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INTERNATIONAL/035: Libyen - Schwarze protestieren gegen Gewalt und Diskriminierung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. November 2011

Libyen: "Wie Hunde behandelt" - Schwarze protestieren gegen Gewalt und Diskriminierung

von Karlos Zurutuza

Schwarzes Vertreibungsopfer protestiert - Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Schwarzes Vertreibungsopfer protestiert
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS
Tripolis, 4. November (IPS) - "Wir sind hier, um euch zu sagen, dass wir wie Hunde behandelt werden", sagt Hamuda Bubakar auf dem Märtyrerplatz im Zentrum der libyschen Hauptstadt. "Sollen sie mich ruhig umbringen, ich wäre nicht die erste!" Die 23-Jährige ist eine von 200 vertriebenen Afrolibyern, die ihre Notunterkünfte in einem Außenbezirk von Tripolis verlassen haben, um hier gegen Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierung zu protestieren.

"Seit mehr als zwei Monaten müssen wir in Baracken hausen", klagt Aisha, eine Leidensgenossin, die aus Sicherheitsgründen ihren Nachnamen für sich behalten will. "Am 1. November wurden wir von Rebellen aus Misurata überfallen. Sie nahmen sieben unserer jungen Leute mit. Niemand weiß, was aus ihnen geworden ist." Die 40-Jährige berichtet auch von schwarzen Frauen, die in den letzten Wochen aus dem Lager in Tarik Matar verschleppt und vergewaltigt wurden.

"Trage deinen Kopf hoch, du bist ein freier Libyer", skandieren die versammelten Demonstranten den Slogan, der nach dem Aufstand der Rebellen gegen das damalige Regime von Muammar Gaddafi zu deren Hymne werden sollte. Während der schleppende Verkehr um den Märtyrerplatz nun gänzlich zum Erliegen kommt, erhitzen sich die Gemüter der Demonstranten. "Wir sollten alle hier töten, so wie sie es mit uns in Misurata (Stadt 190 Kilometer östlich von Tripolis) gemacht haben", ruft ein junger Schwarzer in Tarnkleidung, der aber schnell von seinen Kameraden zum Schweigen gebracht wird.

Alle Demonstranten stammen aus dem Dorf Tawergha, das den Gaddafi-Anhängern als Basis während der Belagerung des 40 Kilometer entfernten Misurata gedient hatte. Die Einwohner der im Westen gelegenen Stadt Sirte, Geburtsort und Bastion des ermordeten Gaddafi, und der Rebellenhochburg Misurata dürften die Hauptleidtragenden des libyschen Bürgerkriegs gewesen sein.


"Es ist unsere Haut, die sie hassen"

"Sie bezeichnen uns als Gaddafisten. Aber es ist unsere Haut, die sie hassen", meint Rahman Abdulkarim, der nach der Auflösung der Demonstration durch die Milizen den Heimweg antritt. "Wir schwarzen Libyer leiden alle aus demselben Grund." Auch Abdulkarim lebt derzeit in Tarik Mater im Süden von Tripolis. Dort ragen riesige Apartmentblocks in den Himmel, die wegen des Krieges nicht fertiggestellt werden konnten. Gegen die Bauruinen nehmen sich die Arbeiterbaracken fast freundlich aus, die derzeit tausenden Vertriebenen ein Dach über dem Kopf bieten. Hier leben Menschen aus den Gaddafi-Hochburgen Bani Walid 150 Kilometer südlich von Tripolis, Tawergha und Abu Salim, dem von den Rebellen zu allerletzt eingenommenen Hauptstadtbezirk.

Am Eingang des Flüchtlingslagers Fallah hängt das Schild einer türkischen Firma, die den "baldigen Bau von 1.187 Wohnungen" ankündigt. "Hier sind 200 Familien aus Tawergha untergekommen", berichtet Abdurrahman Abudheer, ein freiwilliger Helfer. Nicht nur die Zahl der Binnenflüchtlinge nimmt zu, auch die Zahl derer, die ihre Hilfe anbieten.

Am 7. September brachte die Menschenrechtsorganisation 'Amnesty International' in einem Bericht ihre Sorge über die zunehmenden Repressalien gegen die Menschen aus Tawergha zum Ausdruck. Darin hieß es, dass Zehntausende ehemalige Einwohner - Tawergha ist heute eine Geisterstadt - im Lager Fallah unter unzumutbaren Bedingungen leben. "Viele kamen erst, nachdem sie mehrere Tage am Strand zugebracht hatten", berichtet Abudheer. Seinen Schätzungen zufolge leben 27.000 Flüchtlinge aus Tawergha verstreut zwischen Tripolis und Bengasi im Osten.

Das gleiche traurige Bild wie in Fallah bietet sich auch in Tarik Matar, fünf Autominuten entfernt. Einer jüngsten Zählung zufolge sind hier 325 Familien aus Tawergha und sieben aus Abu Salim untergebracht. In dem Raum, den sie mit acht weiteren Familienmitgliedern teilt, zeigt Azma das Foto des Menschen, den sie am meisten vermisst. Am 13. September war ihr Bruder Abdulah bei einer Verkehrskontrolle außerhalb von Tripolis vor ihren Augen aus dem Auto geholt und weggebracht worden. Die letzte Nachricht von ihm erhielt die Familie in Form eines Autopsieberichts, in dem von "zahlreichen Prellungen vor allem im Kopf- und Brustbereich durch feste und biegsame Objekte" die Rede war.

Befürchtet wird, dass die am 1. November abgeführten jungen Leute ein ähnliches Schicksal erlitten haben. "Die Rebellen erklärten uns, man habe die sieben auf Videoaufnahmen wiedererkannt und nehme sie mit, um sicherzugehen. Seither haben wir nichts mehr von ihnen gehört", berichtet die Schwester eines Abgeführten, die aus Angst ihren Namen nicht nennen will.


Viele wollen heim

Auch Mabrouk Mohammad lebt in Tarik Matar. Er organisiert die Nahrungsmittelversorgung der Lagerinsassen. "Was uns vor allem fehlt, ist Sicherheit", sagt der Physiklehrer. "Hoffentlich erlauben uns die Leute aus Misurata, dass wir in unsere Häuser zurückkehren dürfen, ohne Angst vor Repressalien haben zu müssen."

Abdulah Fakir vom Militärrat von Tripolis hat angekündigt, Übergriffe auf die Lagerinsassen künftig durch eine Erhöhung der Sicherheitsvorkehrungen zu unterbinden. Mohammad zweifelt zwar nicht an den guten Absichten der Militärführung, doch will er es nicht darauf ankommen lassen, dass noch mehr schwarzen Libyern Gewalt angetan wird. Er will nur noch heim. "Die aus Misurata werfen uns ausnahmslos die schlimmsten Verbrechen vor", sagt er. "Sie sind mächtig in Tripolis und werden nicht nur von uns, sondern auch von den anderen Kämpfern gefürchtet." (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2011