Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → CHRISTENTUM

KIRCHE/858: Ökumenischer Rat - Hoffnungen auf den neuen Generalsekretär (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 10/2009

Ökumenischer Rat: Hoffnungen auf den neuen Generalsekretär

Von Ulrich Ruh


Der Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) wählte jetzt den norwegischen Lutheraner Olav Fykse Tveit zum neuen Generalsekretär. Er übernimmt seine Leitungsaufgabe in einem ÖRK, der seine Arbeit grundlegend konzentrieren und sich gleichzeitig noch stärker auf das Ganze der ökumenischen Bewegung hin öffnen muss.


*


"Diese Tagung des Zentralausschusses ist in vieler Hinsicht entscheidend für die Zukunft des ÖRK und der ökumenischen Bewegung." Mit dieser Einschätzung lag der scheidende Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Samuel Kobia, in seinem Bericht vor dem Zentralausschuss zweifellos richtig.

Das wichtigste ÖRK-Gremium zwischen den Vollversammlungen tagte vom 26. August bis zum 2. September in der Genfer Zentrale des Rates und hatte dabei weitreichende Entscheidungen zu treffen. Es ging gleichermaßen um personelle wie strukturelle Weichenstellungen für den nach wie vor größten Dachverband in der nichtkatholischen Christenheit, der seit seiner Gründung 1948 aus der Geschichte der ökumenischen Bewegung nicht wegzudenken ist.


Einheit bleibt das Ziel

Vor allem war bei der Genfer Tagung die Nachfolge des Kenianers Samuel Kobia zu klären, der Ende 2009 aus dem Amt des ÖRK-Generalsekretärs scheidet. Er hatte seinen Verzicht auf eine zweite Amtszeit vor dem Zentralausschuss Anfang 2008 bekannt gegeben (vgl. HK, April 2008, 169ff.). Kobia war es als Generalsekretär nicht gelungen, ein überzeugendes Profil zu entwickeln. In dieser Hinsicht richten sich große Hoffnungen auf seinen jetzt gewählten Nachfolger.


Zwei Bewerber standen zur Wahl: Der südkoreanische Presbyterianer Park Seong-won und der norwegische Lutheraner Olav Fykse Tveit. Die Mitglieder des Zentralausschusses entschieden sich mit deutlicher Mehrheit für den Kandidaten aus Skandinavien, der mit 48 Jahren der jüngste ÖRK-Generalsekretär seit dem ersten Amtsinhaber, dem Niederländer Willem A. Visser 't Hooft, sein wird. Fykse Tveit, Pfarrer der lutherischen Kirche Norwegens und promovierter Theologe, ist seit 2002 Generalsekretär des Rates seiner Kirche für ökumenische und internationale Beziehungen und gehört der Vollversammlung der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des ÖRK an. Das Interesse an der Arbeit des ÖRK war in der norwegischen Kirche stets überdurchschnittlich hoch.

In seiner Vorstellungsrede bekannte Tveit sich zu einem transparenten und motivierenden Führungsstil und versprach, Visionen und praktische Arbeit, Kreativität und Realismus miteinander zu verbinden. Nach seiner Wahl hob Fykse Tveit vor der Presse hervor, die Einheit der Christen bleibe das Ziel des Ökumenischen Rates. Er nannte dabei vier Prioritäten für die Arbeit des ÖRK: Solidarität innerhalb der weltweiten Christenheit, interreligiöse Beziehungen, breiter angelegte ökumenische Verbindungen und Fragen der Gerechtigkeit. Die Beziehungen zur katholischen Kirche, so der neue Generalsekretär, seien für den ÖRK von großer Wichtigkeit.

Samuel Kobia hatte in seinem letzten Bericht vor dem Zentralausschuss seinerseits den ÖRK als den "ökumenischen Raum" beschrieben, in dem die Mitgliedskirchen "auf dem Weg zur sichtbaren Einheit vorangehen und einander in ihrem Leben und ihrem Zeugnis vor der Welt unterstützen". Er unterstrich die Bedeutung des "Global Christian Forum", bei dem der ÖRK sich um Zusammenarbeit vor allem mit den ihm nicht angehörenden Pfingstkirchen bemüht; dieses Forum könne jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht an die Stelle des ÖRK treten, sondern setze gerade einen "funktionierenden und blühenden" Ökumenischen Rat voraus.

