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INTERNATIONAL/093: Pakistan - Hexenjagd auf Ahmadiyya-Muslime, auch im Fastenmonat Ramadan (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. August 2012

Pakistan: Hexenjagd auf Ahmadiyya-Muslime - Auch im Fastenmonat Ramadan

von Zofeen Ebrahim



Karachi, 9. August (IPS) - Während Millionen Menschen brüder- und schwesterlich den heiligen Fastenmonat Ramadan begehen, geht die Verfolgung der Minderheit der Ahmadiyya-Muslime in Pakistan unvermindert weiter. Die Mitglieder dieser religiösen Gruppe werden massiv diskriminiert und attackiert und haben in dem südasiatischen Land so gut wie keine Entfaltungsmöglichkeiten mehr.

Die Ahmadiyya waren 1974 zu Nicht-Muslimen erklärt worden. 1984 wurde ihre rechtliche und soziale Ausgrenzung durch ein Gesetz weiter verschärft. Seither ist es ihnen untersagt, sich selbst als Muslime zu bezeichnen und an der alljährlichen Pilgerfahrt nach Mekka teilzunehmen. "Sie wollen etwas über die Freiräume der Ahmadiyya wissen? Es gibt keine", meint dazu Faisal Neqvi, ein in Lahore praktizierender Anwalt.

Den Ahamadiyya ist es noch nicht einmal erlaubt, sich zur Lobpreisung des Propheten zu versammeln. Die Minderheit glaubt, dass der Begründer ihrer Religionsgemeinschaft, Mirza Ghulam, der lang ersehnte Messias und Reformer war, von dessen Ankunft der Prophet Mohammad gesprochen hatte.


Polizeivandalismus

Im Juli zerstörten Polizisten in Kharian, einer Stadt in der Provinz Punjab, sechs Minarette und die Wandverzierungen der Baitul-Hamd-Moschee. Der Polizeioffizier Raja Zahid, der den Einsatz geleitet hatte, erklärte gegenüber der englischsprachigen Tageszeitung 'Express Tribune', auf eine formelle Beschwerde der religiösen Organisation 'Tehreek-e-Tahaffuz-e-Islam' hin gehandelt zu haben.

Zahid rechtfertigte die Polizeiaktion mit dem Gesetz 298-B, demzufolge die Ahmadiyya den Ort ihres Gebetes nicht Moschee nennen dürfen. "Und wenn das schon nicht erlaubt ist, dürfen die Gebetshäuser der Ahmadiyya ganz sicher auch keine Ähnlichkeit mit einer Moschee haben", so der Polizeioffizier.

Dazu meinte Saleemuddin, der Sprecher der 'Ahmadiyya Jamaat': "Kein Patent und kein Gesetz dieser Welt schreibt vor, dass bestimmte Minarettformen ausschließlich den Moscheen vorbehalten sind." Tatsächlich wurde Baitul Hamd 1980 erbaut, vier Jahre vor dem Verbot für die Ahmadiyya, sich selbst als Muslime zu bezeichnen. "Sie kamen ohne einen Gerichtsbeschluss inmitten der Nacht", sagte Saleemuddin gegenüber IPS.

Vertreter der Ahmadiyya berichten von regelmäßigen Übergriffen auf ihre Moscheen. So würden Renovierungsarbeiten an den Gebetshäusern turnusmäßig behindert. All dies habe mit den Gesetzen aus den 1980er Jahren zu tun. Den Ahmidiyya sei strikt verboten, sich durch Äußerungen und die Verwendung von Symbolen in die Nähe des Islams zu bringen.

Zohra Yusuf, Vorsitzende der unabhängigen Pakistanischen Menschenrechtskommission (HRCP), erklärte gegenüber IPS, dass das Gesetz so eng ausgelegt werde, dass ein wenige Jahre altes Kind wegen einer Einladungskarte ins Gefängnis musste, auf der das Wort 'Bismillah' ('im Namen Gottes') gestanden habe.

Religion und religiöse Intoleranz durchdringen inzwischen so gut wie alle staatlichen Einrichtungen. Doch während die Verfolgung schiitischer Muslime, von Hindus und Christen lauthals kritisiert wird, spricht kaum jemand über die systematische Verfolgung der Ahmadiyya.

Aus Angst vor Übergriffen halten sich die Gläubigen mit öffentlichen Bekenntnissen zu ihrem Glauben zurück. "Solange die Menschen deine religiöse Zugehörigkeit nicht kennen, bist du sicher", sagt Hasan Ahmad, ein Medizinstudent. "Doch sowie sie herausfinden, dass du ein Ahmadiyya bist, ändert sich ihr Verhalten und dir kann jederzeit etwas zustoßen."

