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LATEINAMERIKA/082: Missbrauchsopfer katholischer Priester verbünden sich - Hilfe von Filmemachern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. März 2015

Lateinamerika: Missbrauchsopfer katholischer Priester verbünden sich - Hilfe von Filmemachern

von Marianela Jarroud



Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Constanza Valderrama

Die Schauspieler Luis Gnecco (links) und Benjamín Vicuña in den Rollen des chilenischen pädophilen Priesters Fernando Karadima und seines Opfers James Hamilton im Film 'El Bosque de Karadima'
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Constanza Valderrama

Santiago, 20. März (IPS) - In Lateinamerika haben die Opfer sexueller Gewalt von Seiten katholischer Priester erste Schritte unternommen, sich zu organisieren. Im Kampf um Gerechtigkeit können sie zudem auf einen einflussreichen Verbündeten zählen: das Kino.

"Filme haben nicht nur einen Unterhaltungswert, sondern halten die Erinnerung der Menschen wach, damit sie nicht vergessen, was man ihnen als Gesellschaft angetan hat", betonte der chilenische Regisseur Matías Lira. Sexueller Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche fordere Medien und Gesellschaft.

Lira hat den Film 'El Bosque de Karadima' gedreht. Der Streifen, der in Chile erstmals im April gezeigt wird, erzählt die Geschichte des einflussreichen chilenischen Geistlichen Fernando Karadima, der Dutzende Jungen und junge Männer sexuell und psychologisch missbraucht hat. Karadima stand im Ruf, ein Heiliger zu sein, und stieg aufgrund seines Charismas zu den einflussreichsten Persönlichkeiten des Landes auf.

In Chile, einem 16,7 Millionen Menschen zählenden Land, in dem sich 67 Prozent der Bevölkerung mit dem katholischen Glauben identifizieren, sind die Erwartungen an den zweiten Film zum Thema, 'El Club' von Pablo Larraín, hoch, der auf der Berlinale im Februar den Goldenen Bären erhalten hat.

Karadima spielte in dem Missbrauchsskandal eine Schlüsselrolle. Nachdem er Anfang der 1980er Jahre die Pfarrei El Bosque im wohlhabenden Viertel der chilenischen Hauptstadt Providencia übernommen hatte, baute er mit Unterstützung hoher Kirchenvertreter ein Imperium auf, das bis zu seiner Pensionierung 2006 Bestand hatte.


Opfer fordern strafrechtliche Verfolgung

Ein Kirchengericht verurteilte ihn 2011 wegen Pädophilie (sexuelles Interesse an Kindern) und Ephebophilie (homosexuelle Neigung zu pubertierenden Jungen) zu "lebenslangem Gebet und lebenslanger Buße", nachdem er über Jahrzehnte Jungen und junge Männer missbraucht und ein Vermögen über Kirchenspenden angehäuft hatte, wie eine Untersuchung investigativer Journalisten herausfand.

Zu den Opfern gehört auch der Journalist Juan Carlos Cruz. Er geriet als 15-Jähriger, unmittelbar nach dem Tod seines Vaters, an Karadima, der dessen Schmerz und Verletzlichkeit ausnutzte. "Sie sagten mir damals, ich solle diesen Priester aufsuchen, der den Ruf eines Heiligen hatte. Er war so einflussreich, und es war unglaublich, dass er mir seine volle Aufmerksamkeit schenkte", berichtete Cruz gegenüber IPS. "Er erklärte sich zu meinem Vater, meinem geistigen Berater." Kurz nach dem Treffen mit Karadima, der heute 84 Jahre alt ist, begannen die sexuellen und psychologischen Übergriffe.

Als 15-jähriger Junge habe ihm der Umgang des Pfarrers mit hochstehenden Persönlichkeiten wie dem damaligen Diktator Augusto Pinochet (1973-1990) und dem früheren apostolischen Nuntius Angelo Sodano (1978-1988) und späteren Kardinalstaatssekretärs des Vatikans (1991-2006), einflussreichen Geschäftsleuten, Militärs und Politikern imponiert, räumte der Journalist ein.

Um die Strategie der katholischen Kirche, die sexuellen Übergriffe durch eigene Würdenträger zu vertuschen, offenzulegen, haben sich die Opfer in Argentinien, Chile, der Dominikanischen Republik, in Mexiko und Peru zum Netzwerk 'Unidos' ('Vereint') zusammengeschlossen. Auf ihrem Gründungstreffen am 16. Februar in Mexiko-Stadt forderten sie Papst Franziskus auf, wirksame Maßnahmen zu ergreifen und Gerichtsverfahren gegen die Täter und ihre Helfershelfer vor normalen zivilen Gerichten zuzulassen.

In einem Brief an Franziskus betonten sie, dass nur eine tiefgründige Erneuerung der Kirche und die zivilrechtliche Verfolgung der Täter die Verbrechen beenden könnten, denen tausende Mädchen und Jungen geopfert worden seien, um einen Skandal und einen Ansehensverlust der katholischen Kirche in aller Welt zu vermeiden.