Dass es damit gegenwärtig enorm hapert, machte bei der Tagung in Genf nicht zuletzt der Bericht des Ausschusses deutlich, der sich mit dem Programm des Rates zu beschäftigen hatte. Seine Empfehlungen wurden vom Zentralausschuss gebilligt: Die gegenwärtigen Pläne für das Programm des ÖRK, so heißt es im entsprechenden Dokument, seien nicht realisierbar. Der Generalsekretär wird deshalb gebeten, die Bemühungen um Reorganisation und Restrukturierung der diversen Programme fortzusetzen, mit dem Zweck, sie dem verfügbaren personellen und finanziellen Rahmen anzupassen.


Untragbare Leitungsstrukturen

Als Kriterien für diesen Prozess macht der Zentralausschuss unter anderem namhaft: Das Schwergewicht solle auf dem liegen, was ausschließlich der Ökumenische Rat innerhalb der ökumenischen Bewegung tun könne. Es komme darauf an, weniger anzupacken, das Wenige aber gut umzusetzen, "in einer integrierten, an Zusammenarbeit orientierten und interaktiven Vorgehensweise". Die Kirchen müssten stärker einbezogen werden; es sei notwendig, sie wie auch die allgemeine Öffentlichkeit rechtzeitig und kreativ über die Aktivitäten des Ökumenischen Rates zu informieren. Der ÖRK solle seiner zentralen Aufgabe gerecht werden, die Kirchen zur sichtbaren Einheit aufzurufen und in konzentrierter Weise die dringlichen und turbulenten Zeitthemen angehen.

Dem Zentralausschuss lag bei seiner Tagung auch das umfangreiche Dokument einer Arbeitsgruppe vor, die sich mit dem Thema "Leitung, Rechenschaftspflichtigkeit und Personalpolitik" beschäftigt hat und dazu sowohl kurzfristig wie mittel- und längerfristig umzusetzende Empfehlungen formulierte. An den Anfang stellt das Dokument programmatisch die Aussage: "Die wichtige und sich weiter entwickelnde Rolle des ÖRK in einem sich wandelnden globalen und ökumenischen Kontext erfordert eine effiziente, flexible und auf Visionen konzentrierte Leitung. Es besteht ein erheblicher Spielraum für Verbesserungen der derzeitigen Strukturen, wenn sie der bestmöglichen Praxis dienen sollen."

Die gegenwärtige Leitungsstruktur des Ökumenische Rates sei auf lange Sicht, möglicherweise sogar schon auf mittlere Sicht, untragbar. Sie sei zu teuer und passe nicht in die sich verändernde ökumenische Landschaft. Es stellten sich Fragen hinsichtlich Größe und Tagungshäufigkeit der Leitungsorgane, ebenso in Bezug auf die Integration von nichtkirchlichen Partnerorganisationen in die Leitungsstrukturen.


Vorgeschlagen wird für den Rat eine stringentere Aufgabenverteilung zwischen den drei Leitungsorganen Vollversammlung, Zentralausschuss und Exekutivausschuss: Alle außer den höherrangigen Leitungsaufgaben sollten dem Exekutivausschuss übertragen werden. Die höheren Leitungsorgane sollten sich auf Ethos, Identität, Vision und Sendung des ÖRK konzentrieren. Es sei entscheidend, dass keine Funktionen in den drei Leitungsorganen verdoppelt würden, sondern jedes seine eigenständige Aufgabe erledigen könne.

Die nächste Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen wird 2013 in der südkoreanischen Viermillionenstadt Pusan stattfinden. Das beschloss jetzt der Zentralausschuss. Zur Wahl stand außerdem die syrische Hauptstadt Damaskus; ursprünglich hatten sich auch noch die griechische Insel Rhodos und die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba beworben. Das Treffen in der koreanischen Hafenstadt wird die zehnte ÖRK-Vollversammlung seit 1948 sein; die neunte hatte 2006 in Porto Alegre im Süden Brasiliens stattgefunden, die achte 1998 in Harare, der Hauptstadt von Simbabwe.


