Verantwortung!

Während die einen also nach dem starken Staat rufen, der ordnend eingreifen soll, beklagen andere den Verlust moralischer Selbstverpflichtung, weshalb jegliches Regelwerk nur ins Leere zielen kann. So stellt sich letztlich die Frage, ob die Rahmenordnung der Ort der Moral ist oder die ethische Gesinnung des Einzelnen.

Die öffentliche Wahrnehmung konzentriert sich oft auf übermäßiges Gewinnstreben und mangelndes Verantwortungsbewusstsein. Erlauben sie mir hierzu zwei Anmerkungen:

Zum einen hat die Krise natürlich viel mit menschlichen Schwächen wie Gier und Verantwortungslosigkeit zu tun. Dies sind aber nicht die alleinigen Ursachen. Die meisten Mitarbeiter in der Banken- und Finanzbranche haben ganz seriös ihre Arbeit getan und mit der Entstehung der Krise wenig oder gar nichts zu tun. Viele von ihnen sind selbst von der Krise massiv betroffen.

Zum anderen darf bei aller Kritik auch nicht vergessen werden, dass ein gesundes Gewinnstreben die zentrale Antriebskraft für jeden Akteur in der Wirtschaft ist. Das Gewinnprinzip ist Grundlage einer funktionierenden Wirtschaft. Letztlich ist doch auch der Griff nach dem günstigsten Produkt im Supermarkt von diesem Gewinnstreben geleitet.

Dennoch ist die Zügellosigkeit der Interessen nicht bloß ein Märchen. Die Krise hat gezeigt, dass die Idee der Haftung an Bedeutung verloren hat, Leichtgläubigkeit und Laxheit um sich gegriffen haben und die Erfahrung: "wenn nicht ich so handle, tun es eben die anderen" zu weniger Verantwortungsbewusstsein beigetragen hat. Sicher hat die Komplexität und Dynamik der internationalen Märkte und ihrer Instrumente diese Entwicklung unterstützt, doch muss in Zukunft - das scheint mir eine der Lehren aus der Krise zu sein - die Verantwortung des Einzelnen, der Unternehmen sowie der verschiedenen Interessengruppen und ihrer Vertreter in den Vordergrund rücken.

Ordnung braucht ihre Entsprechung in der Ausbildung von Werten und Grundhaltungen wie Verantwortung, Rechenschaft, Konsequenz, Transparenz, Vertrauen und langfristige Orientierung. Denn gerade angesichts der Dynamik und Komplexität der globalisierten Wirtschaft wird nicht alles, was von Rechts wegen zulässig ist, auch ethisch vertretbar sein. Freiheit braucht Moral!

3. Gerechtigkeit!

Diese grundsätzlichen Überlegungen können auch Orientierung für die dringend erforderliche Neuordnung der Finanzwirtschaft sein, die derzeit von der Frage überlagert wird, wie den Auswirkungen der Finanzmarktkrise - vor allem auf die nationale Wirtschaft - am besten zu begegnen sei. Damit die Antworten nicht kurzatmig und kurzsichtig sind, sondern auch in Zukunft tragfähig, müssen sie am Prinzip der Gerechtigkeit und dem Wohle aller ausgerichtet sein.

Dies gilt angesichts der gewaltigen Staatsverschuldung zum Beispiel für die Frage der Generationengerechtigkeit. Durch die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise stehen wir weltweit vor einer ungeahnten Schuldenexplosion. Es ist einsichtig, dass um einer notwendigen konjunkturellen Stabilisierung willen eine langfristig wirksame Staatsverschuldung in Kauf genommen werden muss, weil der Verzicht auf diese Maßnahmen an anderer Stelle eine Verschärfung der Probleme zur Folge hätte, die insbesondere die wirtschaftlich Schwächeren und Armen stark schädigen würde. Doch ist gleichzeitig immer zu bedenken, dass wir diese Staatsverschuldung den nächsten Generationen vererben. Ich habe die Sorge, dass die gewaltige Staatsverschuldung in einigen Jahren durch eine Inflation zurückgeführt wird, mit allen negativen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen.

Auch scheint mir wichtig, dass die Maßnahmen zur Stützung der Konjunktur zugleich auch möglichst zielgenau über die bloße Konjunkturbelebung hinausgehende sinnvolle Ergebnisse zeitigen sollten. Ich denke hier insbesondere an die Bereiche Bildung, verbesserte Infrastruktur, Energieeinsparung oder erneuerbarer Energien. Wir müssen bei derzeitigen Ausgaben insbesondere die Interessen der nächsten Generation im Blick haben!

Auch wenn unser Blick sich zurzeit vor allem auf die eigenen Probleme und die unserer nächsten Nachbarn und stärksten Wirtschaftspartner richtet, dürfen wir die Schwellen- und Entwicklungsländer nicht vergessen, die darauf angewiesen sind, ihre Produkte auf unseren Märkten zu verkaufen. Ein neuer Protektionismus, aber auch ein Nachlassen im Kampf gegen Armut und Hunger sowie die Folgen des Klimawandels können nicht die Antwort auf diese Krise sein.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 4. März 2009
Herausgeber: P. Dr. Hans Langendörfer SJ,
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
Deutsche Bischofskonferenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2009