Sie kritisierten, dass Józef Wesołowski, ein ehemaliger apostolischer Nuntius von Santo Domingo (2008-2013), der der Pädophilie beschuldigt wurde und im Vatikan unter Hausarrest steht, nicht an die Dominikanische Republik ausgeliefert werde. Dazu meinte Cruz: "Man kann man in Lateinamerika auf uns herumtrampeln, weil es keine Rechtssysteme wie in den USA und Europa gibt." In Philadelphia, wo er inzwischen lebt, säßen 34 Priester im Gefängnis. Dort wurde ein Generalvikar wegen der Verdunklung solcher Straftaten zu 21 Jahren Haft verurteilt.

Im Februar 2014 hatten die Vereinten Nationen den Vatikan beschuldigt, mit den sexuellen Übergriffen durch die Priester gegen die internationale Kinderrechtskonvention verstoßen zu haben.

Cruz zufolge ist der psychologische Missbrauch besonders nachhaltig. "Er bedeutet ein Leben unter dem Joch der ständigen Angst und der Unfähigkeit, sich noch nicht einmal im Erwachsenenalter verzeihen zu können, die Folter dieses Mannes acht Jahre lang zugelassen zu haben."

Karadimas Verbrechen wurden im Mai 2010 publik, als Cruz und andere Opfer in einer Sendung des öffentlichen Nationalen Fernsehens (TVN) über ihren Missbrauch berichteten. James Hamilton, das 'Lieblingsopfer' des Geistlichen, hatte Kontakt zu dem Kanal aufgenommen, nachdem er zuvor einen Bericht über die Verbrechen des mexikanischen Priesters Marcial Maciel, dem Gründer des ultrakonservativen Ordens der Legionäre Christi, gesehen hatte.

Maciel hatte unter Papst Paul II. (1978-2005) großen Einfluss im Vatikan. Der regional bekannteste pädophile Priester hatte trotz seines Keuschheitsgelübdes zudem eigene Kinder gezeugt. Er starb 2008, zwei Jahre nachdem er von Papst Benedikt XVI. (2005-2013) wegen seines "unmoralischen" Doppellebens "bar jeden Skrupels und Religiosität" seines Amtes enthoben wurde.


Enttäuschende Gesten

Die Anwälte der Opfer haben indes vergeblich versucht, die Seligsprechung von Papst Johannes Paul II. zu verhindern, dem sie vorwerfen, die sexuellen Übergriffe des einflussreichen mexikanischen Geistlichen gedeckt zu haben. In Chile agierten die Opfer vergeblich gegen die Ernennung von Juan Barros zum Bischof de Stadt Osorno. Cruz und anderen zufolge war Barros über die Übergriffe von Karadima im Bilde gewesen und an ihnen beteiligt.

Karadimas Opfer werfen auch Kardinal Francisco Javier Errázuriz, der zum Berater von Papst Franziskus ernannt wurde, eine Beteiligung an der Vertuschung vor. Etliche Untersuchungen bestätigen, dass sich Errázuriz als Erzbischof von Santiago gegenüber entsprechenden Beschuldigungen jahrelang taub gestellt habe. Der gleiche Vorwurf wird gegen seinen Amtsnachfolger Ricardo Ezzati erhoben.

Diese Entwicklungen waren ein Grund dafür, warum sich die Opfer der sexuellen Übergriffe im Februar in Mexiko-Stadt zusammengeschlossen haben. Sie wollen die Aufmerksamkeit des argentinischen Papstes Franziskus erringen. Dass Franziskus, ein Kirchenmann aus Argentinien, zum neuen Papst ernannt worden sei, habe Hoffnungen geweckt, dass er als einer der ihren, der ihre Sprache spreche, ihnen helfen werde, so Cruz. Doch dann habe er sich zunächst mit den Opfern in den USA, Deutschland und Großbritannien getroffen - "mit uns nie".

Cruz würde sich gern mit Papst Franziskus zusammensetzen, um ihm zu schildern, was er und die anderen Opfer durchmachen mussten. Das sei ihm auch deshalb wichtig, weil er nach wie vor ein bekennender Katholik sei. "Ich gehe jeden Sonntag zur Kirche", erklärte er. "Ich werde nicht zulassen, dass man mir auch noch ein so kostbares Gut wie meinen Glauben nimmt."

Der Filmemacher Lira, ebenfalls Katholik, ist der Meinung, dass die Kirche in der Schuld der chilenischen und lateinamerikanischen Gesellschaft steht. "Sie sollte begreifen, dass es nicht reicht, sich zu entschuldigen. Was zählt, sind konkrete Schritte, die Zeichen setzen." (Ende/IPS/kb/2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/03/victimas-de-abusos-del-clero-catolico-se-unen-en-america-latina/
http://www.ipsnews.net/2015/03/victims-of-clerical-sex-abuse-join-forces-in-latin-america/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 20. März 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2015

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