Ein Jubiläum steht bevor

Sieht man vom Sonderfall Philippinen einmal ab, ist Südkorea das einzige asiatische Land mit einem beträchtlichen christlichen Bevölkerungsanteil (etwa 25 Prozent), wobei der protestantische Anteil größer ist als der katholische. Mehrere koreanische Kirchen (Presbyterianer, Methodisten, Anglikaner) gehören dem Ökumenischen Rat an. Für sie ist die Vergabe der nächsten Vollversammlung nicht zuletzt ein Trostpflaster, nachdem es der koreanische Kandidat für den Posten des ÖRK-Generalsekretärs nicht geschafft hat.

Das Team des ÖRK, das Pusan zur Bewertung der Bewerbung besucht hatte, hielt in seinem Bericht für den Zentralausschuss als besondere Kennzeichen für eine Vollversammlung in Korea unter anderem fest: Die kirchlichen Bemühungen um die Wiedervereinigung des Landes, den interreligiösen Kontext, die Stärke der Gemeinden vor Ort ("Die Gemeinden sind aktiv, wachsen und spielen eine zentrale Rolle im Leben der Kirchen des Landes") sowie die "postideologische ökumenische Landschaft" - der Graben zwischen ökumenisch orientierten und evangelikalen Kirchen sei in Korea weniger ausgeprägt als anderswo.


Schon vom 7. bis 13. Oktober wird sich jetzt auf Kreta die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung zu ihrer Vollversammlung treffen. Eine solche Zusammenkunft findet jeweils nur einmal zwischen zwei ÖRK-Vollversammlungen statt; die letzte hat 2004 in Kuala Lumpur (Malaysia) stattgefunden. An der Arbeit von "Glaube und Kirchenverfassung" ist die katholische Kirche seit jeher als Vollmitglied beteiligt. Geleitet wird das Genfer Sekretariat der Kommission derzeit von dem kanadischen anglikanischen Theologen John Gibaut.


Im Februar 2010 steht dann die nächste Tagung des ÖRK-Exekutivausschusses an. Dann muss auch der Haushalt des Ökumenischen Rates endgültig verabschiedet werden, mit dem sich der Zentralausschuss bei seinem Treffen in Genf schon befasste. Die derzeitigen Planungen sehen ein Haushaltsvolumen von 35,5 Millionen Schweizer Franken vor. Die finanzielle Lage des ÖRK dürfte angespannt bleiben, da die Hauptfinanziers unter den Mitgliedskirchen ihre Beiträge voraussichtlich weiter herunterfahren werden.

Das Jahr 2010 wird für die ökumenische Bewegung und damit auch für den ÖRK ein herausragendes Jubiläum bringen:

es jährt sich zum 100. Mal die erste Weltmissionskonferenz in Edinburgh, die als Geburtsstunde der modernen ökumenischen Bewegung gilt. Der 1927 gegründete Internationale Missionsrat integrierte sich 1961 in den Ökumenischen Rat der Kirchen. In seinem Bericht vor dem Zentralausschuss kam dessen Vorsitzender, der brasilianische Lutheraner Walter Altmann, auf die Konferenz von Edinburgh und das bevorstehende Jubiläum zu sprechen: Dieses Jubiläum sei für viele Menschen in aller Welt, denen die Mission und die Einheit der Kirchen am Herzen lägen, ein bewegendes Ereignis.


*


Ulrich Ruh, Dr. theol., geboren 1950 in Elzach (Schwarzwald). Studium der Katholischen Theologie und Germanistik in Freiburg und Tübingen. 1974-1979 Wiss. Assistent bei Prof. Karl Lehmann in Freiburg. 1979 Promotion. Seit 1979 Redakteur der Herder Korrespondenz; seit 1991 Chefredakteur.


*


Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
63. Jahrgang, Heft 10, Oktober 2009, S. 493-495
Anschrift der Redaktion:
Hermann-Herder-Straße 4, 79104 Freiburg i.Br.
Telefon: 0761/27 17-388
Telefax: 0761/27 17-488
E-Mail: herderkorrespondenz@herder.de
www.herder-korrespondenz.de

Die "Herder Korrespondenz" erscheint monatlich.
Heftpreis im Abonnement 10,40 Euro.
Das Einzelheft kostet 12,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2009