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INTERNATIONAL/115: Nigeria - Ausgangssperre nach Boko-Haram-Angriffen, neues Leid für Stadt Potiskum (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. November 2012

Nigeria: Ausgangssperre nach Boko-Haram-Angriffen - Neues Leid für Stadt Potiskum

von Ahmed Usman



Kano, Nigeria, 5. November (IPS) - Eine kürzlich vom Militär verhängte Ausgangssperre in der von radikal-islamistischen Boko-Haram-Kämpfern attackierten Stadt Potiskum im Nordosten Nigerias hat die Lebensbedingungen der Bewohner unerträglich gemacht.

Hunderte Zivilisten leben in der Stadt im Bundesstaat Yobe in Angst, seitdem Boko Haram-Rebellen, die in dem westafrikanischen Land die Scharia einführen wollen, bei einem Überfall am 18. Oktober mehr als 30 Menschen getötet haben.

Nach dem Angriff ordnete die Regierung eine Ausgangssperre an. Die Bewohner von Potiskum dürfen sich seitdem tagsüber nur noch neun Stunden außerhalb ihrer Häuser aufhalten. Seit dem 22. Oktober gilt ein striktes Ausgangsverbot zwischen 16 Uhr und sieben Uhr in der Früh.

Wie Wissenschaftler Bawa Abdullah Wase, ein Experte für Fragen der menschlichen Sicherheit, erläutert, brauchen in einem Entwicklungsland wie Nigeria die Menschen täglich sehr viel Zeit, um sich Nahrungsmittel auf Märkten oder an anderen Orten zu besorgen. Die Ausgangssperre verringere die Überlebenschancen von etwa 70 Prozent der Bevölkerung, warnt er. Die Ausgangssperre erschwere zudem in Fällen von schweren Krankheiten oder Bränden rasche Hilfe.

Kabiru Sulaiman aus Potiskam berichtet vom Niedergang seiner einst wirtschaftlich regen Stadt. "Inzwischen schließen die Geschäfte und Märkte schon vor 16 Uhr. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt, und wir leben unter jämmerlichen Bedingungen", beklagt er. Ähnlich äußert sich auch Zakari Adamu von der Organisation 'Nigeria Fight for Justice in Yobe'. "In der Stadt ist wieder Ruhe eingekehrt, also sollte die Regierung die Ausgangssperre lockern", fordert er.


Geschäftsleute verlassen die Region

Abubakar Mohammed, ein Geschäftsmann aus Potiskam, ist vor den Kämpfen zwischen Boko Haram und den nigerianischen Truppen in den Bundesstaat Kano abgewandert. "Ich bin nach Kano umgezogen, weil das Leben in Potiskum so elend war. Die Geschäfte laufen nicht gut, die Einkommen sinken und die Menschen haben ständig Angst vor Angriffen von Boko Haram oder des Militärs."

Zivilisten, die zwischen die Fronten geraten sind, beschuldigen das staatliche Einsatzkommando JTF, sie attackiert zu haben. Auch 'Amnesty International' wirft der nigerianischen Armee in einer am 1. November verbreiteten Erklärung Menschenrechtsverletzungen vor. "Jede Ungerechtigkeit, die im Namen der Sicherheit begangen wird, schürt weiteren Terrorismus und schafft einen Teufelskreis aus Mord und Zerstörung", erklärte Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty. JRF-Sprecher Oberstleutnant Sagir Musa wies die Vorwürfe jedoch zurück.

Die Kinder in Potiskam können inzwischen nicht mehr zur Schule gehen, nachdem die Boko Haram ('Wwestliche Erziehung ist eine Sünde') mehrere Gebäude niedergebrannt haben. "In Potiskam habe ich etwa fünf abgefackelte Schulen gesehen", berichtet Zakari Adamu.

Trotz der Beschwerden der Anwohner will die Regierung von Yobe das Ausgangsverbot in absehbarer Zeit nicht aufheben. "Die Ausgangssperre soll Leben und Eigentum der Menschen schützen", betont Abdullahi Bego, der Medienberater des Gouverneurs des Bundesstaates.


Auf Gefahr zu spät reagiert

Politische Beobachter halten der Regierung allerdings vor, Geheimdienstberichte sträflich ignoriert zu haben. Wären die Behörden bereits vor Jahren gegen die Islamisten vorgegangen, noch bevor sie im Land erstarkt seien, so hätten sie längst unschädlich gemacht werden können, kritisiert James Kura Garba, der früher im Bundesstaat Kaduna Chef der staatlichen Sicherheitsdienste war.

"Bevor das Chaos begann, hatte der Geheimdienst von der militärischen Ausbildung der Boko Haram in Lagern außerhalb Nigerias berichtet. Die Regierung hat aber nichts unternommen", sagt Kura. Seiner Ansicht nach sollte sie ihr Vorgehen gegen die Islamisten verstärken.

Die Extremisten setzen ihre Angriffe unterdessen fort. Am 28. Oktober sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der Kirche der Heiligen Rita im westlichen Staat Kaduna in die Luft. Bei der Explosion wurden zehn Menschen getötet und weitere verletzt, darunter auch Kinder. Zu dem Anschlag hat sich noch niemand bekannt. In der Vergangenheit hatte Boko Haram bei ähnlichen Gewalttaten stets die Verantwortung übernommen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.amnesty.org/en/region/nigeria
http://www.ipsnews.net/2012/11/military-curfew-slowly-strangling-nigerian-town/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2012