Seit dem 28. Mai 2010, als 86 Mitglieder der Gemeinschaft während der Freitagsgebete in der östlichen Stadt Lahore einem Massaker zum Opfer fielen, haben die Angriffe auf die Ahmadiyya drastisch zugenommen.


Institutionalisierte Hatz

Wie Hussain Naqi von der HRCP bestätigt, wird die Diskriminierung der Ahmadiyya immer schlimmer. "Staatsbedienstete führen umfangreiche Untersuchungen durch, um Mitglieder der Minderheit ausfindig zu machen. Wenn ein Ahmadiyya versehentlich in die Streitkräfte aufgenommen wurde, stellen sie sicher, dass er keine Aufstiegschancen hat."

Naqi weist zudem darauf hin, dass die Verunglimpfung des Korans nach den geltenden Blasphemiegesetzen strafbar ist, die Schändung der Ahmadiyya-Moscheen durch die Polizei hingegen straffrei bleibt. Seiner Meinung nach sollte sich Pakistans Oberster Richter mit diesem Unrecht befassen, "doch ich weiß, dass er das niemals tun wird".

Der letzte, Ende Juli veröffentlichte Bericht über internationale Religionsfreiheit des US-amerikanischen Außenministeriums macht diejenigen Pakistaner für die Misere verantwortlich, die für die Umsetzung der pakistanischen Gesetze zuständig sind. Das gilt besonders im Zusammenhang mit Übergriffen auf religiöse Minderheiten, die unter dem Deckmantel der Blasphemiegesetze begangen werden.

Der Bericht wirft der amtierenden Regierung Versagen vor, den Missbrauch der diskriminierenden Gesetze zu verhindern, unter denen vor allem die Ahmadiyya zu leiden hätten.

"Nichtregierungsorganisationen haben wiederholt angeprangert, dass die Ahmadiyya-feindlichen Passagen im Strafrecht und andere staatliche Maßnahmen die Intoleranz gegenüber dieser Gemeinschaft schüren und in Verbindung mit der Untätigkeit der Polizei einer Kultur der Straffreiheit Vorschub leisten", kritisiert der Bericht.

Seit der Verabschiedung der Anti-Ahmadiyya-Gesetze im Jahre 1984 sind 218 Mitglieder der Minderheit aus religiösen Gründen ermordet worden. In diesem Jahr wurden bereits sieben Ahmadiyya getötet.

"Nie ist es zu Festnahmen der Schuldigen gekommen", sagt Saleemuddin. Als wäre das nicht schlimm genug, hat die mit der Untersuchung des Massakers von 2010 betraute Kommission bis heute keine Ergebnisse vorgelegt, geschweige denn mit der Gemeinschaft der Ahmadiyya Kontakt aufgenommen.

Entmutigend in dem Zusammenhang ist auch das mehrheitliche Schweigen der Medien. "Diese berichten zwar täglich über die Gräuel, doch macht sich keiner die Mühe, die eigentlichen Gründe für die Verbrechen zu recherchieren", sagt der Anwalt Neqvi. Dadurch werde der Eindruck erweckt, dass es in Ordnung sei, Menschen wie die Ahmadiyya zu hassen. Nach Ansicht von Neqvi, der selbst ein Schiit ist, stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch Entfaltungsmöglichkeiten für Menschen gibt, die nicht den Wahhabiten und Salafisten angehören.


Leistungen der Ahmadiyya ignoriert

Anschläge auf die Religion und Kultur der Ahmadiyya haben in Pakistan eine lange Tradition und gehen sogar soweit, die Erinnerung an Pakistans ersten Nobelpreisträger, Abdus Salam, auszumerzen. Der Professor für Theoretische Physik am 'Imperial College of Science and Technology' in London, ein Ahmadiyya, war für seinen Beitrag zur Theorie der Vereinigung schwacher und elektromagnetischer Wechselwirkung zwischen Elementarteilchen geehrt worden.

Selbst in dem Fall, dass sich die Medien eingehender mit dem Unrecht an den Ahmadiyya befassen würden, hieße das nicht, dass sich deren Situation verbessern würde. So schrieb Neqvi unlängst in einem Beitrag in der Express Tribune: "Trotz der vielen Gräuel im Namen der Religion, die das Land erlebt hat, kann ich mich nicht an eine Situation erinnern, in der sich die Öffentlichkeit, das Parlament und die Medien zusammengetan hätten, um über einen längeren Zeitraum hinweg die Verbrechen anzuprangern." (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://tribune.com.pk/story/406708/police-demolish-ahmadi-worship-place-minarets-in-kharian/
http://www.ipsnews.net/2012/08/ahmadis-lose-hope-this-ramadan/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. August 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2012